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Full text of "Geschichte der Kreuzzüge nach morgenlandische und abendlandischen Berichten"

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morgenlaͤndiſchen und abendlaͤndiſchen Berichten. 


Von 


Dr. Friedrich Wilken, 


Königl. Oberbibliothekar und Profeſſor an der Univerſität zu Berlin, Hiftorios 


graphen des Preußiſchen Staats, R. d. R. A. O., Mitgliede der Königl. Preuß. 


Akademie der Wiſſenſchaften, ſo wie der aſiatiſchen Geſellſchaft zu Paris, 
Correſpondenten der Königl. Franzöſ. Akademie der Inſchriften und ſchönen 
Wiſſenſchaften, Ehrenmitgliede der märkiſchen ökonomiſchen Geſellſchaft 
und des Vereins für naſſauiſche Alterthumskunde u. ſ. w. 


F n f tet e 


2 Kreuzzug des Kaiſers Heinrich des Sechsten und die Eroberung 
von Conſtantinopel. 
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Leipzig, 1829 
bey Fr. Chriſt. Wilh. Vogel. 


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Die, welche in dem ſechsten Buche dieſes 
Werks dargeſtellt wird, gehoͤrt zu den merkwuͤrdigſten 
Ereigniſſen des Mittelalters; und daß die von den Rittern 
des Kreuzes unternommene Begründung eines Kaiſer— 
thums am Bosporus mißlang, weil die Wichtigkeit dieſes 
Reichs in jener durch zahlloſe Streitigkeiten und Fehden 
bewegten Zeit kaum von den Stiftern deſſelben und 
nur von den Paͤpſten und den Venetianern in gewiſſen 
beſchraͤnkten Beziehungen erkannt wurde, war nicht nur 
fur jene herrlichen Gegenden, ſoldern fuͤr ganz Europa 
von ſehr entſcheidenden Folgen. Wenn in Conſtantinopel 
eine weſteuropaͤiſche Verfaſſung Dauer und Feſtigkeit 
gewonnen hätte, welchen bedeutenden Autheil würde dann 
ein ſolches Reich an den großartigen Entwickelungen 
genommen haben, welche in den abendlaͤndiſchen Reichen 
und Staaten gerade zu derſelben Zeit begannen, als die 
0 * 2 


_ 
IV Vorrede. 


geſegneten Laͤnder am Bosporus und dem ſchwarzen Meer 
in die Gewalt morgenlaͤndiſcher Horden fielen, welche 
jeder Fortbildung und Entwickelung mit ſtarrem Sinne 
widerſtrebten! 

Der ſchoͤne, eben ſo einfache als umſtaͤndliche Bericht 
des Marſchalls der Champagne, Gottfried Villehardouin, 
von der Eroberung von Conſtantinopel, erleichterte in 5 
jeder Hinſicht die Darſtellung dieſer Begebenheit; und je 
wichtiger dieſer Bericht iſt, um ſo nothwendiger ſchien es 
mir, ihn fo vollſtaͤndig, als es nur möglich war, mit 
andern vorhandenen Nachrichten, beſonders des Ricetas, 
zu vergleichen, wovon die Ergebniſſe in den Anmerkungen, 
welche die nachfolgende Erzaͤhlung begleiten, dargelegt 
worden ſind. Der Text der Schrift des Villehardouin 
bedarf aber noch ſehr einer befriedigenden kritiſchen 
Bearbeitung, welche dieſes merkwuͤrdige Denkmal der 
franzoͤſiſchen Sprache, in jeder Beziehung, ſowohl wegen 
der Wichtigkeit des Inhalts als der anziehenden Natuͤr⸗ 
lichkeit der Darſtellung, in hoͤchſtem Maße verdient. Zwar 
iſt die histoire de la prise de Constantinople in den 
letzten Jahren mehrere Male in den verſchiedenen Samm⸗ 
lungen franzoͤſiſcher Memoiren und Chroniken aufs neue 
herausgegeben worden, uͤberall aber nur nach der Recen⸗ 
ſion von Ducange. Daß dieſer gelehrte Mann, ungeachtet 
der allerdings zahlreichen und trefflichen Erlaͤuterungen, 
welche ſeine Anmerkungen auch zu dieſem Werke darbieten, 
ſelbſt durch feine, Bearbeitung des Villehardouin ſich nicht 


Bor ve d e. * 
befriedigt fuͤhlte, beweiſen ſeine Vorbereitungen zu einer 
neuen Ausgabe, welche in dem handſchriftlichen Schatze 
der Koͤniglichen Bibliothek zu Paris aufbewahrt werden. 

In der Darſtellung des Kreuzzugs der Deutſchen in 
den Jahren 1196 bis 1198 (oder wenn man nur die 
Dauer der eigentlichen Wallfahrt beruͤckſichtigt, 1197 
und 1198) iſt eine handſchriftliche arabiſche Chronik, 
die Fortſetzung der Rudatain oder beiden Gaͤrten des 
Schehabeddin Abu Schamah, benutzt worden. Dieſe Fort⸗ 
ſetzung, wovon, ſoviel mir bekannt iſt, außer der Bodleya⸗ 
niſchen, nur die hieſige koͤnigl. Bibliothek eine Handſchrift 
(Ms. orient. fol. 78) beſitzt, iſt ebenfalls von Abu Schamah 
verfaßt worden, enthaͤlt die Geſchichte der Nachfolger Sa⸗ 
ladin's bis zum Jahre d. H. 665, und fuͤhrt den Titel: 
N e ee eee e de O 
U 2) G lei Oh Le Se. Der auf 
dem Titel ebenfalls genannte Abſchreiber (Abulnumma, 
genannt Altatarumi, wenn ich richtig leſe, da die diakri⸗ 
tiſchen Punkte faſt alle fehlen, und dieſe Namen überhaupt 
undeutlich gefchrieben ſind), welcher dieſes etwas nachlaͤſſig 
geſchriebene Manuſcript (207 Blaͤtter in Folio) im 
Monate Radſcheb des Jahres d. H. 1008 (alſo im 
Anfange des Jahres 1600 der Chriſtlichen Zeitrechnung) 
vollendete, fuͤgt hinzu, daß der Verfaſſer im Jahre 699 
d. H. geboren worden ſey, was ein Schreibfehler iſt; 
denn Abu Schamah wurde im Jahre 599 geboren, wie 
er ſelbſt (fol. 31 A) alſo berichtet: e u Al, A 


vi Vorrede. 


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| #) D. i. er wurde begraben auf dem Kirchhofe des Thors (von) 

’ . Ohne Zweifel iſt der Name des Thors ausgefallen, 
was um ſo leichter geſchehen konnte, als die vordere Seite 
des Blatts 31 mit = ſich ſchließt, und mit st, eine neue 


Seite anfaͤngt. Vielleicht wird derſelbe Kirchhof gemeint, 
welcher auf der folgenden Seite bezeichnet wird als der 


Berrehdg vu 


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Kirchhof ile dem oͤſtlichen Thore und dem n 8 


(Thomas). Vgl. Abulfed. Ann. mosl. Tom. IV. v. 158. 
) Vielleicht iſt = zu leſen. * 


150 


VIII Vorrede. 


s e d. I s ebe l eh 
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G ee u Nach dieſer 
merkwuͤrdigen Erzählung gehörte Abu Schamah alſo einer 
angeſehenen Familie an; ſein Großvater, Abu Bekr, 
ſtammte aus Jeruſalem, und deſſen Vater, Ibrahim, 
gehörte zu den Ajans (Stadtaͤlteſten) daſelbſt. Moham⸗ 
med, der Vater dieſes Ibrahim, war wahrſcheinlich der 
Abu Bekr Mohammed, Imam der Moſchee Sachra zu 
Jeruſalem, welcher nach dem in der Chronik des Hafız 
Abulkeſim mitgetheilten Berichte des Alakfani von den 
Franken getoͤdtet wurde, als dieſe im Monate Schaban des 
Jahres 492 (Julius 1099) der Stadt Jeruſalem ſich 
bemaͤchtigten *); denn unſerm Abu Schamah erzaͤhlte 
ſein Vater Ismail, daß ſein Großvater einer von den 
zu jener Zeit in Jeruſalem zum Maͤrterthum gelangten 
Muſelmaͤnnern geweſen ſey, und zwar einer von denen, 
deren Haͤupter in der von Pilgern beſuchten Gruft auf 
einem Kirchhofe **) zu Jeruſalem ſich befaͤnden. Nach 
dieſem unglücklichen Schickſale der Stadt Jeruſalem begab 
ſich Abu Bekr, der Sohn des getoͤdteten Mohammed, 
nach Damaskus, wo auch ſeine von unſerm Verfaſſer 


) Vgl. Abulfedae Annal. mosl. Tom. III. p. 318. 


*] Der Zuſatz im Texte: LL GL), falls er richtig 
geſchrieben iſt, kann nichts anders als Ort der Hoffnung 
bedeuten, und iſt der Name des Kirchhofs. 


Vorrede. IX 


ausführlich aufgezaͤhlte Nachkommenſchaft, welche ſehr 
zahlreich wurde, ihren Sitz behielt und in der Naͤhe des 
öftlichen Thors wohnte. Abu Schamah wurde alſo auch 
zu Damaskus und zwar im Anfange der Straße Darb 
elfawachir innerhalb des oͤſtlichen Thors an einem Frey- 
tage, 23. Rabi elacher 599 (10. Dec. 1202), geboren. 
Den Beynamen Abu Schamah erhielt er wegen eines 
großen Mahls (Schamah) über den linken Augenbrauen. 
Außerdem führte er auch die Namen Abulkaſem und Abu 
Mohammed (des Beinamens Schehabeddin erwaͤhnt er 
nicht). Schon in ſeiner Jugend lernte er den Koran 
auswendig und beſchaͤftigte ſich uͤberhaupt aus eignem 
Antriebe, ohne daß ſein Vater davon wußte, mit den 
Wiſſenſchaften; er gab feinem Vater erſt dann von feinen 
Fortſchritten Nachricht, als er ihm melden konnte, daß 
er den Koran vollſtaͤndig inne haͤtte. Hierauf beſchaͤftigte 
er ſich mit der Auslegung der ſieben erſten Suren des 
Korans, der Arabiſchen Philologie, der Theologie, 
Jurisprudenz, der Tradition, der Geſchichte (ſowohl im 
allgemeinen, als insbeſondre mit der Geſchichte berühmter 
Maͤnner) und andern Wiſſenſchaften, und verfaßte auch 
mehrere Schriften. Im Jahre 621 (vom 24. Januar 
1224 bis 12. Jan. 1225) unternahm er mit ſeinem Vater 
eine Wallfahrt nach Mekka, wiederholte dieſe Wallfahrt 
im naͤchſtfolgenden Jahre, pilgerte im Jahre 624 (vom 
21. Dec. 1226 bis 11. Dec. 1227) nach Jeruſalem, 
beſuchte im Jahre 628 (vom 8. Nov. 1230 bis 27. Oct. 


x Vorrede. 


1231) Aegypten und lernte die damals zu Misr, Kahira, 
Damiette und Alexandrien lebenden Scheiche kennen. 
Nach feiner Ruͤckkehr von dieſer letzten Reiſe blieb er beſtaͤn⸗ 
dig in Damaskus, beſchaͤftigte ſich, wie zuvor, mit den 
Wiſſenſchaften und der Verfertigung von Schriften, las, 
obwohl noch im jugendlichen Alter, in der Hauptmoſchee 
zu Damaskus den Koran vor, war gegenwaͤrtig, wenn die 
Gelehrten ihre Antworten auf vorgelegte Fragen (Fetwa's) 
ertheilten, und nahm ſich beſonders den Scheich Fachreddin, 
welcher damals ſowohl wegen ſeiner Gelehrſamkeit als ſeiner 
Froͤmmigkeit und der Verachtung jedes äußern Prunks 
eines beſonders hohen Anſehens genoß und von Vielen 
beſucht und befragt wurde, zum Muſter, indem er die 
Stufe, auf welcher dieſer Scheich in Hinſicht feiner 
Gelehrſamkeit und der Achtung bei den Menſchen ſtand, 
zu erreichen wuͤnſchte. „Gott gab ihm“ (dem Verfaſſer), 
ſetzt Abu Schamah hinzu, „in dieſer Beziehung mehr als 
er wuͤnſchte; in ſeinem fuͤnf und zwanzigſten Jahre zeigten 
ſich ſchon graue Haare in ſeinem Barte und auf ſeinem 
Haupte, und Gott beſchleunigte ihm den Eintritt des 
Alters nach dem Scheine und der Wahrheit.“ Der Ver⸗ 
faſſer, welcher dieſe Notiz, wie er weiter unten (fol. 33, B) 
bemerkt, im Jahre 659 (vom 6. Dec. 1260 bis 26. Nov. 
1261), alſo im ſechszigſten Jahre ſeines Alters, nieder⸗ 
ſchrieb, erzähle hierauf mehrere gluͤckliche Träume, welche 
ihm ſelbſt, fo wie feiner Mutter und andern Perfonen zu 
Theil wurden, und laͤßt darauf ein Verzeichniß ſeiner bis 


1 Vorrede. xl 


zu dieſer Zeit herausgegebenen, theologiſchen, grammati⸗ 
ſchen, poetiſchen und hiſtoriſchen Schriften folgen, deren 
mehr als dreyßig ſind, indem er bemerkt, daß er außer 
dieſen noch viele andre Werke zwar angefangen habe, aber 
noch nicht habe vollenden konnen. Unter den aufgezaͤhlten 
vollendeten Schriften nehmen die Rudatain oder zwey 
Gärten (in zwey Baͤnden) die vierte Stelle ein, der 
vorliegenden Fortſetzung dieſes Werks dagegen, als unvoll⸗ 
endet, geſchieht keine Erwaͤhnung. Außer dieſen beiden 
hiſtoriſchen Buͤchern ſchrieb der Verfaſſer noch folgende 
geſchichtliche Werke: 1) eine große Chronik von Damaskus, 
in funfzehn Baͤnden; 2) eine kleine Chronik derſelben Stadt 
in fuͤnf Baͤnden; 3) eine Abkuͤrzung der Rudatain in 
einem kleinen Bande; Y ein Werk über die Nachkommen 
des Obeid d. i. der Fathimiten ) (Ass & ). 
Die Proben ſeines poetiſchen Talents, welche der Verfaſſer 
mittheilt, ſo wie die ebenfalls hier und da eingeſchalteten 
Verſe, womit er ſelbſt oder ſeine Schriften von andern 
verherrlicht wurden, koͤnnen an dieſem Orte fuͤglich uͤber— 
gangen werden; merkwuͤrdig aber iſt folgende Nachricht, 
welche ſich fol. 35, B findet: Se O zus O 
S eee a EN m eee N ee 

L ( e Ch; d. i. „ Es kamen zu on 
(dem Abu Schamah) in die Hauptmoſchee und das 
Grabmal des Aſchraf viele vorneßime und angefehene Maͤu⸗ 

n 
*) S. d’Herbelot Biblioth. or. sub voce Obeidallah. 


XII Vorrede. 


ner, um die Vorleſung ſeiner Chronik (von Damaskus), 
der Rudatain und andrer feiner Werke anzuhören.” . 

Aus dieſer biographiſchen Nachricht über Abu Scha⸗ 
mah geht hervor, daß dieſer Schriftſteller gerade in der 
Zeit lebte, in welche die Begebenheiten fallen, die wir in 
den folgenden Buͤchern darzuſtellen haben. So wie ſeine 
beiden Gaͤrten uns ſchon fuͤr die vorigen Baͤnde dieſes Werks 
viele wichtige Nachrichten dargeboten haben: eben ſo 
enthaͤlt auch die Fortſetzung der Rudatain manchen ſehr 
ſchaͤtzbaren Bericht uͤber die Kaͤmpfe der Chriſten und 
Muſelmaͤnner. 

Das ſiebente Buch dieſer Geſchichte der Kreuzzuͤge, 
deſſen Druck bereits begonnen iſt, wird die Geſchichte der 
heiligen Kriege bis zum Jahre 1250 enthalten, und mit 
dem achten Buche dieſes Wen hach werden. 


Berlin am 4. October 1829. 


un ge — 


Der Kreuzzug der Deutſchen zur Zeit des Kaiſers Heinrich des 
Sechsten in den Jahren 11964198, und die Eroberung von 
Conſtantinopel. 


70 * 196 


— —-— 


Erſtes Kapitel. 


Verwirrungen in dem von Saladin geſtifteten Reiche. Malek 
al Afdal S. 1. 2. Malek al Aſis, Malek al Adel, 2. Be— 
herrſcher von Jeruſalem, 3. Zuſtand der Chriſten im gelobten 
Lande, 3 — 5. Streitigkeiten des Fuͤrſten Boemund von An⸗ 
tiochien mit dem armeniſchen Fuͤrſten Leo in Cilicien, 5 — 7. 
Gefangenſchaft des Fuͤrſten Boemund, 7. 8. Reiſe des Gras 
fen Heinrich (Königs von Jeruſalem) nach Cilicien, Befreyung 
des Fuͤrſten Boemund, 8. 9. Koͤniglicher Titel des Fuͤrſten 
Leo, 9. Reiſe des Grafen Heinrich in das Land der Aſſa⸗ 
finen, 9. 10. Theilnahme der abendlaͤndiſchen Chriſten an 
den Angelegenheiten des gelobten Landes, Papſt Coeleſtin III., 
10 — 12. Vergebliche Bemühungen des Erzbiſchofs Hubert 
von Canterbury in England (im J. 1196), 11. 12. Die 
Ermahnungen zur Kreuzfahrt finden Eingang bey den Deuts J Chr. 
ſchen, Kaiſer Heinrich VI., 13 — 15. Verſammlungen der N 
deutſchen Fuͤrſten zu Gelnhauſen und Worms, 15. 16. Viele 
Deutſche nehmen das Kreuz (im J. 1196), der Markgraf 
Otto von Brandenburg wird von ſeinem Geluͤbde entbunden, 17. 
Auszug der deutſchen Pilger, Aufenthalt in Apulien, 18. 19. 0 


J. Ehe. 
1197: 


J. Chr. 
1188. 


xi Inhalt. 


Graf Adolf von Schaumburg und Holſtein, der Reichskanzler 
Konrad, 19. Erzbiſchof Konrad von Mainz, Anfuͤhrer des 
Pilgerheeres, Ankunft der Pilger im gelobten Lande, 20. 
Koͤnigin Margarethe von Ungarn, 21. Betragen der Kreuz— 
fahrer im gelobten Lande, Aufkuͤndigung des Waffenſtill— 
ſtandes mit den Saracenen, Walram von Brabant, 22. Miß— 
helligkeiten der Pilger mit dem Grafen Heinrich und den geifts 
lichen Ritterorden, Ruͤſtungen der Saracenen, 23. Erobe— 


rung von Joppe durch die Saracenen, 24. 25. Tod des 


Grafen Heinrich, 26. 27. Ankunft des Kanzlers Konrad in 
Ptolemais, Streit über die Nachfolge im Königreiche Jeru— 
ſalem, 28. Wahl des Koͤnigs Amalrich von Cypern zum 
Koͤnige von Jeruſalem, Vermaͤhlung deſſelben mit der Prin— 
zeſſin Eliſabeth, und meuchleriſcher Angriff auf das Leben des 
neuen Koͤnigs, 29. Deſſen Verordnung wegen der Zinslehen, 
Ruͤckkehr der franzoͤſiſchen Pilger, 30. Die Chriſten beſchlie— 
ßen, die Stadt Berytus zu belagern, 31. 32. Wichtigkeit 
dieſer Stadt, 32. 33. Schlacht zwiſchen Tyrus und Sid on, 


33. 34. Die Pilger zu Sidon, 35. Uebergabe von Bery⸗ * 


tus, 35. 36. Aufenthalt der Pilger daſelbſt, 37 — 40. 
Kroͤnung des Koͤnigs Amalrich daſelbſt, 39. Eroberung von 
Dſchabalah und Laodicea durch den Fuͤrſten Boemund, 40. 
Eitle Hoffnungen der Kreuzfahrer, Abzug aus Berytus nach 
Tyrus, als der Sultan Malek al Adel dieſe Stadt bedroht, 41. 
Der Sultan Adel entlaͤßt einen Theil ſeiner Truppen, 41. 42. 
Belagerung der Burg Toron, 42 — 53. Uneinigkeit der 
Pilger, Tod des Kaiſers Heinrich VI., 42 — 44. Unter- 
handlungen mit den Tuͤrken, welche durch die Kreuzfahrer 
ſelbſt vereitelt werden, 46 — 49. Schlechte Sitten der Pils 
ger, 50. Schimpfliche Aufhebung der Belagerung von To— 
ron, 52. Ruͤckkehr der Kreuzfahrer, 33 — 55. Der Erz 
biſchof von Mainz kroͤnt den König von Armenien, 53. Tod 
des Herzogs Friedrich von Oeſtreich, 54. 55. Folgen dieſer 
Kreuzfahrt fuͤr Deutſchland, 56. Widerwille der Pullanen 
gegen die fremden Pilger, 56. 57. Unbeſonnene Zuſage des 


Inhalt. XV 


Herzogs Heinrich von Brabant wegen Anfiedelung deutſcher 5189. 
Auswanderer in Syrien, 57. Erneuerung des Waffenftill; 
ſtandes mit den Unglaͤubigen, 57. 58. Wallfahrt des Marks 
grafen Otto von Brandenburg, 58. 


Zweytes Kapitel. 

Verminderte Theilnahme der abendlaͤndiſchen Chriſten an den I; gr. 
Angelegenheiten des heiligen Landes, 59. Innocenz III. be; 
ſteigt den paͤpſtlichen Stuhl, 60. Schilderung feines Cha⸗ 
rakters, 61 — 63. Seine Thaͤtigkeit für das heilige Land 
in den Jahren 1198 — 1200, S. 63 — 91. 

Drittes Kapitel. 

Vergebliche Verſuche des Papſtes, den allgemeinen Frieden in der 
Chriſtenheit zu bewirken, 92. Haͤndel deſſelben mit dem 
Könige Philipp Auguſt, 92. 93. Kreuzprediger in Frank— 
reich, beſonders der Meiſter Fulco in den Jahren 1198 — 
1202, S. 93 — 105. Tod des Meiſters Fulco, 105. Ver— 
wendung der von ihm für das heilige Land geſammelten Als 
moſen, feine Schüler, 106. Andere A in Frank⸗ 
reich und England, 107. Der Abt Martin des Cifterzienfers 
kloſters Paris (im J. 1198), S. 108. 109. 

Viertes Kapitel. 

Wirkungen der Aufforderungen des Papſtes und der Ermahnun⸗ 
gen der Kreuzprediger, 110. 111. Turnier zu Eery, die 2. 8 
Grafen Thibaut von Champagne und Brie, und Ludwig von 
Blois und Chartres, 111. Begeiſterung fuͤr das heilige Land 
in Frankreich, 112. Namen der franzoͤſiſchen Kreuzfahrer, J. hr. 
Graf Balduin von Flandern und Hennegau, 113. Die 
uͤbrigen flandriſchen Pilger, Graf Hugo von St. Paul u. a., 
Verſammlung zu Soiſſons, 114. Verſammlungen zu Com- 
piegne, Geſandtſchaft nach Venedig, 115. Unterhandlungen 
zu Venedig, 116 — 121. Ausfertigung der Urkunde des N 
Vertrags mit den Venetianern 121. 122. Benachrichtigung 
des Papſtes Innocenz III., 122. Anleihe zu Venedig, Ruͤckkehr 
der Abgeordneten, 12 3. Graf Walther von Brienne, 123. 724. 


XVI Inhalt. 


Fuͤnftes Kapitel. 

ebe. Unzufriedenheit der Pilger und des Papſtes Innocenz III. mit 
dem zu Venedig geſchloſſenen Vertrage, 125. 126. Tod des 
Grafen Thibaut von Champagne, des oberſten Fuͤhrers der 
Kreuzfahrer (am 25. Mai 1201), S. 126 — 128. Wahl 
eines neuen Oberhauptes und vergebliche Anträge, 128 —130. 
Berathung zu Soiſſons, der Markgraf Bonifaz von Monts 
ferrat wird in Vorſchlag gebracht, 130. 131. Wahl deſſel— 
ben, 131. Ankunft deſſelben zu Soiſſons, 132. Bezeich— 
nung deſſelben mit dem Kreuze und Ruͤckkehr nach Italien, 
133. Kapiteltag zu Citeaux, 133. 134. In der Lombardey 
und andern italieniſchen Laͤndern nehmen Viele das Kreuz, 134. 
Tod des Grafen Gottfried von Perches, 134. 135. 


Sechstes Kapitel. 

Aer Auszug der Pilger, manche begeben ſich nicht nach Venedig, 
ſondern nehmen andere Wege, der Graf von St. Paul zu 
Venedig, der Graf von Blois und Chartres wird bewogen. 
nach Venedig zu kommen, 138. Andere franzoͤſiſche Pilger 
ſetzen ihren Weg nach Apulien fort; die Kreuzfahrer auf der 
Inſel St. Nikolaus bey Venedig, 139. Verlegenheit ders 
ſelben, 140. Widerſpenſtigkeit mancher Pilger, 140. 141. 
Bezahlung eines Theils der den Venetianern zugeſagten Geld— 
ſumme, 141. Mißhelligkeiten mit den Venetianern, 142. 
Charakter des Dogen Heinrich Dandulo, 142 — 144. Vor⸗ 
ſchlag wegen der Eroberung von Zara, 145. Heinrich Dans 
dulo und viele Venetianer nehmen das Kreuz, 145 — 147. 
Abgeordnete des byzantiniſchen Prinzen Alexius, 147. By— 
zantiniſche Angelegenheiten, Entfernung des Iſaak Angelus, 
und Ufurpation des Alexius, feines Bruders, 137 — 149. 
Regierung des Alexius Comnenus, und ſein Verfahren gegen 
Iſaak, 149 - 150. Flucht des juͤngern Alexius nach Italien, 
151. Sein Aufenthalt zu Rom, und feine Reiſe nach Deutſch— 
land, 151. 152. Verhandlungen der Geſandten des Alexius 
mit den Kreuzfahrern, 152 — 154. Die Kreuzfahrer ſenden 
Botſchafter nach Deutſchland, 154. Ankunft des Biſchofs 


Inhalt. XVII 


Conrad von Halberſtadt und des Grafen Berthold von Katzen r. 
ellnbogen zu Venedig 154. 155, ſo wie des Abts Martin mit 
feinem Pilgerheere, 155 — 157. Mißvergnuͤgen vieler Pilger 
uͤber die Verhandlungen wegen des Zugs gegen Zara, ſie 
wuͤnſchen, die Fahrt nach Aegypten anzutreten, 157 — 159. 
Unzufriedenheit des Papſtes, vergebliche Abmahnung der Ve; 
netianer von dem Zuge gegen Zara durch den Cardinal Peter, 
159. Mißvergnuͤgen der deutſchen Pilger und des Abts Mar— 
tin, 159. 160. Erneuete Abmahnung der Venetianer von dem 
Kriege gegen Zara durch paͤpſtliche Briefe und den Abt Ogier 
von Lucedio, 161. Einige franzoͤſiſche Pilger trennen ſich 
von dem Heere, und auch der Markgraf Bonifaz haͤlt ſich 
fern, 162. 163. 


Siebentes Kapitel. 

Abfahrt der Pilger von Venedig, 164. 165. Zuͤchtigung der 3 
Staͤdte Trieſt und Muggia, 166. Eroberung von Zara, 
167 —- 171. Aufenthalt der Pilger daſelbſt und Streitig— 
keiten mit den Venetianern, 172 — 174. Ankunft des Mark 
grafen Bonifaz, Matthias von Montmorency und anderer 
Pilger zu Zara, 174. Ruͤckkehr der nach Deutſchland ges 
ſendeten Botſchafter, 174. 175. Vortrag derſelben in der 
Verſammlung der Pilger, 175. 176. Neue Verathung, 177. 
178. Vollziehung der Urkunden des Vertrags mit dem Prin— 
zen Alexius, 178. 179. Unzufriedenheit der Pilger, viele ac 
verlaſſen das Heer, 179. 180. Geſandtſchaft an den Papſt, 
180 - 182. Vorlaͤufige Losſprechung der Pilger von dem 
auf ihnen ruhenden kirchlichen Banne, 181. Antwort des Pap⸗ 
fies, 182 — 184. Die Venetianer werden mit dem Banne 
belegt, 182; welchen der Markgraf Bonifaz und die uͤbrigen 
Barone verheimlichen, 184, 185. Innocenz III. fordert 
die Verkuͤndigung des Bannes und gibt den Pilgern guten 
Rath in Hinſicht ihres Betragens gegen die Venetianer, 185. 
186. Auch ermahnt er fie, nicht in die byzantiniſchen Ans 
gelegenheiten ſich zu miſchen, 187. 188. Die Pilger befolgen 
dieſe Ermahnung nicht, 188 — 190. Der Graf Simon 

V. Band. . 


EN | 


XVIII In halt. 
* von Montfort und andere verlaſſen das Heer der Pilger, 
190. 191. 


Achtes Kapitel. 

3.0 Ankunft des Prinzen Alexius zu Zara, 192 (vgl. 188). Die Pil, 
gerflotte fährt über Spalatro und Dyrrachium nach Corfu, 192. 
Lagerung der Pilger und des Prinzen Alexius vor der Stadt 
Corfu, 193. Zwietracht der Pilger, 194. 195. Verſoͤh— 
nung, 195 —- 197. Abfahrt von Corfu, 197. Fahrt bis 
an die Meerenge von Seſtus und Abydus, 197 — 199. Forts 
ſetzung der Fahrt bis zur Propontis, 199 - 202. Lager bey 
Chalcedon, 202. 203, und bey Scutari, 203 — 210. Gorgs 
loſigkeit des Kaiſers Alexius, 204. 205. Kampf am Berge 
Damatrys, 206. 207. Nikolaus Roſſi, Botſchafter des 
Kaiſers Alexius, 208. 209. Kriegsrath der Barone, 208 — 
210. Der Prinz Alexius wird den Einwohnern von Con: 
ſtantinopel gezeigt, 210. Ueberfahrt des Pilgerheeres nach 
der thraciſchen Kuͤſte, 211 — 216. Eroberung von Galata, 
217— 220. Sprengung der großen Hafenkette, 218. Kriegs; 
rath und Anordnung der Belagerung, 220. Die Belagerung 
von Conſtantinopel wird begonnen, 221. Stellung der Kreuz; 
fahrer, 222. Befeſtigung des Lagers und Aufſtellung der 
Belagerungsmaſchinen, 223. 224. Belagerung, 224— 226. 
Allgemeine Beſtuͤrmung, 226 — 229. Die Venetianer ers 
obern 25 Thuͤrme am Petrion, Verbrennung eines Theils 
von Conſtantinopel (erſte Feuersbrunſt), 229. 230. Ausfall 
der Griechen (am 17. Julius), 230—233. Flucht des Kaiſers 
Alexius (am 18. Jul.) und Wiedereinſetzung des Kaiſers Iſaak, 
233 — 235. Geſandtſchaft der Barone an Iſaak, 235 — 237. 
Einfuͤhrung des Prinzen Alexius in Conſtantinopel, 237. Die 
Pilger errichten ihr Lager bey Pera, 237. 238. 


Neuntes Kapitel. 
2.25 ex. Freundliches Verhaͤltniß der Kreuzfahrer zu den Griechen, 239 
— 241. Kroͤnung des jungen Alexius (am 1. Auguſt), 240. 
Iſaak und Alexius wuͤnſchen die Verlaͤngerung des Aufenthalts 


*. 


Inhalt, xıx 


der Kreuzfahrer, 244. 245. Vertrag mit den griechiſchen Kaiſern, 
245. Der Markgraf Bonifaz u. a. begleiten den Kaifer: Ale; 
xius auf feinem Zuge durch die Länder am Bosporus und an 
der Propontis, 246. Aenderung des Zuſtandes der Dinge 
in Conſtantinopel, zweyte Feuersbrunſt in Conſtantinopel, 246 
— 248. Erbitterung der Griechen wider die Lateiner, 249. 
250. Pluͤnderung der Kirchenſchaͤtze durch den Kaiſer Iſaak, 
250. Tod des Abtes von Los und des Ritters Matthias von 
Montmorency, 251. Fernere Mißverhaͤltniſſe der Kreuz: 
fahrer und der Griechen, der juͤngere Alexius bricht den freund— 
ſchaftlichen Verkehr mit den Pilgern ab, 251 — 256. Zer⸗ 
truͤmmerung des Standbildes der Athene auf dem Markte des 
Conſtantinus, 253. Uneinigkeit der Kaiſer Iſaak und Ale— 
rius, 253 — 256. Kriegserklaͤrung der Barone, 256 — 258. 
Feindſeligkeiten, die Griechen verſuchen die Flotte der Kreuz— 
fahrer zu verbrennen, 258 — 260. Ankunft des Abts Martin 
aus Syrien und des Vogts Conrad von Schwarzenberg, als 
Botſchafter der dortigen Chriſten, 261. 262. Berathungen 
zu Conſtantinopel wegen der Wahl eines neuen Kaiſers, 262. 
263. Wahl des Nikolaus Kanabus, 264. Alexius Ducas 
Murtzuflos erſcheint im Lager der Pilger als Abgeordneter 
des juͤngern Alexius, 264. 265. Murtzuflos benutzt dieſe 
Unterhandlungen, um ſich ſelbſt des Thrones zu bemaͤchtigen, 
265 — 267. Tod des Kaifers Iſaak, und Gefangenſchaft des 
Nikolaus Kanabus, 267. Erneuerung der Feindſeligkeiten, 
267. 268. Tapferkeit des Murtzuflos, 268. Kampf bey 
Philea, 269 — 271. Die Chriſten erobern ein wunderthaͤ— 
tiges Bild der Mutter Gottes, 270. Neuer Verſuch der 
Griechen, die Flotte der Pilger zu verbrennen, 272. Haͤuſige 
Gefechte, 272. 273. Unverſtaͤndiges Betragen des Alexius 
Murtzuflos, 272. 273. Unterhandlungen deſſelben mit den 
Kreuzfahrern, 273 — 277. Ermordung des jungen Alexius 
(am 8. Februar 1204), 277. 278. Die Kreuzfahrer ruͤſten 
ſich zur Belagerung von Conſtantinopel, 278 - 280. 


J. Chr. 
1203. 


J. r. 


1 204. 


J. Chr. 


1204. 


Inhalt. 
Zehntes Kapitel. 


Vertrag der Kreuzfahrer und Venetianer, 281 — 285. Anfang 


der Belagerung, 285. 286. Mißlungene Beſtuͤrmung, 286. 
287. Kriegsrath, 287 — 289. Wiederholte Beſtuͤrmung, 
die Mauer von Conſtantinopel wird erſtiegen, 289 — 291. 
Tod des Pietro Alberti, 291. Peter von Braiecuel u. a. 
dringen in die Stadt ein und bemaͤchtigen ſich derſelben (am 
12. April 1204), 29 — 295. Schonung der Griechen an 
dieſem Tage, 295. Dritte Feuersbrunſt in Conſtantinopel, 
296. 297. Flucht des Alexius Murtzuflos, 297. Theodorus 
Ducas und Theodorus Lascaris ſtreiten um den Thron, Er— 
waͤhlung des Letztern zum Kaiſer, 298. Flucht des Theodorus 
Laskaris, 299. Die Kreuzfahrer bemaͤchtigen ſich des Palas 
ſtes der Blachernen, 299, und des Bukoleon, 300. Große 
Beute und Gewaltthaͤtigkeiten, 300 — 303. Gebot der Bas 
rone, die Keuſchheit der Frauen zu achten, 303. Pluͤnderung 
und Entheiligung der Kirchen, 304. 305. Geraubte Reli: 
quien, 306 — 308. Verſpottung der Griechen, 309. 310. 
Schilderung des Nicetas von den durch die Franken veruͤbten 
Graͤueln, 310 — 312. Schickſale und Flucht des Geſchicht— 


ſchreibers Nicetas, 312 317. 


Elftes Kapitel. 


2. ‚Sir‘ Theilung der Beute, 318 — 320. Wahl eines Kaiſers, 320 — 


326. Erwählung des Grafen Balduin, 326. 327. Ders 
maͤhlung des Markgrafen Bonifaz mit der Kaiſerin Marga— 
rethe, Tod des Ritters Odo von Chamlite, 327. Kroͤnung 
des Kaiſers Balduin, 328. 329. Wahl eines lateiniſchen 
Patriarchen von Conſtantinopel (Thomas Moroſini), 330 — 
332. Ankunft der Legaten Peter und Suffried in Conſtanti— 
nopel, 332. 333. Verſoͤhnung der Venetianer und uͤbrigen 
Pilger mit Innocenz III., 333 — 347. Unzufriedenheit des 
Papſtes mit den kirchlichen Anordnungen zu Conſtantinopel, 
Beſtaͤtigung des Thomas Moroſini als Patriarchen, 340 — 
341. Der Papſt fordert Geiſtliche der abendlaͤndiſchen Kirche 


Inhalt. xxl 


auf, ſich in die Laͤnder des neuen Kaiſerthums zu begeben, 
341 — 343. Stiftung eines conſtantinopolitaniſchen Colle— 
giums zu Paris, 343. Kirchliche Streitigkeiten zu Conſtan⸗ 
tinopel, 344. Der Legat Benedict von St. Suſanna, 345. 
Eroberungen der Kreuzfahrer, 347. Belehnung des Mark; 
grafen Bonifaz zuerſt mit den Laͤndern jenſeits des Meeres, 
dann mit Theſſalonich, 348. Alexius Angelus zu Moſyno⸗ 
polis, 349. Alexius Murtzuflos zu Tzurulos, Graf Heinrich 
von Flandern erobert Adrianopel, 350. Flucht des Murtzuflos 
zu Alexius Angelus in Moſynopolis und Blendung des Murtzu— 
flos, 351. Der Kaiſer Balduin legt Beſatzungen in Adrias 
nopel, Didymoteichon und Philippopolis, Flucht des Alexius 
Angelus, Uebergabe von Moſynopolis an den Kaiſer Balduin, 
352. Streitigkeiten des Kaiſers Balduin und des Mark— 
grafen Bonifaz, 352 — 357. Bonifaz erobert Theſſalonich, 
358. 359. Eroberungen der Kreuzfahrer in Kleinaſien, 359 
— 361. Belehnung des Ritters Reinhard von Trit mit Phi— 
lippopolis, 361. 362. Eroberungen der Venetianer, 363. 
Ob die Eroberung von Conſtantin opel die Bildung der Abend— 
länder in Wiſſenſchaft und Kunſt befoͤrderte, 362 — 365. 
Die Venetianer benutzen ihre Eroberungen beſſer, als die 


J. Chr 
1204. 


Franzoſen, 365 — 367. Innere Einrichtungen des neuen 


lateiniſchen Kaiſerthums, 367 — 369. Beſchraͤnkte Macht 
des Kaiſers, 369. Behandlung der Griechen, 369 — 372. 
Den Griechen bleiben ihre Rechte und Gewohnheiten, 372. 
373. Venetianiſcher Senat zu Conſtantinopel, 373. 374. 
Einfuͤhrung der Aſſiſen von Jeruſalem, 374. 375. Vertrag 
der Franzoſen und Venetianer wegen der Lehenverhaͤltniſſe, 
376 — 377. Die Kreuzfahrer zu Conſtantinopel erwarten 
vergeblich Verſtaͤrkungen aus der Heimath, 377. 378. Bal⸗ 
duin ſucht den Koͤnig von Frankreich durch Geſchenke ſich ge— 
neigt zu machen, 378. 379, ſo wie auch den Papſt, 379. 
Der Papſt muntert die abendlaͤndiſchen Chriſten auf zur Unter— 
ſtuͤtzung des neuen Kaiſerthums, 379. 380. Die Venetianer 
bringen Pilger mit Liſt und Gewalt nach Griechenland und 


J. Chr. 


1204. 


J. Chr. 
1205. 


xXxxII Inhalt. 


Creta, die Thore von Conſtantinopel und ein Stuͤck der Hafen, 
kette werden nach Ptolemais geſandt, 381. Pilger, welche 
aus Syrien nach Conſtantinopel kommen, 382. 383. Ver— 
minderung der Macht des neuen Kaiſerthums, 384 — 387. 
Tod der Grafen Hugo von St. Paul und Ludwig von Blois, 
des Dogen Heinrich Dandulo von Venedig und des Mark— 


Ducas Murtzuflos, 387. 388. Letzte Schickſale des Alexius 
Angelus, 389. 390. Theodorus Laskaris, 390. 391. Die 
Comnenen zu Trapezunt, Leo Sgurus in Corinth und Nauplia, 
Michael in Epirus, Uneinigkeit der Griechen, 391. Be 
druͤckungen, welche jene Emporkoͤmmlinge üben, 391. 392. 
Krieg der Kreuzfahrer gegen den Koͤnig Johann der Walachen 
und Bulgaren, 392 — 396. Schlacht bey Adrianopel (am 
14. April 1205), Gefangenſchaft des Kaiſers Balduin und 
Tod des Grafen Ludwig von Blois, 395. Tod des Kaiſers 
Balduin, 396. Kroͤnung des Kaiſers Heinrich, 396. 397, 
und deſſen beſchraͤnkte Wirkſamkeit, 398. 


renn 


I. Verträge der Kreuzfahrer und Venetianer, in Beziehung auf 


ihre Eroberungen in den Laͤndern des griechiſchen Kaſerthums, 
S. 3. 


II. Zerſtoͤrung der Kunſtwerke zu Conſtantinopel (nach Nicetas), 


S. 12. 


grafen Bonifaz, 384. 385. Hinrichtung des Kaiſers Alexius 


Geſchichte der Kreuzzüge 


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7 5 FA N 
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Sechstes Buch. 


Der Kreuzzug der Deutſchen zur Zeit des Kaiſers Heinrich des 
Sechsten in den Jahren 1196 bis 1198, und die Eroberung 
von Conſtantinopel. 8 


„ee, Rote.‘ 


Saladin hatte die Thronfolge in dem von ihm gegruͤn— 
deten Reiche nicht beſtimmt; und darum hatte ſein Reich 
das gewoͤhnliche Schickſal morgenlaͤndiſcher Reiche. Die 
Huldigung, welche die Emirs in den letzten Tagen der 
Krankheit ihres großen Sultans dem aͤlteſten ſeiner Soͤhne, 
Malek al Afdal, geleiſtet hatten, war von vielen mit 
Widerſtreben, von andern mit Beſchraͤnkungen und unter 
verſchiedenen Bedingungen geleiſtet worden; die aͤgypti— 
ſchen Emirs waren damals gar nicht zur Huldigung auf— 
gefordert worden *); und Malek al Afdal, welcher mit 
ſeinem großen und edeln Vater nicht immer in gutem 
Vernehmen geſtanden hatte, beſaß weder ausreichende 
Kraft noch hinlaͤngliche Geſchicklichkeit, um ſein Recht 
der Erſtgeburt zu behaupten. Er gab die Geſchaͤfte der 
Regierung in die Haͤnde ſeines Vezirs, Dajaeddin Ebn 


1) Bohaeddin Leben Saladins Cap. 180. S. 274. 273. 
V. Band. A 


2 Gebſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


al Athir, des Bruders des Geſchichtſchreibers, uͤberließ 
ſich einem uͤppigen und ausſchweifenden Leben, und dem 
Genuſſe des Weins, und verbrachte Tage und Naͤchte 
unter Saͤngerinnen; und als ihn endlich Ueberdruß und 
Reue anwandelte, ſo ſuchte er in moͤnchiſchen Uebungen 
der Andacht Beruhigung und fing an, den Koran ab— 
zuſchreiben 2). Mittlerweile befeſtigte ſich der zweyte 
Sohn Saladins, Malek al Aziz, in dem Beſitze von 
Aegypten mit dem Beyſtande der alten Truppen ſeines 
Vaters, welche Malek al Afdal auf den Rath ſeines 
Vezirs aus ſeinem Dienſte entlaſſen hatte; und der Krieg, 
welcher zwiſchen den beyden Bruͤdern ſich entzuͤndete, 
wurde zwar, nachdem Malek al Aziz zweymal Damascus 
belagert hatte, durch die Vermittelung ihres juͤngern 
Bruders Malek addaher, Fuͤrſten von Haleb, und ihres 
Oheims, Malek al Adel, beygelegt, erneute ſich aber bald, 
als Malek al Adel mit Malek al Aziz ſich verband, und 
nahm erſt im Jahre 1196 damit ein Ende, daß Malek al 
Afdal, welchem, da er ſelbſt unthaͤtig und traͤge blieb, 
die Willkuͤhrlichkeit, womit ſein Vezir, Ebn al Athir, 
verfuhr, viele Feinde erweckt hatte, dem Reiche entſagte 
und mit dem Beſitze der Burg Sarchod ſich abfinden ließ, 
Malek al Aziz Titel und Rechte als Sultan und das Reich 
Aegypten erhielt, Malek al Adel aber zu ſeiner bisherigen 
Herrſchaft uͤber Krak, Schaubek und die Laͤnder am Eu— 
phrat noch Damascus empfing, Malek addaher im Fürs 
ſtenthume Haleb, und andere Emirs und Verwandte des 
Saladin'ſchen Geſchlechts in dem Beſitze der zinsbaren 
Herrſchaften beſtaͤtigt wurden, welche ihnen der Sultan 
Saladin verliehen hatte 2). Jeruſalem und die übrigen 


2) Abulf, Ann, mosl, T. IV. 3) Abulfeda I. c. p. 15% 
P. 142. 182. 


Zuſtand des Morgenlandes. 3 


ſyriſchen Städte, welche Saladin den Chriſten entriſſen 
hatte, gehoͤrten nach dieſer Theilung der Herrſchaft des 
großen Sultans zu dem Reiche von Damascus; und die 
Stadt Jeruſalem insbeſondere, welche nach dem Tode 
Saladin's von Malek al Afdal dem Emir Azzedin Dſchordik 
als Lehen war uͤbertragen worden, wechſelte in wenigen 
Jahren mehrere Male ihre Beſtitzer. 

Von dieſer Aufloͤſung der durch Saladin gegruͤndeten 
Macht in kleinere Reiche und Herrſchaften und den 
Kriegen, welche die Nachfolger Saladin's mit einander 
fuͤhrten, konnten aber die Chriſten im gelobten Lande 
keinen Vortheil ziehen, nachdem der mit Saladin ge— 
ſchloſſene Waffenſtillſtand abgelaufen war; denn es ge— 
brach ihnen an einer hinlaͤnglichen Kriegsmacht, weil das 
Land, welches nach der Abreiſe des Koͤnigs Richard in 
ihrer Gewalt blieb, wie der Großmeiſter des Hoſpitals 
damals den Beamten ſeines Ordens im Abendlande mel— 
dete, meiſtens veroͤdet war und ohne Bewohner ); und 
der Graf Heinrich von Champagne, an der Möglichfeit 
einer dauernden Behauptung der chriſtlichen Herrſchaft 
im gelobten Lande verzweifelnd, dachte daher nur auf 
baldige Rückkehr in feine Heimath ). Nur die Burg 
Gibelet, zwiſchen Berytus und Antiochien gelegen, kam 
in dieſer Zeit der Verwirrung im Reiche Saladin's wie— 
der in den Beſitz der Chriſten durch die Untreue des dor— 
tigen Emirs, der ſich durch Geld bewegen ließ, mit ſeiner 


4) „Terra, quam tenet Christia- 
nitas in treugis, manet fere peni- 
tus habitatoribus destituta,“ fchrieb 
am Ende des Aprils 1193 Gottfried, 
Großmeiſter des Hoſpitals, an feinen 
Ordensbruder W. von Vileruns 
(praecej tori ultramarino), S. An- 


selmi Gemblac. Auctar. Aquicin- 
ctinum (in Fistorii Scriptor. rer. 
Germ. Tom. I.) P. 1006. 

5) „Comes vero Henricus, licet 
cum Regina contraxisset, Accon et 
Tyri dominium adeptus, coronari 
tamen et Rex fieri recusavit; nam 


A 2 


4 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. I. 


Beſatzung dieſe Burg zu verlaſſen ). Die Vertheidigung 
des heiligen Landes hing meiſtens ab von den drey Rit— 
terorden, vorzuͤglich den Hoſpitalitern und Templern, 
welche durch weitlaͤufige und reiche Beſitzungen in allen 
Reichen des Abendlandes in den Stand geſetzt waren, 
eine bedeutende Kriegsmacht zu unterhalten '); aber es 
war auch fuͤr dieſe ſchwierig, Soͤldner fuͤr den Waffen— 
dienſt im gelobten Lande zu finden, und die Orden waren 
unter einander faſt in beſtaͤndigen Streitigkeiten, welche 
ihre Kraͤfte von dem Kampſe mit den Unglaͤubigen ab— 
lenkten. Unter dieſen Umſtaͤnden ließen ſich die Chriſten 
gern die Verlaͤngerung des Waffenſtillſtandes gefallen, 
welche der Sultan Malek al Aziz ihnen antrug; aber von 
Seiten der Muſelmaͤnner wurden die Bedingungen des 
erneuerten Waffenſtillſtandes nicht mit Gewiſſenhaftigkeit 
erfüllt. Der Emir Aſſamah von Berytus ließ durch aus— 


von Gibelet war ein Kurde, und die 
Verlaſſung der Burg durch die muſel— 
männiſche Beſatzung geſchah ſchon im 
Anfange des Monats Safar 390; 
d. i. gegen das Ende des Januars 
1193, alſo über vier Wochen vor dem 
Tode Saladin's, wenn die Angabe 
der Fortſetzung der Chronik des Abu 
Scham (Handſchrift der königt. 
Bibliothek zu Berlin, Ms. or, fol. 
N. 78.) richtig iſt. 


sicut alii, ad reditum 
aspiraba Jac. de Vitr, hist. 
Hieros. p. 1123. 


et ipse, 
t “ss 


6) „Damals, als Saladin ſtarb, 
war eine vornehme Frau (Iſabelle, 
die Tochter des Dalian von Ibelin, 
vgl. Lignages d’Outremer ch. 19.) 
zu Tripolis, welche Gebieterin über 
Gibelet (bey den Arabern Dſchobail 
genannt) geweſen war. Dieſe wußte 
bey den Saracenen, welchen Saladin 


die Vertheidigung von Gibelet über— 
tragen hatte, es dahin zu bringen, 
daß ſie auszogen; worauf dieſe Frau 
mit ihren Rittern einzog, und die 
Burg und Stadt beſetzte.“ Hugo 
Plago S. 644. Vgl. Jacobi de Vi- 
triaco hist. Hieros. P. 1124. Gibelet 
(ſprich Oſchibelet) iſt das alte Byblus; 
fo nennt es auch Jacob von Vitry 
(ogl. hist, Hieros, p. 1072). Der Emir 


7) Im Jahre 1244 beſaßen (nach 
Matth. Paris historia Anglicana ed. 
Wats p. 544), außer vielen andern 
Einkünften, die Hoſpitaliter 19000, - 
und die Templer 9500 Manarien Lan— 
des in verſchiedenen Reichen; und 
der Ertrag jedes Manarium war hin— 
länglich zureichend zur Unterhaltung 
Eines Ritters im Dienſte des heiligen 
Landes. 


# 


Streitigk. des Fürft. v. Antiochien m. dem arm. Fuͤrſt. Leo. 5 


geſandte Schiffe den Verkehr der chriſtlichen Haͤfen an der 
Kuͤſte von Syrien ſtoͤren, und die Klagen, welche die 
Chriſten ſowohl bey dem Sultan als bey deſſen Oheim, 
Malek al Adel, erhoben, bewirkten nicht die Abſtellung 
dieſes Frevels; alſo daß ſie ſich genoͤthigt ſahen, ihre 
Glaubensgenoſſen im Abendlande um Huͤlfe anzurufen ®). 


Mittlerweile beſchaͤftigten den Grafen Heinrich die 
Händel des Fuͤrſten Boemund des Dritten von Antio— 
chien mit dem armeniſchen Fuͤrſten Leo, dem ſogenann— 
ten Fuͤrſten vom Berge. Dem Fuͤrſten von Antiochien 
hatte der ſchwere Kampf, in welchen Saladin ſeit dem 
Anfange der Belagerung von Ptolemais mit den Kreuz— 
fahrern verwickelt wurde, nicht geringen Vortheil ge— 
bracht, indem der Sultan dadurch gehindert worden war, 
die Eroberung des Fuͤrſtenthums zu vollenden; und Boe— 
mund hatte überhaupt die Anweſenheit der abendlaͤndi— 
ſchen Pilgerheere in Syrien mit großer Thaͤtigkeit und 
Geſchicklichkeit zu ſeinem Vortheile zu benutzen gewußt. 
Obgleich er von den Koͤnigen von Frankreich und Eng— 
land, ſo wie von dem Herzoge Friedrich von Schwaben, 
anſehnliche Verſtaͤrkung ſeiner Ritterſchaft ſich erwirkt 
hatte “), fo hatte er gleichwohl an dem Kriege wider 
den Sultan nicht mehr Antheil genommen, als zur Ver— 
theidigung ſeines Landes noͤthig war. Nachdem der von 


Richard und Saladin geſchloſſene Waffenſtillſtand den 
Krieg beendigt hatte, fo bemühte ſich Boemund um die 


Gunſt des Sultans, und Saladin, wie im vorigen Buche 
berichtet worden iſt, vergalt die Achtung, welche ihm der 


8) Ebn al Athir (in Michaud Auguſt, überließ im J. 11e dem Fürs 
Bibliographie des Crois. T. II.) ſten von Antiochien hundert Ritter 
P. 532. 553. und fünfhundert Knechte (sexvientes). 

9) Sowohl Richard, als Philipp Beued. Petiob. p. 670. 


5 > 


2 


6 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


Fuͤrſt bewies, mit Geſchenken. Zu derſelben Zeit aber 
wurde die Thaͤtigkeit des Fuͤrſten von Antiochien durch 
eine langwierige Fehde mit dem benachbarten armeniſchen 
Fuͤrſten in Cilicien in Anſpruch genommen. 

Die Streitigkeiten und Fehden des Fuͤrſten Boemund 
mit dem Fuͤrſten Leo von Cilicien hatten, wie es ſcheint, 
keinen andern Grund, als den unruhigen Sinn beyder 
Fuͤrſten und ihr Beſtreben, ihre Beſitzungen, Einer auf 
Koſten des Andern, zu erweitern. Im Jahre 1186 war 
es dem Fuͤrſten Boemund gelungen, durch Lift der Perſon 
des Rufinus, eines Bruders des Fuͤrſten Leo, ſich zu bemaͤch— 
tigen; und, obwohl Leo ſein Land gegen den Fuͤrſten von 
Antiochien, als dieſer nach der Gefangennehmung des 
armeniſchen Prinzen in Cilicien einfiel, tapfer verthei— 
digte: ſo erlangte Rufinus doch ſeine Freyheit erſt gegen 
ein Loͤſegeld von dreyßig Tauſend Goldſtuͤcken und die 
Abtretung der Staͤdte Mopsveſtia und Adana. Kaum 
aber war Rufinus in Freyheit, ſo bemaͤchtigte er ſich wie— 
der der beyden abgetretenen Staͤdte; wovon eine wieder— 
holte Verheerung des Landes von Cilicien durch den Fürs 
ſten Boemund die Folge war *°), Mehrere Jahre hernach 
(im J. 1191) gab die Veſte Bagras in der Naͤhe von 
Antiochien, welche Saladin dem Fuͤrſten Boemund ent 
riſſen hatte, Veranlaſſung zu einer neuen Fehde der bey— 
den Fuͤrſten. Da Saladin zu der Zeit, in welcher er 


Askalon und mehrere andere Staͤdte und Burgen in Sy— 


rien zerſtoͤrte, auch die Burg Bagras ſchleifen ließ, ſo 
ſetzte ſich Boemund, indem er die mit der Niederreißung 
dieſer Burg beſchaͤftigten Tuͤrken verjagte, in den Beſitz 
derſelben, und erbeutete daſelbſt einen großen Vorrath 
von Weizen, welcher nach Antiochien gebracht wurde; 


10) Abulfarag. Chron. Syr. p. 597. 


Streitigk. des Fuͤrſt. v. Antiochien m. dem arm. Fürft. Leo. 7 


tach wenigen Tagen aber kam der Fuͤrſt Leo, vertrieb die 
antiochiſche Beſatzung und bemaͤchtigte ſich der Burg, 
welche er in kurzer Zeit wieder herſtellte und mit einer 
ſtarken armeniſchen Beſatzung verſah *). Boemund ließ 
es unverſucht, die Burg wieder mit Gewalt zu nehmen; 
Bagras blieb unter der Herrſchaft der Armenier vierzig 
Jahre und kam dann in die Haͤnde der Templer. 
Ueber die Weiſe, wie der Fuͤrſt Boemund im Jahre 
1193 in die Gefangenſchaft des Fuͤrſten Leo kam, wird 
auf verſchiedene Art berichtet. Nach Einer Erzaͤhlung 
wurde er von dem armeniſchen Befehlshaber von Bagras 
uͤberliſtet. Dieſer ließ dem Fuͤrſten melden, daß er mit 
ſeinem Herrn in Mißverhaͤltniſſe gerathen ſey, daher die 
Burg Bagras in die Haͤnde ihres ehemaligen Beſitzers 
gern übergeben und feine Wohnung zu Antiochien neh— 
men wuͤrde. Boemund ſoll hierauf, als er unter dem 
Vorwande, mit der Jagd ſich zu beluſtigen, in Begleitung 
ſeiner Gemahlin und ſeines Sohns, bis zu einer Quelle 
bey Bagras gekommen war, von dem Armenier, welcher 
ihn und ſein Gefolge an jener Quelle mit Speiſe und 
Wein reichlich bewirthete, aufs Neue die Zuſage erhalten 
haben, daß er ihm die Burg uͤberliefern wuͤrde, falls der 
Fuͤrſt am Abende mit einigen Rittern nach Bagras kom— 
men wuͤrde. Boemund fand, als er zur verabredeten Zeit 
eintraf, das Thor der Burg geoͤffnet; der armeniſche Be— 
fehlshaber vertroͤſtete ihn auf den andern Morgen und 
hieß ihn, mit ſeiner Gemahlin, ſeinem Sohne und ſeinen 
uͤbrigen Begleitern in Ruhe dem Schlafe ſich uͤber— 
laffen, In der Nacht aber wurde Leo, welcher in der 
Naͤhe ſich verborgen gehalten hatte, benachrichtigt, daß 
Boemund zu Bagras war, worauf er ſogleich mit einer 
11) Abulfarag, Chron. Syr, p. 401. Ebn al Athir S. 489, 


* 


8 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI Kap. I. 


zahlreichen armeniſchen Schar herankam, den Fürfter 
Boemund mit feiner Gemahlin und feinem Sohne in Feffelt 
legen ließ, und die Gefangenſchaft feines Bruders Rufinus 
an dem Fuͤrſten durch harte Behandlung raͤchte *?), Nach 
einer andern Erzählung veranlaßte Boemund ſeine Ge 
fangennehmung auf folgende treuloſe Weiſe. Er lud den 
Fuͤrſten Leo zur Unterredung an einem Orte ein, welchen 
er beſtimmte; und da Leo, in der Beſorgniß, daß ihm 
ein ähnliches Schickſal, wie feinem Bruder Rufinus, bevor— 
ſtehen moͤchte, zu kommen ſich weigerte: ſo verſprach 
Boemund, nur von zehn Mann begleitet, zu erſcheinen. 
Dieſes Verſprechen bewog den armeniſchen Fuͤrſten, der 
wiederholten Einladung zu folgen; er legte aber zwey— 
hundert Reiter und Fußknechte in einen Hinterhalt und 
begab ſich, nur von drey Dienern, wovon Einer ein 
Horn trug, begleitet, zur Unterredung. Nachdem die 
beyden Fuͤrſten einige Zeit mit einander ſich beſprochen 
hatten, ſo ließ Boemund den armeniſchen Fuͤrſten feſt— 
nehmen, worauf der Diener, welcher das Horn trug, 
mit aller Gewalt daſſelbe zu blaſen begann. Sogleich 
kamen die armeniſchen Bewaffneten aus ihrem Hinterhalte 
herbey, befreyten ihren Herrn, und fuͤhrten dagegen den 
wortbruͤchigen Fuͤrſten von Antiochien als Gefangenen Bin; 
weg. Der Fuͤrſt Leo fiel hierauf mit ſeiner Heeresmacht 
in das Fuͤrſtenthum Antiochien ein, verwuͤſtete das Land 
und eroberte mehrere Burgen *). 


Boemund wandte aus ſeinem Gefaͤngniſſe ſich an den 
Grafen Heinrich mit der Bitte, durch ſeine Vermittlung 


re) Abulfar. Chron, Syr. p. 426. Nach dieſem Schriftſteller war der 
427. Fürſt Leo damals Vaſall des Fürſten 

13) Hugonis Plagon continuatio Boemund. i 
historiae belli sacri p. 648. 649. 


* 


Streitigk. des Fuͤrſt. v. Antiochien m. dem arm. Fuͤrſt. Leo. 9 


ihn zu befreyen; Heinrich begab ſich auch ohne Verzug 
zu dem Fuͤrſten Leo, welcher ihm entgegen kam und an 
der Graͤnze ſeines Landes mit großen Ehren ihn empfing, 
und brachte den Vertrag zwiſchen Leo und Boemund un— 
ter folgenden Bedingungen zu Stande: der Fuͤrſt Boe— 
mund erhielt ſeine Freyheit, ſprach dafuͤr den Fuͤrſten Leo 
von der Verbindlichkeit des Leheneides, welchen er fruͤher 
von ihm empfangen hatte, los, leiſtete ihm dagegen den 
Eid der Treue, und verzichtete auf das Land, welches 
während feiner Gefangenſchaft von dem armeniſchen Fürs 
ſten war erobert worden. Auch wurde zur Befeſtigung 
des Friedens die Vermaͤhlung des aͤlteſten Sohns von 
Boemund mit Alix, der Nichte des armeniſchen Fuͤrſten 
und Tochter des Prinzen Rufinus, verabredet. Da nun 
nach dem Abſchluſſe dieſes Friedens Graf Heinrich im 
Begriffe ſtand, nach Ptolemais zuruͤckzukehren, ſo ſoll der 
Fuͤrſt Leo alſo zu ihm geredet haben: Gnaͤdiger Herr, 
ich habe Landſchaften, Staͤdte und Burgen genug, um 
Koͤnig zu ſeyn; auch iſt der Fuͤrſt von Antiochien nun— 
mehr mein Lehenmann; bewilligt mir die koͤnigliche Wuͤrde. 
Der Graf gewaͤhrte ihm gern ſein Anliegen, und Leo und 
ſeine Nachkommen fuͤhrten ſeit dieſer Zeit den koͤniglichen 
Zitel: ). 

Während der Graf Heinrich in Eilicien die Befreyung 
des Fuͤrſten Boemund betrieb, ſandte an ihn der Fuͤrſt 
der Ismaeliten oder Aſſaſinen auf dem Libanon und ließ 
ihn einladen, ſein Land zu beſuchen; und auf ſeiner 
Ruͤckkehr folgte Heinrich dieſer Einladung. Er beſah, 

14) Hugo Plagon S. 69. Vgl. Die Krönung des Königs Leo geſchah 
Bernard, Thesaurar. C. 181. Abul- im Jahre rigs durch den Erzbiſchof 
farag. Chron. Syr. p. 427. Die des Conrad von Mainz. S. das Ende 


freyung des Fürſten Boemund fällt dieſes Kapitels. 
wahrſcheinlich erſt in das Jahr 1194. 


4: 


10 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I. 


von dem ismaelitiſchen Fuͤrſten geleitet, alle Schlöffer und 
Burgen der Aſſaſinen; und der ismaelitifhe Fuͤrſt fühlte 
ſich ſehr geehrt durch den Beſuch eines chriſtlichen Fuͤrſten, 
welcher fuͤr einen treuen Freund der Muſelmaͤnner galt, 
und ſuchte den Grafen mit allen Eigenthuͤmlichkeiten und 
Merkwuͤrdigkeiten ſeines Landes und ſeiner Unterthanen 
bekannt zu machen. So kamen ſie an eine mit ſtarker 
Beſatzung verſehene Burg, und ſahen an jeder Zinne eines 
hohen Thurms dieſer Burg zwey weiß gekleidete Maͤnner 
ſtehen. Herr Graf, ſprach der Fuͤrſt der Aſſaſinen, was 
meine Leute fuͤr mich thun, geſchieht fuͤr Euch nicht von 
den Eurigen. Das mag wohl ſeyn, gab der Graf zur 
Antwort. Ploͤtzlich ſtuͤrzten ſich auf den Zuruf ihres Fuͤr— 
ſten zwey Maͤnner von einer Zinne herab in das Thal 
und fielen zerſchmettert nieder. Daſſelbe, ſagte hierauf 
der Fuͤrſt, wuͤrden alle thun, wenn ich es ihnen geboͤte; 
der Graf Heinrich bat ihn aber, ſolches nicht zu fordern. 
Als der Graf das ismaelitiſche Land verließ, fo gab ihm 
der Fuͤrſt das Geleit bis an ſeine Graͤnze, beſchenkte ihn 
mit koſtbaren Kleinoden, verſicherte ihn ſeiner beſtaͤndigen 
Freundſchaft und bot ihm ſeine Dienſte an gegen alle 
Feinde und Widerſacher *°), ö 

In den Reichen des Abendlandes hoͤrte man alle 
Nachrichten, welche aus dem gelobten Lande von der Lage 
der dortigen Chriſten und den Streitigkeiten in dem Ge— 
ſchlechte Saladins gebracht wurden, mit großer Theil— 
nahme; und viele der Pilger, welche dem letzten großen 
Kreuzzuge beygewohnt hatten, und von ihrem Geluͤbde 
nicht waren entbunden worden, ſahen in jenen Ereigniſſen 
eine dringende Aufforderung zur Wiederholung der Meer— 
fahrt. Auch der Papſt Coeleſtin der Dritte, obgleich ein 

15) Hugo Plagon S. 630. 


Bemühungen des Papſtes Coeleſtin. 11 


achtzigjaͤhriger Greis, nahm ſich der Sache des gelobten 
Landes mit großem Eifer an und ließ es an dringender 
Ermahnung zur Annahme des Kreuzes nicht fehlen. Schon 
in dem Briefe, welchen er im Jahre 1193, dem zweyten 
Jahre feines Papſtthums, zur Zeit der Ruͤckkehr des Koͤ— 
nigs Richard, an die engliſchen Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe 
ſchrieb, druͤckte er die Hoffnung aus, daß durch einen 
neuen Kreuzzug die Schande des Mißlingens der vorigen, 
allgemeinen Bewaffnung der Chriſten für das gelobte Land 
würde getilgt werden koͤnnen, wenn die vielfältigen Süns 
den, welche den letzten Kreuzfaͤhrern die Ungnade Gottes 
zugezogen haͤtten, vermieden, und die innern Streitigkei— 
ten der chriſtlichen Voͤlker und Fuͤrſten, von welchen alles 
Ungluͤck der vorigen Wallfahrten ausgegangen waͤre, durch 
kraͤftige Mittel unterdruͤckt wuͤrden. Coeleſtin forderte alſo 
alle Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe der chriſtlichen Kirche auf, 
mit ihm gemeinſchaftlich jede Stoͤrung des Friedens durch 
Bann und Interdict zu ſtrafen; und, indem er die Turs 
niere und andre Luſtkaͤmpfe ernſtlichſt unterſagte, wies er 
diejenigen, welche in den Waffen ſich zu uͤben berufen 
waͤren, nach dem gelobten Lande, wo im heilſamen 
Kampfe die Kraft des Koͤrpers und der Seele erprobt 
werden koͤnnte ). Im Januar *) des Jahrs 1196 gab 
er dem Erzbiſchof Hubert von Canterbury, als Legaten des 
apoſtoliſchen Stuhls, den Auftrag, diejenigen, welche das 
Kreuz genommen hatten, durch Androhung kirchlicher Stra— 
fen zur baldigen Erfüllung ihres Geluͤbdes anzuhalten; 
auch machte Coeleſtin den Bekreuzten, welche durch koͤrper⸗ 
liche Schwäche unfaͤhig waͤren, die Meerfahrt zu unter; 
nehmen, es zur Pflicht, nach Maßgabe ihres Vermoͤgens 


16) Roger, de Hov. fol, 411. 17) Secundo idus Januaxii. Roger. 
412, de Hov, Fol. 434 B. 


12 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J. 


und nach der Beſtimmung des Legaten Einen oder mehrere 
tuͤchtige Stellvertreter nach dem heiligen Lande zu ſenden, 
und daſelbſt Ein Jahr oder länger im Dienſte des Herrn 
zu unterhalten. In Folge dieſes Auftrages ermahnte der 
Erzbiſchof Hubert dringend die engliſchen Praͤlaten, das 
Werk Gottes nach dem Willen des apoſtoliſchen Biſchofs 
zu foͤrdern, und, indem er ihnen das paͤpſtliche Schreiben 
mittheilte, gebot er, daß diejenigen, welche das Kreuz 
abgelegt hätten, durch die Androhung des Banns und 
der Ausſchließung von der Gemeinſchaft der Kirche gr 
noͤthigt werden ſollten, vor dem naͤchſten Charfreytage 
das Zeichen ihres Geluͤbdes wieder zu nehmen. 

Obgleich Coeleſtin alle von ſeinen Vorfahren den 
Kreuzfahrern bewilligten Vorrechte erneuete, denen, welche 
zum Kampfe fuͤr den Heiland wider die Saracenen nach 
dem gelobten Lande ſich begeben wuͤrden, Vergebung ihrer 
Suͤnden, Erlaſſung der ihnen aufgelegten Bußen und die 
ewige Seligkeit verhieß, fie wegen ihrer etwaigen Schul 
den gegen ihre Glaͤubiger in Schutz nahm, und ihre Guͤter 
und Beſitzungen unter die Obhut des apoſtoliſchen Stuhls 
und aller Praͤlaten der katholiſchen Kirche ſtellte *): fo 
blieben doch ſeine Ermahnungen ſowohl als die Bemuͤ— 
hungen der Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe, welche er aufgefor— 
dert hatte, die heilige Sache des Kreuzes zu befoͤrdern, 
in England ohne große Wirkung. Der Koͤnig Richard 
hinderte zwar die Thaͤtigkeit ſeiner Praͤlaten fuͤr das hei— 
lige Land nicht; vielmehr ermahnte er ſelbſt ſeine Ritter 
zur Annahme des Kreuzes **). Da er aber ſelbſt keine 

18) Matth. Paris, historia Angli- welche der König Richard feine Rit⸗ 
cana major (ed. Wats, Lond. 1686 ter zur Annahme des Kreuzes (ram 
fol.) ad a, 1196. p. 150. pro ipsius Regis salute, quam ec- 


19) Matthaeus Paris (S. 150. 151) clesiae promotione et propriarum 
tbeilt eine Erzählung mit, durch anuimarum salute) zu bewegen ſuchte, 


* | 
Der Eifer d. Kaiſers Heinrich VI. für d. heil. Land. 13 


Luſt bewies, ſeine fruͤhere Zuſage wegen einer zweyten 
Kreuzfahrt zu erfüllen 2°): fo hatte auch fein Zureden bey 
der engliſchen Ritterſchaft keinen Erfolg. 


Dagegen fanden die Ermahnungen zur Bewaffnung 23 Sr 
fuͤr das heilige Grab damals wieder großen Eingang bey 
den Deutſchen, obwohl die bisherigen großen Kreuzfahr— 
ten fuͤr ſie nicht minder verderblich geweſen waren, als 
für die Franzoſen und Engländer 2). Dem ruhmſuͤchti— 
gen Kaiſer Heinrich dem Sechsten war jede Unternehmung, 
welche eine Verherrlichung feiner Regierung verhieß, ans 
genehm. Dazu kam, daß Heinrich durch die eifrige Be— 
foͤrderung der Kreuzfahrt nicht nur die habſuͤchtige Er— 
preſſung, welche er gegen den Koͤnig Richard geuͤbt hatte, 
wieder gut zu machen, ſondern auch den noch immer auf ihm 
laſtenden paͤpſtlichen Bann zu vereiteln hoffte. Auch ſchien 
der verwirrte Zuſtand des von Saladin gegruͤndeten Reiches 
einer damaligen Kreuzfahrt ein beſſeres Gelingen zu ver— 
heißen, als den frühern Unternehmungen der abendläns 
diſchen Chriſten zur Wiedereroberung des heiligen Grabes, 
alſo daß man die Wiedereroberung ſelbſt der heil. Stadt 
Jeruſalem fuͤr moͤglich halten durfte. Der Kaiſer Heinrich 


nämlich von dem reichen uud geizigen 
venetianiſchen Bürger Vitalis, wel— 
cher ſeine Rettung aus einer Löwen— 
grube, in welche er auf der Jagd ge⸗ 
fallen war, ſeinem Retter, dem armen 
Sylvanus, mit Undank vergalt. 


20) „Gex Richardus) de rever - 
sione in Syriam, cui se inde re- 
diens devoverat, nihil vel tepide 
cogitans.“ Guil, Neubrig, V, 27. 


21) Wie groß die Theilnahme an 
den Angelegenheiten des gelobten 
Landes in Deutſchland zur Zeit der 


Kreuzfahrt Friedrichs I. war, beweiſt 
des von Ruge Lied vom heiligen 
Grabe, welches Docen mitgetheilt 


hat (in Schelling's Zeitſchrift von 


Deutſchen für Deutſche Th. 1. S. 432 
folg.) und welches erſt gedichtet wurde: 
„nachdem Gott ſein Gebot an dem 
Kaiſer Friedrich erfüllt hatte.“ Gleich⸗ 
wohl ermuntert der Dichter ſeine 
Zeltgenoſſen, das Kreuz zu nehmen, 
indem er beſonders die Seligkeit der 
Pilger preiſet, welche im Kampfe den 
Tod finden und ihren Sitz bey Gott 
erhalten. 


J. Chr. 
1195. 


14 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI Kap. I. 


befoͤrderte alſo mit großem Eifer die Bemuͤhungen des 
Papſtes Coeleſtin für das heilige Land 22) und gewährte 
ſogar die Hoffnung, daß er ſelbſt das Kreuz nehmen und 
an die Spitze des Pilgerheeres ſich ſtellen wuͤrde. Auf 
einem zu Bari, am Oſterfeſte des Jahrs 1195, gehaltenen 
feyerlichen Hoftage machte er ſich verbindlich, auf eigene 
Koſten funfzehnhundert Ritter und eben fo viele Knappen, 
vom Maͤrz des naͤchſten Jahres an, Ein ganzes Jahr fuͤr 
den Dienſt des gelobten Landes zu unterhalten und jeden 
Ritter, wenn er das Schiff zur Fahrt nach dem Morgen— 
lande beſtiege, mit dreyßig Unzen Goldes und fuͤr ein 
ganzes Jahr hinreichenden Mundvorraͤthen zu verſehen. 
Die in den Sold des Kaiſers tretenden Kreuzritter und 
Knappen ſollten aber ſchwoͤren, denjenigen, welchen er 
ihnen zum Anfuͤhrer beſtellen wuͤrde, als ihr Oberhaupt 
anzuerkennen, demſelben in allen Dingen Gehorſam zu 
leiſten, und ein ganzes Jahr in dem Dienſte des gelobten 
Landes auszuharren. Auch ſollte es ihnen nicht frey 


ſtehen, im Falle ihres Todes waͤhrend ihrer Kreuzfahrt 


uͤber ihren Nachlaß an Geld und Vorraͤthen zu verfuͤgen; 
ſondern die Verfuͤgung über ihre Nachlaſſenſchaft ſollte 
zum Vortheile derer, welche an ihre Stelle ſich wuͤrden 
werben laſſen, den Fuͤhrern des Kreuzheers zuſtehen. In— 
dem Heinrich von dieſen Entſchließungen den ſaͤmmtlichen 
Erzbiſchoͤfen und uͤbrigen Praͤlaten Nachricht gab, forderte 
er ſie auf, ſeine und des Papſtes Bemuͤhungen fuͤr das 
gelobte Land mit allen Kraͤften zu befoͤrdern, und ſeinen 
kaiſerlichen Willen in ihren Sprengeln allen Rittern und 
achtbaren Männern kund zu thun ?°), 


22) „Qui licet publice cruce kfuisse signatum, non ambigimus.““ 


signatus non fuerit, per viscera Arnold. Lubec, V, 1. p. 703, 


misericordiae spiritualiter tamen 23) Ep. Heinrici (data apud Tra- 


** 


Ic dr 4 8 
2 * 
. m 


Der Eifer d. Kaiſers Heinrich VI. fuͤr d. heil. Land. 15 


Als bald hernach der Papſt Coeleſtin zwey Cardinäle 
ausgeſandt hatte, um in Frankreich und ſonſt uͤberall das 
Kreuz zu predigen ?*): fo nahm Kaiſer Heinrich den Cars 
dinal Gregor, welcher ihm zu Strasburg ein paͤpſtliches 
Schreiben in der Angelegenheit des gelobten Landes uͤber— 
reichte, mit allen Ehren auf und erneute die Zuſage thaͤtiger 
Theilnahme an der Kreuzfahrt. Auch ertheilte er noch 
von Strasburg aus dem Reichskanzler und Biſchof von 
Würzburg Conrad, welcher damals in Apulien die kaiſer— 
lichen Angelegenheiten beſorgte, den Auftrag, zum Behuf 
der Kreuzfahrt, welche im naͤchſten Jahre vollzogen wer— 
den ſollte, Gold, Schiffe, Wein, Getreide und was 
ſonſt das heilige Unternehmen foͤrdern koͤnnte, zuſammen 
zu bringen 25). 


Dieſer Eifer des Kaiſers Heinrich fuͤr das heilige 
Land verſchaffte den damaligen Kreuzpredigten großen 
Eingang bey den Fuͤrſten, Rittern und dem Volke in 
Deutſchland. In den Verſammlungen der deutſchen Fuͤr— 
ſten, welche zu Gelnhauſen und von dem letzten Tage des 
Novembers an zu Worms gehalten wurden 25), nahmen 
viele der Anweſenden das Kreuz; zu Worns ſaß waͤhrend 
acht Tage der Kaiſer ſelbſt mit dem paͤpſtlichen Legaten, dem 
Cardinal Gregor, taͤglich mehrere Stunden in der Dom— 
kirche, zur Annahme des Kreuzes ermahnend; und viele 
beredte und fromme Maͤnner unterſtuͤtzten die Ermahnung 
des Kaiſers und des Cardinal-Legaten durch Wort und 


num II Id. April.) bey Godefrid Chron. Admontense in Pez Script. 

Mon, ad a. 1195 (in Freheri Script. Austr. T. II. p. 192 ad a. 1194. Vgl. 

rer. Germ. Tom. I.) p. 360. Chron, Augustense (in Freheri 

ag) Godekr, Mon, I. « Script. rer, Germ. ed, Struve T. I.) 

ad a. 1195 p. 515; wo der zu Geln⸗ 

25) Arnold. Lubec, I. o. haufen geſchehenen Beſprechung ge: 
26) Guil. Neubrig. V. 23 (20), dacht wird. 


*. 


J. Chr. 
1195. 


* 


16 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


ehr That 27), Es nahmen nach und nach das Kreuz die 
Erzbiſchoͤfe Conrad von Mainz und Hartwich von Bremen; 
die Biſchoͤfe von Halberſtadt, Zeiz, Verden, Wuͤrzburg, 
Paſſau und Regensburg; die Herzoge von Oeſtreich, 
Kaͤrnthen und Brabant; Walram, Graf von Limburg, 
der Bruder des Herzogs von Brabant, der Pfalzgraf 
Heinrich am Rhein, Sohn des Herzogs Heinrich des Eis 
wen, der Landgraf Hermann von Thüringen, der Marks 
graf Otto von Brandenburg, der Graf Adolf von Holſtein 
und Schaumburg, der Marſchall Heinrich von Kelten 
und viele andere Grafen und Herren, von welchen viele 
ſchon an der großen Wallfahrt unter dem Kaiſer Friedrich 
Rothbart Theil genommen hatten. Der Kaiſer Heinrich 
war nicht abgeneigt, zu Worms auch fuͤr ſeine Perſon 
das Kreuz aus den Haͤnden des paͤpſtlichen Legaten zu 
empfangen; es wurde ihm aber vorgeſtellt, daß es der 
heiligen Unternehmung foͤrderlicher ſeyn wuͤrde, wenn er 
im Reiche bliebe und fuͤr die Nachſendung von Vor- 
raͤthen und die Verſtaͤrkung des Pilgerheers durch neue 
Mannſchaft Sorge truͤge 25). Bald hernach begab ſich 
der Kaiſer nach Apulien, um dort die von dem Reichs— 
kanzler Conrad, welcher ebenfalls die Kreuzfahrt gelobt 
hatte, eingeleiteten Anordnungen zur Vollziehung der 
Meerfahrt zu beſchleunigen. Die Fuͤrſten aber, welche 


dem Heilande ſich geweiht hatten, nahmen in ihre Hei— 


27) Guil. Neubrig. I. c. „circa 
solemnitatem beati Andreae Apo- 
stoli.“ (30. Nov.) 

28) Arnold, Lubec. I. c. Otton. 
de St. Blas. chron. c. 42. Chron. 
Ursperg. (Argentor. 160g fol.) p. 132. 
133. Historia terrae sanctae (in 
Eccardi Corp. hist. medii aevi 
T. II.) p. 1334. Oliverii Scholastici 


historia regum terrae sanctae (eben- 
daf.) p. 1394. 1395. Godefr, Mon. 
p. 360. Auch der Biſchof Heinrich 
von, Prag nahm das Kreuz, wurde 
aber an der Ausführung ſeines Ge— 
lübdes durch den Tod gehindert. 
Pulkawae Chron, (in Dobneri Mo- 
numentis historicis Boemiae T. III.) 
p. 202. 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 17 
math das Ermahnungsſchreiben des Legaten, welches ſie 1g. 
uͤberall vorleſen ließen; und das Beyſpiel des Eifers 
der Fuͤrſten fuͤr das heilige Land ermunterte unzaͤhlige 
aus der Ritterſchaft und dem Volke, vorzuͤglich in Loth⸗ 
ringen, Schwaben und Sachſen, zur Nachfolge. In der 
Stadt Luͤbeck allein weihten ſich ungefaͤhr vierhundert 
kraftige Männer dem Dienſte des Heilandes 29). Ueberall 
ruͤſteten ſich die deutſchen Pilger mit Vertrauen und 
freudiger Zuverſicht zur baldigen Ausführung der gefahr⸗ 
vollen Unternehmung und brachten der heiligen Sache, 
für welche ſie ſich bewaffneten, nicht geringe Opfer 39). 
Wenn auch manche derer, welche durch das Zureden I, Chr. 
des Kaiſers und den Eifer der damaligen Kreuzprediger | 
bewogen waren, das Gelübde der Kreuzfahrt abzulegen, 
in der Folge durch die Erinnerung an die unfäglichen 
Muͤhſeligkeiten und Gefahren, welche alle fruͤhern Kreuz- 
fahrer beſtanden hatten, in ihrem Entſchluſſe wankend 
wurden, und die Vollbringung ihres Geluͤbdes unter 
mancherley Vorwaͤnden verzoͤgerten s), und der Mark— 
graf Otto von Brandenburg durch den Papſt ſelbſt von 
feinem Geluͤbde entbunden wurde 32): fo war doch noch 


29) Arnold. Lubec. p. 704. Auctar. 
Aquicinct. (in Fistor. Script. rer. 
Germ. T. I.) p. 100g. 

30) So verpfändete der Pfalzgraf 
Heinrich den drey Grafen Heinrich, 
Albert und Gottfried von Sponheim 
am 27. Mai 1197 (VI Kal. Jun.) zum 
Behufe feiner Ausrüſtung zur Kreuz— 
fahrt für 650 Mark die gräflichen 
Rechte (Comitiam) in Mainfeld, ſo 
wie für 550 Mark die Dörfer Engel 
ſtatt und Hedenesheim, und für 100 
Mark das Dorf Sickenbach. Vgl. 
Scheidii oxigines guelf. T. III. p. 192. 


V. Band. 


31) Der Herzog von Brabant oder 
Lothringen forderte in einem Schrei⸗ 
ben, welches er aus dem gelobten 
Lande erließ, den Erzbiſchof Adolf 
von Cöln auf, in. feinem Sprenges 
diejenigen, welche das Kreuz genom: 
men hätten und mit der Vollbrin⸗ 
gung ihres Gelübdes zögerten, zur 


Antretung der Meerfahrt anzuhalten 


(ut signatos in vestro Archiepisco- 


patu ad persolvendum vota sua et 


succurrendum Christianitati com- 
pellatis). Godefr. p. 368. N 
32) Arnold, Lubec. Lib. V. 2. p. 705, 


B 


J. Chr. 
1197. 


18 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


immer die Zahl der deutſchen bewaffneten Pilger ſehr bes 
traͤchtlich ss). Im Fruͤhlinge und Sommer des Jahres 1197 
zogen ſie theils, wie der Kanzler Conrad mit den Pilgern 
aus Franken und den Rheinlaͤndern, der Herzog Friedrich 
von Oeſtreich und andere, zu Lande nach Italien, um 
aus den apuliſchen Haͤfen nach dem gelobten Lande zu 
kommen; theils waͤhlten fie, wle der Erzbiſchof Hart⸗ 
wich von Bremen und andere norddeutſche Pilger, die 
Seefahrt durch die Meerenge von Gibraltar ). Vier 
und vierzig mit Pilgern angefuͤllte Schiffe landeten in 
dem Hafen von Meſſina nach gluͤcklicher Fahrt und glor⸗ 
reicher Bekaͤmpfung der Saracenen in Portugals). Ueber⸗ 
haupt begann dieſe Pilgerſchaft ſehr gluͤcklich; auch den 
Pilgern, welche zu Lande nach Italien kamen, begegnete 
kein Unfall. Die Kreuzfahrer fanden in Apulien, vors 
nehmlich in der Gegend von Benevent, anfangs freundliche 
Aufnahme und einen reichlich verſehenen Markt der Lebens— 
mittel; erſt ſpaͤterhin erregte ihre große Zahl, vielleicht 
auch ihr rauhes und ſtolzes Betragen, bey den Einwohnern 
den Verdacht, daß die Kreuzfahrer, anſtatt ihre Waffen 
im Kampfe fuͤr den Heiland zu gebrauchen, nicht abgeneigt 
ſeyn möchten, dem Kaiſer Heinrich zur Unterdruͤckung der 
Rechte und Freyheiten des Reiches beyder Sicilien zu dienen 


33) In der Chronik des Hermann 
Corner (Eccardi Corp, hist. medii 
aevi T. II. p. 808) wird ihre Zaht 
zu 189% 00 angegeben. Der Kanzler 
Konrad zog ſchon im Frühling nach 
Italien, der Herzog Friedrich von 


Oeſtreich im Sommer. Letzterer war 


mit Heinrich, einem erlauchten Herrn 
aus Oeſtreich, wie er in einem Briefe 


des Kaifers Heinrich VI. heißt (in- 


stris Dominus Austriae), am 9. Jul. 


M 


Garstensis in Hansizii Germania 
sacra T. I. p. 343. Ludwig Reli - 
quiae msstorum T. XI. p. 602. 


54) Alberti Stadensis Chronicon 


(in Schilteri Scriptoribus rer. Germ. 


Argentor. 1702 fol.) p. 298. 


35) Sie eroberten die Stadt Liſſa⸗ 
bon (Silviam), zerſtörten fie aber, 
damit ſie nicht aufs Neue in die Ge⸗ 
walt der Saracenen gerathen möchte. 
Rog. de Hov. fol. 439 A. 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 19 


und a Lande zu pluͤndern. Die Aeußerungen dieſes 117. 


Verdachtes waren den deutſchen Pilgern ſo kraͤnkend, daß 
viele ſchon mit ſich zu Rathe gingen, ob ſie nicht ihr Ges 
luͤbde aufgeben und in ihre Heimath zuruͤckkehren ſollten. 
Die Verzeihung aber, welche nach vollzogener grauſamer 
Strafe an den Anſtiftern der apuliſchen Unruhen der 
Kaiſer auf dem Hoftage zu Palermo fuͤr die uͤbrigen 
Theilnehmer ausſprach, beruhigte die Gemuͤther der Apu— 
lier und Sicilianer; und die deutſchen Pilger, als fie 
von den Italienern nicht mehr mit Argwohn behandelt 
wurden, blieben ihrem Geluͤbde getreu, und vereinigten 
ſich mit den ſchon in Sicilien befindlichen Pilgern. 

Der Graf Adolf von Schaumburg und Holſtein, 
welcher den uͤbrigen Pilgern in dle italieniſchen Laͤnder 
des Kaifers vorangegangen war, freute ſich ſehr der Ans 
kunft einer fo großen Zahl kampfluſtiger deutſcher Kreuz 
fahrer, ging den Ankommenden entgegen, und begruͤßte 
ſie freundlich in dem fremden Lande; auch der Kaiſer 
freute ſich der großen Zahl der deutſchen Kreuzfahrer, 
welche ſein Eifer fuͤr das heilige Land bewogen hatte, 
dem Dienſte des Heilandes ſich zu weihen. Heinrich hatte 
zur unterſtützung der Pilger große Geldſummen zuſammen 
gebracht, welche er dem Reichskanzler Conrad zur Ver⸗ 
wendung anvertraute; und auch der wohlhabende Kanzler, 
deſſen ſilbernes und goldenes Tiſchgeraͤth, welches er mit 
ſich fuͤhrte, zu tauſend Mark Silbers geſchaͤtzt wurde, 
brachte ſein Vermoͤgen dem heiligen Lande zum Opfer. 
Durch die reichliche Belohnung, welche unter dieſen Um— 
ſtaͤnden die Kreuzfahrer hoffen durften, fo wie die freu⸗ 
dige Zuverſicht, welche die ankommenden Pilger belebte, 
wurden viele, ſowohl der Hausritter des Kaiſers, als der 
Krieger, welche der Kaiſer aus Schwaben, Baiern und 
. B 2 


20 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


2 2 Franken zur Daͤmpfung der apuliſchen Unruhen nach Ita— 
lien geſandt hatte, bewogen, nach dem Beyſpiele des 
Kanzlers, das Kreuz zu nehmen. Für Schiffe zur weitern 
Fahrt ſo zahlreicher Pilger nach Syrien war von dem 
Kaiſer und dem Kanzler geſorgt worden 85). Den Befehl 
uͤber dieſes Pilgerheer uͤbertrug der Kalſer Heinrich vor— 
laͤufig dem Erzbiſchofe Conrad bon Malnz 5). 


Nachdem ſchon manche einzelne Schiffe vorangegangen 
waren, ſo beließ erſt am Tage des heiligen Aegidius, 
dem erſten September des Jahrs 1197, die Flotte der 
Pilger den Hafen von Meſſina und landete nach glück 
licher Fahrt am 22. September, dem Feſte des heiligen 
Mauritius, in dem Hafen von Ptolemais. Der Reichs— 
kanzler Conrad aber, der Graf Adolf von Schaumburg 
und Holſtein und andere deutſche Pilger verweilten einige 
Zeit in Cypern, wo der Kanzler dem Koͤnige Amalrich, 
welcher ſeinem Bruder Veit nachgefolgt war, die Krone 
aufſetzte, welche der Kaiſer Heinrich dem Koͤnige von 
Cypern überſandte; die Pilger wurden in Cypern hoch 
geehrt, und ſowohl der Kanzler, als ſeine Begleiter, jeder 
ſeinem Stande gemaͤß, von dem Koͤnige Amalrich mit 
Geſchenken erfreut ?). Dieſe Pilger kamen alſo erſt fps 
ter nach dem gelobten Lande. 


+ ige 


22. Sept. 


36) Arnold. Lubec. Lib. V, 2. p. 724. 
706. Nach der Angabe des Otto von 
St. Blaſien (Chron. c. 40.) ſtelite 
der Kaiſer Heinrich für die Kreuz⸗ 
fahrt nur fünfhundert von ihm be⸗ 
ſoldete Ritter ſtatt der früher ver⸗ 
ſprochenen funfzehnhundert (ſ. oben 
S. 14). 

37) Wahrſcheinlich nur für die Zelt 
der Fahrt nach dem gelobten Lande. 
Bgl. Auctar, Aquicinct. p. 1008. 


Nach dem Berichte des Eon al Athik 
(Michaud bibliographie des Croisa- 
des T. II.) S. 333 führte dieſe Pilger ein 
Prieſter mit Namen Hosker (Hasker) 
oder Haudeker. Nach Abulfaradſch 
(Chron. Syr. p. 450 war der Kanzler 
Konrad der Anführer. % 


38) Arnold. Lubec. p. 705. Nach 
dieſem Schriftſteller erkannte Amalrich 
bis zu ſeiner Krönung die Hoheit des 
byzantiniſchen Kalſers an (was aber 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 


21 


Zu den deutſchen Pilgern, welche damals nach Sys 
rien ſich begaben, hatte auch die Königin Margarethe 
von Ungarn, des Koͤnigs Philipp von Frankreich Schwe⸗ 
ſter, ſich geſellt, welche, da ihr Gemahl, der Koͤnig Bela 
der Dritte, im J. 1196 zu der Zeit, als das Kreuz in 
Deutſchland gepredigt wurde, ſtarb, ihr Witthum ver⸗ 
kaufte, um Ritter fuͤr den Dienſt des heiligen Landes in 
Sold nehmen und nach Paläftina führen zu koͤnnen; ſie 
ſtarb aber ſchon am achten Tage nach ihrer Ankunft zu 


doch wohl nicht im ganz ſtrengen 


Sinne der Fall war) und achtete ſich 


erſt, nachdem er die Krone empfangen 
hatte, als König von Cypern. Arnold 
berichtet bey dieſer Gelegenheit, daß 
der Kanzler während der Pilgerfahrt 
die biſchöfliche Würde erlangte: „Ipse 
Cancellarius in eadem profectione 
(wie es ſcheint, noch in Sicilien) 
ordinatus Sacerdos et Episcopus.“ 
Daß er vor ſeiner Ernennung zum 
Bifchofe von Würzburg dem Bis⸗ 
thume Lübeck vorgeſtanden, Biſchof 
von Hilbesheim aber nur während 
Eines Jahrs geweſen ſey, erzählen 
andere Chroniken (z. B. Chron. Ep. 
Hildes! in Leibnit, Script. Brunsv. 
T. I. p. 794). Von dem Capttet zu 
Würzburg wurde er, nach dem Tode 
des Biſchofs Gottfried II., im J. 1198, 
alſo während ſeiner Kreuzfahrt, zum 
Biſchofe poſtulirt (ogl. J. P. Ludwig 
Geſchichtſchreiber von dem Bisthume 
Würzburg, Frankf. #713. Fol. S. 539), 
und brachte ſich dadurch, daß er ohne 
päpſtliche Senehmigung dem Bisthume 
Hildesheim den biſchöflichen Sitz von 
Würzburg vorzog, weil ſeiner Eitelkeit 
die herzogliche Würde von Franken, 
welche mit letzterm verbunden war, 
ſchmeichelte, in heftigen Streit mit In⸗ 
nocenz dem Dritten, dem Nachfolger 


des Papſtes Coeleſtin. Ep. Innocent 
tii III. Lib. I. ep. 335. 874. UI. 54.165. 
901. 204. 216. Früher (nämlich ſchon 
im J. 1183) ernannte ihn der Kalſer 
Friedrich I. zum Biſchof von Lübeck, 
und der Erzbiſchof von Bremen er: 
theilte ihm die Beſtätigung; Conrad 
nahm aber die biſchöfliche Weihe 
nicht, und verzichtete auf das Bis⸗ 
thum, weil der Graf Adolf von Hol⸗ 
ſtein und Schaumburg ſein Feind 
war (Chron. Lubec. in Meibomii 
Scriptores rer. Germ. Tom. II. 
p. 396). Ob er zum wirklichen Be 
fine "des, Bisthums Hildesheim ges 
langte, ſcheint zweifelhaft zu ſeyn; 
denn die Zeit feiner dortigen Wahl 


fäut in die Zeit feiner Kreuzfahrt, in 


das Jahr 1197. Indeß die magde: 
burgiſche Schöppenchronik (Manu⸗ 
ſeript der königl. Bibliothek zu Ber⸗ 


J. Chr. 
1107. 


lin, Ms. ber. fol. 171 a) ſagt bey dem 


Jahre 1198 und bey Gelegenheit des 
Hoftages zu Magdeburg am Weih⸗ 
nachtfeſte, welchen der Kanzler ord— 
nete: „De bisschop van hildensem 
was do Kentzeler.““ Conrad war 
übrigens aus dem fränkiſchen Ge— 
ſchlechte der Freyherren von Rabens— 
purg, oder, nach andern Nachrichten, 
ein Herr von Querfurt. Vgl. Lud— 
wig a. g. O. 


22 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 
3,89%. Tyrus, nachdem ſie den Grafen Heinrich von Champagne, 
ihren Schweſterſohn, zum Erben ar beer baer eee 
laſſes eingeſetzt hatte nie renn mod 
Im Mo: enlande fanden die deutſchen Kreuzfahrer 
nicht die nahme. melde, fi ie erwartet hatten. Dieſe 
Täuſchung ihrer Erwartung veranlaßten ſie aber ſelbſt 
durch ihr unberſtändiges Benehmen. Obwohl ihre Tapfer⸗ 
keit und treue Ergebenheit gegen ihre Anfuͤhrer alles Lob 
verdiente, und ihr verſchwenderiſcher Aufwand ſie den 
Einwohnern von Syrien angenehm machen konnte: ſo er⸗ 
regten gleichwohl ihr Trotz und Eigenſinn, indem ſie ihren 
Willen als Geſetz geltend machen, wollten „ihr Mißtrauen 
gegen Jeden, welcher nicht Deutſcher war, und ihre Haͤrte 
und Grauſamkeit die heftigſte Unzufriedenheit e ra; | 
abendlaͤndiſchen Fuͤrſten in Syrien war ohnehin die Ans 
kunft eines ſo zahlreichen, bloß aus deutſchen Kreuzfahrern 
beſtehenden Heers nicht angenehm, „ weil fie fuͤrchteten, in 
eine ihnen laͤſtige Abhaͤngigkeit von dem deutſchen Kaiſer 

zu gerathen. 


Die einzelnen deutſchen pilger, welche fruͤher als die 
große Flotte nach Syrien kamen, nach Gelegenheit, ihre 
Tapferkeit an den Saracenen zu erweiſen, begierig, kuͤn— 
digten ſogleich nach ihrer Ankunft den Tuͤrken den, von 
dem Koͤnige Richard geſchloſſenen und bis dahin verlaͤn⸗ 
gerten, Waffenſtillſtand auf und begannen die Feindſelig⸗ 
keiten; zuerſt Walram, der Bruder des Herzogs von 


39) Hugo Plagon p. 643. Vincen- tes, voluntatem pro jure habentes, 
tii Bellovacensis speculum histo- ensibus invicti, in nullis nisi ho- 
riale Lib. XXIX. cap. 39. minibus suae gentis confidentes, 

2 dueibus suis Adelissimi, et quibus 

40) „Alemanni in terram promis-_ vitam potius quam fidem possis au- 
rionis venerunt, bellicosi, crudeles, ferre.“ Thron. Ursp. p. 132. Hist. 
expo usarum prodigi, rationis exper- terrae sanctae ap, Eccard, p. 1564. 


— — 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 23 


Brabant, welcher fruͤher als die übrigen Pilger mit ſei— 


— 


nen Leuten nach dem gelobten Lande gekommen war. Die 


J. Chr. 


1197. 


kalte Aufnahme, welche dleſe Pilger bey dem Grafen 


Heinrich und den von der fruͤhern großen Wallfahrt zu 
Ptolemais zuruͤckgebliebenen engliſchen, franzoͤſiſchen und 
italieniſchen Kreuzfahrern fanden, war ſicherlich nicht ohne 
Antheil an dieſem raſchen Entſchluſſe, indem ſie dadurch 
Achtung zu erzwingen hofften. Auch war ihnen die, Vers 
traulichkeit, in welcher die Templer und Hofpitaliter „jo 
wie die Barone von Syrien mit den Unglaͤubigen damals 
ſtanden, aͤrgerlich; ſo daß es den Pilgern raͤthlicher fehlen, 
gänzlich für ſich zu handeln und aller Gemeinſchaft, mit 
den Ritterorden ſowohl als den Baronen, zu entfagen 
Walram veranlaßte aber dadurch, daß er zur Unzeit den 
Krieg leichtſinnig begann, einen großen Verluſt fuͤr die 
chriſtliche Herrſchaft in Syrien, und den Untergang einer 
nicht geringen Zahl feiner Waffenbruͤder h). 

Nach der Aufkuͤndigung des Waffenſtillſtandes durch 
die Chriſten ſaͤumte Malek al Adel nicht, ſowohl ſeinen 
Neffen Malek al Aziz, den Sultan von Aegypten, als 


die muſelmaͤnniſchen Fuͤrſten jenſeit des Euphrats zum 


heiligen Kriege aufzufordern; und beſtimmte ihnen zum 
Sammelplatz die Gegend von Ain Dſchalut, unſern von 
der aͤgyptiſchen Graͤnze 2). Dieſer Aufforderung zufolge 
ſammelten ſich dort ſchon nach der Mitte des Monats 


41) Otto de St. Blas. chron. C. 42. 
Chron, Ursp. I. c. Roger. de Hov. 
fol. 439 a. 

42) Ebn al Athir (bey Michaud) 
S. 534. Des Ortes Ain Dfchalut ge: 
ſchieht noch Erwähnung in de Gui- 
gnes Histoire des Huns. T. IV. p. I4Ar, 
wo aus der dort mitgetheilten Erzäh⸗ 
lung des Abulmahaſen hervorgeht, 


daß er an dem Wege von der ägyptl⸗ 
ſchen Gränze nach Cäſarea lag, 
wahrſcheinlich dicht bey Gaza; denn 
Abulfeda (Annal. mosl. T. IV. p. 162) 
giebt als Sammelplatz des mufel: 
männiſchen Heers Tell alodschul oder 
den Kälberhügel, eine Anhöhe bey 
Gaza, an (vgl. Annal. mosl. T. IV. 
P. 540). 


3 


1b» 


a 


24 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J. 


220%. Julius 1197 die muſelmaͤnniſchen Scharen; und im fol 
Augun genden Monate, als Malek al Adel das Heer für Hins 
reichend zahlreich achtete zum Kampfe wider die Kreuz⸗ 
fahrer, fuͤhrte er es gegen Joppe 3). Die deutſchen 
Wallfahrer, welche in dieſer Stadt ſich befanden, da die 
erwuͤnſchte Gelegenheit zum Kampfe wider die Heiden er⸗ 
ſchien, zogen den Feinden zwar muthig entgegen und 
begannen den Streit; aber ihre Zahl war zu gering, um 
den Sieg erringen zu koͤnnen, fo daß fie gezwungen wur 
den, nach hartem Kampfe die Flucht zu ergreifen. Als 
fie aber an das Thor von Joppe kamen, heftig verfolgt 
von den Unglaͤubigen, fanden ſie es verſchloſſen; und 
die in der Stadt zuruͤckgebliebenen Kreuzfahrer, in der 
Beſorgniß, daß die Heiden die Gelegenheit benutzen moͤch⸗ 
ten, der Stadt ſich zu bemaͤchtigen, oͤffneten das Thor 
nicht, ſondern gaben ihre muthigern Waffenbruͤder, welche 
den Kampf gegen die Unglaͤubigen gewagt hatten, den 
feindlichen Schwertern preis; ſie befreyten aber dadurch 
gleichwohl die Stadt Joppe nicht von dem grauſamen 
Schickſale der Eroberung und Pluͤnderung durch die Tuͤrken. 
So wie vor den Thoren von Joppe nur deutſche Walk 
fahrer erſchlagen wurden, ſo waren es auch innerhalb der 
Stadt meiſtens deutſche Pilger, welche das Schwert der 
Tuͤrken traf; und dadurch wurde, ſowohl unter den da— 
maligen Pilgern als auch in Deutſchland der Verdacht 
geſtaͤrkt, als ob die engliſchen und italieniſchen Pilger, 
welche zu Joppe waren, durch ſchaͤndliche Verraͤtherey das 
Ungluͤck angeſtiftet haͤtten, welches doch nur durch die 


43) „Ils y restérent pendant le J. 393 fiel auf den 17. Jul. 1197, und 
mois de rämadhan et une partie du der erſte Schawal deſſelben Jahres 
mois de schowal.““ Ebn al Athir auf den 17. Auguſt 1197. 

3. a. O. Der erſte Ramadan des 74 600 An 


8 
m 


Doe Kreuzzug den en iche bsh 2’ 


eigene: Unbefonnenheit der deutſchen Pilger war veranlaßt u] 3, Chr. 


worden. Ohnehin retteten die: übrigen‘ Pilger in Joppe 
zwar ihr Leben, aber nicht ihr Eigenthum *). Malek al 
Adel aber, nachdem er zuerſt der Stadt Joppe ſich bes 
maͤchtigt, dann auch die dortige Burg im Sturm erobert 
hatte, ließ die Burg ſchleifen und die Steine der zer⸗ 


fiörten Mauern und Gebaͤude in das Meer werfen ). 
Der Graf Heinrich würde auf die Unternehmungen 
des Sultans Malek al Adel erſt dann aufmerkſam, als 


* Arnold. Lubec. Ca. a. 9.) ‚ 
welcher die Plünderung des Eigen: 
thums dieſer Pilger durch die Türken, 
als die gerechte Strafe der von ihnen 
verübten Verrätherey betrachtet. 
ger von Hoveden giebt die Zahl der 
zu Joppe erſchlagenen Wallfahrer zu 
mehr als 20000 an. Otto von St. 
Blaſien (e. 42.) ſpricht ebenfalls ganz 
unumwunden die Beſchuldigung aus, 
daß von den abendländifchen Chriſten 
in Syrien die deutſchen Pilger an 
die Ungläubigen ſeyen verrathen wor: 
den: „Videntes itaque compatriotae 
militiam peregrinorum alacriter in- 
cedere eisque pro voto cuncta suc- 
cedere, sicut ab his, qui eidem ex- 
peditioni interfuerunt, audivimus, 
plus eorum industriam, quam pa- 
ganorum malitiam metuentes, in- 
sidias parant, peregrinosque omnes 
dolo occidendos, in conspiratione 
cum paganis, deliberant, -Heiurico, 
rege eorum, ut fertur, in id ipsum 
consentiente.““ Dieſe Beſchuldigung 
ſcheint ſich zunächſt auf das Schickſal 
der Pilger zu Joppe zu beziehn. 


45) Hugo Plagon p. 643. Fort⸗ 
ſezung der Chronik des Abu Schamah 
(Handſchrift der königl. Bibliothek 


Ro- 


Mate M ta ya 


1 x 7 F Ing Ir 
zu zu Berlin „Ms. orient. Fol. No. 78.) 


Fol. g a. In dieſer Chronik wird noch 


Folgendes erzählt: „Zu den ech 
würdigkeiten, welche ich von dieſer 
Begebenheit erfahren habe, gehört, 
daß vierzig abendländiſche fränklſche 
Ritter, als die Burg von den Muſel⸗ 
männern wirklich war erſtürmt wor⸗ 
den, in die dortige Kirche ſich be⸗ 
gaben, und, nachdem ſie die Thür 
verſchloſſen hatten, mit ihren Schwer⸗ 
tern gegenſeitig ſich tödteten, ſo daß 
keiner übrig blieb; als die Muſel⸗ 
männer die Thür der Kirche erbrachen, 
ſo ſahen ſie, was geſchehen war, mit 
Erſtaunen.“ Vgl. Ebn al Athir a. a. 
O. Die Eroberung und Zerſtörung 
von Jafa geſchah, nach den arabiſchen 
Chroniken, im Monate Schawal des 
Jahrs 893, alſo nach dem 17. Auguſt 
1197. Jacob von Vitry (hist. Jeros. 
p. 1124) erzählt dieſe Eroberung von 
Joppe als geſchehen erſt nach der Ein⸗ 
nahme von Berytus durch die: Chri- 
ſten. Merkwürdig iſt, daß dieſelbe 
falſche Stellung der Begebenheiten 
dieſes Kreuzzugs in dem Briefe des 
Papſtes Junocenz III. (Ep. Lib. I. 

336) an den Erzbiſchof und die 
Prälaten der Diöceſe von Narbonne 


ſich findet. 


‘ 


20 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I. 


3,568. er vernahm, daß die Stadt Joppe in Gefahr ſchwebte; 
worauf er ſeine Macht ſammelte, um der bedraͤngten Stadt 
zu helfen ); aber ſein ploͤtzlicher Tod vereltelte fein 
Unternehmen. Denn an dem Abende des Tages, au 
welchem die Ritterſchaft aus Ptolemais nach Chaifa auf 
dem Wege nach Joppe gezogen war, ſtuͤrzte der Graf 
Heinrich kurz vor dem Abendeſſen aus einem ſchlecht vers 
wahrten Fenſter in dem obern Stockwerke ſeines Palaſtes 
berab in die Tiefe und wurde unten kodt gefunden; 
viele deuteten dieſen plöglichen Tod des Grafen Heinrich 
als goͤttliche Strafe für die unrechtmaͤßige Ehe, welche 
er mit der Prinzeſſin Iſabelle oder Eliſabeth geſchlo 
hatte *), die deutſchen Pilger aber meinten, daß ei 
dadurch an dem Grafen die Geringſchaͤtzung geahndet habe, 


welche fie von ihm erfahren hatten Ber 


46) Arnold. Lubec, d. a. O. 


47) Dieſe Deutung gab Innocenz II. 
in einem Schreiben aus dem Jahre 
1109 an den Erzbiſchof von Compoſtella 
dem Tode des Grafen Heinrich, und 
nicht minder betrachtete er die Ermor⸗ 
dung des Markgrafen Conrad als eine 
Strafe Gottes für deſſen ungebühr⸗ 
liche Vermählung mit Iſabelle. Epist. 
Lib. II. Ep. 75: (ed Baluze T. I. 
p. 379). Dieſelbe Anſicht hat auch 
der Verfaſſer der Lebens beſchreibung 
von Innocenz dem Dritten ſich an⸗ 
geeignet: „Volens autem Deus ma- 
jus peccatum vindicare celerius et 
a similibus alios deterrere, tam 
Conradum Marchionem Montis fer- 
rati, qui Beginae Jerosolimitanae 
prius adhaeserat per incestum, oc- 
eidit gladio, quam Henricum, Cam- 
paniae comitem, qui ei in culpa 
quodammodo et in poena successit, 
dejeeit praecipitio, utrumque vero 


Der aus Ptole⸗ 


morte impraevisa interemit.“ Ge- 
sta Innocentii III. c. 58. 


45) „Dicunt quidam, eum a Deo 
plagatum, eo quod de adventu 
Teutonicorum dolucrit, et eis libe- 
rationem terrae sanctae, si sic Deo 
placuisset, inviderit.“ Arnold, Lu- 
bec. I. . Die nähern Umſtände ſei⸗ 
nes Todes werden von Hugo Plagon 
alſo erzählt: „Als der Graf die (ihm 
von den Belagerten gemeldete) Nach⸗ 
richt (von der Bedrängung der Stadt 
Joppe) vernahm, ſo bot er ſein Heer 
und die Deutſchen auf, und ließ ſie 
bis nach Calfa (Cayphas), vier Mei⸗ 
len von Ptolemais, vorrücken, indem 
er verſprach, am folgenden Tage nach⸗ 
zufolgen, weil er zuvor mit ſeinen 
Leuten abzurechnen und feine Ange: 
legenheiten zu ordnen hatte. Das 
Heer ſetzte ſich alſo in Bewegung, 
der Graf aber blieb zurück, und rech⸗ 
nete mit ſeinen Leuten, was bis zum 


1 9.7 N + 


Dier Kreuzzug der Deut ſche ' 7, 
mals vorangezogenen Ritterſchaft wurde hieräuf, zugleich 311. 
mit der Nachricht von dem unerwarteten Tode des Grafen 


Heinrich, von denen, welche der Leitung der Angelegen⸗ 
heiten des Landes ſich unterzogen, die Aufforderung kund 


Ie 


Meme 


e en 
og. Man ſandte hierauf zu dem 


Abende dauerte. u ließ er den 1985 
Tiſch zum Abendeſſen decken 5 ere die Aufforderung, zurückzukel⸗ 


forderte Waſchwaſſer, welches mam 


ihm brachte, und ſtellte ſich gerade 
an ein Fenſter, welches oben in dem 


Thurme war, wo er wohnte. Wäh⸗ 


ſich vorwärts, fiel dom Fenſter herab 
und ſtarb durch dieſen Fall. Der 


Diener, welcher das Handtuch hielt, 
ſtürzte ihm ſich nach, weil er fürch⸗ 


tete, man möchte ihn beſchuldigen, 
daß er den Grafen herabgeſtoßen 
hätte; dieſer Diener aber ſtarb nicht 
dadurch, ſondern zerbrach nur Ein 
Bein; Einige behaupten, daß der 
Graf nicht würde geſtorben ſeyn, 
wenn der Diener ſich nicht herabge⸗ 
ſtürzt hätte. Der Diener fiel zwiſchen 
zwey Mauern herab und ſchleppte 
ſich bis zu einer Hinterthür; wo er 
zu ſchreyen anfing, als außerhalb 
Leute vorbeygingen. Dieſe kamen 
heran, als ſie ſein Geſchrey hörten, 
und fragten, was ihm begegnet ware; 
er aber bat ſie um Gottes willen, 
Ritter herbeyzurufen, damit ſie den 
Grafen wegtragen möchten, welcher 
dort todt läge; worauf die Diener 
und Knappen (Serjans) des Grafen 
kamen und ihn todt fanden; fie teu: 
gen ihn dann hinweg und begruben 
ihn im Münſter (au mostier). Der 
Graf hatte mehrere Male befohlen, 
daß man dieſes Fenſter, der Kinder 
wegen, mit Gittern verſehen ſollte; 
denn fein Herz ſagte ihm, daß da: 
durch Schaden entſtehen würde. Die 
Trauer über den Grafen war ſehr 


ren, weit der Graf geſtorben wäre; 
das Heer kehrte alſo zurück, und der 


Graf wurde im Münter des heit. 


Kreuzes begraben.“ u Dieſelbe Erzäh⸗ 
rend er ſeine Hände wuſch, legte er 


lung theilt auch Bernardus Theſau⸗ 


rarius mit (cap. 181) als abweichende 


Nachricht eines Echriftitelterd , wel: 

chen er nicht näher bezeichnet („alibi 
* 

legitur“ etc.) / nachdem er bon dem 


Tode des Grafen auf dieſelbe Weiſe 


berichtet hat, wie oben im Texte ge: 

ſchehen iſt; nämlich: „Dum ipse in 
superiori coenaculo palatii sui, fe- 
mestrae cuidam innitendo se appli- 
caret, miserabili praecipitio eolli- 
sus exspirat.“ Auf eben dieſe Weiſe 
erzähten den Tod des Grafen Heinrich 
Vincentii Bellovacensis speculum 
historiale Lib. XXIX. cap, 59. Ja- 
cobi de Vitriaco hist. Jerus. p. 1124, 
Oliverius Schol. p. 1394 C, Hinricus 
Campaniae per fenestram loriculis 
carentem ex improviso cadens ex- 
spiravit“) und Marini Sanuti Se- 
creéta fidel. crucis p. 201. Nach der 
gewiß unrichtigen Nachricht des 
Arnold von Lübeck verließ Heinrich 
wirklich Ptolemais, um der Stadt 
Joppe zu Hülfe zu kommen, und 
ſtarb auf die erzählte unglückliche 
Weiſe erſt, nachdem er auf die Nach⸗ 
richt von der Eroberung der Stadt 
durch die Ungläubigen zurückgekehrt 
war: „dum solus cum solo super 
exedras (welches Wort hier nichts an⸗ 
deres, als Fenſter, vielleicht ein Fenſter 
in einem Ausbau oder ſogenannten 


28 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I 


a gemacht, zukückzukehren; und ihre Hülfe waͤre auch zu fpät 
gekommen; denn die Ungläubigen waren bereits von Joppe 
nach ihrem fruͤhern Lagerplatze bey Ain Dſchalut zuruͤck⸗ 
gekehrt, die Pilger, welche zu Joppe in ihre Gewalt ge⸗ 
fallen waren, als Sclaven mit ſich fuͤhrend. 

So fanden denn der Kanzler Conrad und die uͤbrigen 
Pilger, welche in Eypern einige Zeit verweilt hatten, als 
fie endlich nach Ptolemais kamen, dort große Verwirrung, 
indem über die Nachfolge in der Herrſchaft über die ges 
ringen Ueberbleibſel des Koͤnigreichs Jeruſalem Streit und 
Parteyung obwaltete; denn Hugo von Tiberias empfahl 
feinen Bruder Rudolph ) zum Gemahl der Prinzeſſin Eli 


ſabeth und Nachfolger des Grafen Heinrich womit einige 


.: 
Erker, zu bedeuten ſcheint) pro W 
do aëre staret, subito cecidit et fracta 
cervice expiravit. Ebu al Athir 
(a. a. O.) berichtet, daß der Tod des 
Grafen (, qui etait tombé dans 
Acre d'un lieu eleve “) den Auszug 
des chriſtlichen Heers verzögert habe, 
und daß die chriſtlichen Ritter, nach⸗ 
dem fie endlich ſich in Bewegung ge: 
fest hatten, zu Cäſarea das Schickfat 
der Stadt Joppe erfuhren, und hier⸗ 
auf ohne Verzug nach Ptolemais zu: 
rückkehrten. Nach Roger von Dove 
den (Fol. 439 A.) wurde der Sturz 
des Grafen dadurch veranlaßt, daß 
die Säule eines Fenſters, an welche 
er ſich gelehnt hatte, während er zu 
dem Volke (ad turbas) redete, zer: 
brach. Matthaeus Paris (S. 189) 
ſetzt in ſeinem kurzen Berichte den 
Tod des Grafen Heinrich noch in das 
J. 1196. Eine eigenthümliche Nachricht 
über den Tod des Grafen Heinrich 
findet ſich in der Chronik des Albert 
von Stade (p. 298), welche den Tod 
des Grafen nach der Eroberung von 


Berytus ſtellt: „Rex Jerusalem no- 
cte surrexit, ut urinam projiceret, 
et de fenestra cadens fractis cervi- 
cibus exspiravit, et cliens similiter, 
qui eum retraliere curabat.‘“ Ganz 
unchronologiſch ift die Erzählung des 
Abulfaradſch (Chron. Syr. p. 430) 
von dem Tode des Grafen Heinrich 
und den übrigen Ereigniſſen dieſer 
Kreuzfahrt. Der Tod des Grafen 
Heinrich ſcheint zufolge der, aus der 
Chronik des Ebn al Athir im Texte 
gegebenen, Zeitbeſtimmung der Erobe— 
rung von Joppe in den Anfang des 
Septembers 1197 geſetzt werden zu 
müſſen. 

40) Hugo und Rudolph (Raoul) 
waren die Söhne der Eſchive, Toch⸗ 
ter des Hugo von St. Omer, wel⸗ 
chem König Balduin der Erſte Dibe— 
rias und das Fürſtenthum Galiläa 
verliehen hatte, und des Eonnetable 
von Jeruſalem, Wilhelm de Buris. 
Rudolph vermählte ſich ſpäter mit 
Agnes, Tochter des Rainald von 
Sidon. Lignages d'Outremer ch. 7, 


Der Kreuzzug der Deutfhen. 29 


ſehr wohl zufrieden waren; die beyden Großmeiſter der 7.0. 
Orden des Tempels und Hoſpitals aber widerſetzten ah 
dieſer Wahl hartnaͤckig, indem fie: behaupteten, daß Rus 
dolph keinesweges die gehörigen Mittel beſaͤße, um die 
Wuͤrde des Reichs wieder herſtellen zu koͤnnen. Sie em⸗ 
pfahlen dagegen den Koͤnig Amalrich von Cypern als den⸗ 
jenigen, von welchem, fallt er ſich entſchließen würde, die 
Regierung eines von allen Seiten bedrängten Reiches zu 
uͤbernehmen, am meiſten fuͤr die Wohlfahrt des Landes ſich 
erwarten ließe. Als dieſe Wahl auch von dem Kanzler 
Conrad gebilligt wurde: ſo traten ihr auch diejenigen 
bey, welche bis dahin fuͤr Rudolph von Tiberias ſich ver⸗ 
wandt hatten. Es begaben ſich hierauf Abgeordnete nach 
Cypern, um dem Koͤnige Amalrich den Wunſch der Ba— 
rone des Koͤnigreichs Jeruſalem vorzutragen; dieſer kam 
ſehr bald nach Ptolemais und nahm die Prinzeſſin Eliſa⸗ 
beth zur Gemahlin, welche endlich durch ihre vierte Vers 
maͤhlung zur Würde einer Königin von Jeruſalem ges 
langte ). Hugo von Tiberias aber empfand es ſehr 
uͤbel, daß ſein Wunſch, ſeinen Bruder Rudolph auf den 
Thron von Jeruſalem zu erheben, nicht in Erfüllung ges 
gangen war; und als Amalrich bald nach ſeiner Ankunft 
außerhalb der Stadt Tyrus, da er von zwey Rittern be— 
gleitet umherritt, von zwey Männern zu Pferde angefals 
ten und ſchwer verwundet wurde: ſo war der Verdacht 
allgemein, daß Hugo dieſen meuchleriſchen Angriff auf 


80) „Lors a primes fust- elle 
roine.“ Hugo Plagon p. 645. Vgl. 
Bern. Thesaurar. c. 182. Jac, de Vitr. 
1. c. Nach Arnold von Lübeck (S. 707) 
fanden ſowohl die Berathungen we— 
gen des Throns von Jeruſalem, als 
die Wahl Amalrichs erſt Statt zu 


VBerytus nach der Einnahme dieſer 
Stadt. Wir haben der Erzählung 
der andern Schriftſteuer, als der 
wahrſcheinlichern, den Vorzug ge— 
geben; ſchwerlich wurde unter den 
damaligen Umſtänden jene Berathung 
ſo lange verſchoben. 


30 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J. 


3,9 den König veranſtaltet habe, obgleich von den beyden 
Verbrechern, ſelbſt nicht durch die Folter, welche man 
gegen ſie anwendete, das Geſtaͤndniß erzwungen werden 
konnte, wer ſie zu ſolcher Frevelthat gedungen habe *). 
Eine der erſten Verordnungen, welche Amalrich als 
Koͤnig von Jeruſalem machte, betraf das Verhaͤltniß der 
Ritter, welche Zinslehen beſaßen. Alle dieſe Ritter wur— 
den von ihm nach Ptolemais beſchleden und aufgefordert, 
zwey aus ihrer Mitte zu waͤhlen, welche zugleich mit den 
königlichen Amtleuten die Einziehung der Gefaͤlle, aus 
welchen die Geldlehen beſtritten wurden, beſorgen und 
einem jeden Ritter ſo viel zutheilen ſollten, als ihm in 
dem damaligen bedraͤngten Zuſtande des Landes von dem 
Grundſtuͤcke, auf welches ſeine Rente in gluͤcklichern Zei⸗ 
ten war angewieſen worden, nach billiger Beurtheilung 
gewaͤhrt werden konnte. Dabey erklaͤrte Amalrich aus⸗ 
druͤcklich, daß er die Einkünfte der Krone bloß zu feinem 
und ſeiner Ritter Unterhalte verwenden wuͤrde, und die 
Ritter mit dem in billigem Verhaͤltniſſe vertheilten Ertrage 
der Grundſtuͤcke, auf welche ihre Renten angewieſen waͤren, 
fi begnügen müßten °?). 

Während der König Amalrich mit dieſen Anordnungen 
ſich beſchaͤftigte, erlitt das chriſtliche Reich in Syrien 
einen großen Verluſt durch die Abfahrt der franzoͤſiſchen 
Kreuzfahrer, welche von dem vorigen großen Kreuzzuge 
bis dahin zuruͤckgeblieben waren und nach dem Tode des 
Grafen Heinrich zur Ruͤckkehr in ihre Heimath ſich ent 
ſchloſſen, fo daß nunmehr die Vertheidigung des gelob; 
ven Landes ganz allein den deutſchen Pilgern uͤberlaſſen 
war ) 


en 


31) Hugo Plag. p. 645. 53) Diefe Nachricht brachten in 
52) Hugo Plag. p. 645. 646. Toscana dem Biſchofe von Troyes, 


— 


AR, Der Kreuzzug der Deusfhen. N 31 


Die drohende Stellung, in welcher Malek al Adel 5.95. 
mit ſeinem Heere noch immer ſtand, lenkte ſehr bald die 
Aufmerkſamkeit des neuen Koͤnigs von den innern Anger 

llegenheiten des Reichs auf die Vertheidigung deſſelben 
gegen die Unglaͤublgen; und die große Zahl der zu Pos 
lemais und in andern Haͤfen der ſyriſchen Kuͤſte vereinigs 
ten bewaffneten Pilger machte in vielfaͤltiger Beziehung 
es nothwendig, auf deren baldige Beſchaͤftigung zum 
Nutzen des Reichs zu denken. In dem Rathe, zu wel⸗ 
chem Amalrich, außer dem Großmeiſter des Tempels und 
Hoſpitals und den Baronen des Landes, den Kanzler Con⸗ 
rad berief, wurde alſo gemeinſam beſchloſſen, die Wieder⸗ 
eroberung des von Saladin den Chriſten entriſſenen Landes 
ohne Verzug zu unternehmen und zuvoͤrderſt die Stadt 
Berytus zu belagern! *). Der Herzog Heinrich von Bra⸗ 
bant oder Lothringen wurde zum Anfuͤhrer des Heeres für 
dieſe Unternehmung und Heinrich von Kelten zum Mars 
ſchall erwaͤhlt ?). Es erging hierauf an alle diejenigen, 
welche zum Waffendienſt verpflichtet oder geweiht waͤren, 
die Mahnung, in Tyrus ſich zu verſammeln ). 

Malek al Adel aber, ſobald er vernahm, daß die 
Chriſten ihre Macht vereinigten, um angriffsweiſe zu ver 
fahren, beſchloß, nach der in aͤhnlichen Fällen ſchon von 
Saladin befolgten Weiſe, die unhaltbaren Plaͤtze zu ſchlei— 
fen, und die Einwohner mit Allem, was einem feindlichen 


welcher gerade damals auf dem Wege 
nach dem gelobten Lande war, einige 
Pilger aus der Champagne, welche 
ebenfalls aus dem gelobten Lande au: 
rückkamen. Innocentii III. Epistol. 
Lib, I. 69. 


54) Hugo Plag. p. 646. Bernard, 
Thes, c. 183 p. 817, 


55) Siehe den Brief des Herzogs 
Heinrich von Brabant an den Erz⸗ 
biſchof von Cöln in“ Godefridi Mon- 
achi annalibus p. 362. Vgl. Arn⸗ 


old. Lubec. Lib. IV. c. 5. p. 710. 


Oliverii Scholastici historia regum 
terrae sanctae p. 1398. 

56) Arnold. Lubec. Lib. V. c. 8. 
P- 706, 5 


32 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I 


Tics. Heere dlenlich ſeyn konnte, in entferntere Gegenden zu 
fuͤhren. Er fuͤhrte alſo ſein Heer durch die Ebene der 
Quellen ) in die bedrohte Gegend, um alle nöthigen 
Vorkehrungen ſogleich zu treffen, und ſandte eine Schar 
nach Berytus, dieſe Stadt zu verwuͤſten; aber nur die 
Mauern wurden niedergeworfen. Die weitere Zerſtoͤrung 

der Stadt und die Schleifung der Burg hinderte Aſſamah, 
der Emir von Berytus, welcher verſprach, die Stadt ſo⸗ 
wohl als die Burg gegen die eee zu behaupten ). 
Mittlerweile verſammelten die chriſtlichen Streiter ſich in 
Tyrus, wo ausgemacht wurde, daß, wahrend die Ritter⸗ 
ſchaft von dort zu Lande nach Berytus zoͤge, der Kanzler 
Conrad das Fußvolk dahin auf den Schiffen fuͤhren ſollte, 
welche die Pilger nach dem mern Lande e 
hatten Po 


Die Eroberung bon Berytus, einer damals durch 
Handel belebten und reichen Stadt, war zu dieſer Zelt 
den Chriſten beſonders deswegen wichtig, weil von dort 
aus, wie ſchon oben berichtet worden iſt, die Schifffahrt 
und der Handel der Chriſten durch die Ungläubigen auf 
die nachtheiligſte Weiſe geftört wurde; denn die beyden 
hohen Landſpitzen, welche in der Naͤhe dieſer Stadt in 
das Meer in betraͤchtlicher Laͤnge ſt ſich erſtrecken, dienten 
den Schiffen, welche auf die chriſtlichen Fahrzeuge lauerten, 
zu Schlupfwinkeln, und von deren Hoͤhe erſpaͤhten die dort 
aufgeſtellten Wächter jedes von der kleinaſiatiſchen Kuͤſte 
und von Antiochien oder Tripolis kommende und nach Tyrus 
oder Ptolemais fahrende Schiff in weiter Ferne, und gaben 
davon durch verabredete Zeichen Nachricht den im Linie 
57) Mardſch als Djun, in der Nähe 88) Ebn al Athir S. 334. 


von Schakif Arnun (vgl, Abulfedae ) Arnold. Lubec. I. e. 
Annal. ad a. 585. T. IV. p. 96). ‚a * 


> 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 33 


halte lauernden Schiffen des Emirs. Auf dieſe Weiſe Jr. 
ſollen allein durch die ſteten Nachſtellungen der beyden 
Galeen, welche im J. 1188, als der Markgraf Conrad 
von Tyrus die Flotte des Sultans Saladin uͤberwand, 
nach Berytus entkommen waren ), ſeit jener Zeit bis zu 
dieſem Zuge der Chriſten gegen dieſe Stadt, mehr denn 
vierzehn Tauſend Pilger in die Sclaverey der Unglaͤubigen 
gerathen ſeyn, ohne diejenigen, welche in verſchiedenen 
Gefechten mit dieſen beyden Schiffen waren getoͤdtet wor— 
den »). Auch der treffliche Hafen von Berytus machte 
den Beſitz dieſer Stadt ſehr wichtig. 

Das Heer des Malek al Adel war, waͤhrend die 
Chriſten zu Tyrus ſich ſammelten, herangezogen, um dieſe 
wichtige Stadt zu vertheidigen, und hatte am Gebirge, 
laͤngs dem Wege zwiſchen Tyrus und Sidon, ſich aufge— 
ſtellt; und auch der Emir Aſſamah fuͤhrte den Chriſten 
ſeine ganze Macht entgegen; nachdem er alle diejenigen, 
welche nicht faͤhig waren, an der Vertheidigung Theil zu 
nehmen, die Schwachen und Kraͤnklichen, ſo wie die Weiber 
und Kinder, aus der Stadt entfernt hatte. Die Chriſten 
aber, welche in wohlgeordneten Scharen und mit aller 

nöthigen Vorſicht von Tyrus gegen Sidon zogen, als fie 
in der Nacht vor dem Tage des heiligen Severinus der 23. Oct. 
Heiden anſichtig wurden, ordneten ſich unverdroſſen zur 
Schlacht; der Graf Adolf von Schaumburg und Holſtein 


60) Siehe Geſch. der Kreuzz. Th. IV. 
S. 233. Hugo Plag. p. 623. 

61) Dies behauptet Hugo Plagon 
(S. 647) zufolge einer ſchriftlichen 
Nachricht, welche in der Burg von 


Berytus bey deren Eroberung fol ge: | 


funden worden ſeyn. Vgl. Bernard. 
Thes. p. 818 (wo die Zahl der von 


V. Band. 


den Seeräubern zu Berytus gefange— 
nen Chriſten zu dreyhundert Taufen: 
den angegeben wird). Arnold von 
Lübeck behauptet, daß ſeit dem Ver⸗ 
Suite des heil. Landes (a Syriar exci- 
dio, d. i. ſeit der Schlacht bey Hittin 
und deren Folgen) neunzehntauſend 
chriſtliche Selaven aus Beiytus an 
den Hof Saladin's geliefert wurden. 


E 


J. Chr. 
1197. 


34 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J. 


uͤbernahm es, aus einem Hinterhalte den Gang des Kam— 
pfes zu betrachten und, wie es die Umſtaͤnde erfordern 
wuͤrden, zur gluͤcklichen Entſcheidung mitzuwirken; die 
übrigen Fuͤrſten und Ritter, nachdem fie durch frommes 
Gebet den Beyſtand Gottes erfleht hatten, unterwanden 


ſich ſogleich des Streites. Lange war der Kampf unent— 


ſchieden; denn die Unglaͤubigen bedraͤngten die Chriſten 
von allen Seiten, im Ruͤcken ſowohl, als vorn und an 
der Seite des Gebirgs, überall fie umringend und ihnen 
den Weg verlegend. Vornehmlich der Emir Aſſamah hielt 
durch ſeine perſoͤnliche Tapferkeit die Kraft und den Muth 
der Muſelmaͤnner aufrecht; endlich erſah der Graf Adolf 
die Gelegenheit, in Begleitung ſeines tapfern Waffen— 
gefährten, Bernhard von Horſtmar, wider den Emir, 
welchen ſchon die Hoffnung, den Sieg zu gewinnen, 
erfreute, mit ſo gewaltiger Kraft zu rennen, daß Roß 
und Reiter zu Boden geworfen wurden. Drey Mal ver— 
ſuchte der Emir ſich wieder zu erheben; als er zum drit— 
ten Male, nach Beyſtand vergeblich ſich umſehend, mit 
ſtarkem Arme das Pferd umfaßte und mit demſelben ſich 
aufzurichten ſuchte, ſo durchbohrte ihn in der Gegend des 
Nabels, wo ſein Panzer ſich geoͤffnet hatte, des Grafen 
Lanze. Dieſe gluͤckliche Waffenthat des tapfern Grafen 
von Schaumburg entſchied den Ausgang der Schlacht. 
Der unermuͤdeten Anſtrengung der Muſelmaͤnner gelang 
es zwar, endlich den ſchwer verwundeten Emir aus dem 
Gedraͤnge zu retten; aber zwey Emirs fielen, kaͤmpfend 
für die Befreyung ihres Waffengefaͤhrten, in die Gefangen⸗ 
ſchaft der Chriſten. Malek al Adel, an der Möglichfeit, 
den Sieg zu erringen, verzweifelnd, zog nach einem fuͤr 
beyde Heere gleich ruͤhmlichen Kampfe ſeine Scharen zu— 
ruͤck; das Feld den Chriſten raͤumend, welche an dem 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 35 


unfern von Sidon in das Meer ſich ergießenden Fluſſe 
ſich lagerten *) und dann in die von Saladin größten, 
theils zerſtoͤrte Stadt Sidon einzogen: wo mit Verzie— 
rungen von Cedernholze geſchmuͤckte Haͤuſer ihren Roſſen 
als Staͤlle dienten, und am Feuer, welches von duftendem, 
aus den zerſtoͤrten Gebaͤuden geſammeltem Cedernholze ge— 
naͤhrt wurde, die Pilger ihre Speifen bereiteten »). 
Die Unglaͤubigen, welche aus der in der Ebene von 
Sidon verlorenen Schlacht nach Berytus flohen und dort 
Schutz zu finden hofften, ſahen ihre Hoffnung getaͤuſcht, 
und waren genoͤthigt, in dem benachbarten Gebirge Sicher— 


J Chr. 
1197. 


heit zu ſuchen; denn von den 
Aſſamah, als er gegen die 


62) In der Darſtellung dieſes Ge⸗ 
fechts und der Beſtimmung des Orts 
und der Zeit deſſelben bin ich im 
Ganzen der Nachricht gefolgt, welche 
davon der oben (Anm. 55) erwähnte 
Brief des Herzogs von Brabant gibt. 
Nach Arnold von Lübeck ereignete es 
ſich zwiſchen Sidon und Berytus; 
was ohne Zweifel eben ſo unrichtig 
iſt, als daß die Chriſten, wie eben 
dieſer Schriftſteller erzählt, über Si⸗ 
don nach Sarepta zogen; denn Sa⸗ 
repta liegt zwiſchen Tyrus und Sidon. 
Ebn al Athir ſagt zwar, daß der 
Kampf Statt gefunden habe, nach⸗ 
dem die Chriſten zu Sidon angekom⸗ 
men wären; dieſes widerſpricht aber 
der Erzählung des Herzogs nicht, 
welche das Gefecht in die Nähe von 
Sidon ſetzt. Den Kampf zwiſchen 
dem Grafen Adolph und dem Emir 
Aſſamah erzählt Arnold von Lübeck, 
und deſſen Erzählung findet ſich wie— 
derholt in der Chronik des Hermann 
Cornerius (Eccardi Corpus histor. 
med. aevi T. II. p. 809}, Sowohl 


chriſtlichen Sclaven, welchen 
Pilger auszog, mit großem 


der Herzog Heinrich von Brabant, 
als Arnold, berichten, daß der Emir 
umgekommen ſey; nach Ebn al Athir 
Ca. a. O.) aber entkam er durch die 
Flucht. Auch darin find die Nach: 
richten abweichend, daß nach dem 
Briefe des Herzogs von Brabant der 
Kampf beſtanden wurde gegen die 
ganze Macht des Malek al Adel, nach 
Arnold von Lübeck aber und Hermann 
Cornerius nur gegen die Miliz von 
Berytus, womit auch Ebn al Athir 
übereinſtimmt, welcher der Theil⸗ 
nahme des Malek al Adel an dieſem 
Kampfe nicht erwähnt; die Angabe 
des Herzogs hat aber nach den von Ebn 
al Athir berichteten Bewegungen des 
Malek al Athir alle Wahrſcheinlichkeit. 
Nach der von Roger von Hoveden 
(Fol. 4396) überlieferten übertriebes 
nen Nachricht wurde Malek al Adel 
(Saphadinus) ſelbſt in dieſer Schlacht 
ſchwer (lethaliter) verwundet, und 
zwey Söhne Saladin's und mehr als 
ſechszig Emire wurden gefangen. 
63) Arnold. Lubec. I. c. 


C 2 


36 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


J. Chr. 


1197. 


um naͤhere Kundſchaft einzuziehen. 


Unverſtande die Behuͤtung der Stadt uͤbertragen hatte, 
war Berytus ſchon der chriſtlichen Flotte, welche indeß 
vor dem Hafen erſchienen war, uͤbergeben worden. Denn 
als fie die chriſtlichen Zeichen der Schiffe erblickten), 
riefen ſie den bekannten Schlachtruf: Helfe uns Gott und 
das heilige Grab, erſchlugen ihre muſelmaͤnniſchen Auf 
ſeher und oͤffneten die Thore der Stadt und Burg den 
Pilgern, welche anfaͤnglich Betrug und Argliſt beſorgten, 
und daher zuerſt nur zehn Knappen in die Stadt ſchickten, 
Sie hatten aber ihre 
Bereitwilligkeit ſehr zu bereuen; denn die Pilger, nicht 
befriedigt durch die Menge von Lebensmitteln ſowohl, als 
Waffen aller Art, welche ſie in der Stadt fanden, ſpann⸗ 
ten zwey derjenigen, welchen ſie den ſchnellen Beſitz dieſer 


wichtigen Stadt verdankten, auf die Folter, um die Ent 


deckung verborgener Schaͤtze zu erpreſſen, und marterten 
ſie ſo lange, bis ſie den Geiſt aufgaben. Dieſe Grau— 
ſamkeit hatte zur Folge, daß der Kanzler Conrad nicht 
in den Beſitz der ganzen Burg kam; ſondern der feſteſte 
Thurm derſelben wurde ihm vermittelſt der eiſernen und 
von innen wohl verwahrten Thür deſſelben “) verſchloſſen, 
und diejenigen, welche ihn inne hatten, erklaͤrten, daß 
ſie Jeden, welcher es verſuchen wuͤrde, die Pforte zu er— 
brechen, mit Steinen zu Boden werfen und den Thurm 
nur dem Koͤnige Amalrich oder 5 Bevollmaͤchtigten 
öffnen würden ). 


64) Sie erkannten die chriſtlichen 
Schiffe an den viereckigen Segeln; 
„Qui, videntes vela quadrangula, 
Christiana intellexerunt agmina.““ 
Arnold. Lubec. 

65) „La maistre porte de la tor 
estoit de fer et bien barr&e dedens.“ 
Hugo Plagon p. 647. a 


66) Die Nachrichten über die Art 
der Uebergabe von Berytus find wie: 
derum ſehr abpeichend. In der fran⸗ 
zöſiſchen, von Hugo Plagon verfaß⸗ 
ten Fortſetzung der Geſchichte des 
Wilhelm von Tyrus (S. 646. 647) 
findet ſich folgende Erzählung: „Es 
blieben, als die Muſelmänner gegen 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 37 


Waͤhrend diefes in Berytus geſchah, kam das fiege Archer. 
reiche Pilgerheer im Jubel heran und hielt feinen Einzug geler. 


die Chriſten auszogen, nur drey chrift: 
liche Sclaven in Berytus, wovon 
Einer ein Zimmermann (charpentier) 
war, deſſen Weib und Kinder, um 


feiner Treue ficher zu ſeyn, die Un- 


gläubigen in das Innere ihres Landes 
(en paienime) geſandt hatten. Dieſer 
Zimmermann war der Auſtifter der 


Uebergabe der Stadt an die Pitger, 


indem er die beyden andern mit ihm 
in Berytus gebliebenen chriſtlichen 
Sclaven beredete, ihm zur Ausfüh⸗ 
rung ſeines Plans behülflich zu ſeyn 
dann den Einen aufforderte, das Thor 
der Burg zu erklettern und, falls die 
Saracenen zurückkommen ſollten, ſie 
durch Herabwerfung von Steinen ab⸗ 
zuwehren; den andern anwies, den 
Thurm am Meere zu beſteigen, wenn 
er die chriſtlichen Schiffe erblicken 
würde, denſelben durch das Zeichen 
des heiligen Kreuzes und den Ruf: 
„Helfe Gott und das heilige Kreuz 
(Dex aide et S. Sepulcre) “ kund zu 
thun, daß nur Chriſten in Berytus 
wären, und dann herabzuſteigen und 
den Pilgern das Thor zu öffnen. Der 
Zimmermann felbft begab ſich auf 
den Hauptthurm (maistre tor) neben 
dem Thore der Burg, um die Ver⸗ 
theidigung dieſes Thors zu unter⸗ 
ſtützen. Als nun die Saracenen zu⸗ 
rückkehrten (von der Schlacht bey 
Sidon findet ſich in dieſer Chronik 
keine Erwähnung), ſo fanden ſie die 
Stadt verſchloſſen und wurden von 
den Chriſtenſclaben, welche auf dem 
Burgthore und dem Haupthurme ſich 
befanden, mit Steinwürfen und dem 
Rufe: Helfe Gott und das heilige 
Grab, empfangen und nahmen in 
Verwirrung die Flucht, weil das 


chriſtliche Heer ihnen auf dem Fuße 
nachfolgte. Die Pilger aber trauten 


dem Zeichen und der Einladung deſſen, 


welcher auf dem Thurme am Meere 
ſich befand, nicht / und ſelbſt, als er 


ihnen das Thor an der Seeſeite der 


Stadt öffnete, ſchickten ſie nur zehn 
Knappen Gerjans) in die Stadt, um 
nähere Kundſchaft einzuziehen; dieſe 
Knappen aber gaben dem Könige 
Amalrich die Nachricht, daß die Burg 
von Berytus in ihrer Gewalt ſey, 
und luden ihn ein, baldigſt zu kom⸗ 
men.““ Hierauf wird die gegen die 
beyden Chriſtenſelaven geübte Grau: 
ſamkeit berichtet und wie der Zim⸗ 
mermann dadurch veranlaßt wurde, 
zu erklären, daß er nur dem Könige 
den Thurm übergeben werde; was in 
die Erzählung des Textes aufgenom: 
men iſt. Um dieſer Erzählung (welche 
auch Bernardus Theſaurarius c. 182. 
P- 817. 818 faſt in denſelben Worten, wie 
Hugo Plagon, mittheilt) einige Wahr: 
ſcheinlichkeit zu geben, muß man an⸗ 
nehmen, daß jene drey Sclaven nur 
die Häupter der zurückgebliebenen 
Beſatzung waren; denn wie wäre es 
glaublich, daß der Emir Aſſamah eine 
ganze Stadt nebſt der dazu gehörigen 
Burg in der Gewalt von nicht mehr 
als drey Menſchen gelaſſen hätte? 
Roger von Hoveden (Fol. 439 b) be: 
richtet, daß in der Burg ſich fünf 
chriſtliche Selaven in Feſſeln (com- 
pediti) befanden, welche, als der 
Kanzler, den Roger fälſchlich Erzbi⸗ 
ſchof von Mainz nennt, ankam, die 
Thore der Burg ſchloſſen, den farace: 
niſchen Pförtner, der ſie bewachte, 
erſchlugen, dann von der Höhe herab 
dem chriſtlichen Heere den vorhin er: 


1 


J. Chr. 
1197. 


38 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


in die, von den zur See gekommenen Pilgern am Tage 
zuvor beſetzte, Stadt. Worauf der Koͤnig Amalrich den 
chriſtlichen Selaven, welcher fuͤr ihn den Thurm der Burg 
bewahrte, durch einen Ritter zu ſich rief, ihn mit ſo 
vielem Gelde beſchenkte, daß er ſein Weib und ſeine Kin— 
der aus der tuͤrkiſchen Sclaverey loͤſen konnte, und ihm 
fo viele Einkuͤnfte in Berytus anwies, als zu feinem und 
feiner Familie Unterhalte erforderlich waren 7). Von 
Waffen, beſonders Bogen und Armbruͤſten, wurde in der 


wähnten Erkennungsruf zuriefen und 
es in die Burg eintießen — eine Er⸗ 
zählung, welche noch unwahrſchein⸗ 
licher iſt, als die Nachricht des fran⸗ 
zöſiſchen Erzählers. Nach Arnold von 
Lübeck (a. a. O.) beſtand zwar die in 
der Stadt Berytus zurückgebliebene 
Beſatzung nur aus chriſtlichen Ge 
fangenen (in qua tantum captivi 
Christiani remanserant); aber der 
Hauptthurm (turris quae ceteris 
excelsior erat et fortior) war von 
Saracenen beſetzt; 
Sclave öffnete in der Stille mit 
einem Werkzeuge das Thor dieſes 
Thurms, erſtieg denſelben mit leiſem 
Tritte und erſchlug die Wächter, wel 
che er ſchlafend fand (repentino in- 
teritu soporem illorum morti so- 
ciat); worauf er die Pilger der Flotte 
durch Zeichen einlud, der Burg ſich 
zu bemächtigen. Dieſe Erzählung des 
Arnold von Lübeck iſt auch in die 
Chronik des Hermann Corner (in 
Eccardi Corpore Scriptorum medii 
aevi T. II. p. 8°9. 810) aufgenommen, 
wo dieſer Kreuzzug irrig in das Jahr 
1200 geſetzt worden iſt. Mit der Er: 
zählung des Arnold ſtimmt auch der 
Bericht des Oliverius Scholaſticus 
(9.1395) im Weſentlichen zuſammen: 


ein chriſtlicher 


„Berithenses Sarraceni desperantes 
de eivitatis defensione se recepe- 
runt in castro munitissimo, et cum 
naves Christianorum adventarent, 
egressi sunt communiter ad classem 
considerandam et numerandam. 
Pauei vero Christiani captivi, 
qui remanserunt intus, obsera- 
tis portis ascenderunt in arcem et 
signo Christianitatis suae dato in 
specula, venientem exercitum ter- 
restrem properare fecerunt. Quo 
viso Sarraceni fugerunt omnes 
et sic Dominus Berithum Servis 
suis restituit repletum victualibus 
et armis anno MCXCII (wofür 
MCOXCVI zu leſen iſt).“ In dem 
mehrmals erwähnten Briefe des Her— 
zogs Heinrich von Brabant findet 
ſich keine nähere Nachricht über die 
Umſtände der Einnahme von Bery— 
tus; ſondern es wird nur berichtet, 
daß von den Saracenen, als ſie die 
ankommenden Pilgerſchiffe erblickten, 
die ſehr feſte Burg verlaſſen worden 
und am folgenden Tage ohne Schwies 
rigkeit in die Gewalt des chriſtlichen 
Heers gekommen ſey. 


67) Hugo Plagon und Bernard, 
Thesaur. I. c. 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 39 
Burg von Berytus ein ſolcher Vorrath gefunden, daß duch 
zwey Schiffe damit hätten befrachtet werden koͤnnen; und 
Weizen, Wein und andere Lebensmittel waren in ſolcher 
Menge vorhanden, daß ſie fuͤr eine anſehnliche Beſatzung 

auf mehr als drey Jahre hinreichten »). Die Pilgers 
fürften uͤbergaben dieſe Stadt, als zum Koͤnigreiche Je 
tufalem gehörig, dem Könige Amalrich 60). 


Die Pilger benutzten, aber nicht den errungenen Vor⸗ 
theil, was auch von ihren Vorgaͤngern zu großem Nach— 
theile der chriſtlichen Herrſchaft im gelobten Lande ſo oft 
war unterlaſſen worden; und zogen von dem allgemeinen 
Schrecken, welchen ihr Sieg bey Sidon und der Fall von 
Berytus unter den Unglaͤubigen hervorgebracht hatten, 
keinen Nutzen. Ohne an die Verfolgung der Feinde oder 
an irgend eine weitere Unternehmung zu denken, vers 
weilten ſie zwanzig Tage faſt in voͤlliger Unthaͤtigkeit zu 
Berytus, nur mit der Wiederherſtellung der zerſtoͤrten 
Mauern ſich beſchaͤftigend, und erfreuten fi ſich an dem Ge⸗ 
danken, daß, da nunmehr, nach der Wiedereroberung von 
Berytus, die ganze ſpyriſche Kuͤſte mit allen ihren feſten 
Städten wieder in dem Beſitze der Chriſten fey, das ganze 
heidniſche Land ihnen offen ſtehe 7°), Sie ergoͤtzten ſich 
durch Feſtlichkeiten und Gelage, womit die Kroͤnung des 
Koͤnigs Amalrich und deſſen Vermaͤhlung zu Berytus be— 
gangen wurde; denn Berytus wurde damals, weil Jeru— 


68) Arnold. Lubec, I. o. Nach ſagt der Herzog Heinrich von Bra⸗ 


Hugo Plagon reichten die Lebens⸗ 
mittel auf fünf Jahre hin. „Tot 
arma arbalistariorum et sagittario- 
xum in illo castro invenimus, quod 
vix XX plaustra ferre possent, et 
tot victualia, quot quingentis ho- 
minibus vel VII aunis sufficerent,“ 


bant in ſeinem Briefe an den Erz⸗ 
biſchof von Cöln. Godekridi Mon- 
achi annales p. 362. 


69) Hugo Plagon p. 647. 


70) Epist. Henrici apud Godefr. 
Mon, I. c. Arnold. Lubec. I. 6. 


J. Chr. 


1197. 


40 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I. 


ſalem in der Gewalt der Ungläubigen war, als die Kr; 
nungsſtadt betrachtet r*). Zu dieſen Feſtlichkeiten fand 
ſich auch der Fuͤrſt Boemund von Antiochien mit einer 
zahlreichen Ritterſchaft ein, welcher, ſeinen Vortheil wahr— 
nehmend, durch Brieftauben?) ſchleunig feine zu Antiochien 
zuruͤckgebliebene Ritterſchaft von der Lage der Dinge bes 
nachrichtigte und ſie anwies, den Krieg gegen die Unglaͤubigen 
ohne Verzug zu beginnen. Als Boemund, nach kurzem 
Aufenthalte in Berytus, zu Schiffe in feine Haupt 
ſtadt zuruͤckkehrte: ſo nahm er auf dem Wege dahin die 
Städte 3 Dſchabala und Laodicea, welche bey feiner Ans 
kunft von den Unglaͤubigen verlaſſen wurden, fuͤr f ch in 


Beſitz und verſah ſie mit Beſatzungen 152 


71) „Civitas Baruth, sine qua 
Rex Jerosolymitanus coronari non 


potest.“ Radulſi Coggeshale Chron. 


Angl. p. 822. „Habet etiam talem 
n eadem civitas, ut 
omnes Reges illius terrae ibi coro- 
nentur.“ Arnold. Lubec, I. c. 
Arnold erzählt bey dieſer Gelegenheit, 
daß auch Saladin zu Berytus ſich 
habe krönen und als König von Je⸗ 
ruſalem und Babylonien begrüßen 
laſſen, was nichts als ein Mährchen 
iſt. Roger von Hoveden nennt ſogar 
(Fol. 465 B) den König Amalrich: 
König von Berytus (rex de Barhud). 
Nach den Assises de Jerusalem ſollte 
die Krönung des Königs von Jeruſa⸗ 
lem zu Tyrus geſchehen, wenn ſie 
nicht in Jeruſalem ſelbſt Statt finden 
konnte (Geſch. der Kreuzz. Th. I. 
S. 317), was erſt in der Folge der Zeit 
als Gewohnheit angenommen zu ſeyn 
ſcheint. Vgl. Rog. de Ho v. fol. 430 b. 


72) Es iſt merkwürdig, daß Arnold 
von Lübeck (S. 707), als er dieſes 
Umſtandes erwähnt, in der Meinung 


fieht, daß er etwas ganz Unglaub⸗ 
liches erzähle, und es daher nothwen⸗ 
dig findet, folgende Nachricht über 


die Brieftauben, deren Gebrauch doch 


damals nicht ganz unbekannt in Eu⸗ 
ropa ſeyn konnte, mitzutheilen: „Hio 
quidquam dicturus sum non ridi- 
culum, sed ridicule a gentilibus 
tractum; qui quoniam sapientiores 
Hliis lucis in generatione sua sunt, 
multa excogitant, quae nostrates 
non noverunt, nisi forte ab eis di- 
dicerint. Solent enim exeuntes ad 
quaclibet negotia secum asportare 
columbas, quae domi aut ova aut 
pullos noviter habent creatos; et 
si in via forte accelerare volunt 
nuncium, scriptas litteras sub um- 
bilico columbae subtiliter ponunt 
et eam avolare permittunt. Quae 
cum ad suos foetus properat, cele- 
riter amicis desideratum nuncium 
apportat.“ 

73) Gebal und Lystris bey Arnold 
von Lübeck (a. a. O); Laliche (wo: 
für vielleicht Latiche zu leſen iſt) und 


Der Kreuzzug der Deutſchen. 41 


Ungeachtet ihrer Unthaͤtigkeit traͤumten die Pilger 
von glänzenden Eroberungen, welche in kurzer Zeit zu 
Stande kommen ſollten. Selbſt der Herzog Heinrich von 
Brabant, der damalige Feldherr des Pilgerheeres, mel— 
dete in einem Schreiben an den Erzbiſchof von Coͤln, 
indem er die große Eintracht der Pilger ruͤhmte, daß 
die Unglaͤubigen von jedem Widerſtande abgeſchreckt waͤ— 
ren, und nunmehr die Eroberung von Jeruſalem keinen 
großen Schwierigkeiten unterlaͤge 2); einige Pilger 
ließen ſich bereden, zu glauben, daß Malek al Afdal, der 
Sohn des großen Saladin, geſchreckt durch die Waffen 
der Pilger, ſich entſchloſſen habe, zu dem chriſtlichen 
Glauben ſich zu bekehren, und dieſer Entſchluß ſchon von ihm 
durch Botſchafter den Fuͤrſten kund gethan worden ſey ?). 


Die Kreuzfahrer wurden aus dieſer Unthaͤtigkeit das 
durch aufgeſchreckt, daß Malek al Adel mit ſeinem Heere 
wieder in ihrem Ruͤcken erſchien, die Zerſtoͤrung von 
Sidon vollenden ließ, die Felder verheerte und zugleich 
vor Tyrus ruͤckte 7°). Eiligſt verließen fies, als dieſe 
Kunde gebracht wurde, Berytus und zogen, das Land, 
welches ſie beruͤhrten, verwuͤſtend, zuruͤck nach Tyrus; 
worauf Malek al Adel ſein Heer nach der Burg Honain 
auf dem Berge Amilah, unfern von Tyrus, fuͤhrte und 
in der Ueberzeugung, daß die Kreuzfahrer nichts Erheb— 
liches unternehmen wuͤrden, zumal da der Winter einges 
treten war, die Scharen aus Meſopotamien in ihre Hei— 


magnum Gebal bey Rog. de Hov. 
1. c. „Alii Sarraceni adventum 
nostrum metuentes castrum, quod 75) Dieſes Gerüchtes erwähnt Roger 
dicitur Gibel, et aliud casırum ſir- von Hoveden a. a O. 

missimum, quod Lieche dicitur, 

reliquerunt.“ Ep. Ducis Lotharing. 76) Ebn al Athir S. 534. 

ap. Godefr. Mon. I. c. 


74) Godefr, Mon. ann. 1. c. 


J. Chr. 
1197. 


9. Chr. 


45 


42 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I. 


math entließ 77). Auch war er ſchon entſchloſſen, die 


aͤgyptiſchen Truppen gleichfalls zu entlaſſen, als ihn die 
Nachricht uͤberraſchte, daß die, fünf Meilen oͤſtlich von 
Tyrus, auf dem Wege nach Tiberias, gelegene, Burg Toron 
oder Thebnin 's) von den Chriſten berennt werde. a 


Dias heer der Pilger, als es am 11. December 1197 
vor der Veſte Toron ſich lagerte 75%, war keinesweges in 
einer fuͤr ſchwlerige Unternehmungen guͤnſtigen Stim⸗ 
mung. Die deutſchen Pilgerfürſten welchen, waͤhrend 
ihres Aufenthalts zu Berytus, die Nachricht von dem, 
am Tage vor St. Michaelis erfolgten Tode des Kaiſers 
Heinrich 8°) war gebracht worden, ſehnten fi ch nach bal 


27) Ebn al Athir a. a. O. Ueber 


Honain vgl. Schult. ind. geogr. ad 


Bohaed, vitam Saladini v. Honain, 
78) Hugo Plag. p. 648. Bernard, 


Thes. p. 818, wo die Entfernung der 
Burg Thebnin von Tyrus zu fünf 


Meilen (d. i. zehn Stunden) ange⸗ 
geben wird. Vgl. Schult. ind. geogr. 
ad vitam Saladini V. Tebnin. Der 
Name Toron kommt nur bey den 
abendländiſchen Schriftſtellern vor, 
ſo wie Thebnin nur bey den morgen⸗ 
ländiſchen. Arnold von Lübeck (Lib. 
V. C. 4. p. 707) nennt dieſe Burg 
Chorutum und ſagt, ſie ſey Eine Tage⸗ 
reiſe von Tyrus entfernt geweſen; bey 
Albert von Stade (S. 298) heißt fie 
Thurim, und bey Otto von St. Bla⸗ 
ſien (S. 42) Torolts. Im Chronicon 
Urspergense (p. 304) iſt ſtatt Teto- 
num zu leſen Teronum oder Toro- 
num. Jacob von Vitry (hist. Hieros. 
p- 1072) giebt folgende Beſchreibung 
dieſer Burg: „Vir nobilis Hugo de 
St. Aldemaro, Tyberiadensium do- 
minus, inter civitatem suam et 
Tyrum in montibus excelsis urbi 


Tyrensi praeeminentibus ad decem 


miliaria castrum munitissimum di- 
ctum Toronum aedificavit, ut inde 
Tyrenses quasi e vicino amplius 


coarctare posset et molestare et 


eorum subsequentium impetus de- 
clinare; est autem inter mare et 
Libani montem quasi in medio 
constitutum, arboribus et vineis 
et agriculturae commodissimum.““ 
Die Erbauung geſchah nicht lange 
vor der Eroberung von Tyrus, alſo 
vor dem Jahre 1124. (Vgl. Geſch. 
der Kreuzz. Th. II. S. 501 folg.) Nach 
Arnold von Lübeck: „locus ille prae- 
ruptus erat nimis et inaccessibilis.““ 
Oliverius Scholaſticus (S. 1391) 
nennt dieſe Burg: Turonem castrum 
munitissimum in terra Zabulon et 
Naphtalim. Wahrſcheinlich iſt der 
auf der Arrowſmith'ſchen Charte 
von Syrien ſich findende Ort Tiron 
einerley mit Toron. 

79) Am erſten Safar des Jahrs d. 
H. 594. Ebn al Athir a. a. O., wo 
unrichtig 593 gedruckt worden iſt. 

80) Raumer, Geſch. der Hohenſtaufen 


Belagerung von Toron. 43 


9190 Ruͤckkehr in ihr Vaterland, indem der Eine bon de 
den Verwirrungen, welche damals von der Erledigung 
des deutſchen Throns unzertrennlich waren, Gefaͤhrdung 
ſeines Eigenthums oder ſeiner Lehen beſorgte; ein Anderer 
die Erfuͤllung ehrgeiziger Hoffnungen ſich verſprach; andere 
wenigſtens dem Geluͤbde, welchem ſie damals ſich geweiht 
hatten, die Ruͤckſicht auf die Vortheile der Partey, wel— 
cher ſie angehoͤrten, vorzogen, und keinem von ihnen der 
Ausgang der Wahlverhandlungen in Deutſchland gleichs 
guͤltig war. Diejenigen, welche zwar dem Hauſe der 
Hohenſtaufen eifrigſt ergeben, doch es fuͤr unvertraͤglich 
mit der Ehre der deutſchen Ritterſchaft achteten, daß die 
Kreuzfahrt ſchon damals für beendet erklaͤrt würde, und 
den Vorwurf der Unbeſtaͤndigkeit fuͤrchteten *) hatten nur 
dadurch die Gemuͤther einigermaßen beruhigt, daß ſie den 
gemeinſamen Beſchluß der Pilgerfuͤrſten bewirkten, keinen 
andern fuͤr ihren Koͤnig anzunehmen, als Friedrich, den 
Sohn des verſtorbenen Kaiſers Heinrich 82). Viele Pilger 
fanden es hoͤchſt aͤrgerlich, daß von der Eroberung der 
heiligen Stadt Jeruſalem gar nicht die Rede war; ſon— 
dern dagegen die eigennuͤtzigen Abſichten der gewinnſuͤch— 
tigen Pullanen befoͤrdert wurden, welchen der Beſitz der 
Staͤdte und Burgen an der Seekuͤſte, ſowohl wegen des 


Th. 3. S. 72. Nach Albert von Stade 
(a. a. O.), Hugo Plagon und Bern— 
ardus Theſaurarius erfuhren die 
Deutſchen den Tod des Kaiſers erſt 
während der Belagerung von Toron. 
81) Welchen der Papſt Innocenz III. 
ihnen gleichwohl hernach machte, in: 
dem er an den Erzbiſchof von Nar— 
bonne ſchrieb (Ep. Lib. I. Ep. 356): 
„Verum Teuthonici, rumoribus de 
morte Imperatoris acceptis, non 
exspectato passagii tempore, naves 


reduces ascenderunt.“ Dieſelben 
Worte wiederholt Innocenz in einem 
Schreiben an den König Philipp von 
Frankreich (Rymer foedera, Hag. 
Comitum 1745 fol. T. I. P. I. p. 32) 
und auf ähnliche Weiſe drückt er ſich 
über die frühzeitige Rückkehr der 
Deutſchen aus in Briefen an die ge— 
ſammte franzöſiſche und engliſche Geiſt⸗ 
lichkeit (Ep. Lib. I. Ep. 346. Roger. 
de Hov. fol. 447 B). 
82) Arnold, Lubec, p. 706, 707. 


4 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I. 


I, Handels als der groͤßern Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit 
des Kuͤſtenlandes, wichtiger ſchien, als der Beſitz von 
Jeruſalem, wo nur die Froͤmmigkeit andaͤchtiger Pilger 
Genuß und Befriedigung fand 88). 


Die Burg Toron lag auf einem hohen und ſteilen, 
faſt unzugaͤnglichen Berge, welcher faſt in der Mitte der 
an Wein, Getreide und Fruͤchten reichen Gegend ſich er—⸗ 
hebt, welche von dem Libanon an der einen und dem 
Meere an der andern Seite eingeſchloſſen wird; fuͤr 
Tyrus war die Naͤhe dieſer Burg, welche das ganze nahe 
liegende Land beherrſchte, ſo lange fie im feindlichen Bes 
ſitze war, hoͤchſt laͤſtig. Hugo von St. Omer, Herr von 
Tiberias, die Vortheile der Lage dieſes Berges wohl erz 
kennend, hatte zur Zeit des Koͤnigs Balduin des Andern, 
bevor Tyrus den Unglaͤubigen abgewonnen war, auf dem— 
ſelben dieſe treffliche Burg erbaut, und die Burgmaͤnner, 
welchen die Beſchirmung derſelben war uͤbertragen worden, 
hatten den Tuͤrken oftmals großen Schaden zugefuͤgt, bis 
fie nach der Schlacht bey Hittin, zugleich mit vielen an; 
dern von den Chriſten auf den Hoͤhen des Libanon er— 
bauten Veſten, in die Gewalt Saladin's fiel. 


Die Belagerung der Burg wurde, ungeachtet der 
Unluſt, welche der meiſten Pilger ſich bemaͤchtigt hatte, 
eben ſo raſch als kuͤhn begonnen; und der Herzog von 
Brabant, Feldherr des Heeres, traf die zweckmaͤßigſten 
Anordnungen. Nachdem jedem Fuͤrſten fuͤr ſich und ſeine 
Schar der Lagerplatz war angewieſen worden, ſo wurde das 


83) „Nam quae sua sunt, non quae pulcrumque Domini parvi penden- 
Jesu Christi quaerentes, regionem tes: idcegue tanto tempore tantis 
maritimam, quae fertilissima est exercitibus parum proficientibus, 
propter rerum ubertatem, tantum Jerusalem conculcatur a gentibus.““ 
obtinere delectantur, Jerusalem se- Otton, de St. Blasio Chron. c. 42. 


Belagerung von Toron. 45 


Lager durch Wall und Graben hinlaͤnglich befeſtigt; und, 


J. Chr. 
1197. 


da es unmöglich war, Mauerbrecher und andere Belag 


rungsmaſchinen an die, auf einer ſteilen Höhe liegende, 
Burg zu bringen, ſo wurde die Untergrabung derſelben 
begonnen; wobey die ſaͤchſiſchen Pilger, welchen aus den 
Gruben des Rammelsberges bey Goslar ſolche muͤhevolle 
und ſchwierige Arbeit nicht unbekannt war, beſonders 
treffliche Dienſte leiſteten 82). Weil Malek al Adel die 
Kreuzfahrer in ihren Unternehmungen nicht ſtoͤrte, ſo 
ſchien die Belagerung einen gluͤcklichen Ausgang zu vers 
heißen. Wiewohl die Belagerten es nicht unterließen, 
die Untergrabungen der Chriſten zu ſtoͤren, ſo viel ſie es 
vermochten, ſo gewannen ſie doch durch ihre Vorkehrun— 
gen keinen Vortheil über die Geſchicklichkeit und Beharr⸗ 
lichkeit der chriſtlichen Werkleute; Ausfaͤlle aber machte 
ihnen die Wachſamkeit der chriſtlichen Ritterſchaft un⸗ 
moͤglich. Erſt vier Wochen waren ſeit dem Anfange der 
Belagerung verfloſſen, als ſchon die unterirdiſchen Werke 
der Belagerer den Grundbau der Burg beruͤhrten; und 
da das Holzwerk, welches ihnen zur Stuͤtze gegeben war, 
zu rechter Zeit und an den geeigneten Stellen durch 
Feuer zerſtoͤrt wurde, ſo ſtuͤrzte die Mauer ein an meh— 
reren Orten; und die Beſatzung der Burg wurde da— 
durch in Angſt und Verzweiflung gebracht s). 


84) „Fuerunt sane ibi nonnulli 
de Saxonia, quibus erat notum, 
qua arte excavatur mons argenta- 
zius, qui apud Goslariam multis 
est cognitus,‘ Arnold, Lub. Lib. v. 
c. 4. p. 707. Daß dieſe Pilger wirf: 
liche Bergleute waren, läßt ſich aus 
dieſen Worten nicht ſchließen. Das 
Untergraben der Burg war indeß den 
Muſelmännern keine ſo unbekannte 


und überraſchende Erſcheinung, als 
Arnold von Lübeck glaubt; denn es 
war bey der Belagerung von Ptole— 
mais und andern Belagerungen ſchon 
in Anwendung gebracht worden. 

85) Arnold. Lubec. p. 707, 708. 
Oliver. Schol. p. 1395. Ebn al Athir 
S. 834: „Quand les musulmans 
virent les breches faites au chateau, 
ils demanderent à capitules,“ 


46 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


Jeb Die Waffenruhe aber, welche den Fortſchritt dieſer 

a Werke ſo ſehr beguͤnſtigte, naͤhrte und ſtaͤrkte nicht weni— 
ger die Zwietracht, welche ſchon laͤngſt in dem Heere der 
Pilger herrſchte und auf die aͤrgerlichſte Weiſe ſich offen 
barte, ſobald Unterhandlungen mit der Beſatzung von 
Toron begannen. Mit dieſen e berhlelt 
es ſich auf folgende Weiſe. 

Eines Tages riefen die Tuͤrken von der Mauer den 
chriſtlichen Wachtpoſten zu, daß ſie wuͤnſchten, mit ihnen 
zu reden, und als die Waͤchter herankamen, ſprachen die 
Tuͤrken: „beantwortet uns, was wir in redlicher Abſicht 
von euch fragen; wer iſt euer Herr, und weſſen iſt das 
Kriegslager, welches wir erblicken?“ Die Chriſten erwie⸗ 
derten: „das Kriegslager, welches ihr ſehet, iſt das 
Kriegslager des Pfalzgrafen Heinrich, und wir ſind deſſen 
Knechte.“ Hierauf eroͤffneten ihnen die Tuͤrken, daß ſie 
wuͤnſchten, mit dem Pfalzgrafen zu reden, weil ſie nicht 
abgeneigt waͤren, unter billigen Bedingungen den Chriſten 
die Burg zu uͤbergeben. Dieſelbe Abſicht thaten ſie auch 
dem Pfalzgrafen kund, als dieſer bald hernach heranfam, 
und baten ihn zugleich, daß er Abgeordneten aus ihrer 
Mitte Gehör im Kriegsrathe der chriſtlichen Fuͤrſten vers. 
ſchaffen moͤchte, welches er ihnen auch zuſagte. Hierauf 
beſtimmte Herzog Heinrich von Brabant, welchem der 
Pfalzgraf das Anſuchen der Tuͤrken vortrug, die Zeit, 
in welcher ihre Antraͤge gehoͤrt werden ſollten. Es er— 
ſchienen dann ſieben tuͤrkiſche Hauptleute und brachten 
folgende Bedingungen in Vorſchlag: die Burg ſollte den 
Chriſten uͤbergeben und der tuͤrkiſchen Beſatzung der freye 
Auszug geſtattet werden, jedoch keinem der ausziehenden 
Muſelmaͤnner erlaubt ſeyn, etwas Anderes als die noth— 
duͤrftigſte Kleidung mit ſich zu nehmen; wer edles Metall, 


Belagerung von Torom hl ch 


Edelſteine, kostbare Kleidung oder irgend etwas Anderes 3, a 
mit ſich zu nehmen verſuchen würde, follte das Leben vers 
wirkt haben; die ſieben Abgeordneten ſollten Gefangene 
der Chriſten ſeyn und gegen chriſtliche Gefangene, welche 
noch in der Gewalt der Muſelmaͤnner ſich befaͤnden 8), 
ausgewechſelt werden. Dieſer Antrag gefiel den anweſen— 
den chriſtlichen Fuͤrſten ſehr wohl, und es wurde beſchloſ— 
ſen, den Kanzler Conrad, welcher nicht gegenwaͤrtig war, 
um Genehmigung der vorgeſchlagenen Bedingungen zu er⸗ 
ſuchen; der Kanzler aber entſchuldigte ſich mit Unpaͤßlich⸗ 
keit. Dadurch wurde zwar die Annahme des Antrages 
der Muſelmaͤnner nicht gehindert; als aber im Lager der 
Gang der Verhandlungen ruchtbar wurde, ſo fehlte es 
nicht an ſolchen, welche daruͤber murrten und ihre Un— 
zufriedenheit auch Andern mittheilten. Denn, ſprachen 
fie, da die Mauern ſchon untergraben worden find, wars 
um werfen wir nicht die ganze Burg nieder und ſchrecken 
dadurch die Heidenſchaft ſo, daß Allen die Ohren klingen 
und Niemand mehr uns zu widerſtehen wage! 


Die Pilgerfuͤrſten beachteten indeß dieſe Rede nicht, 
welche keinen andern Grund hatte als nur die Sucht, 
dasjenige zu tadeln, was von Andern geſchehen war; und 
der Graf Adolf von Schaumburg fuͤhrte die Abgeordneten 
der Beſatzung, um ſie in ihrer Furcht vor den chriſtlichen 
Belagerungsanſtalten zu erhalten, und ſie zu beſtaͤrken in 
dem Entſchluſſe, die Burg den Chriſten zu übergeben 8), 


86) „Defensores castrum dedere 
volebant sub pactione vitae et re- 
stitutione quingentorum captivo- 
rum.“ Oliv. Schol. I. c. 

87) Was Arnold von Lübeck (S. 70g) 
alſo ausdrückt: „Comes Adolfus, 
tersere volens animos adversario- 


rum, ipsos, qui haec inter princi- 
pes loquebantur, ad fossata dedu- 
cebat, ut plenarie perspicerent, 
quae parata eis supplicia immine- 
rent.“ Arnold von Lübeck theilt aus⸗ 
führlich die Reden mit, welche dieſe 
Abgeordneten an die Fürſten gehalten, 


48 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I. 


Zig; in dem Lager umher und zeigte ihnen deſſen Verſchan— 
zungen. Ploͤtzlich aber griffen die Unzufriedenen zu den 
Waffen, und fingen an, mit Baliſten und anderem Bela; 
gerungszeuge die Burg zu beſtuͤrmen, fanden aber hefs 
tigen Widerſtand, indem die Belagerten mit Pfeilen und 

Steinen manche der ungeſtuͤmen Pilger verwundeten oder 
toͤdteten. Den Fuͤrſten gelang es nur durch muͤhſame 
Anſtrengung, durch Bitten, Ermahnungen und Drohun— 
gen, dem unbeſonnenen Kampfe ein Ende zu machen; 
worauf die Unterhandlungen mit den Abgeordneten der 
Beſatzung von Neuem begannen, und erſt nach mehrern 
Tagen der Vertrag zu Stande kam, unter der Bedingung, 

daß einige der Abgeordneten bis zur Erfuͤllung der von 
ihnen uͤbernommenen Verbindlichkeiten als Geiſel in der 
Gewalt der Chriſten zuruͤckbleiben ſollten. Nachdem dieſe 
Bedingung war angenommen worden, ſo gab endlich der 
Kanzler Conrad zu dem Vertrage feine Zuſtimmung 8). 
Diejenigen Pilger, welche aus Neid oder durch den 
Geiſt des Widerſpruchs getrieben, dieſen Vertrag mißs 
billigten und die Unterhandlungen ſo viel als moͤglich 
erſchwert hatten, wurden aber durch jene Bedingung 
noch nicht befriedigt und unterließen es auch fernerhin 
nicht, der, Erfüllung des Vertrages entgegen zu wirken; 
und die ſyriſchen Franken, ſo wichtig auch fuͤr ſie der 
Beſitz von Toron geweſen waͤre, unterdruͤckten, zu eigenem 
Schaden, ihren Widerwillen gegen die fremden Pilger 


und worin ſie beſonders an die Liebe, 
welche das Chriſtenthum gebietet, er⸗ 
innert haben ſollen; daß dieſe Reden 
aber bloß rhetoriſche Verſuche des 
Schriftſtellers ohne beſtimmte hiſtori⸗ 
ſche Grundlage ſind, dieſes unterliegt 
keinem Zweifel. 

88) Arnold von Lübeck (S. 709) 


ſagt: „hoc dispensante Cancellario.“ 
Conrad ſcheint auch zu denen gehört 
zu haben, welche mit den Unterhand: 
lungen, wenigſtens anfangs, unzu— 
frieden waren. Oliverius Scholafti: 
cus erzählt dieſe Begebenheiten ſehr 
unvollſtändig und unklar. 


Belagerung von Toron. 9 0 


nicht einmal ſo welt, daß ſie der heimlichen Aufwiegelung 


der Muſelmaͤnner gegen das Heer der Pilger ſich enthiel— 
ten. „Trauet nicht dem Kanzler,“ ſprach nach glaubwuͤr— 
diger Nachricht 8) ein ſyriſcher Franke zu den Abgeord— 
neten der Beſatzung, während fie ſich im Lager der Pilger 
befanden, „denn ſobald ihr ihm die Burg werdet übers 
liefert haben, ſo wird er euch in Feſſeln legen und toͤdten.“ 

Auf ſolche Weiſe vereitelten die Chriſten ſelbſt den 
Erfolg dieſer Unterhandlungen. Denn als die muſel⸗ 
maͤnniſchen Abgeordneten, fo viele ihrer wieder zurück 
kehrten, wiewohl ſie, ihrer den chriſtlichen Fuͤrſten gege⸗ 
benen Zuſage gemaͤß, zur Uebergabe der Burg riethen, 
gleichwohl die Uneinigkeit nicht verſchwiegen, welche fie 
im Lager der Pilger bemerkt hatten: fo faßten die Vers 
theidiger von Toron wieder Muth und beſchloſſen, die 
Geißeln, welche in der Gewalt der Chrlſten ſich befanden, 
ihrem Schlckſale zu uͤberlaſſen, und die Vertheidigung 
der Burg fortzuſetzen ?). In den Gemüthern derjenigen, 
welche die Unterhandlungen mit den Unglaͤubigen betrle— 
ben und mit Sicherheit gehofft hatten, daß der Befig 
von Toron auch die Wiedererwerbung von Beaufort und 
anderen benachbarten wichtigen Burgen zur Folge haben 
wuͤrde, erregte dieſe Vereitelung ihrer Bemuͤhungen und 
Hoffnungen den heftigſten Verdruß. 

Aus dieſer Uneinigkeit der Pilger, welche durch dle 
Verſchledenheit der Anſichten uͤber die Unterhandlungen 
mit der Beſatzung von Toron neue Staͤrke gewonnen 
hatte, entwickelten ſich, als die Belagerung wieder bes 


80) Ebn al Athir a. a. O. tes, sive Babyloniorum adventum 

90) Arnold, Lubec, I. c. cap. 5. audientes Sarraceni, relictis obei- 
p. 709. Ebn al Athir a. a. O. „sive dibus, mutaverunt coneilium, ** 
severitatem Teutonicorum metuen- Oliv. Schol. I. c. 


V. Band. D 


J. Chr. 


14194 


J. Chr. 
1198. 


_ 


50 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. I. 


Ac, gonnen werden mußte, bald die verderblichſten Folgen; 
fo daß Alles verloren wurde, was bis dahin durch bes 
wundernswuͤrdige Kunſt und faſt unglaubliche Anſtrengung 
war errungen worden, und die Kreuzfahrt, welche mit 
großen Erwartungen und nicht ohne Glanz begonnen hatte, 
auf eine Weiſe ein Ende nahm, welche unter andern Ums 
ſtaͤnden unbegreiflich ſeyn wuͤrde. Die Kreuzfahrer ſetzten 
zwar mancherley Maſchinen in Bewegung; aber deren 
Wirkung, da die ſteile Lage der Burg ihre Aufſtellung 
ſehr erſchwerte, war von geringer Bedeutung, und der 
Groll, welchen die Pilger wider einander ſelbſt trugen, 
hinderte jede ruhige Berathung und Vereinigung fuͤr 
zweckmaͤßigere Unternehmungen, und bewirkte uͤberhaupt 
Fahrlaͤſſigkeit und Unachtſamkeit. So geſchah es, daß 
den Belagerten es gelang, die Verſchanzung des chriſt— 
lichen Lagers zu zerſtoͤren, mehrere der chriſtlichen Streiter 
in dem Graben durch Schwert und Feuer zu toͤdten, und 
andere gefangen zu nehmen, deren Koͤpfe hernach durch die 
Wurfmaſchinen der Belagerten von der Mauer in das 
chriſtliche Lager geſchleudert wurden. Nach der gewoͤhn— 
lichen Weiſe dieſes Zeitalters betrachtete man dieſes Un⸗ 
gluͤck als goͤttliche Strafe der Ruchloſigkeit, welche auch 
unter dieſe Pilger gekommen war, beſonders ihrer Aus— 
ſchweifungen in der Wolluſt, wozu die Weiber ſich miß⸗ 
brauchen ließen, welche unter dem Vorwande, die noth— 
wendige Bedienung der Pilger zu beſorgen, in das Lager 
gekommen waren; man klagte uͤber die Selbſtſucht, den 
Uebermuth und die Unvertraͤglichkeit der Pilger, welche, 
obgleich fie gern Knechte des Heilandes ) ſich nennen 
ließen, ſich gleichwohl nicht beſtrebten, durch ihren Wandel 


gi) Servi Christi. Arnold. Lubec. p. 706. 


51 


dieſen Namen zu berdlenen; aber dieſe Klagen bewirkten 
keine Beſſerung 5). f 


Die Belagerung wurde indeß furtgeſett; und, da 
die Lebensmittel den Belagerern zu mangeln anfingen, ſo 
ward es nothwendig / einen großen Theil des Heers nach 
Tyrus zu ſenden, um mit hinlaͤnglicher Sicherheit neue 
. Vorräthe zu holen 50. Mittlerweile aber verbreitete ſich 
die Nachricht, daß Malek al Adel im Anzuge ſey, um 
Toron zu entſetzen; Malek al Aſis, der Sultan von Ae— 
gypten „war mit feinen Truppen nach Asfalon gekommen, 
und hatte bald hernach mit dem Heere ſeines Oheims, 
N Malek al Adel, ſich vereinigt 54), und die Chriſten bes 
f ſorgten daher mit Recht große Gefahr. Um deſto groͤßer 
und allgemeiner war daher die Freude, als im Lager des 
Kanzlers Conrad unter dem Schalle von Trompeten kund 
gethan wurde, daß die Caravane aus Tyrus wohlbehalten 
zurückgekommen ware. Es wurde hierauf am Tage vor 
dem Feſte Maria Reinigung °°) ein Kriegsrath gehalten 


Belagerung von Toron. 


n 0 74 190. 
92) Unter den heftigen Vorwürfen, fen gekommen, welche ihnen nicht 


welche Arnold von Lübeck dieſen 


Kreuzfahrern wegen ihres Betragens 
während der Belagerung von Toron 


macht, kommt auch folgende Aeuße⸗ 


rung vor: „Quanti,illic specie recti 
decipiebantur, qui, navium sua- 
rum pretio ditati, plus avaritiae 
quam Christi militiae studebant!“ 
Es ſcheint aber ſehr unwahrſcheinlich 
zu ſeyn, daß von den Pilgern viele 
der Schiffe, auf welchen ſie nach 
Syrien gekommen waren, verkauft 
wurden; es mag indeß von einem 
Theile der Pilger, welche durch die 
Meerenge von Gibraltar gekommen 
waren, geſchehen ſeyn. Die übrigen 
Pilger waren auf italieniſchen Schif⸗ 


gehörten. Arnold ſchließt feine Straf: 
predigt mit folgenden Worten: „Sed 
veniam peto: non enim, ut quem- 
quam confundam, haec scribo, sed 
dilectos in Christo moneo.““ 


93) „Propter timorem hostium, 
non paucorum fuit hae legatio, 
sed plurimorum ; dimidiabant ergo 
exercitum, cum alii irent, qui 
carvani dicebantur, alii vero in 
excubiis remanerent. “ Arnold, 
Lub. p. 709. 


94) Ebn al Athir a. a. O. 


95) „In vigilia purificationis b. 
Mariae virginis,* Arnold, Tubes. 
Oliv. Schol. I. c. 


D 2 


J. Chr. 


1198. 


1. Febr · 


J Chr 


52 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I. 


1108. und beſchloſſen, an dem folgenden feſtlichen Tage einen 


allgemeinen Sturm gegen die Burg zu unternehmen, um 
dieſelbe vor der Ankunft des feindlichen Heeres zu übers 
waͤltigen; worauf ſogleich im Lager bekannt gemacht 2212 
daß alle fuͤr den folgenden Tag zum Kampfe ſich berei en 
ſollten. Wenn wir den Nachrichten glauben durfen vo, 
welche über diefe, Begebenheit ten uns überliefert worden 
ſind: ſo erregte dieſe Kundmachung große Freude; und 
ſelbſt die Eintracht kehrte wieder unter di e Pilger zuruck, 
ſo daß ſie ſich einander gegenfeitig ermahnten, in dem 
bevorſtehenden entſcheidenden Kampfe für Chriſtum ent 
weder zu fiegen, oder zu ſterben. In dieſer Stimmung 
aber wurden die Pilger von der unerwarteten Nachricht 
uͤberraſcht / daß die Dienerſchaft des Kanzlers Conrad und 
der andern Fuͤrſten mit deren ganzem Gepaͤcke auf dem 
Wege nach Tyrus abgezogen ſey. Dieſem Beyſpiele fol 
gend, luden ſogleich alle übrigen pilger ihr Gepaͤck auf 
die Laſtthiere und eilten zu Fuß und zu Pferde den Abs 
ziehenden nach, indem ſie das Lager in ſolcher Eile und 
Verwirrung verließen, daß nicht nur viele ihr Gepaͤck 
verloren, ſondern auch die Kranken und Verwundeten zu 
ruͤckgelaſſen wurden; und ein heftiges, mit gewaltigem 
Sturm, Hagel und Regen begleitetes Gewitter vermehrte 
die Aengſtlichkeit der Pilger auf dieſer ſchimpflichen 
Flucht ??). Auf ſolche unbeſonnene Weiſe hob das chriſt⸗ 


6) Bey Arnold von Lübeck, dem 
einzigen Geſchichtſchreiber, welcher 
mit einiger Ausführlichkeit von die⸗ 
ſem Kreuzzuge berichtet; denn der 
ſpätere, erſt dem funfzehnten Jahr⸗ 
hunderte angehörige Mönch Corner 
hat ſeines Landsmannes Arnold Er⸗ 
zählung meiſtentheils nur abge⸗ 
ſchrieben. 


97) Arnold. Lubec. p. 710. Vgl. 
Oliv. Schol. I. o. Von dieſem letz⸗ 
tern Schriftſteller wird die Furcht vor 
dem Heere der Ungläubigen, welches 
zum Entſatze anzog, als die einzige 
Urſache der ſchimpflichen Flucht des 
chriſtlichen Heeres angegeben. Was 
er aber ſich gedacht habe, bey der 
hinzugefügten Nachricht, daß die 


RNuͤckkehr der deutſchen. Pilger. 


liche Heer die Belagerung von Roron auf, welche ſaſt © 
zwey Monate gewahrt hatte ?°). ö 


Im folgenden Märzmonate ſchifften die Pilgerfürften 
mit dem ‚größten Theile ihres Gefolges, theils zu Ptole⸗ 
mais, theils zu Tyrus ſich ein, um in ihr Vaterland zuruͤck⸗ 
zukehren, nachdem ſie unter die duͤrftigen Pilger, welche in 
Syrien zurückblieben, die Waffen und Lebensmittel, deren 
fie ſelbſt nicht mehr bedurften, vertheilt hatten. Der 
Erzbiſchof Conrad von Mainz, die Biſchöfe von Verden 
und paſſau, der Herzog Friedrich von Oeſtreich und eis 
nige wenige andere angeſehene Pilger blieben noch im 
Morgenlande zuruͤck; und der Erzbiſchof von Mainz, 
welcher an der Belagerung von Toron keinen Antheil 
genommen hatte, beſchäftigte fi, eifrigſt mit der Ord⸗ 
nung der Verhaͤltniſſe des Fuͤrſten von Antiochien zu dem 
Koͤnige von Armenien, und kroͤnte auch den Koͤnig von 
Armenien, nachdem dieſer den roͤmiſchen Kaiſer als ſeinen 
Oberherrn anerkannt hatte. Der Erzbiſchof hatte, als 
die Fuͤrſten noch zu Berytus ſich aufhielten, dieſen Auf 


53 


Saracenen in derſelben Nacht auf et: 
nem andern Wege flohen, iſt nicht 
einzuſehen; denn die Burg Toron 
wurde unter den damaligen Umſtän⸗ 
deu ſicherlich nicht verlaſſen. In der 
von Johann Herold verfaßten Fort 
ſetzung der Geſchichte des Wilhelm von 
Tyrus (Basil. 1560. fol. p. 79) wird 
behauptet, daß die Nachricht von 
dem Angriffe des Malek al Adel auf 
Berytus die Aufhebung der Belage— 
rung von Toron veranlaßt habe; auch 
wird daſelbſt erzählt, daß den Chri- 
ſten, da fie von Toron abzogen, die 
Beſatzung von Berytus begegnet ſey, 
welche die ſchlimme Botſchaft brachte, 
daß jene Stadt in die Gewalt der 


ungläubigen gefallen und von ihnen 
zerſtört worden ſey. Wir wiſſen nicht, 
aus welchen Quellen Johann Herold 
dieſe Nachrichten geſchöpft hat. 

98) Vom 11. December 1197 bis zum 
x. Februar 1198. Nach der Stelle des 
Dito von St. Blaſien Kap. 42: „Sed 
ut ad digressa redeamus“ eto hat es 
den Anſchein, als ob nach der Aufs 
hebung der Belagerung von Toron 
noch Kämpfe der Pilger wider die 
Ungläubigen Statt gefunden haben; 
ich zweiſte aber nicht, daß dieſe Nach: 
richt auf die Zeit des erſten Aufent⸗ 
halts der Pilger zu Ptolemais vor 
dem Zuge gegen Berytus ſich be: 
zieht. 


J. Chr. 


1108. 


„* 


4 


54 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


Chr. 
3 


trag übernommen, welchen der Kanzler Conrad eigentlich 
vollziehen ſollte, und begab ſich nunmehr von Berytus 
unmittelbar nach Antiochien und Armenien 0), und kam, | 
weil er auf der Rückkehr in Italien und beſonders zu 
Rom einige Zeit fi ich aufhielt, nicht ohne Wirkſamkeit 
fuͤr die Angelegenheiten des heiligen Landes, erſt im 
J. 1200 wieder in ſein Erzſtift, wo er bald hernach um 
ter eifrigen Bemühungen, 7 die Deutſchen zu einer neuen 
Kreuzfahrt zu bewegen, ſein Leben endigte 100). Der Her⸗ 
zog Frledeich von Oeſt reich aber ſtarb noch im gelobten 
Lande am 16. April 1198, mitten unter den Vorbereitun⸗ 


gen zur a in 15 Vaterland, AB. einer e 


BEN Arnold. Lubec. I. c. Von der 
durch den Erzbiſchof von Mainz ge⸗ 


ſchehenen Krönung des Königs von, 


Armenien gab der Katholicus von 
Armenien dem Papſte Innocenz III. 
Nachricht 
Lib. IL. ep. 217): „Novexitis, Do- 
mine, quod ad nos venit nobilis, 
sapiens et sublimis Archiepiscopus 
Maguntinus, qui nobis attulit ex 
parte Dei et ex parte sublimitatis 
Ecclesiae Bomanae et ex parte ma- 
gni Imperatoris Romanorum, su- 
blimem coronam, et coronavit Re- 
gem nostrum Leonem,:et nobisred- 
didit coronam, quam nos perdidi- 
mus a longo tempore, unde nos 
fuimus elongati a vobis, et nos 
recepimus eam libenter et cum 
magno gaudio, et inclinamus et 


‘regratiamus Deo, et sanctae Roma - 


nae Ecclesiae et alto Imperatori 
Nnomanorum.“ Man erfährt übri⸗ 
gens aus dem Fortgange dieſes Brie⸗ 
fes, ſo wie aus einem Schreiben des 
Königs Leo ſelbſt an den Papſt (vom 
53. Mai 1109. Lib. II. ep. 219), die 


(Epist. Innocentii III. 


e welche den liefen 
König und deſſen Geiſtlichkeit zu fo 
großer Ehrerbietung bewogen gegen 
die römiſche Kirche, daß der Katholi⸗ 
cus dieſelbe als Mutter aller Kirchen 
anerkannte (quae est mater omnium 
Ecclesiarum) und im Namen der 
ganzen armeniſchen Geistlichkeit ihr 
allen Gehorſam verſprach; die Ar⸗ 
menier bedurften nämlich des Bey: 
ſtandes der Abendländer, um gegen 
die Türken ſich zu behaupten. „Et 
nos vos rogamus,“ ſchreibt der Ka⸗ 
tholicus weiter, „ut oretis Deum 
Pro nobis, quia nos sumus in ore 
draconis et in medio inimicorum 
crucis, et inter eos, qui sunt natu- 
zaliter inimici nostri. Et nos vos 
rogamus per Deum, quatenus nobis 


mittatis tale adjutorium et tale con- 


silium, quod nos possimus conser- 
vare honorem Dei et Christianitatis 
et vestrum.““ 

100) Godefr. Mon. p. 365. Chro- 
nicon Admontense ad a. 1200. p. 194. 
Vgl. Gesta Innocentii III. ed, Balu- 
zius p. 7. 


Nüdkehr der deutſchen Pilger. 55 


Krankheit, im vier und zwanzigſten Jahre feines Al, I," 
een | 

Als die deutſchen Pilger, auf ihrer Rückkehr zum 
Theil von den Siciliern und Apuliern ausgeplündert “?), 
in ihre Heimath zuruͤckkamen, entſchuldigten fie den ſchlech⸗ 
ten Ausgang ihrer Kreuzfahrt damit, daß der Kanzler 
Conrad und einige andere Pilgerfuͤrſten von den Templern, 
welche fuͤr eine bedeutende Geldſumme bey den Unglaͤu— 
bigen die Verpflichtung uͤbernommen haben ſollten, den 
Unternehmungen der Kreuzfahrer entgegen zu wirken, durch 
Beſtechung zu der ſchimpflichen Aufhebung der Belagerung 
von Toron waͤren verleitet worden; indem ſie behaupteten, 
daß das Gold, welches die Templer von den Unglaͤubigen 
empfangen und zur Verfuͤhrung der Pilgerfuͤrſten zum 
Theil angewendet haͤtten, falſch und nichts anderes, als 
ſolches ſchlechtes, nur auf der Oberfläche vergoldetes Mes 


or) Als den Todestag des Herzogs 
Friedrich von Oeſtreich, welcher der 
Katholiſche genannt wird, giebt ein in 
der Abtey Heiligenkreuz bey Wien 
vorhandener Leichenſtein XVI Kal. 
Maji — 16. April an; eben ſo auch 
das Necrologium Mellicense und 
Claustro-Neoburgense; ſ. Martin 
Hergott Taphographia principum 
Austriae Pars I. Lib. I. cap. IV. p. 46. 
47. Dagegen ſetzt der Catalogus prin- 
cipum in Capitulo Crucis sepulto- 
rum (vgl. Annales Austrio- Clara- 
vallenses sive Zwetlenses Bernardi 
Linck T. I. p. 236) den Tod des 
Herzogs um Einen Tag früher, alſo 
XVII Kal. Maji — 13. April 1198. 


Eben ſo auch einige Chroniken. Vgl. 


Chron, Admont. und Ortilonis No- 
tulae (letztere in Hanthaler fastis 
Campililiensibus) ad a. 1798. Von 
den Pilgern, welche als Zeugen gegen⸗ 


wärtig waren, da Friedrich auf ſel⸗ 
nem Sterbebette die Abtey zum heili⸗ 
gen Kreuze zur Ruheſtätte im Tode 
erwählte und derſelden den ort 
Wegeldorf ſchenkte, werden genannt: 
Wolfger, Biſchof von Paſſau, Eber— 
hard, Graf von Dörenberg, Mein 
hard, Graf von Görz, Ulrich Graf 
von Epan und die Freyherren Conrad 
von Ahauſen und Rapoto von Stain. 
Vgl. den Brief Leopold des Siebenten 
an die Mönche vom heil. Kreuze in 
Hergott Monumentis austriacis. T. I. 
de Sigillia p. 205, und Calles Ann. 
austr. T. II. p. 160. 161. Walther von 
der Vogelweide (Ausg. von Lach⸗ 
mann S. 19, Vers 30) fagt vom 
Herzoge Friedrich: „dex an der sele 
genas uud im der lip exstaxp.““ Wo 
der Herzog ſtarb, ob zu Tyrus oder 
Ptolemais, wird nirgends geſagt. 
102) Alberti Stad. Chron. p. 298. 


56 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


2,86%. tall geweſen ſey 03), womit in der Zeit der Kreuzzuͤge 
dle Chriſten bey mehreren aͤhnlichen, nicht für fie ehren 
vollen Gelegenheiten von den Ungläubigen pigii gr 
wurden. ‚NY 

Außer einigen Reliquien, womit einer oder der an 
dere der ruͤckkehrenden Pilger ſeine heimathliche Kirche 
ſchmuͤckte «q, gewann Deutſchland von dieſer Wallfahrt 
eines großen Theils feiner tapferſten und edelſten Ritters 
ſchaft nichts anderes, als neue Beſtaͤtigung der Wahrneh⸗ 
mung, daß im gelobten Lande weder Vortheil noch Ehre 
zu gewinnen war, und den ſyriſchen Franken, den ſoge⸗ 
nannten Pullanen, die Stoͤrung des Friedens mit den 
Unglaͤubigen, welchen fie ihrerſeits durch jede Nachgie— 
bigkeit und Unterwerfung zu erhalten ſuchten, durch die 
Ankunft eines kampfluſtigen Pilgerheeres nichts weniger 
als erwuͤnſcht war. Daß aber der Widerwille der Pul⸗ 
lanen gegen fremde Pilger noch heftiger wurde als zuvor, 
war die nothwendige Folge der Unbeſonnenheit, Plan— 
loſigkeit und Unbeſtaͤndigkeit », welche die deutſchen 
Pilger auf dieſer Kreuzfahrt bewieſen hatten; und je 
weniger den damaligen deutſchen Pilgern es gelang, im 
gelobten Lande ſich ihren Glaubensgenoſſen angenehm und 
den Unglaͤubigen furchtbar zu machen: um fo mehr mußten 


103) Dieſe Erzählung, welche nur 

auf Argwohn und Vermuthung be⸗ 
ruhen mag, findet ſich in der Chronik 
des Otto von St. Blaſien. 
103) Der Erzbiſchof Heinrich von 
Bremen brachte von dieſer Wallfahrt, 
918 er über Venedig zurückkehrte, nach 
Bremen Reliquien der heillgen Anna 
und das Schwert, womit Petrus dem 
Malchus das Ohr abgehauen hatte. 
Aldertus Stad. l. o. 

105) Vgl. oben S. 22. Anm. zo. Ye 


berhaupt gefiehen die deutſchen Zeitbü⸗ 
cher es ein, daß dieſe Wallfahrt den 
Deutſchen mehr Schande als Ehre 
brachte. Das Chronicon Urspergen- 
se, nachdem es p. 304 die Namen 
einiger Fürſten, welche daran Theil 
nahmen, angeführt hat, fährt fort: 
„et plures alii, quos memorare non 
curo. Nulla est enim ambitio me- 
morandi, quos constat plurimos 
fuisse et nullos. Nihil valet, nisi 
subsequatur effeotus,“* 


Waffenſtillſtand mit den Muſelmännern. 57 


manche anmaßliche Verfuͤgungen ihrer Fuͤrſten, welche / age 
weil die Gewalt in ihren Haͤnden war, als Herrn des 
Landes ſchalten zu duͤrfen glaubten, die Unzufriedenheit 
und Gegenwirkungen derer erwecken, welche durch fruͤhern 
Beſitz ein begruͤndeteres Recht zu haben glaubten. Unter 
dieſen Umſtaͤnden wuͤrde der Herzog Heinrich von Bra— 
bant ſeiner zuverſichtlichen Zuſage, welche er nach der 
Eroberung von Berytus in einem Schreiben an den 
Erzbiſchof von Coͤln gab, daß er im Stande wäre, im ge⸗ 
lobten Lande Viele reichlich zu verſorgen , nicht leicht 
haben entſprechen koͤnnen; und die armen Deutſchen, 
welche, dadurch verleitet, es haͤtten unternehmen wollen, 
in einem Lande, wo Franzoſen und Italiener die Ober⸗ 
hand hatten, wenn kein deutſches Heer anweſend war, 
ihr Unterkommen zu ſuchen, wuͤrden ſicherlich bald Urſache 
gefunden haben, ihre Leichtglaͤubigkeit zu bereuen. Es 
ſcheint aber auch jene Zuſicherung des Herzogs von keiner 
erheblichen Wirkung in Deutſchland geweſen zu ſeyn; denn 
es wird uns von einer Wanderung deutſcher an edler 
nach Syrien nichts berichtet. 

Unmittelbar nach dem ſchimpflichen Abzuge der deut; 
ſchen Pilger von Toron knuͤpfte der Koͤnig Amalrich Un— 
terhandlungen wegen Erneuerung des Waffenſtillſtandes 
mit Malek al Adel und dem aͤgyptiſchen Sultan Malek 
al Aſis an; und, da Unruhen, welche in Aegypten von den 
dortigen Emirs angeſtiftet worden waren, die ſchleunige 
Ruͤckkehr des Sultans in fein Reich, noch vor Beendigung 
der Unterhandlungen, nothwendig machten, und Amalrich 
bei den Muſelmaͤnnern in der Achtung ſtand, daß er ein 


106) „Si qui etiam in terra pro: assignari faciemus,““ Godefr, Mon. 
missionis remanere voluerint, re- p. 362. 
ditus eis sufficientes in eadem terra 


58 Geſch. d. Kreuzz. B. VI. K. I. Waffenſtillſt. m. d. Mufelm. 


Ex ehr. perſtaͤndiger Mann waͤre, und den Frieden liebte, ſo kam 
der Waffenſtillſtand unter der für die Chriſten ſehr vor— 
theilhaften Bedingung zu Stande, daß die Stadt Bery— 
tus in ihrem Beſitze bleiben ſollte. “““) 

Die deutſchen Pilger, welche erſt nach der vuti 
lichen Beendigung des Kriegs wider die Unglaͤubigen 
nach dem gelobten Lande kamen, um ihr Geluͤbde zu er— 
fuͤllen, wie der Markgraf Otto von Brandenburg und 
andere 18), begnuͤgten ſich, die heiligen Oerter zu befus 
chen, zu welchen den Pilgern die Wallfahrt geſtattet war, 
und kehrten, nach vollbrachten Uebungen der Andacht, in 


Frieden zuruͤck in ihre Heimath. - 


107) Ebn al Athir S. 555. Nach 
Hugo Plagon S. 648 wurde auch 
der Beſitz von Gibelet den Chriſten 
in dem Waffenſtillſtande beſtätigt. 
Ueber die Dauer des Waffenſtillſtan— 
des ſind die Nachrichten verſchieden. 
Nach abendländiſchen Nachrichten 
wurde er für ſechs Jahre geſchloſſen 
(Roger. de Hov. fol. 466 B. nach 
Albert von Stade p. 298 auf ſechs 
Jahre, ſechs Monate und ſechs Tage); 
auf fünf Jahre und acht Monate nach 
der Erzählung der handſchriftlichen 
Fortſeßzung der Chronik des Abu 
Schamah oder Schahabeddin, deren 
Nachricht von den letzten Begebenhei⸗ 
ten dieſer Kreuzfahrt ich in wörtli⸗ 
cher Ueberſetzung mittheite: „Im 
Jahre 594 zogen die Franken gegen 
Thebnin, worauf Malek al Adel den 
Kadi Mohideddin Ebn as Saki zum 
Malek al Aſis nach Aegypten ſandte, 
um Hülfe zu begehren; und Malek 
al Aſis ſchickte nicht nur ſein Heer, 


ſondern kam auch ſelbſt. Die Fran⸗ 
ken aber, als ſie die Stärke der Scha⸗ 
ren des Islam erfuhren, zogen ab, 
ohne ihre Abſicht erreicht zu haben, 
nachdem ſie die Burg zwei Monate 
und ſieben Tage mit großer Begierde, 
ihrer ſich zu bemächtigen, belagert 
hatten. Malek al Aſis kehrte hierauf 
zurück nach Aegypten, und Malek al 
Adel nach Damaskus, nachdem der 
Waffenſtillſtand mit den Franken zu 
Stande gekommen war auf fünf 
Jahre und ſechs Monde, anfangend 
vom 14 Schaban 594. (31. Jun. 1198).“ 


108) Pulkawae Chronicon (in Do- 
bneri Monumentis historicis Boe- 
miae T. III.) ad a. 1200 p. 204. Der 
Markgraf Otto, welcher früher von 
feinem Gelübde war entbunden worden 
(ogl. oben S. 17), unternahm die Wall⸗ 
fahrt nach dem gelobten Lande aus 
dem ſonderbaren Grunde, weil ſeine 
Gemahlin ihm keine Kinder gebar. 


59 


zwepntes Kapitel. 


7 


Der unruͤhmliche Ausgang der deutſchen Kreuzfahrt ber- J. 100 
minderte bey den chriſtlichen Voͤlkern des Abendlandes 
die Theilnahme an dem Schickſale des gelobten Landes; 
obwohl die Betrachtung id aufdraͤngte, daß die deutſchen 
Wallfahrer ſich ſelbſt die Schuld des Mißlingens ihrer 
Unternehmungen beizumeſſen Hätten, Auch waren in allen 
den Ländern, wo bisher der Eifer für das heilige Land 
am lebendigſten geweſen war, die Fuͤrſten und Ritter 
durch vielfältige andere Händel beſchaͤftigt. In Deutſch—⸗ 
land kaͤmpften, nach dem Tode des Kaiſers Heinrich, 
Philipp von Hohenſtaͤufen und Otto von Braunſchweig 
um den Thron; und die Fuͤrſten dachten nur darauf, in 
ſolcher Verwirrung des Reichs fuͤr ſich oder ihre Partey 
ſo viel als moͤglich zu gewinnen. Die Waffen der eng— 
liſchen und franzoͤſiſchen Ritter wurden durch den Krieg 
in Anſpruch genommen, welchen die Koͤnige Richard und 
Philipp Auguſt ſeit ihrer Ruͤckkehr aus dem gelobten 
Lande wider einander mit großer Erbitterung fuͤhrten. 
Unter ſolchen unguͤnſtigen Umſtaänden aber wurden die 
Angelegenheiten des heiligen Landes ein Hauptgegenſtand 
der Thaͤtigkeit des Oberhauptes der Kirche. 

In derſelben Zeit, in welcher die deutſchen Kreuz— 
fahrer die Burg Toron belagerten, naͤmlich im Anfange 
des Jahres 1198, war der hochbetagte Papſt Coͤleſtin der 
Dritte geſtorben *), und der Cardinal Lothar, Sohn des 
Grafen Traſimund von Segni und der Claricia, einer 


1) Cöleſtin ſtarb am 8. Januar (VI Epist. Lib. I. 11. Baronii Annales 
Idus Jan.) 1198. Innocentii III. eccles. ad h. a. 


J. Chr. 
1198. 


60 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II. 


edlen Roͤmerin, war durch faſt einſtimmige Wahl der 
Cardinale auf den Stuhl des heiligen Petrus erhoben 2), 
und Innocenz der Dritte genannt worden. Obgleich 
Innocenz, nachdem er zuerſt zu Rom, dann zu Paris und 
endlich zu Bologna des Unterrichts der beruͤhmteſten Leh—⸗ 
rer ſeiner Zeit genoſſen hatte, durch mehrere Schriften 
für ſich den Ruhm eines f ſcharfſinnigen und nach der Weiſe 
ſeiner Zeit tief denkenden Gelehrten begruͤndet hatte: ſo 
war er doch, als er die väpfliche Krone erlangte, nicht 
älter als fieben und dreyßig Jahre; im neun und zwan⸗ 
zigſten Jahre feines Alters war er von Clemens dem 
Dritten ſchon zum Cardinal; Diaconus erhoben und die 

Kirche der heiligen Sergius und Bacchus ihm verliehen 
worden 9). Von vielen Seiten wurde zwar anfangs 
große Klage darüber. geführt, daß die Cardinale in fo 
gefahrvoller Zeit einen jungen Mann zum Oberhaupte der 


8) Die Wahl Innocenz des Dritten. 


geſchah nach den Gestis c. 3: „ad 
septa solis monasterii Clivisauri.““ 
Dafür iſt aber zu leſen: ad septem 
solia monasterii clivi Scauri. Dieſe 
septem solia waren ein thurmähn⸗ 


liches Gebäude mit vielen Säulen 


und von ſieben Stockwerken (soliis), 
welches zwiſchen dem palatiniſchen 
Berge und dem Clivus Scauri dem 
Monasterium clivi Scauri gegen: 
über lag. In dem oberſten Raume 
deſſelben befand ſich eine Kirche der 
heiligen Lucia ad septem solia. 
Schon der Kaiſer Heinrich IV. be 
ſchädigte dieſes Gebäude, welches 
damals, wie die moles Hadriani, be⸗ 
feſtigt war und von einem Neffen des 
Papſtes Gregor des Siebenten be— 
wohnt wurde, ſehr bedeutend, als er 
daſſelbe nach der Einnahme von Rom 
im J. 1084 belagerte; ſpäterhin litt 
es viel durch wiederholte Feuers⸗ 
brünfte, und Sixtus der Fünfte ließ 
es zu großem Verdruſſe der Freunde 
des Alterthums gänzlich zerſtören, 


um die Steine deſſelben auf andere 
Weiſe zu benutzen. Auch der Papſt 
Gregor der Neunte wurde im J. 1227 
in dieſem Gebäude erwählt. Vgl. 
Baronii annales eccles, ad a. 1084. 
H. 5. Rainaldi ann, eccles. ad a. 
1227. H. 13. Das Monasterium clivi 
Scauri iſt das jetzige Kloſter des hei⸗ 
ligen Gregorius, ehemals des heil. 


Andreas, welches in früherer Zeit 


jen en erſten. Namen führte (ogl. Die, 
von Mabillon im Iter Italicum p. 16 
aus einer alten Lebensbeſchreibung 
des Papſtes Gregor des Großen, 
welcher Mönch in dieſem Kloſter 
war, angeführte Stelle ). Die Wahl 
Innocenz des Dritten geſchah an dem 
Tage, an welchem Cöleſtin begraben 
wurde (ipso die depositionis), alſo 
nicht ſchon am g. Januar, dem 
Todestage Cöleſtin's, wie in den 
Gestis Innocentii III. c. 7 und ei⸗ 
nigen andern Chroniken angegeben 
wird. Innoc. Epist. Läb. I. 11. 


3) Gesta Innoc, c. 3. 


Der Papſt Inunocenz III. „ 
Kirche erwaͤhlt haͤtten ); aber Innocenz der Dritte ent, Jg. ‚ehr. 

fernte bald nicht nur jede wegen feiner Jugend >. e 
Beſorgniß, ſondern gewann fogar allgemeine Bewundes 
rung und unbeſchraͤnktes Vertrauen durch die eben ſo 
umſichtige und wohl berechnende Klugheit und Beſonnen— 
heit, als raſche und kraftvolle Thaͤtigkeit und Beharr— 
lichkeit, womit er in allen Angelegenheiten der Kirche und 
des paͤpſtlichen Stuhls durchgreifende Anordnungen traf 
und durchfuͤhrte. Diejenigen, welche Gelegenheit hatten, 
das in jeder Hinſicht kluge und beſonnene Benehmen des 
Papſtes in der Nähe zu beobachten, urtheilten, er wäre 
zwar ein Juͤngling an Alter, aber ein Greis an Erfah— 
rung und Klugheit “). 

Mit einem uͤberaus angenehmen Aeußern verband 
Innocenz einen Ernſt und eine Wuͤrde, welche Vertrauen 
und Achtung einfloͤßten; er war von mittlerer Geſtalt, 
ſeine Geſichtszuͤge waren gefaͤllig und edel, ſeine Haltung 
kraͤftig und maͤnnlich. Seinen durchdringenden Verſtand 
unterſtuͤtzte ein aͤußerſt treues Gedaͤchtniß. In ſeinen 
Grundſaͤtzen war er feſt und unerſchuͤtterlich; ſtrenge gegen 
Halsſtarrige, leutſelig und ſanft gegen Demuͤthige; gerecht, 
aber auch milde; freimuͤthig und offen; den Kampf zwar 
fuͤr das, was er als gut, richtig und wahr erkannte, nicht 
ſcheuend, aber auch vertraͤglich und friedliebend; jeder 


3) In dieſe Klage ſtimmte Walther 
von der Vogelweide (nach der Aus⸗ 
gabe von Lachmann S. 9) alſo ein: 

ich hörte verne in einer klus 

vil michel ungebäre: 

da weinte ein kloſenäre. 

er klagete gote finiu leit: 

owe der babeſt iſt ze jung, hilf 
herre diner kriſtenheit. 

5) „Erat vir multae discretionis 
et gratiae, juvenis quidem aetate 


sed canus prudentia, maturus ani- 
mo, morum honestate compositus, 
clarus genere, forma conspicuus 
amator aequi et boni, inimicus au- 
tem nequitiae et malitiae, adeo ut 
non tam forte quam merito Inno- 
centius vocaretur.“ Guntheri hi- 
storia Constantinopolitana (in Ca- 
nisii Lectionib. antiquis ed. Jac. 
Basnage T. IV) o. 9. p. IX. 


62 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Cap. II. 


** 3 Ungerechtigkeit und Unredlichkeit feindſelig und fern von 
der Begierde nach unrechtmaͤßigem Gewinn; zwar nicht 
verſchwenderiſch, aber auch nicht karg und in Almoſen 
freygebig, geneigt zu Aufwallungen des Zorns, aber auch 
verſoͤhnlich; weltklug und vorſichtig, aber auch groß⸗ 
muͤthig. Sowohl in der lateiniſchen als in der welſchen 

Sprache war er beredt, und ein Freund der Kuͤnſte, bes 
ſonders der Muſik und Baukunſt. Im Kirchengeſange 
war er ſehr erfahren und geübt; die Baukunſt und die 
ihr dienenden Kuͤnſte ſchaͤtzte er als nothwendige Mittel 
zur Erhaltung des aͤußern Glanzes der Kirche, und mes 
nige Paͤpſte haben Rom durch ſo viele herrliche Gebaͤude 
geſchmuͤckt als Innocenz der Dritte. Schon als Cardinal 
gab er mit großen Koſten der ihm zugewieſenen Kirche 
der heiligen Sergius und Bacchus ein wuͤrdigers An ſehen 
durch den Bau eines neuen Daches und eines neuen 
Hauptaltars und die Errichtung neuer Gitter vor dem 
Chore; und als er auf den paͤpſtlichen Stuhl war erho— 
ben worden, ſo ſchmückte er von dem Gelde, welches er 
als Cardinal ſich erſpart hatte, das Aeußere dieſer Kirche 
mit einer Saͤulenhalle Sy 

So wie wegen dieſer Eigenſchaften, welche felten 
ſich vereinigen, Innocenz zur Herrſchaft uͤber ſein Zeit⸗ 
alter geboren war und dieſe Herrſchaft ſicherlich behaup— 
tet haben wuͤrde, auch wenn ihm von der Vorſehung 
ein anderer Wirkungskreis waͤre beſchieden worden: ſo 
erhielt ſeine Thaͤtigkeit als des Oberhauptes der Kirche ihre 
Richtung durch die hohe Meinung von der Wuͤrde des 
Prieſterthums und beſonders von der Herrlichkeit des 


6) Gesta Innocentii III c. 1 4. Vgl. beſonders Er: Lib. I. 176. und 
viele andere Briefe. 


Der Papſt Innocenz III. Be 


paͤpſtlichen Stuhls, welche ihn durchdrang und begeifenter reg 
„Am Firmamente des Himmels, das iſt, der allgemeinen 
Kirche,“ ſchrieb er dem byzantiniſchen Kaiſer Alexius, “ ſchuf 
Gott zwey große Lichter, das iſt, zwey hohe Würden, 

das prieſterliche Anſehen und die koͤnigliche Gewalt. Das 
erſtere, welches uͤber die Tage, das iſt uͤber die geiſtigen 
Dinge, herrſcht, iſt das hoͤhere, und die letztere, welche 
über fleiſchliche Dinge herrſcht, iſt die geringere; und 
daher iſt auch zwiſchen Prieſtern und Koͤnigen derſelbe 
Unterſchled, wie zwiſchen Sonne und Mond ).“ 


Die chriſtliche Herrſchaft in Syrien war ſeit länger 
als hundert Jahren ein zu wichtiger Gegenſtand der paͤpſt— 
lichen Sorgfalt, als daß ein Papſt, welcher entſchloſſen 
war, nicht nur die früher erworbene Gewalt des Stuhls 
Petri in ihrem ganzen Umfange zu behaupten ſondern 
wo moͤglich noch zu erweitern, nicht auf ſie vorzuͤglich 
feine Aufmerkſamkeit hätte richten ſollen. Wenn die abends 
laͤndiſche Kirche als die allgemeine Kirche gelten ſollte, 
ſo war es vor Allem nothwendig ’ daß fi ie in dem Lande 
ſich behauptete, welches das Urland der chriſtlichen Lehre 
war; und außerdem war nichts geeigneter als eine Kreuz⸗ 
fahrt, um der paͤpſtlichen Thaͤtigkeit durch Ertheilung 
von Pribilegien der Kreuzfahrer, allgemeinen Ablaß fuͤr 
die mit dem Kreuze Bezeichneten, und mancherley Eins 
wirkungen in die Angelegenheiten der Fuͤrſten, welche 
das Kreuz nahmen, einen glaͤnzenden Wirkungskreis zu 
eröffnen. 

Obwohl die Thaͤtigkeit Innocenz des Dritten fogleich 
im Beginne ſeiner Regierung auf vielfache Weiſe ſowohl 
durch die bedraͤngte Lage der weltlichen Herrſchaft des 


) Gesta Innoc. III. cap. 62. 


64 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Cap. II. 


3. e roͤmiſchen Stuhls, welche eine Folge der kraftloſen Regie⸗ 
rung des alten Papſtes Coleſtin war, als durch die Vers 
wirrungen in Apulien und Sicilien und durch viele andere 
wichtige Angelegenheiten in Anſpruch genommen wurde: 
ſo lenkte ſich gleichwohl unmittelbar nach ſeiner Erhebung 
auf den paͤpſtlichen Stuhl ſeine Aufmerkſamkeit auch auf 
das gelobte Land, wo damals noch das Heer der deut— 
ſchen Pilger ohne großen Erfolg den Krieg wider die Un— 
glaͤubigen fuͤhrte. Eines der erſten Schreiben, welche 
Innocenz als Papſt erließ, war an den Patriarchen von 
Jeruſalem und deſſen Suffraganbiſchoͤfe gerichtet, und 
enthielt die eindringlichſte Ermahnung, die Geißel Gottes, 
wovon die Kirche des heiligen Landes und mit ihr die 
allgemeine Kirche heimgeſucht worden, mit Geduld und 
Ergebung zu tragen, und durch frommes Gebet, Faſten 
und andere Kaſteyungen des Fleiſches, fo wie durch 
andere Werke ungeheuchelter Froͤmmigkeit und ernſte Be 
reuung der begangenen Suͤnden den goͤttlichen Zorn zu 
verſoͤhnen und die ihrer geiſtlichen Obhut anvertrauten 
Chriſten zur Buße und ernſten Sinnesaͤnderung anzu— 
halten, damit Gott nicht ferner ſein Erbtheil der Schmach 
bei den Voͤlkern preis gaͤbe; auch verſprach er ihnen, 
ſoviel in ſeinen Kräften fände, für die Errettung des hei— 
ligen Landes aus der Knechtſchaft der Heiden zu wirken. 
In gleihem Sinne ſchrieb er an den Erzbiſchof Conrad 
von Mainz und die uͤbrigen deutſchen Biſchöfe, welche 
als Pilger im gelobten Lande waren, ſie ermahnend, mit 
dem Schilde des Glaubens und dem Helme des Heils, 
und im Vertrauen auf die Huͤlfe des Himmels und die 
Unterſtuͤtzung des oberſten Biſchofs der Chriſtenheit den 
Kampf wider die Heiden kraͤftig und nachdruͤcklich fort— 
zuſetzen. Eben ſo legte er dem Herzoge von Brabant, 


Der Papſt Innocenz III. 65 


dem Landgrafen von Thuͤringen und den übrigen deutſchen To 
Pilgerfuͤrſten es ans Herz, durch Reinheit des Herzens 
und Unſtraͤflichkeit ihres Wandels ſich des goͤttlichen Bey⸗ 
ſtandes in dem heiligen Kampfe, welchem ſie ſich geweiht 
haͤtten, wuͤrdig zu machen, und nicht zuzugeben, daß in dem 
Lande ihrer Pilgerſchaft, wo einſt die Fuͤße des Heilandes 
geſtanden, unter ſie von den boͤſen Engeln der Saame der 
Gottloſigkeit gebracht und dadurch von ihnen die Gnade 
deſſen abgewandt wuͤrde/ ohne welchen ſie weder das 
Vaterland des Herrn behaupten, noch überhaupt der Ge 
walt der Feinde würden widerſtehen koͤnnen; auch er⸗ 
mahnte er ſie, nicht auf ihre Zahl, ſondern auf Gott zu 
vertrauen 3). Dieſe wohlgemeinten Ermahnungen des 
Papſtes kamen aber zu ſpaͤt. Eben ſo war auch die Er⸗ 
mahnung, welche er an Andreas, den Sohn des Koͤnigs 
Bela von Ungarn, richtete, die Kreuzfahrt zu vollziehen, 
welche er ſeinem Vater auf deſſen Sterbebette zugeſagt 
hatte ?), ohne Erfolg. 

Die Fruchtloſigkeit dieſer erſten Ermahnungen min 
derte den Eifer des Papſtes fuͤr die Angelegenheiten des 
heiligen Landes nicht; vielmehr fuhr Innocenz fort, bey 
jeder Gelegenheit, in lebhaften Schilderungen den Gläus 
bigen die ungluͤckliche Lage des heiligen Landes vorzu— 
halten *°), und die Kreuzfahrt nach dem gelobten Lande 
als ein hoͤchſt verdienſtliches und Gott wohlgefaͤlliges Uns 
ternehmen mit aller Kraft feiner Beredſamkeit zu empfeh⸗ 
len. Mit dem größten Eifer beſchuͤtzte er diejenigen, 


8) Epist. Lib. I. 11 — 18. findet ſich auch in den Reden des 
9) Epist. Lib. I. 10. Papſtes Innocenz des Dritten (de 
10) Eine ſehr dringende und be: Apostolis Sermo II in communi 
redte Ermahnung zur Befreyung der Apostolorum, Opp. Colon. 1575 fol. 
heiligen Stadt Jeruſalem von der Tom. I. p. 164. 165). 
ſchimpflichen Herrſchaft der Heiden a 


v. Band. E 


J. Chr. 
1:98. 


65 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IL. 


welche das Kreuz genommen hatten, gegen Beſchaͤdigungen 
und Verfolgungen. Indem er bey dem Herzoge Philipp 
von Schwaben und dem Herzoge Friedrich von Oeſtreich 


keine Ermahnungen ſparte, um ſie zur Zuruͤckgabe des 


Loͤſegeldes, welches der Kaiſer Heinrich und der Herzog 
Leopold von dem Könige Richard erpreßt hatten, zu be⸗ 
wegen **), nahm er die deutſchen Pilger, welche mit dem 
Erzbiſchofe von Mainz und dem Kanzler Conrad nach, 
Syrien gezogen waren, in Schutz gegen diejenigen, welche 
der Guͤter und Beſitzungen der Abweſenden ſich zu be⸗ 
maͤchtigen ſuchten; dem Erzbiſchofe von Magdeburg und 
deſſen Suffraganbiſchoͤfen gebietend, ſolchen Frevel zuerſt 
durch Ermahnungen, und falls dieſe fruchtlos blieben, 
durch kirchliche Strafen, gegen welche keine Appel— 
latlon an den paͤpſtlichen Stuhl zulaͤſſig ſeyn ſollte, zu 
ſteuern *. ; 

Vornehmlich nahm er für das bedraͤngte Heilige Land 
die thätige Huͤlfe der Geiſtlichen in Anſpruch, von ihnen 
nicht nur die eifrige Ermahnung der Layen zur Kreuz— 
fahrt und zur Unterſtuͤtzung derer, welche die Waffen, für 
den Heiland zu nehmen ſich entſchloſſen, ſondern auch 
eigne Beyſteuer aus den Einkuͤnften ihrer Pfruͤnden und 
kirchlichen Aemter fordernd. Die deutſchen Pilger hatten 
nach der zuvor berichteten unruͤhmlichen Beendigung ihres 
Kampfes gegen die Unglaͤubigen noch nicht Syrien ver— 
laſſen, als Innocenz im Sommer des Jahres 1198 die 
Biſchoͤfe und geſammte Geiſtlichkeit von Toscana, Apulien, 
Calabrien und Sicilien aufforderte, das Kreuz zu predigen 
und, Staͤdte, Burgen und Doͤrfer durchziehend, Adel, 
Buͤrger und Volk durch nach druͤckliche Ermahnungen zur 


in) Ep. I. 230, 236. 232. Vgl. Geſch. 12) Ep. L. 300. 
der Kreuzz. Th. IV. S. 618. 1 . 124 3 


u. 
Der Papſt Innocenz III. 67 


ſchleunigen Bewaffnung wider die Feinde des chriftlis a 
chen Glaubens und des heiligen Landes zu bewegen 23). 
Bald darauf erließ Innocenz ein Schreiben an alle 
Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und Praͤlaten, ſo wie die Grafen 
und Barone und das ganze chriſtliche Volk der Koͤnig⸗ 
reiche Frankreich, England, Ungarn und Sicilien, die 
bedraͤngte Lage des gelobten Landes, welche durch den 
letzten Kreuzzug der Deutſchen mehr verſchlimmert als ge— 
beſſert worden, mit Kraft und Beredſamkeit ſchildernd. 
Er meldete in dieſem Schreiben, daß er, um durch das 
Beyſpiel der unmittelbaren Theilnahme des apoſtoliſchen 
Biſchofs und des Clerus der roͤmiſchen Kirche an dieſem 
heiligen Unternehmen die Glaͤubigen zum Beyſtande des 
heiligen Landes zu ermuntern, mit eigner Hand den 
Cardinal-Legaten Suffried und Petrus *), zwey eben 
ſo redlichen und gottesfuͤrchtigen als gelehrten und be— 
redten Praͤlaten, das Kreuz ertheilt habe, mit dem Auf— 
trage, dem Heere der bewaffneten Kreuzfahrer auf Koſten 
der roͤmiſchen Kirche, und ohne den Beyſtand fremder 
Mildthaͤtigkeit, voranzugehen und den Chriſten des hei— 
ligen Landes die ihnen von dem heiligen Stuhle zuge— 
dachte Unterſtuͤtzung zu uͤberbringen. Beyde Legaten aber 
ſollten, wie in eben dieſem Schreiben gemeldet wurde, 
bevor ſie die Meerfahrt nach Syrien antraͤten, andere 


13) Eine ſolche Aufforderung erhiel: 
ten von Innocenz III. insbeſondere 
der Erzbiſchof von Syracus und der 
Abt von Sambucino. Epist. I. 302. 
Den letztern entfchuldigte der Papſt 
bei dem allgemeinen Capitel des 


Ciſterzienſerordens, welchem er, be— 


ſchäftigt durch die Kreuzpredigten, 
nicht beywohnen konnte. Ep. I. 358. 
P. 210. E 


14) „Stephano tit. S. Praxedis Pres- 
bytero et Petro tit. S. Mariae in via 
lata Diacono, Cardinalibus, manu 
propria crucis signaculum impo- 
nentes.““ Epist. I. 336. In den ge- 
stis Innocentii III. c. 46. p. 19. und 
einem ſpätern Briefe des Papſtes an 
den König von Frankreich (I. 355.) 
wird der erſtere dieſer beiden Cardi⸗ 
näle Soffridus genannt. 


E 2 
E72 


Bar 


0 


68 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. II. 


wichtige Aufträge für die Wohlfahrt des gelobten Landes 
vollziehen; der Cardinal Peter wurde mit einer Sendung 
an die Koͤnige von Frankreich und England beauftragt, 
um zwiſchen ihnen einen beſtaͤndigen Frieden oder doch 
wenigſtens einen fünfjährigen Waffenſtillſtand zu ſtiften, 
und die Voͤlker dieſer beyden Koͤnige zum Dienſte des 
Gekreuzigten aufzufordern; der Cardinal Suffried aber 
begab ſich nach Venedig, um dort das Kreuz zu predigen, 
waͤhrend die Cardinaͤle Peter, Presbyter der heiligen 
Caͤcilia, und Gratian, Diaconus der heiligen Cosmas und 
Damianus, zu Piſa und Genua, jedoch ohne Erfolg, zur 
Bewaffnung fuͤr das heilige Land das Volk ermahnten. 
In Folge dieſes von dem heiligen. Stuhle und der Geiſt⸗ 
lichkeit der roͤmiſchen Kirche gegebenen Beyſpiels und eines 
von dem Collegium der Cardinaͤle gefaßten Beſchluſſes, 
gebot Innocenz, daß jeder Erzbiſchof, Biſchof oder Praͤ— 
lat, nach Maßgabe ſeiner Kraͤfte und Mittel, im Maͤrz— 
monate des naͤchſten Jahres zum Kampfe fuͤr den Heiland 
entweder eine Anzahl von Streitern ſtellen, oder einen 
angemeſſenen Beitrag an Geld einliefern, und jeder, welcher 
dieſer Aufforderung zu widerſtreben ſich erkuͤhnen wuͤrde, 
als ein Uebertreter goͤttlicher Gebote angeſehen und bis zur 
Leiſtung vollkommener Genugthuung feines Amtes entſetzt 
werden ſollte. Dagegen verhieß der Papſt mit apoſto— 
liſcher Vollmacht unbeſchraͤnkten Ablaß der Suͤnden und 
größere Belohnung der guten Werke im Himmel allen 
denen, welche entweder ſelbſt, ſey es mit eigenen Mitteln 
oder mit Unterſtuͤtzung Anderer, der Pilgerfahrt beywoh— 
nen oder durch Geldbeytraͤge und die Ausruͤſtung und 
Unterhaltung von Kreuzfahrern, welche wenigſtens zwey 
Jahre der Vertheidigung des heiligen Landes ſich wid— 
meten, dieſes fromme Werk befoͤrdern wuͤrden. Er ſtellte 


Der Papſt Innocenz II. 69 


die Guͤter aller derer, welche das Kreuz nehmen wuͤrden, 
unter den Schutz des heiligen Petrus, des apoſtoliſchen 
Stuhls und ſaͤmmtlicher Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und Praͤ— 


laten der chriſtlichen Kirche, mit Strenge gebietend, daß 
niemand, bey Strafe des kirchlichen Banns, die Guͤter 


und Beſitzungen eines Kreuzfahrers vor deſſen Ruͤckkehr 
ſolle beunruhigen dürfen, Auch befahl er, den Eid ders 
jenigen, welche zur Bezahlung von Schulden oder Zinſen 
ſich verpflichtet haͤtten, fuͤr nichtig zu erklaͤren und ihre 


Glaͤubiger durch den Bann zur Friſtung der Schulden 


oder zur Zuruͤckzahlung der Zinſen, welche fie etwa em— 


pfangen haͤtten, zu noͤthigen. Die chriſtlichen Fuͤrſten 
wurden in eben dieſem Schreiben von Innocenz ermahnt, 


die Juden ihrer Laͤnder zur Erlaſſung der Zinſen, welche 
Kreuzfahrer ihnen ſchuldig waͤren, anzuhalten und, im 
Fall ſie deſſen ſich weigern wuͤrden, vom Handel und 
jeder andern Gemeinſchaft auszuſchließen. Auch ernannte 
Innocenz in jedem der chriſtlichen Reiche, an welche er ſein 
Ermahnungsſchreiben richtete, zwey Bevollmaͤchtigte, welche 
er beauftragte, ſowohl andere Chriſten, als vornehmlich die 
Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe zur Erfuͤllung des paͤſtlichen Ge— 
botes anzuhalten, indem er ihnen geſtattete, als Gehuͤlfen 
fuͤr die Ausfuͤhrung dieſes Auftrags einen Templer und 
einen Hoſpitaliter anzunehmen. Endlich troͤſtete Innocenz 
alle Pilger, welche, feiner Ermahnung gehorchend, dem 


Dienſte Chriſti ſich widmen wuͤrden, mit der Hoffnung 


eines gluͤcklichen Erfolgs ihrer heiligen Unternehmung. 
„Wenn ihr,“ ſchrieb er, „wandeln werdet nach dem Geſetze 
des Herrn, nicht folgend den Fußſtapfen derer, welche, 
weil ſie der Eitelkeit nachgingen, eitel geworden ſind, 
welche ausſchweifender Unmaͤßigkeit im Eſſen und Trinken 
gefroͤhnt und im Lande jenſeit des Meeres getrieben haben, 


J. Chr. 
1798. 


J. Chr. 
110. 


70 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II. 


was ſie in ihrer Heimath nicht ohne Schimpf und Schande 
zu thun gewagt haben wuͤrden; wenn ihr vielmehr eure 
Hoffnung ſtellen werdet auf den, welcher diejenigen nicht 
verlaͤßt, ſo ihm vertrauen, und nicht nur die verbotenen, 
ſondern zu Zeiten auch die erlaubten Genuͤſſe euch ver— 
ſagen werdet; alsdann halten wir uns uͤberzeugt, daß 
derjenige, welcher den Wagen und das Heer des Pharao 
in das Meer warf, die Bogen der Starken zerbrechen 
und vor euch die Feinde des Kreuzes, wie den Koth der 
Straßen, vertilgen werde, nicht uns oder euch, ſondern 
feinem Namen den Ruhm verleihend“ *). Faſt zu der⸗ 
ſelben Zeit unterſtuͤtzte Innocenz durch ſeine Empfehlung 
auch die Bemuͤhungen des Biſchofs von St. Georg oder a 
Lydda, welcher im Auftrage der Chriſten des gelobten 
Landes zu den Koͤnigen von Frankreich und England ſich 
begab, um von ihnen Huͤlfe fuͤr das Erbtheil des Herrn 
wider den Uebermuth der Heiden zu erbitten; und als der 
Biſchof, ohne ſeine Abſicht erreicht zu haben, nach Italien 
zuruͤckkehrte, ſo empfahl ihn Innocenz dem Abte und den 
Brüdern zu Monte Caſſino zu gaſtfreundlicher Aufnahme 
in ihrem Kloſter, in deſſen milder Luft waͤhrend des Herb— 
ſtes der Biſchof von der Anſtrengung der Reiſe ſich zu 
erholen wuͤnſchte *°) Bald hernach forderte Innocenz 
den Biſchof auf, ſeine Bemuͤhungen mit denen des Bi— 
ſchofs von Syracus, des Abtes von Sambucino und 
allen uͤbrigen, welche in Sicilien das Kreuz predigten, zu 


15) Dieſer Brief (I. 336.) wurde 
geſchrieben zu Rieti XVIII. 
Septembr. Roger von Hoveden hat 
ihn in der Form, in welcher er an 
die engliſche Geliſtlichkeit gelangte, in 
feine Chronik (kol. 447. 449) einge 
rückt, und mit der Schlußſchrift: 


Kal. 


„Datum Romae apud 8. Petrum 
Idus Augusti, pontiſicatus nostri 
anno primo.“ 

16) Ut ibi aeris inclementiam 
temperie fugiat autumnali. Epist. 
I. 32g. 


Der Papſt Innocenz III. 71 
vereinigen, um die dortige Geiſtlichkeit ſowohl als die 
Barone, Conſuln der Staͤdte, und auch die Kaiſerin 
Conſtantia fuͤr die Sache des heiligen Landes zu gewin— 
nen, damit er kuͤnftig in Begleitung eines ſtattlichen 
Heers in das Reich Jeruſalem moͤchte zuruͤckkehren koͤnnen; 

auch ertheilte er ihm die Vollmacht, diejenigen, welche die 
Meerfahrt perſoͤnlich unternehmen wuͤrden, von dem 
Banne loszuſprechen, in welchen ſie etwa wegen ver— 
uͤbter Gewaltthaͤtigkeit an einem Geiſtlichen verfallen ſeyn 
koͤnnten **). f 

Mittlerweile begab ſich der Cardinal Peter als Legat 
des apoſtoliſchen Stuhls nach Frankreich, ſowohl um fuͤr 

die Kreuzfahrt zu wirken, als den Koͤnig Philipp Auguſt 
zur Aufloͤſung ſeiner von dem roͤmiſchen Stuhle gemiß— 
billigten Ehe mit Maria Agnes, Tochter des Herzogs 
von Meran, zu bewegen, und verſchiedene Angelegenheiten 
der franzoͤſiſchen Kirche zu ordnen **); und Innocenz um 
terließ es nicht, die Bemuͤhungen des Legaten fuͤr das 
heilige Land auf das nachdruͤcklichſte zu unterſtuͤtzen. 

Den Grafen Raimund von Toulouſe forderte er auf, 
die Gelegenheit zu ritterlichen Thaten im Dienſte Gottes, 
welche ihm in der aufs neue eingetretenen betruͤbten Lage 
des heiligen Landes ſich darboͤte, mit Eifer zu ergreifen, 
und durch ruͤhmlichen Kampf gegen die Heiden ſeinen 
früher gegen die Kirche bewleſenen Ungehorfam gut zu 
machen; er erinnerte den Grafen an das Beyſpiel ſeines 
Großvaters Alfons, welcher durch ſeine Kreuzfahrt 


treten zu haben. Vgl. Innoc. III. 
epist. L. I. ep. 898. Er war in 


17) Epist. I. 343. 344. am 30. Aus 
guft und 1. Sept. 1198 zu Spoleto 


geſchrieben. 

18) Der Cardinal Peter von Capua 
ſcheint ſchon im Herbſte des Jahres 
1198 die Reiſe nach Frankreich ange⸗ 


Frankreich von Weihnachten 1198 bis 
zum December 1199. Vgl. Rigordus 
de gestis Phil, Aug. P. 50, 81. Du 
Cange Not. ad Villchard. p. 248. 


J. Chr 
1198 


72 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. II. 


Jer. ein immerwaͤhrendes ruͤhmliches Andenken ſich geſtiftet 
hätte n“); und ermahnte ihn endlich, falls er ſich nicht 
entſchließen koͤnnte, in eigner Perſon die Meerfahrt zu 
unternehmen, doch wenigſtens eine ſtattliche Zahl von 
Kriegern zum Dienſte des heiligen Landes zu bewaffnen, 
und wenn nicht durch eignes, doch wenigſtens durch frem⸗ 
des Verdienſt der von dem apoſtoliſchen Stuhle den Kreuz— 
fahrern angebotenen Vergebung der Suͤnden ſich theilhaftig 
zu machen 25). Mit noch kraͤftigern Worten forderte er 
von dem Grafen von Forcalquier, welcher wegen viel⸗ 
faͤltiger Vergehungen mit dem kirchlichen Banne war bes 
legt worden, durch die Annahme des heiligen Kreuzes 
und den Kampf fuͤr den Herrn die Losſprechung von dem 
Banne ſich zu erwirken, und ein Subdiaconus der Kirche 
zu Marſeille erhielt den Auftrag, den Grafen, ſobald er 
das Geluͤbde der Kreuzfahrt ablegen wuͤrde, wieder in 
den Schooß der Kirche aufzunehmen 2 *). 

An den Herzog und das Volk der Venetianer aber 
ſchrieb Innocenz in dieſer Zeit, in welcher er ſich ſo eifrig 
mit der Bewirkung einer neuen Kreuzfahrt beſchaͤftigte, eine 
dringende Ermahnung, den Handel und Verkehr mit den 
Saracenen, ſo lange der Krieg des apoſtoliſchen Stuhls 
wider dieſelben dauern wuͤrde 2 *), einzuſtellen. Er that 
ihnen kund, daß er zu Gunſten derer, welche fuͤr das 
heilige Land ſich bewaffnen wuͤrden, die Beſchluͤſſe der 
unter der Regierung ſeines Vorfahren, Alexander des 
Dritten, im Lateran gehaltenen Kirchenverſammlung und 


19) Das Beyſpiel des Grafen Al: 230. 231. 
fons, welcher im gelobten Lande 20) Ep. I. 398. 
war vergiftet worden, konnte dem 21) Ep. I. 407. 
Grafen jedoch nicht zu beſonderer 22) „Quamdiu inter nos et ipsos 
Aufmunterung dienen. Vgl. Geſchich⸗ Sarracenos guerra durarit.““ Ep. 
te der Kreuzzüge Th. 3. Abth. 1. S. I. 339. 


Der Papſt Innocenz III. 73 
die Verordnungen Gregors des Achten wieder in Kraft ge- J. che. 


1108. 
ſetzt habe, und daß alſo allen denjenigen, welche den . 
Heiden Waffen, Eiſen und Schiffsbauholz zuführen, oder 
auf deren Schiffen Dienſte uͤbernehmen, uͤberhaupt auf 
irgend eine Weiſe mit den Saracenen einen Verkehr unter; 
halten und ſie mit Schiffen oder andern Beduͤrfniſſen 
ſelbſt oder durch Andere unterſtuͤtzen wuͤrden, die Strafe 
des kirchlichen Bannes bevorſtaͤnde; daß es denen, welche 
im Kampfe mit den Heiden ſolche Gebannte zu Gefans 
genen machten, freyſtehen ſollte, dieſelben als ihnen ge— 
hoͤrige Sclaven zu behandeln; und daß die Fuͤrſten und 
Obrigkeiten waͤren angewieſen worden, die Guͤter ſolcher 
Gebannten einzuziehen. Auf die Vorſtellung, welche 
die Venetianer durch zwey Abgeordnete?) bey dem apo— 
ſtoliſchen Stuhle hatten vortragen laffen, daß ihrer Stadt, 
welche, alles Ackerbaues entbehrend, nur durch Schiff— 
fahrt und Handel beſtaͤnde 2), die ſtrenge und unbe— 
ſchraͤnkte Vollziehung des Verbots großen Schaden brin— 
gen wuͤrde, geſtattete Innocenz in dieſem Ermahnungs⸗ 
ſchreiben ihnen zwar den Handel und Verkehr mit Aegyp— 
ten, unterſagte ihnen aber, unter erneuter Androhung der 
Strafe des kirchlichen Bannes, dahin Waffen, Schiffe 
und Schiffsgeraͤth, Holz, Taue und andere zum Bau und 
zur Ausruͤſtung der Schiffe noͤthige Beduͤrfniſſe ?°) zu 
fuͤhren; auch aͤußerte er die Hoffnung, daß dieſe Ver— 


23) Andreas Donatus et Benedi- 
ctus Grilion. Ibid. 

24) „Quae non agriculturis in- 
servit, sed navigiis potius et mer - 
cimoniis est intenta.““ Ibid, 

95) „Sub districtione anathema- 
tis prohibentes, ne in ferso, stupa, 


pice, acutis pironibus, funibus, ar- 
mis, navibus et lignaminibus para- 
tis vel imparatis, vendendo, do- 
nando vel commutando Sarracenis 
ministrare subsidium praesumatis.““ 
Ibid, 


J. Chr. 
1108. 


74 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I. 


guͤnſtigung die Venetianer zu redlicher und kraͤftiger Um 
terſtuͤtzung des gelobten Landes ermuntern würde, 


Zwar wurde Innocenz nach dem Tode der Kaiſerin 
Conſtantia, welche in ihrem letzten Willen den Papſt zum 
Obervormund ihres Sohnes Friedrich und zum Reichsver— 
weſer in Sicilien ernannt hatte, durch die verwirrten Ange— 


legenheiten dieſes Landes noch mehr als zuvor in Anſpruch 


genommen: aber er unterbrach auch dann nicht die Bemuͤ— 
hungen zur Bewirkung einer neuen großen Kreuzfahrt. 
Vielmehr ſtand ſelbſt in der Leitung der Angelegenheiten 
dieſes Reichs die Rettung des heiligen Landes ſtets vor 
ſeinem Sinne als ein Hauptziel aller ſeiner Beſtrebungen; 
und als der Herzog Markwald, welcher die Regierung 
des Landes und die Vormundſchaft für den König Frieds 
rich an ſich zu bringen trachtete, die ſiciliſchen Saracenen 
gegen die paͤpſtlichen Truppen bewaffnete: ſo wurde das 
Gemuͤth des Papſtes auch mit bangen Beſorgniſſen er— 
fuͤllt wegen der Folgen, welche aus ſolchem unchriſtlichen 
Verfahren fuͤr das heilige Land entſtehen koͤnnten. Von 
Sicilien aus, ſchrieb er an ſaͤmmtliche Grafen, Barone 
und Buͤrger dieſes Reiches, laͤßt ſich dem heiligen Lande 
leichter zu Huͤlfe kommen, und wenn Steilien, was Gott 
verhuͤten wolle, in die Gewalt der Saracenen kaͤme, ſo 
wuͤrde alle Hoffnung, das Reich Jeruſalem wieder zu 
erlangen, für immer vernichtet ſeyn. 22). Darum machte 
Innocenz alle diejenigen, welche wider Markwald und 
die ihm anhaͤngenden Saracenen ſtreiten wuͤrden, theil— 
haftig des Ablaſſes, welchen er den Kreuzfahrern ver⸗ 
heißen hatte. Allerdings war Sicilien wegen der Lebens— 
mittel ſowohl, als der Schiffe, welche es liefern konnte, 


26) Ep. Lib. II. 221. 


Der Papſt Innocenz II. 75 


den Kreuzfahrern, welche in Syrien wider die Heiden zich. 
kaͤmpften, ein hoͤchſt wichtiges Land. 

Den Eifer der Legaten, welche er ausgeſandt hatte, 
das Kreuz zu predigen, und durch die Wiederherſtellung 
des Friedens unter den chriſtlichen Fuͤrſten die allgemeine 
Bewaffnung der Voͤlker zum Streite fuͤr das heilige 
Land zu befoͤrdern, naͤhrte und ſtaͤrkte Innocenz durch oͤfter 
wiederholte Ermahnungen und leitete durch weiſe Vor— 
ſchriften ihre Bemuͤhungen. Dem Cardinal Peter insbeſon— 
dere ertheilte er den Befehl, alle diejenigen, welche ſchon 
fruͤherhin die Kreuzfahrt gelobt und durch falſche Angaben 
oder Verſchweigung der Wahrheit vom Papſte Coͤleſtin ih- 
res Geluͤbdes waren entbunden worden, nunmehr mit aller 
Strenge zur Vollziehung der Kreuzfahrt anzuhalten 27). 

Die Geſuche der Chriſten im Morgenlande um bal— 
dige Huͤlfe wurden aber immer dringender. Der Erzbiſchof 
Conrad von Mainz, als er auf der Ruͤckkehr von ſeiner 
Meerfahrt 28) nach Rom kam, uͤberbrachte dem Papſte 
Innocenz Schreiben des armeniſchen Koͤnigs Leo, welchen 
der Erzbiſchof gekroͤnt hatte, und des Katholicus von 
Armenien, Gregorius, in welchen beide um Beyſtand gegen 
die zahlreichen, das armeniſche Land umgebenden Feinde 
flehentlich baten, indem ſie die Gunſt des Papſtes dadurch 
zu gewinnen ſuchten, daß ſie die roͤmiſche Kirche als die 
Mutter aller chriſtlichen Kirchen, und den roͤmiſchen Bi— 
ſchof als den oberſten Biſchof der ganzen Chriſtenheit ans 
erkannten 2°), Innocenz troͤſtete den König ſowohl als 
den Katholicus mit der Hoffnung, daß bald die laͤngſt 

27) Ep. Lib. II. 23. Die beiden 20) S. Ep. Lib. II. 216 - 220. Das 
folgenden Briefe (24. 25.) enthalten Schreiben des Königs Leo ward aus 
ebenfalls Anweiſungen für dieſen Le- Tarſus am 23. Mai 1199 erlaffen. 


gaten. Das Antwortſchrelben des Papſtes 
28) S. oben S. 54. IX. Kal. Decembr. 1199. 


J. Chr. 
1108. 


* 


* 
76 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II. 


von ihm vorbereitete Kreuzfahrt zu Stande kommen wuͤrde; 
und als nicht lange hernach Robert von Margath, ein 
Ritter des Koͤnigs von Armenien, ein Schreiben uͤber— 
brachte, in welchem der Koͤnig die Vermittlung des 
Papſtes in ſeinen Streitigkeiten mit dem Grafen von 
Tripolis und dem Orden der Tempelherrn ?°) nachſuchte, 
und der Ritter Robert um ein von dem Papſte geweihtes 
Panier für feinen König bat: fo ſandte Innocenz dem Koͤ— 
nige von Armenien ein Panier mit dem Bildniſſe des Apoſtel— 
fuͤrſten Petrus, um daſſelbe zu fuͤhren im Kampfe gegen 
die Heiden; und zugleich ermahnte er in mehreren Schrei— 
ben die armeniſchen Landherrn, in ſolchem Kampfe, wie 
bisher, ihrem Koͤnige getreulich beyzuſtehen und dadurch 
ſich theilhaft der Vergebung der Suͤnden zu machen, 
welche der Papſt mit der Vollmacht des allmaͤchtigen 
Gottes und der Apoſtel Petrus und Paulus allen Kreuz— 
fahrern verheißen habe *). Auch der Koͤnig Amalrich 
von Jeruſalem bat um ſchleunige Huͤlfe fuͤr den Ueberreſt 
der chriſtlichen Herrſchaft in Syrien und ließ dem Papſte 
durch einen Boten, welchen er nach Rom ſandte, melden, 
daß das heilige Land von den abendlaͤndiſchen Pilgern 
gänzlich verlaſſen worden ſey und von der größten Ges 


30) Ep. Lib. II. 232. Die Beſchwer⸗ 
den des Königs Leo waren dadurch 
veranlaßt worden, daß der Graf von 
Tripolis, mit Hülfe der Hoſpitaliter 
und Templer, den Rupinus, den 
Sohn des nicht lange zuvor geſtor⸗ 
benen Raimund von Antiochien und 
einer Tochter des Königs Leo, des 
Rechts der Nachfolge im Fürſten⸗ 
thume Antiochien, im Fate des Todes 
feines Großvaters Raimund, zu be 
rauben ſuchte. 

31) Ep. Lib, II. 353. an den König 


Leo, geſchrieben im December 1199, 


XVI. Kal. Jan. Der folgende Brief 
(254) iſt an die armeniſchen Grafen 
Paganus und Arro und die übrigen 
armeniſchen Landherrn, und ein an: 


derer (255) an Hugo von Tiberias (de 


Tabaria) und die Brüder Rudolph 
und Otto gerichtet, und enthält Er⸗ 
mahnungen in dem im Texte angege⸗ 
benen Sinne. Mit einem kurzen 
Briefe (geſchrieben ebenfalls XVI. 
Kal. Jan.) überſendet Innocenz dem 
Könige Leo das erwähnte Panier. 


j i | 
Der Papſt Innocenz III. g 77 


fahr bedroht werde; denn, da die muſelmaͤnniſchen Sul— 
tane, deren innern Zwiſtigkeiten man die bisherige Ruhe 
verdanke, ſchon mit einander um Frieden unterhandelten, 
ſo ſey die baldige Erneuerung des Kampfes der Chriſten 
und der Heiden, und fuͤr die erſtern bei dem Mangel 
an Streitern der ſchlimmſte Ausgang zu beſorgen. Inno— 
cenz ſandte ſogleich dieſen Boten an die Koͤnige von 
Frankreich und England, indem er ihm Schreiben mit— 
gab, in welchen er beyden Koͤnigen die Angelegenheiten 
des heiligen Landes auf das eindringlichſte ans Herz 
legte 2). Auch den Kaiſer Alexius Angelus von Byzanz 
unterließ er nicht, indem er ihn ermahnte, die griechiſche 
Kirche in den Schooß der roͤmiſchen zuruͤckzufuͤhren, 
zum Beyſtande des heiligen Landes mehrere Male nach— 
druͤcklichſt aufzufordern 33). Dieſer entſchuldigte aber 
ſeine bisherige Unthaͤtigkeit fuͤr das heilige Land damit, 
daß die paſſende Zeit fuͤr einen Krieg wider die 
Unglaͤubigen noch nicht gekommen ſey; daß dafuͤr der 
Segen und die Hülfe Gottes nicht ſich erwarten laſſe, 
ſo lange noch ſo viele Zwietracht, Unbeſtaͤndigkeit 
und Unentſchloſſenheit als bisher, unter den Chriſten 
herrſche; und daß der Unfug, welcher von dem Kaiſer 
Friedrich und deſſen Heere im roͤmiſchen Reiche, den 
mit feyerlichem Eide bekraͤftigten Verſprechungen zuwi— 
der und ungeachtet der gaſtfreundlichen Aufnahme, welche 
fie daſelbſt gefunden haͤtten, ſey geſtiftet worden s), 


32) Epist. Lib. I. 358, 

33) Lib. I. 353. 354. Ep. Lib. II. 
210. 211. Der Brief des Kaiſers 
Alexius, N. 2ro im zweyten Buche 
der Briefe des Papſtes Innocenz III., 
welcher auf ein päpſtliches Schreiben 
ſich bezieht, wurde im Februar 1198 
geſchrieben. Vgl. über dieſen Brief 


wechſel auch Gesta Innocentii III. 
c. 60 —64- 
34) „Nun enim tua ignorat san- 


ctitas, quantam subversionem quan- 


tamque occisionem nobilissimus 
quidem Rex Alemanniae Fridericus 
imperii mei superinduxit regioni- 
bus, sacramentis rigidissimis se alli- 


J. Chr. 


1108. 


— 


78 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II. 


3,6% ihm nicht Luft machen konne, mit den abendländifchen 
Kreuzfahrern zu gemeinſchaftlichen Unternehmungen ſich zu 
vereinigen, ſo wie auch das ungluͤckliche Ende dieſes 
Kaiſers es hinlaͤnglich beweiſe, wie wenig Gott Wohlge— 
fallen an den Kreuzfahrten finde. Auch benutzte Alexius 
dieſe Gelegenheit, das Koͤnigreich Cypern zuruͤckzufordern. 
Darauf erwiederte Innocenz durch erneuerte Ermahnungen 
zum Kampfe fuͤr Gott und den Heiland; auch ſtellte er 
dem Kaiſer vor, daß es chriſtlichen Fuͤrſten gezieme, die 
Ehre des Gekreuzigten unermuͤdlich mit aller Anſtrengung 
ihrer Kraͤfte aufrecht zu erhalten, und daß es eben ſo 
unwuͤrdig als unverſtaͤndig ſey, in traͤger Ruhe die Zeit 
abwarten zu wollen, in welcher Gott der bedraͤngten 
Chriſtenheit ſich erbarmen und etwa durch ein Wunder 

das heilige Land aus der Gewalt der Heiden befreyen 
koͤnnte. Die Forderung wegen des Koͤnigreichs Cypern 
aber wies Innocenz zuruͤck mit der Bemerkung, daß der 
Koͤnig Richard von England dieſe Inſel nicht dem roͤmi— 
ſchen Reiche ſondern einem Feinde der abendlaͤndiſchen 
Chriſtenheit, welcher den Kaiſer von Byzanz keineswegs 
als ſeinen Oberherrn anerkannte, entriſſen habe, und daß 
deren Beſitz zur Erhaltung der chriſtlichen Herrſchaft im 
Morgenlande unentbehrlich ſey 3°). 
Waͤhrend Innocenz auf ſolche Weiſe die Bewaffnung 
der geſammten Chriſtenheit zur Rettung des heiligen 
Grabes zu bewirken ſuchte, ermunterte er die Chriſten im 


gans, pacifice et sine pugna terras 
imperii mei transire jurans, et sic 
imperium meum sine aliquo impe- 
dimento intrans, et omne in eo 
pessimum operans, et Christianos 
ut impios expugnavit; et hinc, et 
a via, qua ipse proposuerat ire, 


exelus us, et insperate Auvio et ve 
tularum (vitularum?) vado sub- 
mersus est.“ Lib. II. Ep. 210. 

35) S. Gesta Innoc. III. c. 64., 
wo auch das päpſtliche Schreiben 
über dieſe Angelegenheit mitgetheilt 
worden iſt. 


Der Papſt Innocenz III. 99 9 70 


Morgenlande auf's neue zur Geduld und Standhaftigkeit. gr 
Dem Koͤnige Amalrich von Jeruſalem insbeſondere empfahl 
er die chriſtliche Demuth und die Nachahmung des Bey— 
ſpiels Chriſti in allen Tugenden als die ſicherſte Begruͤn— 
dung der Hoffnung auf baldige Befreyung der morgen— 
laͤndiſchen Kirche aus ihrer Truͤbſal; den uͤbrigen Fuͤrſten 
ſo wie der Geiſtlichkeit des gelobten Landes und den 
Ritterorden machte er Folgſamkeit gegen den Koͤnig und 
Eintracht unter ſich zur Pflicht; auch verglich er durch bil⸗ 
lige Entſcheidungen die unter ihnen obwaltenden Streitig⸗ 
keiten und ermahnte ſie, dem Koͤnige ihren Beyſtand auch 
in dem Falle nicht zu entziehen, wenn er deſſen beduͤrfen 
ſollte zur Behauptung ſeines Koͤnigreichs Cypern, welches 
er aus uneigennuͤtzigem Eifer fuͤr das Reich Jeruſalem 
verlaffen hätte. Um den König ſowohl, als die übrigen 
chriſtlichen Bewohner des heiligen Landes zur Standhaf⸗ 
tigkeit und zuverſichtlichen Hoffnung auf eine beſſere Zus 
kunft zu ermuntern, nahm er das Reich Jeruſalem und 
alles, was dazu gehoͤrte und kuͤnftig gehoͤren wuͤrde, in 
feinen und des heiligen Petrus beſondern Schuß 3°), 
Außerdem geſtattete Innocenz, daß diejenigen Pilger, 
welche nach dem gelobten Lande kommen wuͤrden mit dem 
Geluͤbde, die heiligen Oerter zu beſuchen, das Geld, welches 
ſie fuͤr ſolche Wallfahrten beſtimmt haͤtten, zur Wieder— 
herſtellung der Mauern der dortigen Städte und zur Bes 
lohnung der Vertheidiger des Landes ſollten verwenden 
und auf ſolche Weiſe, ohne Vollziehung jener Wallfahrten, 
ihr Geluͤbde loͤſen dürfen 7). 


36) Die im December des Jahres falls im December 1198, in Bezle⸗ 
1108 geſchriebenen Briefe dieſesznhalts hung fowohl auf das Reich Zeruf 
finden ſich: Epist. Lib. I. ep. 437. 438. lem als auf das Fürſtenthum Antio⸗ 

37) Dieſes geſtattete Innocenz, eben: chien. Lib. I. ep. 439. 


J. Chr. 
1198. 


80 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II. 


Ungeachtet ſolcher angeſtrengten Bemuͤhungen erregten 
dennoch die Kreuzpredigten uͤberall nur ſehr geringe Theil— 
nahme. Viele ſuchten ſelbſt die Abſichten des Papſtes in 
Hinſicht der geforderten Geldbeytraͤge verdaͤchtig zu machen, 
indem ſie ohne Scheu behaupteten, daß das Geld, welches 
von einzelnen Chriſten ſowohl als von Kirchen und Kloͤſtern 
unter dem Vorwande der Kreuzfahrt gefordert und bey— 
getrieben wuͤrde, beſtimmt waͤre, die paͤpſtliche Schatzkam⸗ 
mer zu fuͤllen und fuͤr fremdartige Zwecke zu dienen ss). 
Innocenz aber begegnete dieſen uͤbelwollenden Gegenwir— 
kungen durch die Erklaͤrung: daß es ſeine Abſicht niemals 
geweſen ſey, das in der Chriſtenheit fuͤr die Kreuzfahrt 
geſammelte Geld nach Rom zu fordern, ſondern daß er 
nur unterrichtet ſeyn wolle uͤber den Ertrag der Samm— 
lungen in jedem biſchoͤflichen Sprengel; daß er den Bis 
ſchoͤfen die Vollmacht ertheile, jedem in ſeinem Sprengel, 
das eingegangene Geld, mit Zuziehung eines Tempelherrn 
und Hoſpitaliters, unter die mit dem Kreuze bezeichneten 
Ritter und andere Kreuzfahrer, nach deren Beduͤrfniſſen, 


38) Dieſe Beſchuldigung ſprach auch 
Walther von der Vogelweide aus, in 
einem Liede, welches ſich alſo ſchließt: 

Ich wän, des Silbers wenic Eu: 
met ze Helfe in Gotes Lant: 
Grozen Hort zerteilet ſelten Pfaf⸗ 
fen Hant. 
Her Stoc, ihr ſit uf Schaden her 
gefant, 
Daz ir uz tiutſchen Ziuten fuochet 
Törinne unde Narren. 
S. die Gedichte Walthers von der 
Vogelweide, herausgegeben von Lachs 
mann S. 34. Ihn ſtrafte aber we⸗ 
dieſer vermeſſenen Rede der Dich: 
ter des welſchen Gaſtes in der von 
Lachmann mitgetheilten Stelle, eben: 
daſelbſt S. 185 137. Den geiſtlichen 


Häuſern in London und der Umge. 
gend wurde der Magiſter Philipp, 
Notarius der römiſchen Kirche, wel⸗ 
cher nach London kam, um den Vier—⸗ 
zigſten von allen Einkünften der bez 
weglichen und unbeweglichen Güter der 
dortigen Geiſtlichkeit zum Behufe der 
Kreuzfahrt zu erheben, auch dadurch 
ſehr läſtig, daß er die Gaſtfreyheit 
auf eine ſehr unbeſcheidene Weiſe in 
Anſpruch nahm; und Radulfus de 


Diceto, indem er dieſes (ad a. 1200 


col. 707) berichtet, hält wegen der 
den Römern angebornen Habſucht es 
für ſehr zweifelhaft, daß das einge⸗ 
kommene Geld für den angegebenen 
Zweck verwandt wurde. 


Der Papſt Innocenz III. 81 


jedoch nicht zum Ueberfluſſe, zu vertheilen; und daß dem 
Papſte nur in dem Falle, daß nach ſolcher Vertheilung 
etwas uͤbrig bliebe, das Recht zuſtehen ſollte, über 
dieſen Ueberſchuß zum Beſten einzelner Ritter oder des 
Reichs Jeruſalem zu verfuͤgen 29). Andere entſchuldigten 
ihren Mangel an Eifer fuͤr den Heerdienſt Gottes mit dem 
Frieden, welchen die Chriſten im Morgenlande mit den 
Unglaͤubigen geſchloſſen hatten ). i 

Innocenz beſchloß hierauf, durch kraͤftigere Maßtegeln 
die Kreuzfahrt zu beſchleunigen. Er erließ gegen das 
Ende des Jahres 1199 an die Erzbiſchöfe und Biſchoͤfe 
in Italien, Deutſchland, Frankreich, England, Schott⸗ 
land, Irland, Ungarn und den ſlavoniſchen Laͤndern das 
Gebot *), daß jeder Geiſtliche, ſowohl hohen als 
niedern Standes, den vierzigſten Theil des Werthes 
feiner Güter, fo wie feiner Einkuͤnfte und Gefaͤlle, jedoch 
nach Abzug der Zinſen, deren Zahlung nicht ausgeſetzt 
werden koͤnnte, fuͤr die Befreyung des heiligen Landes 
aus der Gewalt der Unglaͤubigen darbringen ſollte. Allen 
denen, welche dieſe Gabe willig und gewiſſenhaft opfern 
wuͤrden, erließ er den vierten Theil der ihnen auferlegten 
Bußen; diejenigen dagegen, welche ſich weigern wuͤrden, 
fuͤr den Heiland, welchem ſie Seele und Leib und alle 


Jan.) datirt iſt. In die engliſche 
Chronik des Radulf Coggeshale (in 


39) Epist. Lib. I. 40g. 


40) Innoc. III. Epist. Lib. II. 189 
an den Patriarchen von Jeruſalem. 

41) Ein ſolches Schreiben erging 
an den Erzbiſchof von Magdeburg 
und deſſen Suffraganbiſchöfe aus dem 
Lateran am 31. Dec. 1199 (II. Kal. 
Jan.) S. Innoc, III, Epist. Lib. II. 
270. Vgl. Roger de Hoveden ad a. 
1200 fol, 454 b. 455, wo dieſes Um: 
laufsſchreiben vollſtändig ſich findet 
und vom 26, December 1199 (VI. Kal, 


V. Band. 


Edm. Martene et Urs. Durand Col - 
lect. ampl. T. V.) S. 868. 969. iſt 
nur der Anfang dieſes Schreibens 
aufgenommen worden. Die Verfü— 
gungen dieſes Umlaufſchreibens wie— 
derholte Innocenz in einem ſpätern 
Schreiben (dat. Laterani V. Kal. 
Jan.), welches mitgetheilt worden iſt 
in den Gestis Innooentii III. c. 84. 


8 


J. Che. 
1199. 


82 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. II. 


ve ihre ubrigen Güter verdankten, ein fo geringes Opfer zu 
bringen, ſo wie diejenigen, welche einen Theil ihrer Ein— 
fünfte und Gefaͤlle durch falſche Angaben und Verheim— 
lichung dieſer Beſteuerung entziehen wuͤrden, bedrohte er 
mit der ſchaͤrfſten Ahndung. Er ertheilte aber der Geiſt— 
lichkeit den Rath, durch gewiſſenhafte und kundige Maͤn⸗ 
ner ihre Guͤter zum Behufe dieſer Steuer ſchaͤtzen zu 
laſſen. Um die Geiſtlichkeit wegen der Zukunft zu beru— 
higen, gab Innocenz die ausdruͤckliche Verſicherung, daß 
dieſe Steuer nur ein Mal fuͤr alle Male erhoben, und dieſe 
durch den Drang der Umſtaͤnde gebotene Abgabe keineswegs 
eine gewoͤhnliche und fortdauernde Steuer werden ſollte. 
Er verordnete ferner, daß die Erzbiſchoͤfe ohne Verzug 
die ihnen untergeordneten Biſchoͤfe zu einer Verſammlung 
in ihrer erzbiſchoͤflichen Kirche, oder falls dieſes, wegen 
kriegeriſcher Bewegungen oder anderer Umſtaͤnde, nicht 
geſchehen koͤnnte, an andern paffenden Orten ihres Spren— 
gels berufen ſollten, um mit ihnen uͤber dieſe Steuer ſich 
zu berathen; worauf die Biſchoͤfe, jeder in feinem Spren⸗ 
gel, die Aebte, Priore, Archidiakonen, Dekane und uͤbri⸗ 
gen Geiſtlichen ebenfalls zuſammenrufen und die Schaͤtzung 
aller geiſtlichen Güter und Gefälle veranlaſſen ſollten; 
jeder Geiſtliche aber ſollte binnen drei Monaten nach ges 
ſchehener Ankuͤndigung dieſe Steuer entrichten, und durch 
ein Zeugniß feines Biſchofs, einiger Geiſtlichen und ein; 
ſichtvollen und redlichen Layen darüber ſich aus weiſen, 
daß er von feinen Gütern und Gefaͤllen nach deren vollem 
Werthe ſteuere. Das Geld, welches auf dieſe Weiſe 
zuſammengebracht wuͤrde, ſollte zwar innerhalb der 
erzbiſchoͤflichen und biſchoͤftichen Sprengel, in welchen es 
geſammelt wuͤrde, an einem paſſenden und ſichern Orte 
aufbewahrt werden; Innocenz erneuerte aber den Befehl, 


Der Papf!Innodenz; III. 83 


daß ihm jeder Erzbiſchof und Biſchof auf das ſchleunigſte 
durch Briefe und beſondere Botſchafter den Betrag dieſer 
Steuer in ſeinem Sprengel anzeigen ſollte. Von dieſer 
allgemeinen Verfuͤgung nahm er nur die Carthaͤuſer 
und Ciſterzienſer Moͤnche, ſo wie die Praͤmonſtratenſer 
Chorherrn und die Einſiedler von Grandmont aus, welchen 
er freyſtellte, zur Unterſtuͤtzung des heiligen Landes ent⸗ 
weder eine Geldſumme von ſolchem Betrage, daß er ſie 
mit gutem Gewiſſen annehmen koͤnnte, oder den funfzig⸗ 
ſten Theil aller ihrer Einkuͤnfte und Gefaͤlle zu ſteuern; 
indem er die Drohung hinzufuͤgte, daß er, wenn ſie dieſer 
Forderung nicht Folge leiſten wuͤrden, alle ihre Privi⸗ 
legien vernichten, den Praͤlaten der Kirche aber auftragen 
wuͤrde, ſolcher Vernichtung der Privilegien ungeachtet, 
die Zehnten und alle uͤbrigen ihnen zuſtehenden Rechte 
von den e e Ra FREE zu 
augeben. er T 115 10 


um die geſammte, Seifliceit Aue Erfüllung diefen 
ihr aufgelegten Verpflichtung zu ermuntern, verkuͤndigte 
Innocenz in allen Schreiben, welche er wegen dieſer 
Steuer erließ, daß er, außer anderer, Unterſtützung des 
heiligen Landes, wozu ihm Gott, den Gedanken einflößen 
wuͤrde, nach gehaltener Berathung mit den Cardinalen, 
den zu Rom anweſenden Biſchoͤfen und andern frommen 
Maͤnnern, beſchloſſen habe, den zehnten Theil aller ſeiner 
Einkuͤnfte und Gefälle zum Beyſtande des Reichs Jeru⸗ 
ſalem anzuwenden; obwohl ſolches nicht ohne empfind⸗ 
liche Beſchraͤnkung ſehr dringender Ausgaben, welche die 


45) Epist. Lib, II. 268. 269. Dieſe in vos, utrum in Cistercienses Fra- 
Briefe ſchloſſen ſich alſo: „uod si nec tres plenam „ sicut 
sic volueritis obedire, experiemur in alios habeamus.“ 


F 2 


J. Chr. 
1198. 


84 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. II. 


Juen damaligen Verhaͤltniſſe des päpklichen Stuhls cfenderbm 
wurde geſchehen koͤnnen. 

Damit aber auch die Ya: Gelegenheit erhalten 
wien, durch milde Beyſteuer „für. die Befreyung des 
heiligen Landes der Vergebung der Suͤnden theilhaftig 
zu werden: ſo befahl Innocenz, daß in allen Kirchen ein 
Almoſenſtock aufgeſtellt werden ſollte fuͤr Gaben dieſer 
Art, wozu der Geiſt Gottes die Glaͤubigen treiben wuͤrde; 
dieſer Stock ſollte mit drey Schloͤſſern verſehen ſeyn, und 
von den drey dazu gehoͤrigen Schluͤſſeln der eine von dem 
Biſchofe, der andere von dem Prieſter der Kirche, und 
der dritte von einem frommen Layen verwahrt werden. 
Auch verordnete er, daß in jeder Woche eine Meſſe fuͤr 
die Vergebung der Suͤnden, beſonders zum Heile derer, 
welche Almoſen zum Beyſtande des heiligen Landes dar⸗ 
bringen wuͤrden, gefeyert werden ſollte ). Den: Exp 
biſchoͤfen und Biſchoͤfen geſtattete er zugleich, denjenigen, 
welche durch einen im Verhaͤltniſſe zu ihrem Stande und 
Vermoͤgen erheblichen Beytrag die Sache des heiligen 
Landes unterſtüͤtzen wuͤrden, ſolches Werk der Mildthaͤ⸗ 
tigkeit als ſtellvertretenden Erſatz für die ihnen pe aufs 
erlegte Buße anzurechnen. ** 

In Hinſicht der Verwendung des Geldes, welches 


auf dieſe We n. Weiſe A DaB Heilige Land wuͤrde 


24 
j 


43) Ad haec in singulis Ecclesiis 


truncum concavum poni praeoipi- 
mus, tribus clavibus consignatum; 
prima penes Episcopum, secunda 
penes Ecclesiae sacerdotem, tertia 
per aliquem religiosum laicum con- 
servandis; etin ea (leg. eum) fide- 
les quilibet, juxta quod eorum 
mentibus Dominus inspiraverit , 
suas elcemosynas deponere in re- 


missionem suorum peccatorum mo- 


neantur, et in omnibus Ecclesiis 
semel in hebdomada pro remissione 
peccatorum, et praesertim offeren- 
tium, Missa publice decantetur.““ 
Ep. Innoc, III. Lib. II. 270, Vgl. 
Badulfi Coggeshale Chron, Anglic. 
p- 870. die Gesta Innocentii III. I. o. 
und oben Anm. 38. 


Der Papſt Innocenz III. 8⁵ 


geſammelt werden, ſetzte Innocenz feſt, daß die Erzbi⸗ 09. 
ſchoͤfe und Biſchoͤfe, mit Zuziehung eines Tempelherrn 
oder Hoſpitaliters, wenn es geſchehen koͤnnte, oder an⸗ 
derer frommen Layen und verſtaͤndiger Ritter, die Unterz 
ſtuͤtzung ſolcher Krieger ſich ſollten angelegen ſeyn laſſen, 
welche nicht im Stande waͤren, die Meerfahrt mit eigenen 
Mitteln zu beſtreiten. Es ſollte aber jeder welcher eine 
ſolche Unserftügung empfinge, mit Darbringung gehoͤriger 
Sicherheit, geloben, mindeſtens ein Jahr / oder, nach dem 
Verhaͤltniſſe des empfangenen Geldes noch länger, der 
Vertheidigung des heiligen Landes ſich zu unterwinden; 


und dieſe Verpflichtung ſollte nicht eher erledigt ſeyn, als 


wenn durch Zeugniſſe des Königs und Patriarchen von 
Jeruſalem, der Großmeiſter des Tempels und des Hoſpi⸗ 
tals, und eines paͤpſtlichen Legaten bewieſen wuͤrde, daß 
der zugeſagte Dienſt in ſeiner vollen Dauer geleiſtet wor⸗ 
den wäre. Auch ſollte es den Kreuzfahrern, welche vor 
dem Ablaufe ihrer Dienſtzeit mit Tode abgehen wuͤrden, 
nicht geſtattet ſeyn, uͤber das empfangene Geld zu ver⸗ 
fügen, ſondern was davon zur zeit ihres Todes übrig 
wäre, ſollte zur Unterſtuͤtzung anderer Kreuzfahrer vers 
wandt werden. N 

Indem Innocenz auf eine fo, überdachte und forgs 
ſame Weiſe alles ordnete, was ihm zur baldigen Bewir— 
kung der Kreuzfahrt forderlich ſchien, unterließ er nicht, 
die Geiſtlichkeit aller chriſtlichen Laͤnder zur eifrigen 
Befoͤrderung des heiligen Werks zu ermahnen; ihnen 
vorſtellend, wie nach den eingegangenen Meldungen 
des Koͤnigs von Jeruſalem, der Patriarchen von Jeru— 
ſalem und Antiochien und anderer Erzbiſchoͤfe und Bi— 
ſchoͤfe des Landes jenſeit des Meeres, fo wie der Groß⸗ 
meiſter der Ritterorden und des Königs Leo von Armenien, 


J. Chr. 


1108. 


1109. 


86 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. II. 


die laͤngere Verzoͤgerung eines nachdruͤcklichen Beyſtandes 
der abendlaͤndiſchen Chriſtenheit den groͤßten Schaden be⸗ 
ſorgen ließe. Noch wäre die Zeit, in welcher wegen der 
Zwietracht der Saracenen von einer kleineren Schar groͤ⸗ 
ßere Dinge geſchehen koͤnnten, als in fruͤherer Zeit von 
zahlreichen Heeren haͤtten vollbracht werden koͤnnen; wenn 
aber die Sararenen ſich wieder vereinigt haben wuͤrden, 
dann wuͤrde niemand als Gott ſelbſt' helfen koͤnnen. Uebri⸗ 
gens beſtaͤtigte Innocenz aufs neue alle Rechte und Vor⸗ 
theile, welche er durch fruͤhere Verordnungen den Kreuz⸗ 
fahrern und denjenigen, welche durch reichliche Geldbey⸗ 
träge die Kreußfahrt befoͤrdern wurden, zugeſichert hatte, 
insbeſondere die allgemeine Vergebung der Suͤnden, welche 
fie mit reuigem Herzen beichten würden, und machte 
ſolches Vortheils alle diejenigen theilhaftig, welche auch 
nur fuͤr den Dienſt Eines Jahrs im gelobten Lande unbe⸗ 


mittelte Kreuzfahrer ausruͤſten und unterhalten wuͤrden ). 


Dieſe nachdruͤcklichen Ermahnungen des Papſtes 
brachten zwar hin und wieder einen regen Eifer fuͤr 
das heilige Land hervor; aber dieſer Eifer zeigte ſich 
mehr in Verſprechungen und Verheißungen, als in deren 
Erfuͤllung. Die franzoͤſiſche hohe Geiſtlichkeit verſprach 
auf einer am Ende des Jahres 1199 zu Dijon gehaltenen 
Kirchenverſammlung, welcher der paͤpſtliche Legat, Car⸗ 
dinal Peter von Capua, beiwohnte **), nicht nur den 
vlerzigſten, ſondern ſogar den dveißigſten Theil ihrer Ein⸗ 
kuͤnfte zur Huͤlfe des heiligen Landes zu opfern; aber die 


44) Epist. In noc. III. Läb. II. 270. 
43) Diefe Kirchenverſammlung, wel: 
che vorzüglich wegen der Angelegenhei⸗ 
ten des Königs von Frankreich gehalten 
wurde, dauerte vom Feſte des heiligen 
Nikolaus (6. December 1199) an fieben 


Tage, und außer den Erzbiſchöfen 
von Lyon, Rheims, Beſangon und 
Vienne waren achtzehn Bifchöfe ge⸗ 
genwärtig. S. Labbé et Cossartii 
Concilia T. XI. P. I. col. 11. 12. 


Der Papft Innocenz III. BR 87 


Erfüllung dieſer Zuſage fand große ee und 190. 
Innocenz ſah ſich daher genoͤthigt, nicht nur durch ers 
neute Ermahnung den erkalteten Eifer der franzoͤſiſchen 
Geiſtlichkeit fuͤr das heilige Land wieder zu beleben, ſondern 
auch diejenigen, welche nicht mindeſtens den vierzigſten 
Theil ihrer Einkünfte fuͤr die Sache des Herrn darbringen 
wurden, mit der Strafe des kirchlichen Bannes zu be⸗ 
drohen. „Seht, ſchrieb er an die franzöfifchen Erzbiſchdfe, 
Biſchoͤfe und Aebte 36), „der Gekreuzigte wird wiederum 
gekreuzigt beſchimpft durch Backenſtreiche und gegeißelt, 
4 und die Feinde ſprechen zu ihm hoͤhnend; Wenn du Gottes 
Bi: Sohn biſt, ſo mache Dich frey uud rette dein Land, wenn 
du kannſt, aus unſern Händen, und gieb dein Kreuz 
wieder den Verehrern des Kreuzes. Ihr aber, wie wir 
mit Verdruß vernehmen, reicht ihm, auf wiederholte 
Bitte, kaum einen Becher friſchen Waſſers und macht 
euch dadurch boͤſen Namen bey den Layen, welche von 
euch zum Gehorſam des Kreuzes zwar mit Worten, aber 
nicht durch Werke ermuntert werden, und daher von euch 
ſagen: Sie beſchweren die Schultern der Unterthanen 
mit Laſten, an welche ſie ſelbſt keinen Finger legen moͤgen. 
Die Layen werfen euch vor, daß ihr aus dem Erbtheile 
Jeſu Chriſti lieber Poflenreißer unterſtuͤtzt als den Hei— 
land, und mehr an Hunde und Falken wendet als an die 
Sache Gottes.“ Indem Innocenz in eben dieſem Schrei— 
ben alle von dem Papſt Gregor dem Achten und ihm 
ſelbſt den Kreuzfahrern bisher bewilligten Vorrechte und 
alle von ihm fruͤher wegen der Kreuzfahrt gemachten An— 


40) Dieſes Schreiben findet ſich in terdictes G. das folg. Kapitel S. 93) 
den gestis Innoc. III. c. 84 und hervorgeht, im Laufe des Jahrs 1200 
wurde, wie aus der Erwähnung des erlaſſen, 
über Frankreich ausgeſprochenen In- 


J. Chr. 
1200. 


88 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II. 


ordnungen beſtaͤtigte und erneute, fuͤgte er noch die Er 
laubniß hinzu, daß ungeachtet des uͤber das franzoͤſiſche 
Reich ausgeſprochenen Interdietes fuͤr die mit dem Kreuze 
Bezeichneten auf deren Verlangen die heilige Meſſe ſollte 
geleſen werden duͤrfen, jedoch mit Ausſchließung derer, 
welche das Kreuz nicht truͤgen, und ohne Glockengelaͤute. 
Auch empfahl er den Kreuzfahrern angelegentlichſt Genuͤg— 
ſamkeit, Enthaltſamkeit und Vermeidung jeder ueppig⸗ 
keit, und gebot, daß niemand mehr, als außer der Zw 
koſt noch zwey mäßige Gerichte auf feinen Mittagstiſch 
bringen, und nur den Grafen, Baronen und anderem 
Adel ein drittes Gericht zugeſtanden werden, und der 
Gebrauch von koſtbaren Pelzen für die Dauer der Kreuz 
fahrt gänzlich abgeſtellt ſeyn ſollte; nach dieſer Verord— 
nung ſollten nicht nur die Layen, ſondern auch die Geiſt; 
lichen und ſelbſt die Weiber, welche durch ein Geluͤbde ſich 
verpflichtet haͤtten, oder ſonſt geſonnen waͤren, nach dem 
heiligen Lande ſich zu begeben, auf das ſtrengſte ſich achten. 
Den Knappen und andern Dienern und Knechten gebot er 
ernſtlichſt, ſich der gefärbten Kleider zu enthalten und ſich 


mit anſtaͤndiger Kleidung zu begnügen ). Endlich rich; 


Pr 
47. „Quia vero iis, qui divinae 
se mancipant obsequiis servitutis, 


et abstinendum ab illicitis, et lici- 
apponatur; nec de cetero, doneo 


tis parcius est utendum, ne licitum 
fiat illicitum, si lascive vel illi- 
center agatur, volumus et manda- 
mus, ut eos ex parte nostra monereo 


diligentius et inducere procuretis, 


ne diebus illis, quibus carnibus 
ves ei debent, aut etiam jejuniorum 
diebus, praeter pulmenta, pluribus 
ferculis quam duobus et eis etiam 
moderatis utantur; nisi korsau Co- 
mitibus, Baronibus ct aliis Nobili- 


in 


vitores diligenter "et 


bus tertium ferculum, quod vulgo 
dicitur intermissum (entremets), 
ultra id quod exhibetur familiag, 


votum peregrinationis adimpleant, 


hermineis variis seu griseis induan- 


tur. Ad quorum utrumque tam 


Clericos duam Laicos et mulieres 


etiam, quae vel transfretare te- 
nentur ex vn vel „secuturae sunt 
peregrinationis itinere viros 
suos, similiter vofumus commo- 
nieri. Armigeros etiam ct alios Ser- 
""eflicaciter, 


Der Papſt Innocenz HR 89 


tete Innocenz in dieſem Schreiben auch an die franzdſiſche Jr. 
Geistlichkeit die Ermahnung, diejenigen, welche das Kreuz 
angenommen und wieder abgelegt hatten, insbefondere 
die Grafen von Boulogne und Beaumont, auf das nach⸗ 
druͤcklichſte und im Falle der Noth durch den kirchlichen 
Bann zur Erfuͤllung ihres Geluͤbdes zu noͤthigen, und 
ihren Pfarrgenoſſen wenigſtens fuͤr die Wink vo fuͤnf 
Jahren den Beſuch det Turniere zu mee I 


Um eben dieselbe geit, I u dleſe . 
. Aalen wurden ſuchte Innocenz, ſo viel an ihm lag, 
feine den Chriſten im Morgenlande gegebenen Verheißun; 
gen ins Werk zu ſetzen; obgleich er noch immer ſich ge 
noͤthigt ſah, die Klage zu fuͤhren, daß ungeachtet aller 
ſeiner dringenden Ermahnungen nur wenige das Kreuz 
genommen haͤtten, und die erneute paͤpſtliche Aufforderung 
zu Beytraͤgen fuͤr das heilige Land an vielen Orten unter 
den Geiſtlichen ſowohl als dem Volke Unzufriedenheit 
und Murren erweckte? s). Innocenz ließ mit einem Auf⸗ 
wande von dreyzehn Hundert Pfund Silbers aus ſeinem 
Schatze *“) ein neues Schiff erbauen und daſſelbe mit 
Fleiſch, Brod, Huͤlſenfruͤchten und Getreide, welche ver⸗ 
mittelſt der von frommen Chriſten. geſpendeten Almoſen 
Waren angeſchafft worden, befrachten; und ein Templer, 
ss ann ) ji 0 N 1 pad ee 
quantum in vobis fuerit, inducatis, welche die Biſchöfe wegen der Ange: 
ut coloratis vestibus non utantur, legenheiten des heiligen Landes nicht 
sed contenti sint alfis convenien- in ihrem, ſondern in des Papſtes 
tibus indumentis.“ Gesta Innoc. III. Namen berufen würden, fleißig ein⸗ 
1. C. (in ed. de Bréquigny et La- zufinden (vom 30. Dec. 1190 III. Kal. 
Porte du Theil p. 82. 83). Jan.) Ep. I. 272. 
48) Vgl. das Umlaufſchreiben des A), Pro qua (navi) cum ornamen- 
Papſtes vom 4. Jan. 1200. Ep. I. täs suis mille treceutas libras expen- 


271. und die Ermahnungen an die dit.“ Gesta Innocent. III. c. 46. 
Aebte, ſich zu den Verſammlungen, 


90 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II. 


3,5 ein Hofpitaliter und ein Moͤnch wurden von ihm beaufs 
tragt, mit dieſem Schiffe nach dem heiligen Lande ſich 
zu begeben, und jene Lebensmittel dort auf angemeſſene 
Weiſe zu vertheilen. Sie aber begaben ſich mit dem -päpfts 
lichen Schiffe nach Meſſina in Sicilien; und als ſie dort 
durch Stürme längere Zeit aufgehalten wurden, und die 
Lebensmittel zu verderben drohten: ſo fanden ſie es raͤth⸗ 
licher, die Vorraͤthe zu verkaufen; zumal, da das Getreide 
damals in Sicilien theurer war, als in Syrien. Das 
Geld aber, welches fie durch dieſen Verkauf loͤſten, brachten 
ſie nach Syrlen und verwendeten ein Dritttheil deſſelben 
zur Wiederherſtellung der durch ein Erdbeben zerſtoͤrten 
Mauern von Tyrus, ein andres Dritttheil vertheilten ſie 
unter die Armen, und das letzte Dritttheil beſtimmten fie 
zur Belohnung der Vertheidiger des Landes. Das 
Schiff uͤberließ Innocenz, nachdem die Reiſe war voll— 
bracht worden, den Templern ). Durch dieſe thaͤtige 
Theilnahme an der Unterſtuͤtzung des heiligen Landes 
bewies Innocenz der ganzen Chriſtenheit, daß es ſeine 
Abſicht nicht war, ſich ſelbſt und die roͤmiſche Geiſtlichkeit 


30) Gesta Innocenti III. I. c. Die 
Zeit, in welcher Innocenz dieſes 
Schiff nach Syrien ſandte, wird zwar 
nicht angegeben; es ſcheint aber die 
Abſendung deſſelben noch in das Jahr 
1100 zu gehören. Den Abgang des 
Schiffes, mit welchem der Hoſpita⸗ 
liter Raimund, der Templer M. 
(Martin) und der Mönch J. (Jo⸗ 
hann) die Reiſe nach dem Morgen⸗ 
lande machten, kündigte der Papſt 
dem Patriarchen von Jeruſalem in 
einem eignen Schreiben (Ep. Läb. II. 
189) an. Das Erdbeben, wodurch 
die Mauern von Tyrus zerſtört wor: 


den, ereignete ſich erſt im Jahre 1202, 
verwuſtete faſt die ganze Stadt, 
zerſtörte den dritten Theil von Pto⸗ 
lemais und mehrere andere Städte 
und Burgen in Syrien, und wurde 


auch in manchen Gegenden von Eng⸗ 
land bemerkt; im Auguſt dieſes Jah⸗ 


res waren heftige Gewitter mit vie⸗ 
lem Hagel häufig, und heftige Stür⸗ 
me, Rad. Coggesh. (im Recueil des 
hist. de la Fr. T. XVIII.) p. 97. 


Eine ausführliche Beſchreibung dieſes 


Erdbebens findet ſich in der Chrono; 
logia Roberti Altissiodorensis p. 265, 
Vgl. Buch VII. Kap. I. 


Deer Papſt J 


den Laſten zu entziehen, welche den uͤbrigen Chriſten 9 0 


gelegt wurden *). 


81) „Ne nos aliis onera gravia 
et importabilia imponere videa- 
mur, digito autem nostro ea mo- 
vere nolimus, dicentes tantum et 
aut nihil aut minimum facientes, 
cum, qui fecerit et docuexit, masnps 
vocetur in regno caelorum: eius 
exemplo, qui coepit facere et do- 


Innocenz III. 91 


J. Chr. 


1200. 


vicem ejus exercemus in terris, 
bonum aliis praebeamus exemplum, 
in personis pariter et in rebus ter- 
rae sanctae decrevimus subve- 
nire.““ Ep. Lib. I. 336. Diefe Ber: 
ſicherung wiederholte Innocenz in 
7605 feiner Briefe faſt mit denſel⸗ 
ben Worten: z. B. II. 189, 270. 271. 


cexe, ut et nos qui, licet immexiti, 


69 


+ — 72 


92 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. III. 


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Mit ſolcher Thaͤtigkeit, als Innocenz auf die Angelegen⸗ 
heiten des heiligen Landes richtete, wuͤrde er unter guͤn— 
ſtigern Umſtaͤnden vielleicht nicht minder große Wirkungen 
hervorgebracht haben, als Urban der Andere auf der 
beruͤhmten Kirchenverſammlung zu Clermont durch ſeine 
begeiſterte Beredſamkeit bewirkt hatte. Aber alle Verſuche, 
den Frieden unter den Koͤnigen, ohne welchen eine allgemeine 
Kreuzfahrt unmoͤglich war, wiederherzuſtellen und zu befe— 
ſtigen, waren vergeblich. Philipp Auguſt von Frankreich 
und Richard von England ſchloſſen zwar unter Vermitte— 
lung des paͤpſtlichen Legaten Peter von Capua einen fuͤnf— 
jährigen Anſtandfrieden; aber dieſe unverſoͤhnlichen Feinde 
blieben gleichwohl wider einander in drohender Stellung, 
bis der unerwartete Tod des Koͤnigs Richard ihren Feh— 
den ein Ende machte. Mit dem Koͤnige Philipp Auguſt 
gerieth Innocenz bald darauf in ſehr verdrießliche Haͤndel, 
weil der Koͤnig ungeachtet aller Ermahnungen und Dro— 
hungen ſeine Verbindung mit Maria Agnes nicht auf— 
loͤſte und feine verſtoßene Gemahlin Ingeburg, die Tochz 
ter des Koͤnigs Kanut von Daͤnemark, nicht wieder zu 


4 6 Die Kreuzprediger. rd 83 


ſich nahm), alſo daß Innocenz ſich genoͤthigt ſah, wider 
den widerſpenſtigen Koͤnig ſeine Drohungen mit aller 
Strenge ins Werk zu ſetzen. Der Cardinal Peter von 
Capua ſprach alſo als paͤpſtlicher Legat uͤber den Koͤnig 
Philipp Auguſt den Bann und uͤber deſſen Reich das Inter⸗ 
dict aus, und faſt neun Monate lang, von dem Feſte der 
heiligen drey Könige bis zu Maria Geburt des Jahres 
1200, lag Frankreich unter dem Interdicte 2). Unter 
ſolchen Umſtaͤnden hoͤrte in Frankreich faſt niemand auf 
die Ermahnungen des Legaten zur Arnafinuns Re das 
heilige Land. 

Mit groͤßerem Erfolge. aber ee de andere pre, 3, Chr. 
diger in verſchiedenen Gegenden zur Annahme des Kreu— 
zes. In der Gegend von Paris trat der Meiſter Fulco, 
Capellan der Kirche zu Neuilly, als Kreuzprediger auf, 
indem er den Auftrag zu vollziehen ſich bemuͤhte, welcher 
ſeinem Lehrer Peter, Cantor an der Kirche Unſerer lieben 
Frauen zu Paris, von dem Papſte war ertheilt worden. 


1) Radulphi Coggeshale Chron. 
Anglicanum (im Recueil des histo- 
ziens de la France T. XVIII.) p. gı. 

2) Chron, Anonymi Laudunensis 


Canonici (im Recueil des histor. de 


la France T. XVIII.) p. 711. Ra⸗ 
dulph Coggeshale (a. a. O.) ſchildert 
die Wirkung des Interdicts in den 
franzöſiſchen Bisthümern, in welchen 
es mit aller Strenge beobachtet wurde, 
alſo: „O quam horrificum, immo 
quam miserabile in singulis civi- 
tatibus per id temporis erat specta- 
culum! Valvas basilicarum obsera- 
tas cernere, et ab ingressu earum 
Christianos velut canes arcere, ab 
officiis divinis oessare, sacramenta 
corporis et sanguinis Domini non 


conficere, ad praeclaras sanctorum 


solemnitates ex more plebem non 
confluere, defunctorum cadavera 
ritu christiano sepulturae non tra- 
dere, quorum foetor aörem inficie- 
bat et horribilis visio vivorum 
mentibus horrorem incutiechat “, 
Nur die letzte Delung und die Taufe 
fanden Statt. „„Erat ubique per 
regnum moestitia circumfusa, cum 
hic ecclesiae silerent organa et ora 
canentium Dominum clauderen- 
tur.“ Chronologia Roberti Altissio- 
dorensis (im Recueil etc. T. XVIII) 
P. 263. Die Annales Aquicincten- 
sis monasterii (ibid. p. 552.) nennen 
dieſes Verfahren des Papſtes inaudi- 
tam severitatem, 


94 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III. 


Denn als Peter, ein eben fo frommer als gelehrter Geift 
licher, in dem elſtercienſer Kloſter Longpont bey Soiſſons 
ſich aufhielt, um in Gemeinſchaft mit den Kloſterbruͤdern 
durch inbruͤnſtiges Gebet von Gott die Loͤſung des Zwei— 
fels, welcher ſein Gemuͤth bewegte, zu erflehen, ob es 
für) das Heil feiner Seele zutraͤglich wäre, die auf ihn ge. 
fallene- Wahl zum Biſchofe anzunehmen: ſo erſchienen 
paͤpſtliche Boten mit einem Schreiben, in welchem Innocenz 
dem Cantor Peter gebot, alles andere aufzugeben und das 
Kreuz zu predigen. Peter aber fiel, da er ſich anſchickte, den 
paͤpſtlichen Auftrag zu vollziehen, in eine toͤdtliche Krankheit; 
und, als er fuͤhlte, daß das Ende ſeines Lebens ſich nahte, 
ſo rief er ſeinen Schuͤler Fulco zu ſich und ermahnte 
ihn, den paͤpſtlichen Auftrag zu übernehmen, deſſen Voll— 
ziehung ihm ſelbſt die goͤttliche Fuͤgung nicht geſtattete. 
Fulco, damals noch ein junger Mann 3), fol nur mit 
Widerſtreben dieſem Auftrage, zu deſſen Vollziehung 
Peter Niemand wuͤrdiger als ihn achtete, ſich unterzogen 
haben; Peter aber gab bald nachher feinen Geiſt auf ). 
Der Meiſter Fulco war fruͤher eben ſo ſehr, als die meiſten 


3) Jacobi de Vitriaco hist. oc- 
cidentalis (ed. Duac, 1597. 8.) p. 
275 — 289, wo ſowohl über Fulco 
als über deſſen Lehrer Peter aus: 
führliche Nachrichten mitgetheilt wer— 
den. Nach andern Urtheilen war 
Fulco zu der Zeit, als Peter ihn auf: 
forderte, das Kreuz zu predigen: „ae— 
tate quidem juvenis, scientia vero 
et moribus insignis.“ S. Joannis 
de Tlissicuria elogium Fulconis 
Nulliacensis et Petri Parisiensis aus 
Mabillonii Actis Sanctorum Ord. 
S. Benedicti im Recueil des histo- 
ziens des Gäules et de la France 
T. XVIII. p. 800. Radulph Cogges⸗ 


hale (Chron. Angl. Recueil I. c. 
P. 80) nennt ihn: verbo et vita 
clarus. Der Mönch Günther (hi- 
storia Constantinopolitana in Ca- 
nisii Thesauro Monumentor. ed. 
Basnage T. IV- p. V.) „famosus ille 
praedieator Francigena Fulco, no- 
mine Leo,“ wofür vielleicht Fulco 
de Nulliaco zu leſen iſt; und Hugo 
Plagon (p. 654.) : Fouque de Milli 
(Neuilly). Der Cantor Peter ſtarb 
im Jahre 1197. S. Chronologia Ro- 
berti Altissiodörensis p. 262. 

4) Recueil des historiens de la 
France T. XVIII. p. 800. 


Die Kreuzprediger. 95 


Geiſtlichen des pariſer Bisthums zu feiner Zeit, den ſinn⸗ 
lichen Genuͤſſen ergeben geweſen; ploͤtzlich aber kam er 
zur Erkenntniß ſeiner Suͤndhaftigkeit und bemuͤhte ſich, 
ſeit dieſer Zeit in einen ganz andern Mann verwandelt, 
ſowohl durch ſtrenge Buͤßungen, welche er ſich auflegte, 
als durch einen frommen Wandel das Aergerniß ſeines 
vorigen Lebens zu tilgen; und da er es ſchmerzlich fuͤhlte, 
daß ihn der Mangel an Kenntniß, beſonders der heiligen 
Schrift, unfaͤhig machte zur befriedigenden Erfuͤllung der 
Pflichten ſeines Amtes: ſo fing er an mit Tafel und 
Griffel die Vortraͤge der pariſer Gottesgelehrten, beſon— 
ders des gelehrten Cantors Peter, zu beſuchen, und ſich 
fleißig Bibelftelfen und moraliſche Säge; welche fein um 
gebildeter Verſtand begreifen und faſſen konnte, anzu—⸗ 
merken. Was er in der Woche gelernt hatte, trug er 
am Sonntage ſeiner Gemeinde zu Neuilly vor. Bald 


J. Chr. 
1198. 


aber wurden die benachbarten Pfarrer auf ſeine Gabe 


einer der Faſſung des Volks angemeſſenen Beredſamkeit 
aufinerffam und luden ihn ein, in ihren Kirchen zu dem 
Volke zu reden. Auch ſein Lehrer, der Cantor Peter, 
forderte ihn damals auf, in der Kirche des heiligen Seve— 
rinus zu Paris zu predigen, und ſowohl Peter, als viele 
andre pariſer Gelehrte, welche dieſe Predigt anhoͤrten, 
uͤberzeugten ſich, daß aus dem einfachen Pfarrer von Neuilly 
der Geiſt Gottes mit wunderbarer Kraft redete. Fulco 
ſelbſt aber kam erſt zum Gefuͤhle deſſen, was er vermochte, 
als eine öffentliche Predigt, welche er in der Straße 
Champel zu Paris vor einer zahlreichen Verſammlung 
von Geiſtlichen und Layen hielt, eine fo gewaltige Wir— 
kung hervorbrachte, daß viele ihre Kleider abwarfen, ihre 
Füße entſchuheten, und ſich, Riemen und Ruthen ihm dars 
bietend, vor ihm niederwarfen, ihre Suͤnden bekannten und 


J. Chr. 


1198. 


96 Geſchichte der Krenzzuͤge. Buch VI. Kap. III. 


ihn aufforderten mit ihnen nach ſeinem Willen zu verfahren. 
Nach dieſer ihm ſelbſt unerwarteten Wirkung ſeiner Bered— 
famfeit begann Fulco, durch öffentliche Predigten die Wuches 
rer welche damals in Frankreich großes Unweſen trieben, 
zu bekaͤmpfen, und bemuͤhte ſich buhleriſche Dirnen auf den 
Weg der Tugend zu führen, Well aber die Wirkungen 
ſeiner Predigten bald ſich verminderten, ſo daß ſie nur 
noch von wenigen gehoͤrt, von vielen verſpottet wurden: 
ſo entſagte er, nachdem er waͤhrend zwey Jahre viele 
ſolcher offentlichen Predigten gehalten hatte, dieſem uns 
dankbaren Geſchaͤfte, und beſchraͤnkte ſeine Thaͤtigkeit auf 
die Angelegenheiten ſeiner Kirche, welchen er uͤberhaupt 
mit Emſigkeit und Gewiſſenhaftigkeit vorſtand. Mit 
einer viel kraͤftigern Beredſamkeit trat aber nunmehr 
Fulco auf, nachdem ihn die Ermahnung ſeines ſterbenden 
Lehrers zur Wirkſamkeit fuͤr das heilige Land begeiſtert 
hatte; und ſeine Worte drangen, nach dem Ausdrucke 
eines Schriftſtellers dieſer Zeit, in die verhaͤrteten Ges 
muͤther der Laſterhaften ein, gleichwie ſpitzige Pfeile, und 
erweichten fie zu Thraͤnen und zur Reue ). Er erneuerte 


8) Rad. Coggeshale (I. c.) p. gr. 
Nach Rigordus (de gestis Philippi 
Augusti, Recueil des hist. de la Fr. 
T. XVII. Pp. 48.) begann Fulco feine 
Predigten zuerſt im Jahre 1196, und 


im dritten Jahre derſelben (1198) fing 


er an die Wunder zu verrichten, von 
welchen Rigordus nicht reden mag, 
weil die Menſchen nicht daran glaus 
ben (propter nimiam hominum in- 
credulitatem). Jacob von Vitry bes 
ſonders ſchildert mit grellen Farben 
die damals zu Paris herrſchende 
Unkeuſchheit:- z. B.: „ Simplicem 
fornieationem nullum peccatum re- 
putabant. Meretrices publicae ubi- 


que per vicos et plateas civitatis 


passim ad lupanaria sua clericos 
transeuntes quasi per violentiam 
pertrahebant. Quodsi forte ingredi 
recusarent, confestim eos Sodomi- 
tas post ipsos conclamantes dice- 
bant. Illud enim foedum et abomi- 
nabile vitium adeo civitatem, quasi 
lepra incurabilis et venenum insa- 
nabile occupaverat, quod honorifi- 
cum reputabant, si quis publice te- 
neret unam vel plures concubinas, 
In una autem et eadem domo scho- 
lae erant superius, prostibula in- 
fexius. In parte superiori magistxi 
legebant, in inferiori meretrices 
officia turpitudinis exercebant.““ 


Die Kreuzprediger. 97 


aber, indem er zur Annahme des Kreuzes mit glühender , ‚Eh. 
Begeiſterung ermahnte, auch die Verfolgung des Wuchers 
und der Unzucht und anderer Laſter, ſtrafte die nahläß - 
ſigen Praͤlaten und unkeuſchen Prieſter und beſtritt Nez 
zerey und Irrlehren e) mit einer Freymuͤthigkeit, welche 
keines Standes und keines Anſehens ſchonte; und viele, 
erſchůttert durch ſeine Strafpredigten, gingen in ſich, 
beſſerten ihr laſterhaftes Leben und ließen ab von ihren 
Irrlehren. Manchen Buhlerinnen, welche mit ernſtlicher 
Sinnesaͤnderung zum ſittlichen Leben ſich wandten, ver 
ſchaffte er Maͤnner; fuͤr andere gruͤndete er aus den ihm 
von frommen Chriſten geſpendeten Gaben das Frauen— 
kloſter des heiligen Antons zu Paris 2), damit, fie dort, 

der Regel der Ciſtercienſer gehorchend, in der Abgeſchieden— 
heit von der Welt und entfernt von den Reizen der Sinne, 
durch ein frommes und der Andacht. geweihtes Leben die 
Flecken ihres fruͤhern Wandels tilgen moͤchten. 

Als Innocenz von den Predigten des Meiſters Fulco 
hoͤrte, ſo lobte er deſſen frommen Eifer in einem an ihn 
gerichteten Schreiben s), munterte ihn auf, vornehmlich 
zum Beſten des heiligen Landes die ihm von Gott ver— 


6) Beſonders die haeresis populi- 
cana. Chronologia Roberti Altis- 
siodorensis 1. c. P. 262. Annales 
Aquicinctenses (ibid.) p. 550. 

7) Jacobi de Vitriaco G. o. p. 287. 
Alberici Chron. (in Leibnit, access. 
hist.) ad a. 1199. Chrön. Leodiense 
Reineri ad St. Jacobum Monachi 
(im Recueil etc. 1. c.) p. 514. Zur 
Ausſtattung ſolcher dem liederlichen 
Leben entriſſenen Mädchen gaben die 
Schüler -(scholares) zu Paris 950 
Pfund Sitbers, und die Bürger 
mehr als 1000 Pfund Silbers. Otton. 
de St. Blasio Chron, cap. 47. 


V. Band. 


8) Der Brief wurde geſchrieben im 
Lateran am 5. November 1198 (Nonis 
Novembr.). Nach der Chronik eines 
ungenannten Stiftsherrn von Laon 
(im Recueil des historiens de la 
France T. XVIII. p. 713) erwirkte 
noch der Cantor Peter dem Melſter 
Fulco jenes päpſtliche Schreiben:; 
„Fulconis zelum juvit cantor Pa- 
risiensis, dum ei litteras domini 
Papae, Innocentii impetravit, qua- 
rum auctoritate per omncm Galliam 
ei licuit ‚Praedicare, il . 


15 
n 


G 


98 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III. 


2 liehenen Gaben anzuwenden, und ertheilte ihm die Voll⸗ 
macht, nach geſchehener Berathung mit dem Cardinal- 
Legaten Peter von Capua, ſowohl aus den ſchwarzen als 
weißen Moͤnchen zu ſeinem Beyſtande in der Ermahnung 
zur Kreuzfahrt einige, welche er dazu tuͤchtig achte, aus— 
zuwaͤhlen, damit ſie in Gemeinſchaft mit ihm, nach dem 
Ausdrucke des Propheten 9), überall ſaͤen möchten an den 
Waſſern. 

Seit dieſer Zeit zog Fulco von Ort zu Ort, das 
Kreuz predigend; und ſeine Predigten brachten um deſto 
groͤßere Wirkungen hervor, da das Volk die Ueberzeugung 
gewann, daß ihm, zur Beſtaͤtigung ſeiner Sendung, wie 
einſt Peter dem Einſiedler und dem heiligen Bernhard, 
Gott die Kraft verliehen habe, durch Auflegen ſeiner 
Haͤnde und das Zeichen des heiligen Kreuzes den Blinden 
das Geſicht, den Tauben das Gehoͤr, den Stummen die 
Sprache, den Gelaͤhmten den Gebrauch ihrer Glieder 
wiederzugeben, und viele andere koͤrperliche Gebrechen zu 
heilen. „Der Geiſt Gottes aber,“ ſagt ein Schriftſteller 
dieſer Zeit, „hatte dem Meiſter Fulco die Gabe verliehen, 
die Geiſter zu unterſcheiden, ſo daß er wohl wußte, wem 
und zu welcher Zeit er die Geſundheit wieder verleihen 
koͤnnte und muͤßte. Darum, wenn die Kranken mit Un— 
geſtuͤm die Heilung von ihm forderten, ſo gewaͤhrte er 
einigen ihr Begehren augenblicklich; anderen verweigerte er 
es unumwunden, indem er ihnen erklaͤrte, daß die Wieders 
erlangung ihrer vorigen Geſundheit weder fuͤr das Heil 
ihrer Seele erſprießlich, noch Gott wohlgefaͤllig ſeyn wuͤrde; 
anderen that er kund, daß die Zeit ihrer Heilung noch 
nicht gekommen waͤre, und die ihnen von Gott aufgelegte 

Zuͤchtigung noch nicht hinreichte zur Abbuͤßung ihrer 


99 If. 32, ©. 


Die Kreuzprediger. 699 


Sünden 15). Fulco ſoll ſolche wunderbare Heilungen 3.8. 


beſonders durch das Waſſer von Quellen, welche er durch 
ſeinen daruͤber ausgeſprochenen Segen heiligte, bewirkt 
haben *). An ſolchen von ihm geweihten Quellen wurden 
hernach Capellen und ſelbſt Hoſpitaͤler von ſeinen frommen 


Verehrern erbaut *). 


Mit Erlaubniß ſeines Biſchofs begab ſich dieſer be— 
geiſterte Kreuzprediger auch in die benachbarten Land— 


ſchaften, indem er die Normandie und Bretagne, ſo wie auch 


Burgund und Flandern durchzog *), und überall ſowohl 


10) Had. Coggeshale I. c. p. St. 
Vgl. Jac. de Vitr. p. 283. Ueber die 
Wunder, welche Fulco verrichtete, ver 
det ausführlich Otto von St. Blaſien 
nach Mittheilungen, welche darüber 
Berthold von Oſinbere, ein Augen: 
zeuge, an Heinrich von Veringen, 
Cuſtos der Kirche zu Straßburg, 
gemacht hatte. Ueber die Weiſe Ful— 
co's, den Stummen die Sprache zu 
geben, berichtet Otto von St. Bla 
ſien Folgendes: „Allatis ad eum 
mutis, sicut idem Bertholdus ocu- 
lis suis vidit, ora eis aperiens in- 
sufflavit, eisque ut loquerentur 
imperavit. Qui si aliquamdiu mo- 
rarentur, eos in maxilla caedendo 
quasi per vim Spiritus sancti ver- 


bum ab eis violenter extorsit, sta- 


timque loquentes reddidit.“ Auf 
nicht weniger gewaltſame Weiſe heilte 
er die Lahmen. Als einft, da er zu 
Pferde an den Hof des Königs von 
Frankreich ſich begab, einige Ritter 
einen ihnen verwandten jungen Mann, 
welcher völlig gelähmt war, ihm ent: 
gegenführten, damit er durch Aufle— 
gung ſeiner Hände denſelben heilen 
möchte: fo gebot Fulco zuvörderſt 
dem jungen Mann, von ſeinem Pfer⸗ 


de herabzuſteigen, und als er ſich 


nicht bewegen konnte, ſo ſprach der 
Wunderthäter: Im Namen unſers 


Herrn Jeſu Chriſti gebiete ich dir, 


abzuſteigen. Otto von St. Blaſien be: 
ſchließt dieſe Erzählung alſo: „Euum 
nec ad han vocem aeger ille pos- 
set descendere, dominus Fulco (nam 
etipse equo sedebat) equum ad eum 
urgens quasi eum percussurus, ba- 
culum, quem manu gestabat, eleva- 
vit, aegroque per hoc stuporem 
incutiens eumque prae timore de 
equo corruentem elevans, sanum 
continuo reddidit eumque per ali- 
quod campi spatium coram se gau- 
dentem currere fecit.“ Nach der 
Erzählung derſelben Chronik ſoll Fulco 
behauptet haben, daß eine Erſcheinung 
der Jungfrau Maria ihn zum Predi⸗ 
gen aufgefordert habe. Auch Ville— 


hardouin (de la conqueste de Con- 


stantinople, ed. Ducange, p. 1.) er: 
wähnt der Wunder des Meiſters 
Fulco. 

11) „ Dicunt quidam, aliqua per eum 
facta miracula maxime ad fontes, 
quos benedixit.“ Alberici Chron. 
ad a. 1199. 

12) Jac, de Vitr. 1. c. p. 287. 

13) Chronologia Roberti Altissio- 
dorensis I. c. Nach Lüttich kam er 


G 2 


J. Chr. 
1198. 


100 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. III. 


zur Annahme des Kreuzes ermahnte, als wider die Laſter 
predigte, wider welche er ſchon zu Paris und in der 
Umgegend geeifert hatte. Wohin er kam, da begeiſterte 
er das Volk fuͤr das heilige Land, ſo daß Viele das Ge— 
luͤbde der Kreuzfahrt ablegten, Andere ihm reichliche Als 
moſen zur Huͤlfe des heiligen Landes uͤbergaben; und 
ſelbſt aus fernen Gegenden kamen viele Glaͤubige nach 
den Orten, wo er predigte, um ſeine begeiſterten Er— 
mahnungen zu hoͤren und ſeine Wunderwerke zu ſchauen. 
Nicht ſelten aber wurde die Zudringlichkeit ſolcher, welche 
feine Wunderkraft anſtaunten oder für die Heilung koͤrper— 
licher Gebrechen in Anſpruch nahmen, ihm hoͤchſt laͤſtig. 
Nicht nur wurden in großer Zahl die Kranken herbey— 
getragen, und ihre Betten an die Wege geſtellt, damit die 
Kranken, wenn Fulco voruͤberginge, feine Kleider moͤch— 
ten berühren koͤnnen, und dadurch geneſen; ſondern auch 
manche Kranke und ſelbſt Geſunde draͤngten ſich mit Unge⸗ 
ſtum an ihn heran und zerriſſen das Gewand, welches er 
trug, um Stuͤcke deſſelben in ihre Gewalt zu bringen. 
Gewoͤhnlich mußte Fulco täglich ein neues Gewand ans 
legen, weil das Kleid, welches er am vorhergehenden 
Tage getragen hatte, durch ſeine ungeſtuͤmen Verehrer 
war zerriſſen worden. Oftmals draͤngte das Volk in 
heiligem Eifer ſo ſehr auf ihn ein, daß er in Gefahr 
war, erdruͤckt zu werden; und er war daher genoͤthigt, 
durch mancherley Mittel, zuweilen mit Gewalt, die Zu— 
dringlichen von ſich abzuwehren. Als an einem Tage ein 
Mann auf ſehr gewaltſame Weiſe Stuͤcke von dem Ge— 


am Sonntage nach Lätare (19. März) dortigen Mönche wurden mit großer 
1200, Reineri Chron. Leodiense J. Achtung für feine Frömmigkeit und 
c. P. 616. Zu Corbie machten ſeine Heiligkeit erfüllt. Recueil des histo- 
Predigten große Wirkungen, und die riens de la France. T. XVIII. p. 301. 


# 


Die Kreuzprediger. 101 


wande des Kreuzpredigers ſich zu verſchaffen ſuchte, ſo 
erhob Fulco alſo ſeine Stimme zu dem umſtehenden Volke: 
Zerreißet nicht ferner meine Kleider, welche nicht geſegnet 
ſind; ich will aber das Kleid dieſes Mannes ſegnen. 
Als Fulco hierauf uͤber das Gewand deſſelben das Zeichen 
des Kreuzes gemacht hatte, ſo fiel das Volk her uͤber 
dieſen Mann, riß ſein Gewand in Stuͤcke und nahm 
dieſe Stuͤcke als Reliquien. Zu anderer Zeit, wenn der 
Andrang des Volks ſehr heftig wurde, und das Getuͤm— 
mel und Toſen deſſelben oder laute Geſpraͤche der Um— 
ſtehenden ſeine Rede ſtoͤrten oder unterbrachen: ſo ſtrafte 
er die Anſtifter dieſer Stoͤrungen durch ſeinen Fluch, welcher 
von ſolcher Wirkung geweſen ſeyn ſoll, daß nicht nur ſo— 
gleich die vollkommenſte Ruhe eintrat, ſondern auch diejeni— 
gen, welche dadurch ſich getroffen fühlten, wie von fal— 
lender Sucht ergriffen, mit den heftigſten Zuckungen zu 
Boden fielen. Nicht ſelten ſchlug er ſolchen, welche mit 
Unbeſcheidenheit und Ungeſtuͤm ſich an ihn herandraͤngten, 
mit dem Stabe, welchen er in ſeiner Rechten trug, blutige 
Wunden; diejenigen aber, welche ſolche Wunden davon 
getragen hatten, murrten nicht, ſondern kuͤßten das her— 
vordringende Blut, als von einem Manne Gottes ge— 
heiligt *). 

Der Eifer, womit Fulco ſowohl Fuͤrſten, Ritter und 
Volk zur Annahme des Kreuzes als die Laſterhaften zur 
Beſſerung ihres Wandels ermahnte, und die Wunder, 
welche er vollbrachte, mehrten ſein Anſehen bey dem Volke 
ſo ſehr, daß man ihn nicht anders als den heiligen 
Mann nannte *). Doch war Fulco nicht darauf bedacht, 

14) Jac. de Vitr. I. c. p. 284. 285. de la conqueste de Constantinople, 


16 Recueil des hist. de la France ed. Ducange p. 17.28) giebt ihm den 
T. XVIII. p. 801. Villehardouin (his, Beynamen: „le bon hom.““ 


J Chr. 
1198. 


102 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III. 


u durch uͤbertriebene Kaſteyungen und auffallende Buͤßungen 
den Ruf eines Heiligen ſich zu verſchaffen; zwar trug er 
ein haarnes Hemd auf bloßem Leibe und faſtete auch zu— 
weilen mit Strenge, aber zu anderer Zeit aß und trank 
er gern und in ordentlichem Maße die Speiſen und 
Getraͤnke, welche ihm dargeboten wurden; er kleidete ſich 
nach der Sitte des Landes, ſchor ſich oͤfters den Bart, 
und wenn er zum Predigen umherzog, ſo ging er nicht 
zu Fuß, ſondern bediente ſich eines Pferdes *). 

Seinen Reden fuͤr das heilige Land gab Fulco da— 
durch noch groͤßere Kraft, daß er ſich mit zahlreicher Be— 
gleitung zu dem allgemeinen Capitel des Ciſtercienſer— 
ordens begab, welches in der Abtey Citeaux im J. 1198 
gehalten wurde, und daſelbſt zugleich mit dem Biſchof 
Gautier von Langres das Kreuz nahm. Die verſammelten 
Aebte verweigerten ihm zwar die Gewaͤhrung ſeines Ge— 
ſuchs, daß aus ihrer Zahl einige als Begleiter und Ge— 
huͤlfen auf der Wallfahrt ihm ſich anſchließen moͤchten, 
uͤbergaben ihm aber eine große Zahl von Kreuzen; und 
als Fulco, nachdem er die Abtey verlaſſen hatte, mit dem 
heiligen Kreuze bezeichnet, vor dem Thore derſelben, das 
Volk, welches daſelbſt zuſammengekommen war, zum 
Beyſtande des heiligen Landes ermahnte: ſo nahmen ſo— 
gleich Viele aus ſeinen Haͤnden das Kreuz. Viele Andere, 


16) „Nullam singularitatem auste- bam frequenter radebat, caput de- 


rioris conversationis, sive in vigi- centi pileo cooperiens. Vadens ad 


liis sive in ciborum parcimonia, pa- 
lam demonstravit, sed cum gratia- 
rum actione quae sibi apponeban- 
tur percipiens.“ Rad. Coggeshale 
I. c. p. 81. „Hujus sacerdotis con- 
versatio, non multum simulata reli- 
gione fuit, Vestes enim pro con— 
suetudine ipsius terrae habens, bar- 


praedicandum equo utebatur, et in 
quamcumque domum receptus est, 
modo justi praedicatoris comedit 


et bibit, quae sibi apponebantur.““ 


Otton, de St. Blas. Chron, I. c. 
Doch ſagt Jacob von Vitry (p. 283) 
von ihm: „‚famem patiebatur ut 
canis.“ Vgl. Anm. 21. 


Die Kreuzprediger. 105 


als das Gerücht fich verbreitete, daß Fulco ſelbſt eben fo, wie 
vormals Peter der Einſiedler, an die Spitze eines Kreuz— 
heeres ſich ſtellen und daſſelbe nach dem heiligen Lande 
fuͤhren wuͤrde, kamen aus allen Orten zu ihm und baten 
um die Ertheilung des Kreuzes 7). Fulco gewaͤhrte dieſe 
Bitte aber nur den Armen und verſchmaͤhte die Reichen 


als Gefährten feiner Wallfahrt *). 
Die Wirkungen der Predigten des Meiſters Fulco 


waren aber in keiner Hinſicht von Dauer *). 


Viele, 


welche auf ſeine Ermahnung ihre Suͤnden bereut und 
Beſſerung gelobt hatten, kehrten bald wieder zu ihren 


17) Rad. Coggeshale I. c. 


18) „Ipse turbam pauperum in- 
nummerabilem, ad vindicandam 
injuriam Crucifixi in Orientali ec- 
elesia, praedicatione sua accendit 
et eis signum crucis imposuit; di- 
vites vero indignos esse tali bene- 
ficio judicavit. “ Reineri Chron, 
Leod. I. c. p. 615. Roger von 20: 
veden (fol, 448 B) erzählt noch Fol: 
gendes von den Schickſalen, welche 
Fulco als Prediger erfuhr. Er begab 
ſich auch zum Könige Richard und 
ſprach zu ihm: Ich ſage dir im Na⸗ 
men Gottes, daß du drey ſchlimme 
Töchter haſt, und rathe dir, ſie bald 
an den Mann zu bringen, damit ſie 
dir nicht Unheil verurſachen. Du biſt 
ein Heuchler und Lügner, ſprach der 
König; denn ich habe keine Töchter. 
Fulco aber fuhr fort: Ich lüge nicht; 
denn du haſt wirklich drey ſchlimme 
Töchter, welche ſind: Hoffahrt, Lei— 
denſchaftlichkeit und Ueppigkeit (su- 
perbia, cupiditas, luxuria). Der 
König rief hierauf viele feiner Gra: 
fen und Barone zu ſich und ſprach 
zu ihnen: Jener Heuchler ſagt, daß 


ich drey ſchlimme Töchter habe und 
ſie bald verheirathen ſoll; ich gebe 
alſo die Hoffahrt den Templern, die 
Leldenſchaftlichkeit den Ciſtercienſer⸗ 
mönchen, und die Ueppigkeit den 
Prälaten. Als Fulco hernach zu Li⸗ 
ſieur über das unreine Leben der 
Geiſtlichen predigte, ſo ließen ihn die 
Geiſtlichen dieſer Stadt in ein Ge: 
fängniß bringen; aber keine Feſſeln 
vermochten ihn zu halten, und die 
Geiſtlichen gaben ihm wieder die 
Freyheit. Zu Caen in der Normandie 
ließen ihn, als er dort predigte und 
mancherley Wunder verrichtete, die 
Burgwächter (custodes castelli) in 
der Meinung, dem König Richard 
dadurch einen Gefallen zu erweifen, 
in Feſſeln legen; Fulco aber zerbrach 
die Feſſeln und ſetzte froh und mu— 
thig ſeinen Stab weiter. 


19) „Verum non diu perstitit illa 
fervens audiendi frequentia, sed 
processu temporis cio deferbuit; 
et multi, qui a vitiis resilire jam 
coeperant, in eadem sunt relapsi.““ 
Chronologia Roberti Altissiodor. I. 
c. p. 262. 


J. Chr. 
1108. 


0 f 
5 


Me 


J. Chr. 
1198. 


Sept. 


en; 


104 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. III. 


vorigen Laſtern zuruck, und feine Abſichten in Beziehung 
auf das heilige Land wurden verdaͤchtig. Obwohl die 
Almoſen, welche er fuͤr das heilige Land ſammelte, zur 
Unterſtuͤtzung unbemittelter Ritter, welche das Kreuz ge— 
nommen hatten oder nehmen würden, und anderer armen 
Wallfahrer beſtimmt waren: ſo erregte gleichwohl die 
große Menge des Geldes, welches er zuſammenbrachte, 
Neid 22); und man fing an, ihn zu beſchuldigen, daß 
die Noth des heiligen Landes von ihm nur als Vorwand 
gebraucht würde, um für andere Abſichten Geld zu ſam— 
meln. Andere tadelten feine Reizbarkeit zum Zorn und 
die Haͤrte, womit er diejenigen von ſich ſtieß, welche zu 
ungelegener Zeit oder auf ihm laͤſtige Weiſe feine Wunder; 
kraft in Anſpruch nahmen *). Dieſe Vorwuͤrfe und Be 
ſchuldigungen hatten die Folge, daß die Theilnahme an 
ſeinen Predigten ſich minderte. Gleichwohl berichtete Fulco 
im Jahre 1201 auf dem allgemeinen Capiteltage der Aebte 


20) „Ipse (Fulco)ex fidelium elee- 
mosynis maximam coepit congre- 
gare pecuniam, quam pauperibus 
cruce signatis, tam militibus quam 
Licet 
autem causa cupidiratis vel aliqua 


aliis, proposuerat erogare. 


sinistra intentione collectas istas 
non faceret, occulto Dei judicio ex 
tunc ejus auctoritas et praedicatio 
coepit valde diminui apud homi- 
nes; et, crescente pecunia, timor 
et revereutia decrescebat.“ Jac, de 
Vitr. 1, c. p. 288. In der Chronik 
eines ungenannten Stiftsherrn von 
Laon (Recueil des historiens de la 
France T. XVIII. p. 711) wird un: 
umwunden die Beſchuldigung aus⸗ 
geſprochen, daß Fulco in eigennützi⸗ 
ger Abſicht das Kreuz gepredigt, und 
die Mildthätigkeit der Chriſten ge: 


täuſcht habe: Tandem (Fulco), sub 
obtentu Terrae Sanctae, pracdica- 
tiouli quaestuosae insistens, pecu- 
niam congregavit inſinitam, non, 
sicut credebatur, Terrae Sanctae 
profuturam,‘‘ 2 
21) „In hoc scandalizabantur non» 
nulli, quod nimiam pecuniam ag- 
gregavit quasi ad succursum terrae 
Hierosolymitanae, et quod erat ul- 
tra menstiıram iracundus.‘“ Chron, 
Alberici ad a. 1199. Jacob von 
Vitry (I. c. p. 286) entſchuldigt da: 
gegen die Geneigtheit des Kreuzpre— 
digers zum Zorn: „Sed et aspe- 
ritate poenitentiae, eo quod asper- 
rimo semper indutus esset cilicio, 
et plerumyue lorica, ut dicitur, et 
ex nimia vexatione fatigatus, fre- 
quenter commovebatur ad jiram.““ 


Die Kreuzprediger. 103 


des Ciſtericenſerordens, welcher alljaͤhrlich in der Abtey 3,51 Ehr. 
Citeaur am Feſte der Kreuzeserhoͤhung gehalten wurde, 
mit Thraͤnen 22), daß während der drey Jahre, in wel— 
chen er das Kreuz gepredigt hatte, zweyhundert Tauſend 
Kreuzfahrer aus ſeinen Haͤnden das Kreuz empfangen 
haͤtten. Auf eben dieſem Capiteltage legte Fulco einen 
Brief des Papſtes Innocenz vor, durch welchen drey Aebte 
des Ciſtercienſerordens 25) angewieſen wurden, ihn in 
feinen fernern Bemühungen für die Kreuzfahrt zu unter— 
ſtuͤtzen. Er ſah aber nicht die Früchte feiner Bemuͤhun— 
gen; denn er erkrankte zu Neuilly im Jahre 1202 an 


einem Fieber, welches feinem. Leben ein Ende machte 29). 


7209 „Confessus est cum lachry- 
mis. „ Rad. Coggeshale I. c. p. 93. 
Des jährlichen allgemeinen Capitel: 
tages des Ciſtercienſerordens erwähnt 
auch Villehardouin (hist. de la con- 
queste de Constantinople, ed. Du- 
cange) c. 22. p. 17. „Ensi s’en ala li 
Marchis al capitre à Cistials qui est 
a la saincte Crois en Septembre (14. 
Sept.),‘* 

23) „Scilicet abbatem de Colum« 
ba, abbatem de Perseine et abbatem 
de Sarneia.“ Rad. Coggesh. I. c. 


24) Chronolog,, Roberti Altissiod. 
I. C. p. 265. Jac. de Vitr. I. c. p. 
288. 239. Die franzöſiſchen Pilger 
wurden, während ſie zu Venedig (im 
Jahre 1202) ſich verweilten, durch die 
Nachricht von dem Tode Fulco's 
in große Betrübniß gebracht. „De— 
vant ce que nos vos avons ici 
conte , si vint une novelle en 
lost, dont il furent mult dolent 
li Baron et les autres genz, que 
Messire Folques Ii bon hom, qui 
parla premierement des Crois, ſina 


et mori.“ Villehardouin, ed. Du- 
cange C. 37. P. 28. Er wurde in 
ſeiner Pfarrkirche begraben, deren 
von ihm angefangener Bau aus den 
milden Gaben derjenigen, welche zu 
ſeinem Grabe wallfahrteten, vollendet 
wurde; denn Fulco hatte unmittel: 
bar nach ſeiner Bekehrung die alte 
Kirche zu Neuilly gegen den Willen 
ſeiner Gemeine niederreißen laſſen, 
indem er das Verſprechen gab, daß 
er den neuen Bau zu Ende bringen 
würde, ohne die Beyträge ſeiner Ge— 
meine in Anſpruch zu nehmen. Jac. de 
Vitr. I. c. p. 280 Die Chroniken ſetzen 
den Tod Fulco's in das Jahr 12025 
andere Nachrichten geben den 2. 
März 1201 als den Tag ſeines Todes 
an. S. Lebeuf histoire du diocese 
de Paris T. VI. p. 20. (wo auch eine 
Beſchreibung ſeines Grabes ſich be— 
findet.) Michaud Hist. des crois, 
T. III. p. 117. 118. Nach Hugo Pla: 
gon (p. 654) ſtarb Fulco aus Trauer 
darüber, weil ihm ein Theil des Gel: 
des, welches er außer dem in der 
Abtey Citeaux niedergelegten an ei⸗ 


106 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III. 


> Chr. Die Almoſen aber, welche er für das heilige Land ges 
ſammelt und in der Abtey Citeaux niedergelegt hatte, 
wurden zur Wiederherſtellung der durch das große Erd— 
beben im Jahre 1202 zerſtoͤrten Mauern von Tyrus, 
Ptolemais und Berytus und zur Unterſtuͤtzung der armen 
Chriſten in Syrien angewandt; und es wurde anerkannt, 
daß dieſes Geld groͤßern Nutzen in dem gelobten Lande 
geftiftet habe, als jede andere Geldunterſtuͤtzung, welche 
aus dem Abendlande nach Syrien war geſandt worden?). 
Die Wirkungen der Predigten Fulco's wurden mehr 
gehemmt und vermindert durch die Mißbraͤuche, welche 
ſeine Schuͤler ſich erlaubten, als durch die Fehler, welche 
ihm ſelbſt vorgeworfen wurden. Denn manche ſeiner 
Schuͤler, welche die Predigten ihres Meiſters aufſchrieben 
und dann mit groͤßerem und geringerem Erfolge dem 
Volke vortrugen, bereicherten ſich ſelbſt durch die Gaben, 
welche fie frommen und mildthaͤtigen Chriften ablockten ?); 
und ihre Untreue blieb nicht ohne nachtheilige Folgen in 
Beziehung auf die Meinung des Volks von den Abſichten 
ihres Meiſters und ihrer uͤbrigen redlichern Mitſchuͤler; 
obwohl im Anfange diejenigen, welche von Fulco mit 


nem andern Orte aufbewahren ließ, 
vorenthalten wurde. 


25) Jo. Iperii Chron, S. Bertini 


(im Recueil etc. T. XVIII.) p. 60x. 
„Li avoir qui fu commande A Ci- 
stiaus, fu portes en la terre d’ou- 
tremer, ne onque avoir si grant 
bien ne fist en la terre d’outremer 
com cil fist; car li Crolles (Erdbe⸗ 
ben) i avoient este, et estoient fon- 
dus tous les murs de Sur et d’Acre 
et de Baruth, qu'en refist tous de 
cel avoir.“ Hugo Plagon p. 654. 


26) Von den Predigern, welche die 
Mildthätigkeit des Volks mißbrauch— 
ten, und dadurch den übrigen Pre— 
digern ſchadeten, nennt Jacob von 
Vitry (p. 288) den Meiſter Petrus de 
Nuſia, welchem die Gabe vorzüglicher 
Beredſamkeit verliehen war (qui 
praecipuus inter illos et amplius 
facundus et faecundus videbatur), 
Er predigte zwar die Armuth, berei— 
cherte ſich aber durch die milden Ga: 
ben, welche ihm geſpendet wurden, 
und ward ſpäterhin Stiftsherr und 
Kanzler der Kirche zu Chartres. 


\ 


Die Kreuzprediger. 107 


dem Auftrage, zu predigen ausgeſandt wurden, uͤberall J 
mit großen Ehren aufgenommen wurden ?7). Die glaͤn⸗ 
zenden Wirkungen, welche die Predigten Fulco's im An— 
fange hervorbrachten, munterten überhaupt viele Geiſt⸗— 
liche in Frankreich auf, ſein Beyſpiel nachzuahmen; aber 
nur wenige predigten mit reinen Abſichten 28), und eben 
deswegen auch nicht mit großem Erfolge. Auch in Eng— 
land traten mehrere Schuͤler des Meiſters Fulco als Pre— 
diger auf, mit Ermahnungen des Volks zur Buße ſowohl, 
als zur Kreuzfahrt, und zogen umher von Stadt zu 


Stadt. 


27) „Sed et discipuli ejus, quos ad 


praedicandum mittebat, velut Apo- 


stoli Christi, cum summo honore 
et reverentia recipiebantur ab om- 
nibus.‘ Jac, de Vitr. I. c. 

28) Jac. de Vitr. c. 10. p. 290. 8. 
Als ſolche, welche außer dem Meis 
ſter Fulco damals mit redlichem Eifer 
predigten, nennt Jacob von Vitry 
(c. 9. p. 289. 290) den Magiſter Ste⸗ 
phan, Erzbiſchof von Canterbury, 
den Magiſter Walther von London, 
den Magiſter Robert von Corchon, 
nachherigen Cardinal, den Abt von 
Perſones (Perſeine ſ. Anm. 23) Ci⸗ 
ſtercienſerordens, den Magiſter Al 
beric von Laon, nachherigen Erzbi— 
ſchof von Rheims, den Magiſter 5o: 
hannes von Lirot und deſſen Gefähr— 
ten den Magiſter Johannes de Ni: 
vella. Roger von Hoveden (p. 448 B.) 
nennt außer dem Meiſter Robert (von 
Corchon) noch einen gewiſſen Meiſter 
Peter (Petrus de Rusia, ſ. Anm. 26.) 
und den Abt Euſtach von Flai als 
berumziehende Prediger und Schü— 
ler des Meiſters Fulco; und von 
Euſtach von Flal berichtet er ad a. 
1200. (S. 438 B.) mehrere in England 


verrichtete Wunder; indem er noch 
bemerkt, daß der Kreuzprediger jeden 
Handel und Wandel am Sonntage 
vermöge eines vom Himmel zu ihm 
herabgekommenen Auftrags unterſagt 
(vgl. ad a. 1201. p. 466 B) und ver: 
ordnet habe, daß künftig in jeder 
Kirche vor dem Leibe des Herrn eine 
ſtets brennende Lampe, oder irgend 
ein anderes immerwährendes Licht 
unterhalten werden ſollte. Auch brachte 
er es dahin, daß viele Bürger zu 
London ſich entſchloſſen, bey ihrem 
Mittagsmale ſtets eine Schüſſel der 
Mildthätigkeit (discum eleemosyna- 
rium) zu halten, in welche Speiſen 
gelegt wurden für ſolche Armen, wel— 
che nicht im Stande waren, ſich ihre 
Nahrung zu verſchaffen und zu be— 
reiten. Der erwähnte vom Himmel 
gefallene Brief, wodurch die Feyer 
des Sonntags den Chriſten einge— 
ſchärft wurde, war nämlich, wie 
Matthäus Paris (Historia Anglicana 
ed. Wats. Lond. 1640. ad a. 1200. 
p. 200) ausführlich berichtet, zu Je: 
ruſalem am Altar des heiligen Ste— 
phanus auf Golgatha gefunden 
worden. 


” 


108 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III. 


En Außer dem Meifter Fulco predigte Niemand das Kreuz 
mit größerem Erfolge, als Martin, Abt des Ciſtercienſer⸗ 
kloſters Paris in Oberelſaß, welcher, von dem Papſt In— 
nocenz aufgefordert, die Chriſten zur Annahme des Kreu— 
zes zu ermahnen und ſelbſt das Kreuz zu nehmen, zuerſt 
in der Kirche Unſrer lieben Frauen zu Baſel vor einer 
zahlreichen Verſammlung als Kreuzprediger auftrat. Seine 
Rede machte um fo größeren Eindruck, als viele feiner 
Zuhoͤrer, angezogen durch die Neuheit der Erſcheinung, 
daß auch in dieſem Lande das Kreuz gepredigt wuͤrde, 
ſich zu Baſel ſchon in der Abſicht eingefunden hatten, 
dem Dienſte des Heilandes ſich zu weihen. Der Abt 
Martin aber, indem er alle andere Gruͤnde geltend machte, 
mit welchen gewoͤhnlich die Kreuzprediger ihre Ermah— 
nungen zur Wallfahrt unterſtuͤtzten, beſonders die Hoff— 
nung der Belohnungen, welche der Wallfahrer in der 
Ewigkeit warteten, verglich die damaligen Verhaͤltniſſe 
mit den viel unguͤnſtigern Umſtaͤnden, unter welchen Gott: 
fried von Bouillon und die uͤbrigen Helden der erſten großen 
Kreuzfahrt die Eroberung von Jeruſalem durch die Huͤlfe 
Gottes vollbracht haͤtten; indem er daran erinnerte, daß 
Ptolemais, Antiochien und mehrere andere wichtige und 
feſte ſyriſche Staͤdte noch immer in den Haͤnden der Chri— 
ſten waͤren, und durch deren Beſitz die Wiedereroberung 
des uͤbrigen, in den erſten Zeiten der Kreuzfahrten gewon— 
nenen und hernach verlorenen Landes in Syrien wuͤrde 
bedeutend erleichtert werden. Auch achtete er es nicht fuͤr 
uͤberfluͤſſig, zu bemerken, daß das gelobte Land viel rei— 
cher und fruchtbarer waͤre, als das heimathliche Land, und 
manche Pilger hoffen duͤrften, dort eine angenehmere Lage 
ſich verſchaffen zu koͤnnen, als ſie im Vaterlande verlaſſen 
wuͤrden. Endlich ermunterte Martin ſeine Zuhoͤrer zur 


Die Kreuzprediger. 109 


Annahme des Kreuzes durch das Verſprechen, daß er Ache 
ſelbſt die Kreuzfahrer begleiten und alle Gefahren mit 
ihnen theilen wuͤrde. Indem er mit inniger Ruͤh—⸗ 
rung und nicht ohne Thraͤnen dieſe Ermahnung vortrug, 
ſo wurden auch alle Anweſende davon auf das tiefſte 
ergriffen. So wie dieſe Predigt zu Baſel eine große 
Zahl ſtreitbarer Maͤnner fuͤr die Kreuzfahrt gewann: ſo 
wurden auch durch die Predigten, welche Martin in an— 
dern volkreichen Staͤdten des obern Deutſchlands hielt, 
Viele bewogen, das Kreuz zu nehmen; denn ſeine ange— 
nehme Geſtalt, ſein ſanftes, mildes und demuͤthiges Be— 
tragen und ſein richtiges Urtheil uͤber alle Verhaͤltniſſe 
kamen der Anmuth ſeiner Rede zu Huͤlfe. Er empfahl 
aber allen denen, welche in ſeine Haͤnde das Geluͤbde der 
Wallfahrt ablegten, angelegentlich, zu beſtimmter Zeit in 
Baſel, als dem allgemeinen Sammelplatz aller der Pilger, 
welche ſeiner Führung ſich anvertrauen wollten, ſich ein— 
zufinden, oder wenigſtens in kurzer Friſt auf dem Wege, 
welchen er waͤhlen wuͤrde, nachzufolgen, und in der Zeit, 
welche ſie in ihrer Heimath noch zubringen wuͤrden, durch 
einen reinen und frommen Wandel als wuͤrdige Streiter 
des Heilandes ſich zu erweiſen und der Gnade und des 
Beyſtandes Gottes ſich würdig zu machen 2). 


29) Güntheri Historia Constan- genannt. S. Petri d' Outreman Con- 
tinop. p. V- VII. Der Abt Martin stant. belg. Lib. II. c. 1. p. 84. 92. 
wird auch Martin Litz (oder Linz) und Lib. III. c. 6. p. 224. 


110 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. IV. 


12 


Nane e BAUT ET, 


Die Aufforderungen zur Kreuzfahrt, welche Innocenz der 
Dritte nicht müde wurde bald in Umlaufſchreiben an die 
Könige und Fuͤrſten und an die Geiſtlichkeit aller chriſt⸗— 
lichen Laͤnder zu erlaſſen, bald durch ſeine Legaten zu er— 
neuen, ſo wie die Predigten der zahlreichen, von dem 
paͤpſtlichen Stuhle aufgeforderten und bevollmaͤchtigten 
Kreuzprediger, bewogen zwar nach und nach Viele des 
geringen Volks, das Kreuz anzunehmen; gleichwohl ſchien 
noch im Jahre 1199 die Vollziehung der Kreuzfahrt nicht 
nahe zu ſeyn. Denn außer dem Meiſter Fulco und dem Abte 
Martin hatte Niemand ſich erboten, die Fuͤhrung der 
neuen Kreuzheere zu uͤbernehmen; ſolche Fuͤrſten und an—⸗ 
geſehene Ritter aber, welche des Kriegs kundig waren 
und deren fruͤhere Kriegsthaten Zutrauen erwecken konnten, 
hielten noch immer ſich fern von einer Unternehmung, 
welche nur von den Geiſtlichen betrieben wurde und nur 
im Volke lebhafte Theilnahme fand. Erſt die Waffen— 
ruhe, welche nach dem Friedensſchluſſe zwiſchen den Koͤ— 
nigen Philipp Auguſt von Frankreich und Richard von 
England in Frankreich eintrat, machte manche franzoͤſiſche 
Barone und manche Fuͤrſten der benachbarten Laͤnder ge— 


Anordnung des Kreuzzugs. 


111 


neigter, Abenteuer in fernen Gegenden zu fuchen, und 
verſchaffte den Ermahnungen zur Kreuzfahrt, ſowohl des 
Meiſters Fulco und ſeiner Genoſſen, als des ſelbſt mit dem 
Kreuze bezeichneten paͤpſtlichen Legaten in Frankreich, des 
Cardinals Peter von Capua *), auch bey der Ritterſchaft 
mehr Eingang. Die allgemeine Vergebung aller mit Reue 
gebeichteten Sünden, welche die Kreuzprediger im Namen 
des Papſtes den Wallfahrern verhießen, falls ſie nur 
waͤhrend Eines Jahrs dem Dienſte des heiligen Landes 
ſich widmen ‚würden, erſchien bey reiflicher Ueberlegung 
als ein ſo wichtiger Vortheil, daß dadurch allein mancher 
Ritter ſich bewogen fühlte, das Kreuz zu nehmen ). 


Viele franzoͤſiſche Ritter, welche, obwohl ſehr geneigt, 2, Cor. 


ſolches Vortheils theilhaftig ſich zu machen, doch durch 
wohl gegruͤndete Bedenklichkeiten abgehalten worden, das 
Geluͤbde der Kreuzfahrt abzulegen, entſchloſſen ſich erſt 
dann zur Theilnahme an der Meerfahrt, als im Anfange 
der Adventzeit des Jahrs 1199 auf einem Turnier zu 
Ecry s), einem Schloſſe in der Champagne, der zwey und 
zwanzigjaͤhrige Graf Thibaut von Champagne und Brie, 
und der ſieben und zwanzigjaͤhrige Graf Ludwig von Blois 
und Chartres ganz unerwarteter Weiſe mit dem Kreuze 


1) „T Apostoille (le Pape) envoya 
un suen Chardonal, Maistre Per- 


ron de Chappes croisié.“ Ville - 


hardouin p. 2. 


2) „Tuit cil qui se croissieroient 
et feroient‘ la service Dieu un an 


en Post, seroient quittes de toz les 
peschiez, que il avoiens faiz, dont 
Porce que cil 


il seroient confes, 
Pardons fu issi gran, si sen esmeu- 
rent mult Ii cuers des genz, et 
mult s'en croisierent, porce que li 


Pardons ere si gran.“ Villehard, a. 
a. O. Anfangs ‚forderte Innocenz 
einen Dienſt von zwey Jahren, ſ. 
oben Kap. 2. 909 6 

3) „En la Champaigne, à un cha- 
stel qui ot nom Airis“ Villeh. a. 
a. O. Ecry liegt am Fluſſe Aine 
nicht weit von Chateau⸗Porceau oder 
Chateau Poreieu, in der ehemaligen 
Landſchaft Rethelois und dem jetzigen 
Departement der Ardennen. 


112 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. IV. 


> = ſich bezeichnet hatten ). Als aber dieſe beyden Fürften, 
welche nahe Verwandte des Koͤnigs von Frankreich?) waren 
und als tapfere Krieger in großer Achtung ſtanden, ſich dem 
Dienſte des Heilandes geweiht hatten, ſo eilten die frans 
zoͤſiſchen Ritter mit frohem Muthe, ſolchem Beyſpiele zu 
folgen. Rainald von Montmirail, ein naher Verwandter 
der beyden Grafen, und Simon von Mantfort nahmen 


zu Ecry ebenfalls das Kreuz. 


— 


1 * 


Nunmehr ergriff die Barone und Ritter der e Lander 
ſowohl des Grafen Thibaut als des Grafen unis der 


4) „Sie riefen ein Turnier an die 
Somme und in die dortige Gegend, 
(anders weiß ich die Worte; sur Som- 
me et entre nicht zu erklären; die 
Leſeart ſcheint aber verderbt zu ſeyn, 


und es iſt vielleicht sur somme et 


Escri zu leſen), und zogen dahin 
alle; als ſie aber von beyden Seiten 
bewaffnet waren, um zu turniren, 
und ſich verſammelt hatten, fo nah: 
men fie ihre Helme ab, und liefen 


zu wallfahrten; 
fie das Kreuz nähmen aus Beſorgniß, 


daß der König von Frankreich fie an⸗ 


feinden möchte, weil fie wider ihn 
geweſen waren.“ Hugo Plagon S. 


654. Bernardus Theſaurarius (e. 188) 
läßt, indem er dieſe Steue überſetzt 


die zweifelhaften Worte aus. Nach 
des Marinus Sanutus unrichtiger 
Angabe (Scereta fidel. crucis Lib, 
III. pars XI. gap. 1. P. 202) ließ der 
König Richard dieſes große Turnier 
verkündigen. 

5) Cil diu Conte ére neveu- "ie, 
Roi de France et si Cousin germain, 
ct neveu le Roi d' Angleterre de 
autre part.“ Ville g. a. O. 


Nämlich Adele, die Mutter des Kö⸗ 
nigs von Frankreich, wär die Schive: 
ſter der Grafen Heinrich I. von Cham⸗ 
pagne und Thibaut von Blois, deren 
Söhne die Grafen Thibaut von 
Champagne und Ludwig von Blois 
waren, welche zu Ecry das Kreuz 
nahmen; die Mütter dieſer beyden 
Grafen, Maria und Alix, erſtere die 
Gemahlin des Grafen Heinrich von 
Champagne, letztere die Gemahlin des 


zu den Kreuzen „und ließen ſich mit Grafen Thibaut von Blois, waren 
Kreuzen bezeichnen, um über Meer 


einige ſagten, daß 


Töchter des Königs Ludwig VII. von 
Frankreich, aus deſſen erſter Ehe mit 
Eleonore von Guienne und Poitou, 


alſo Halbſchweſtern des Königs Phi⸗ 


lipp Auguſt von Frankreich. Auf ſol⸗ 
che Weiſe war der König Philipp Aus 

guft zugleich Vetter und Oheim der 
Grafen Thibaut von Champagne und 
Ludwig von Blois. Die Königin 
Eleonore vermählte ſich nach ihrer 
Trennung von Ludwig VII. in zwey⸗ 
ter Ehe mit Heinrich II. von Eng⸗ 
land, und wurde in dieſer Ehe Mut⸗ 
ter des Königs Richard, welcher alſo 
ein Halbbruder der Gräfinnen Maxia 
und Alix, alſo Oheim der beyden Gra⸗ 
fen war. S. Ducange ad Ville- 
hard, p. 249. 250, 


Anordnung des Kreuzzugs. 113 


Eifer für das heilige Land. Es nahmen das Kreuz in Nin 


dem Lande des Grafen von Champagne und Brie: der 
Biſchof Garnier von Troyes, welcher nicht lange zuvor 
von der Verbindlichkeit, die fruͤher gelobte Pilgerfahrt 
nach dem heiligen Lande zu vollbringen, durch den Papſt 
war befreyt worden, der Graf Walther von Brienne, der 
Marſchall der Champagne, Gottfried von Villehardouin, 
welcher einen ſo einfachen als treuen Bericht von dieſer 
Kreuzfahrt uns hinterlaſſen hat, und deſſen Neffe gleichen 
Namens, ſo wie auch Rainald von Dampierre, und viele 
andere edle Herren. Aus dem Lande des Grafen von Blois 
und Chartres bezeichneten ſich mit dem Kreuze: Gervais de 
Caſtel und deſſen Sohn Hervé, Olivier von Rochefort 
und andere. In den koͤniglichen Laͤndern von Frankreich 
entſchloſſen ſich zur Wallfahrt der Biſchof Nevelon von 
Soiſſons, Matthias von Montmorency und deſſen Neffe, 
der Burgvoigt Veit von Couci, Robert Malvoiſin, Dreux 
von Creſſoneſſert und viele andere Herren und Ritter. 


1199. 


Am Aſchermittwoch des folgenden Jahrs nahm zu N Ehr- 


Brügge Graf Balduin von Flandern und Hennegau mit 
ſeiner Gemahlin Maria, Schweſter des Grafen Thibaut 
von Champagne, das Zeichen des heiligen Kreuzes. Den 
Grafen Balduin, ſo wie manche andere der damaligen 
Kreuzfahrer, fol zu ſolchem Geluͤbde die Furcht bewogen 
haben, daß der Koͤnig Philipp Auguſt von Frankreich 


die Abſicht hätte, ſich an ihnen zu raͤchen, weil ſie dem 


Koͤnige Richard von England in deſſen Kriege mit dem 
Könige von Frankreich thaͤtigen Beyſtand geleiſtet hatten ). 


6) Guil. Briton, Philippid. Lib. dem Grafen Rainald von Boulogne 


VI. v. 35. seg. So wie die Gräfin deſſen Gemahlin. Rad. de Diceto ad 


Maria mit ihrem Gemahle Balduin a. 1199. col. 706. 10 
das Kreuz nahm, eben ſo auch mit 1 


v. Band. S eee 


114 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV. 


Jehr. Als Kreuzfahrer rechneten fie nunmehr für ſich und ihre 
Beſtitzungen und Laͤnder auf den Schutz, welchen Innocenz 
allen Theilnehmern der Meerfahrt auf das feyerlichſte 
zugeſagt hatte. Nach dem Beyſpiele des Grafen Balduin 
bezeichneten ſich mit dem Kreuze auch ſein Bruder Heinrich, 
Dietrich, ſein Neffe, Sohn des Grafen Philipp von 
Flandern, Jacob von Avesnes, Wilhelm, Vogt von 
Bethune, und deſſen Bruder Conon, und viele andere 
flandriſche Herren, deren Vorfahren auf den fruͤhern 
Kreuzfahrten als tapfere Frohnkaͤmpen unvergaͤnglichen 
Ruhm ſich erworben hatten. Nicht lange hernach legten 
das Geluͤbde der Meerfahrt ab auch der Graf Hugo von 
St, Paul und deſſen Bruder, Peter von Amiens, ſo 
wie auch der Graf Gottfried von Perche und deſſen 
Bruder Stephan, und mit ihnen viele Herren und Ritter 
ihrer Grafſchaften ). 
Alle dieſe Grafen und Barone verſammelten ſich 
bald, nachdem ſie zur Kreuzfahrt ſich ent ſchloſſen hatten, 
zuerſt zu Soiſſons, um uͤber die Zeit ihres Auszugs und 
über den Weg, welcher zu nehmen ſeyn möchte, zu bes 
rathſchlagen; aber ſie konnten ſich nicht zu einem gemein 
ſamen Beſchluſſe vereinigen, und es ſchien ihnen auch 
die Zahl derer, welche das Kreuz genommen hatten, zu 


5) Ueber alle die von Villehardouin 
genannten Barone, welche damals 
das Kreuz nahmen, hat Ducange 
mit großem Fleiße die bei andern 
Schriftſteuern vorkommenden Nach⸗ 
richten geſammelt und in Anmer⸗ 
kungen mitgetheilt S. 249 — 262. Ein 
vollſtändigeres Verzeichniß derſelben 
findet ſich im Recueil des histor. de 
la France. T. XVIII. p. 80; am 
vollſtändigſten aber ſind nicht nur 


die Namen der Niederländer, welche 
mit dem Grafen von Flandern das 
Kreuz nahmen, ſondern auch die der 
übrigen damaligen Kreuzfahrer auf⸗ 
gezeichnet in des Jeſuiten Peter d'Ou— 
treman (jetzt ſehr ſeltenem) Werke: Con- 
etantinopolis Belgica sive de rebus 
gestis a Balduino et Henrico Impp. 
Constantinopolitauis ortu Valenti- 
nensibus Läbri quinque. Tornaci 
1643. 4. Lib. II. p. 88 — 92. 


S 


Verhandlungen mit den Venetianern. 115 


gering zu ſeyn, um mit der Hoffnung eines guͤnſtigen Erfolgs 
dieſe Meerfahrt unternehmen zu koͤnnen. Sie verſammelten 
ſich aber mehrere Male von zwey zu zwey Monaten zu Com— 
piegne, wo nach vielen und langen Berathungen beſchloſſen 
wurde, den Weg zur See zu nehmen, und die fernern 
Verabredungen und Anordnungen wegen der Vollziehung 
der Meerfahrt einigen der mit dem Kreuze bezeichneten 
Barone aus ihrer Mitte zu uͤbertragen, und dieſe als 
Botſchafter in die Seehaͤfen zu ſenden, mit der Vollmacht, 
im Namen ihrer Herrn und ſo bindend, als ob es von 
dieſen ſelbſt geſchaͤhe, Vertraͤge zur Foͤrderung der gemein— 
ſchaftlichen Sache abzuſchließen. Zu ſolchen Botſchaftern 
wurde von dem Grafen von Champagne und Brie er— 
nannt der Marſchall Gottfried von Villehardouin und 
Milo von Brabant; von dem Grafen Balduin von Flan— 
dern und Hennegau: Conon von Bethune und Alard Mac— 
quereau; von dem Grafen Ludwig von Blois und Chartres: 
Johann von Friaiſe und Walther von Gandonville. Nach— 
dem dieſe ſechs Ritter ſich zu der Meinung vereinigt 
hatten, daß in Venedig am ſicherſten ſo viele Schiffe zu 
finden ſeyn moͤchten, als die Pilger zur Ueberfahrt nach 
Syrien beduͤrften: ſo ertheilten die drey Fuͤrſten, jeder 
den beyden Rittern, welche von ihm ausgeſandt wurden, 
feyerliche mit Siegeln bekraͤftigte Vollmachten zur Unter— 
handlung mit Heinrich Dandulo, dem damaligen Dogen 
von Venedig 8). 
Die Republik Venedig hatte an den bisherigen Un— 
ternehmungen der abendlaͤndiſchen Ritterſchaft zur Erobe— 
8) „Mais la fin si fu tels que il p. 6. Die Vollmachten lauteten aber 
envoyerent messages meillors que ausdrücklich auf die Unterhandtungen 
il poroient trouer, et donroient mit dem Dogen von Venedig. S. 


plain pooir de faire toutes choses Beil. I, 
autretant com li Seignor,*‘ Villeh. 


H 2 


J. Chr. 


1200. 


ee“ 


116 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV. 


3, Cr. rung des heiligen Landes fo lebhaften Antheil genommen, 
daß mit allem Grunde auf ihren thaͤtigen Beyſtand auch 
für die damals beſchloſſene Kreuzfahrt gerechnet werden 
konnte; und die Venetianer verdankten dem durch den 
Beſitz der ſyriſchen Kuͤſtenſtaͤdte erleichterten Verkehr mit 
dem Morgenlande und Aegypten einen großen Theil ihres 
damaligen Wohlſtandes. Auch fanden die ſechs Abge— 
ordneten der franzoͤſiſchen Kreuzritter, als fie am Sonn⸗ 

3. Ehr. abend der erſten Faſtenwoche des Jahres 1201 zu Venedig 

10. Febr. angekommen waren, ſehr geneigte Aufnahme, ſowohl bey 
dem Dogen Heinrich Dandulo, einem hochbetagten ehrwuͤr— 
digen Greiſe, als bey dem Adel und Volke, und alle 
waren erſtaunt uͤber die Ankunft einer ſo unerwarteten 
Geſandtſchaft und begierig, zu vernehmen, was ihr Anlies 
gen waͤre. Die Abgeordneten aber uͤberreichten in ihrer 
erſten Audienz dem Dogen ihre Beglaubigungsſchreiben; 
und als ſie aufgefordert wurden, zu ſagen, was die drey 
Grafen von der Republik begehrten, ſo gaben ſie zur 
Antwort: daß fie dem Dogen nur in Gegenwart feines 
Rathes die Auftraͤge ihrer Herren eroͤffnen koͤnnten, aber 
ſehr wuͤnſchten, daß ihnen verſtattet wuͤrde, ſolches ſchon 
am folgenden Tage zu thun. Heinrich Dandluo aber for— 
derte zur Zuſammenrufung ſeines Rathes eine Friſt von 
vier Tagen “). 

Sebruar Die ſechs Abgeordneten ftellten am beſtimmten Tage 
ſich ein in dem ſchoͤnen und prachtvollen Palaſte des 
Dogen und fanden ihn in einem Zimmer umgeben von dem 
Rathe der ſechs Männer, zu deren Geſchaͤften es gehörte, 
die Antraͤge der Geſandten fremder Fuͤrſten und Voͤlker 

vorläufig zu vernehmen und zu erwägen *). Sie redeten 


9) Villeh. p. 6. 7. ducis consiliariis, ut nunc quoque, 
10) „Is Sexviratus ex domesticis constabat; et hi tunc Legationes 


Verhandlungen mit den Venetianern. 117 


aber zu dem Dogen und feinem Rathe alſo: „Gnaͤdiger 
Herr, wir find zu euch gekommen im Namen der hohen fran— 
zoͤſiſchen Barone, welche das Zeichen des Kreuzes genommen 
haben, um die Schmach Jeſu Chriſti zu raͤchen und Jeruſa— 
lem zu erobern, falls Gott es ihnen gewaͤhren wird. Weil 
ſie wiſſen, daß kein anderes Volk ſo maͤchtig iſt als ihr 
und euer Volk, ſo bitten ſie euch, des Landes jenſeit 
des Meeres euch zu erbarmen, und ihnen Schiffe und 
andere Beduͤrfniſſe zukommen zu laſſen, damit ſie in den 
Stand geſetzt werden, die Schmach Chriſti zu raͤchen.“ 
Und unter welchen Bedingungen? fragte der Doge. Die 
Abgeordneten erwiederten: Unter jeder Bedingung, welche 
fie werden erfüllen oder zugeben koͤnnen *). Der Doge 
erklaͤrte hierauf, daß dieſes Begehren von hoher Wichtig: 
keit waͤre und reifliche Erwaͤgung erheiſchte, und daß 
die Geſandten alfs ſich nicht wundern möchten, wenn er zur 
Mittheilung ſeiner Antwort eine fernere Friſt von acht 
Tagen anberaumte. 

Als nach acht Tagen die Abgeordneten wiederum in 
dem Palaſt des Dogen erſchienen, ſo eroͤffnete ihnen 
Heinrich Dandulo: daß er nach gehaltener Berathung 
mit feinen Räthen bereit wäre, den franzoͤſiſchen Baronen 
Frachtſchiffe *) zu liefern für vier Tauſend und fünf 


da 
primum audiebant et postulata ex- 12) Vissiers. Villeh. a. a. O., 


pendebant et considerabant; tum, 
quid sibi videretur, exponebant.“ 
Pauli Ramnusii de bello Constanti- 
nopolitano et Imperatoribus Com- 
nenis per Gallos et Venetos resti- 
tutis historia (Venet. 1624 fol.) 
p. 14. 

11) En totes les manieres que Vos 
lor saurez loer ne conseiller, que il 


faire ne soffrir puissent. Villeh. p. B. 


* 


Huissieres bey Hugo Plagon p. 654. 
Es iſt dieſes der damals gewöhnliche 


Name für Schiffe, welche zum Trandı 


port von Pferden gebraucht wurden; 
ſie erhielten dieſen Namen, welcher 
lateiniſch huisserium, usseria, usa- 
ria ausgedrückt wird, von den Thü— 
ren (huis), welche an den Hinter: 
theilen angebracht waren. Villehar⸗ 
douin beſchreibt dle Ausſchiffung der 


J. Chr. 


1201. 


118 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV. 


br. hundert Pferde und neun Tauſend Knappen, und andere 
Schiffe für vier Tauſend und fünfhundert Ritter und 
zwanzig Tauſend Mann zu Fuß, und waͤhrend neun 
Monate fuͤr den Unterhalt ſowohl der Menſchen als der 
Pferde zu ſorgen, unter der Bedingung, daß fuͤr jedes 
Pferd vier coͤlniſche Mark Silbers, und fuͤr jeden Men— 
ſchen zwey Mark Silbers, im Ganzen alſo fuͤr die ge— 
ſammte Mannſchaft, und die dazu gehoͤrigen Roſſe, fuͤnf und 
achtzig Tauſend coͤlniſche Mark Silbers entrichtet wuͤrden. 
Es ſollten aber dieſe Schiffe waͤhrend eines ganzen Jahres, 
gerechnet von dem naͤchſten Feſte der heiligen Apoſtel Petrus 
und Paulus, zum Dienſte Gottes, des heiligen Evange— 
liſten Marcus und der Chriſtenheit *3), an jedem Orte, 
wo es auch ſeyn moͤchte, der Verfuͤgung der franzoͤſiſchen 
Barone uͤberlaſſen werden. Auch erklaͤrte der Doge, daß 
er nicht abgeneigt waͤre, funfzig Galeen oder Kriegs— 
ſchiffe auszuruͤſten, und aus Liebe zu Gott mit dieſer 
Macht die von den franzoͤſiſchen Baronen beſchloſſene 
heilige Unternehmung zu unterſtuͤtzen, unter der Bedin— 
gung, daß, ſo lange dieſe Macht gemeinſchaftlich mit 
den franzoͤſiſchen Kreuzfahrern handeln wuͤrde, alle Erobe— 


Roſſe aus dieſen Vissiers (S. 59) 
alſo: „Adonc commencent li mari- 
nier a ovrir les portes des Vissiers 
et a giter les pons fors, et on com- 
mence les chevax a traire.“ Vgl. 
Ducange ad Villeh. p. 263. Ade- 
lung Glossar. vv. Huisserium et 
Usaria. Die andern Schiffe, welche 
den Kreuzfahrern bewilligt wurden, 
waren zum Theil Galeen, (galei- 
des, galies), zum Theil andere Eleiz 
nere Fahrzeuge Daher bezeichnet 
Villehardouin alle Schiffe, welche 
die Venetianer zu liefern veriprochen 


hatten, (S. 29) alſo: „les Galies 
totes et li Vissiers, et les autres 
nes.“ Vgl. ibid. S. 22. 48. Auch 
Nicetas (S. 349. 350.) unterſcheidet 
dreyerley Schiffe der Kreuzfahrer: 
ai vis oe Hal o Öpomeovss 
4 Er roitos 7a rAoie. Die 
Ögogoves werden von Nicetas (8. B 

S. 365) auch dpouovss inneyayoi 
genannt, und waren alſo die vis 
siers des Villehardouin. 


13) S. den Vertrag Beil. I. 


Verhandlungen mit den Venetianern. 119 


rungen zur See und zu Lande zu ganz gleichen Theilen 
zwiſchen den Venetianern und den uͤbrigen Kreuzfahrern 
getheilt werden ſollten. Der Doge machte aber die Guͤl— 
tigkeit dieſes Antrags, fo wie feiner übrigen Anträge ab; 
hängig von der Zuſtimmung des großen Raths der Vierzig 
und der Gemeine von Venedig, und forderte die Abge— 
ordneten auf, ihrerſeits uͤber die Annahme dieſer An— 
traͤge ſich zu erklaͤren. Die Abgeordneten erbaten dazu 
ſich eine Friſt bis zum folgenden Tage. i N 

Nachdem ſie in der Nacht die Antraͤge des Dogen 
in ſorgfaͤltige Berathung genommen hatten, fo meldeten 
ſie demſelben am andern Tage, daß ſie geneigt waͤren, 
den Vertrag unter den vorgeſchlagenen Bedingungen ab— 
zuſchließen; worauf der Doge ihnen verhieß, am folgen— 
den Tage ihre Angelegenheit den uͤbrigen Behoͤrden und 


J. Chr. 


der Gemeine von Venedig vorzutragen. Der Rath ders März 
1201. 


Vierzig aber, als Dandulo mit der ihm eignen Klarheit 
und Gewandtheit“) die Lage der Sache dargeſtellt hatte, 
gab ohne Zoͤgern ſeine Zuſtimmung zu dem verabredeten 
Vertrage; eben fo die übrige Gemeine von Venedig, 
von welcher er zuerſt Hundert, dann Zweyhundert, 
endlich Tauſend zuſammenrief und mit dem Gegen— 
ſtande der Verhandlungen bekannt machte. Nach dieſen 
Vorbereitungen berief er zehn Tauſend venetianiſche Buͤr— 
ger in die prachtvolle Kirche des heiligen Marcus **), 
um die Meſſe des heiligen Geiſtes zu hoͤren, und Gott 
zu bitten, daß er ihnen den heilſamſten Entſchluß ein— 


14) „Qui mult ere sage et prost.“ tiae Deo Divisque dicatas celebrant, 


Villeh. p. 10. magnificentissima et ornatissima, 
15) „En la chapelle de Saint Ducum sumptu exaedificata est: 
Marc.‘“ Villeh, p. ro, „Haec Ae- ex quo Dueum Sacellum vulgo ap- 


des operibus omnium, quas Vene- pellatur.“ Ramnus, p. 15. 


120 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV. 


3.5. floͤßen möchte in Hinſicht des Anliegens der Gefandts 
ſchaft der franzoͤſiſchen Kreuzfahrer. 

Als die Meſſe des heiligen Geiſtes beendigt war, ſo ließ 
der Doge die franzoͤſiſchen Abgeordneten rufen, damit fie 
ſelbſt über ihre Angelegenheit zu dem venetianiſchen Volke 
reden und deſſen Beyſtand zu ihrer Kreuzfahrt erbitten 
moͤchten. Ihre Erſcheinung in der Kirche brachte nicht 
geringe Wirkung hervor, und alle diejenigen, welche ſie 
noch nicht geſehen hatten, draͤngten ſich an ſie heran mit 
großer Neugier ). Der Marſchall der Champagne, 
Gottfried von Villehardouin, aber nahm im Namen der 
uͤbrigen Geſandten das Wort und ſprach alſo: Achtbare 
Herren; die vornehmſten und maͤchtigſten Barone von 
Frankreich haben uns zu euch geſandt, um eure Gnade 
anzurufen; damit ihr euch erbarmen moͤget der hei— 
ligen Stadt Jeruſalem, welche in der Sclaverey der 
Tuͤrken ſchmachtet, und mit uns euch vereinigen, die 
Schmach Chriſti zu raͤchen. Unſere Herren haben auf 
euch ihre Augen gerichtet, weil ſie wiſſen, daß kein Volk 
ſo maͤchtig iſt auf dem Meere als ihr, und ſie haben 
uns geboten, vor euch uns auf die Knie zu werfen, und 
nicht eher aufzuſtehen, als wenn ihr uns es werdet 
gewaͤhrt haben, daß ihr euch erbarmen wollet des hei— 
ligen Landes jenſeit des Meeres. Da nach dieſen Worten 
= die Geſandten niederfielen auf ihre Knie und meinten **): 
ſo riefen der Doge und alle Anweſenden, geruͤhrt durch 
einen ſolchen Anblick, und ihre Haͤnde emporhebend, ein— 


16) „ Mult furent ergarde de 
maint gent, qu'ils nes avoient ains 
mais veus.“ Villeh. a. a. O · 
17) Maintenant li six Messaiges 
s agenouillent a lor piez mult plo- 
rant: et li Dux et tuit li autre 


s’escrierent tuit A une voix, et ten- 
dent lor main en halt et distrent: 
Nos l’otroions, Nos l’otroions, Enki 
ot si grant bruit, et si grant noise 
que il sembla que terre fondist.“ 
Villeh, p. 11. 


Verhandlungen mit den Venetianern. 121 


ſtimmig: Wir gewähren es, wir gewähren es; und es J Eur. 


entſtand ein ſolches Getuͤmmel des Volks, daß die Erde 
zu beben ſchien. Als endlich dieſes Getuͤmmel aufhoͤrte, 
und die laute und gewaltige Theilnahme des Volks ruhi⸗ 
ger wurde, fo betrat der Doge den Rednerſtuhl *) und 
empfahl noch einmal in einer ſchoͤnen und eindringlichen 
Rede dem Volke die Angelegenheit der Geſandten. 

Schon am folgenden Tage wurden die Urkunden aus— 
gefertigt; und zugleich wurde verabredet, daß zwar einige 
Kreuzfahrer unmittelbar nach Syrien ſich begeben ſollten, 
hauptſaͤchlich aber die Unternehmung zuerſt gegen Aegypten 
gerichtet werden ſollte; weil, nach einer ſchon oftmals 
ausgeſprochenen Meinung, man damals glaubte, die 
Macht der Tuͤrken erſt dann gruͤndlich zerſtoͤren zu koͤnnen, 
wenn ihnen Aegypten entriſſen würde ), und ohnehin 
der mit den muſelmaͤnniſchen Fuͤrſten in Syrien gefchlofs 
ſene Waffenſtillſtand damals noch nicht abgelaufen war. 
Auch wurde feſtgeſetzt, daß um die Zeit des Feſtes Petri 
und Pauli des naͤchſtfolgenden Jahres 1202 die von den 
Venetianern verheißenen Fahrzeuge zum Dienſte der fran— 
zoͤſiſchen Barone und der ihren Panieren folgenden Kreuz— 
fahrer bereit ſeyn ſollten. Auch wurden ſowohl die 


18) „Li bon Dux de Venise, qui 
mult ere sages et prost, monta el 
leteri“ (d. i. lutrin von lectorium, 
Leſepult; ſ. Adelung Glossar. v. le- 
etorium und Ducange ad Villeh, 
P. 264). Villehard. S. 11. „Sug- 
gestum, ex quo festis diebus Evan- 
gelica historia recitatur.“ Ram- 
nus. p. 17. 31. 

19) Villehard. p. 11. 12. Gesta In- 
nocentii III. c. 83. Guntheri hist, 
Constant. p. VIII. Vgl. Geſch. 
der Kreuz. Th. 5. Abth. 2. S. 80. 


Nach einer Nachricht des Marinus 
Sanutus (a. a. O.) dachte auch der 
König Richard auf eine Unterneh⸗ 
mung gegen Aegypten und auf ans 
dere weit ausſehende Pläne; „Ricarx- 
dus, Rex Angliae, mente concepe- 
rat, si ablatam sibi Terram a Rege 
Franciae recuperare valeret, cum 
magno stolo terram Aegypti inva- 
dere, eaque subacta terram pro- 
missionis acquirere, et inde usque 
Constantinopolim pertransiens, co- 
zonam Imperii assumere.“ 


1. April 
1201. 


122 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV. 


7250 Termine der Zahlung beſtimmt, als das Maß deſſen, 
was an Speiſe und Getraͤnk den Kreuzfahrern und an 
Futter den Pferden, ſo lange das Heer auf den venetia— 
niſchen Schiffen ſich befinden wuͤrde, gereicht werden 
ſollte 2»). Hierauf geſchah die Auswechſelung der Urs 
kunden in dem großen Palaſt des Dogen, in Gegenwart der 

eitglieder des großen und kleinen Rathes. Als der Doge 
ſeine Urkunden den Geſandten uͤberreichte, fiel er auf die 
Knie, heftig weinend, und ſchwor bey den Heiligen, alles, 
was in den mit ſeinem Siegel beglaubigten Urkunden zuge— 
ſagt worden ſey, getreulich leiſten zu wollen. Hierauf 
beſchworen auch der Rath der ſechs Maͤnner und der 
Rath der Vierzig den verabredeten Vertrag. Nach ihnen 
gelobten auch die Geſandten der Kreuzfahrer ſowohl in 
ihrer Herrn als ihrem eignen Namen durch feyerlichen 
Eid, alle in den von ihnen ausgeſtellten Urkunden ent— 
haltenen Bedingungen gewiſſenhaft zu erfuͤllen. Die An— 
weſenden wurden durch die Feyerlichkeit dieſer Handlung 
zu Thraͤnen gerührt 27). 

Nachdem auf ſolche Weiſe der Vertrag zwiſchen den 
Kreuzfahrern und der Republik Venedig war abgeſchloſſen 
und beſchworen worden, ſo wurden von beyden Theilen 
Abgeordnete nach Rom geſandt, um dem Papſt Innocenz 
den Inhalt des verabredeten Vertrags mitzutheilen und 
die paͤpſtliche Genehmigung und Beſtaͤtigung dieſes Vers 
trags nachzuſuchen 22). 


das Feſt Petri und Pauli auf den 
29. Junius fällt, fo iſt dieſe Abwei⸗ 


20) Die Bedingungen des Vertrags 
ſind nach den Angaben der Urkunden 


(ſ. Beil. 1.) erzählt. Villehardouin 
(S. 12) nennt den St. Johannistag 
(24. Jun.) 1203 als den verabredeten 
Termin, an welchem die Pilger zu 
Venedig ſich einfinden ſollten. Da 


chung unerheblich. 

21 Villeh. p. II. 

22) Villeh a. a. O. Gesta Inno- 
cent. III. c. 83. Es iſt auffallend, 
daß Hugo Plagon (S. 654) behaup⸗ 


* 
Verhandlungen mit den Venetianern. 123 


Chr. 
1201. 


Die Geſandten der Kreuzfahrer aber machten zu 3, 
Venedig eine Anleihe von zwey Tauſend Mark Silbers, 
welche fie dem Dogen uͤbergaben 25); damit die Ausruͤ— 
ſtung der ihnen zugeſagten Schiffe ſogleich beginnen moͤge. 
Hierauf nahmen ſie von dem Dogen lfcherlicken Abſchied 
und verließen Venedig. 


Zu Piacenza trennten ſich Villehardouin und Alard 
Macquereau von den uͤbrigen Geſandten und ſetzten ihren 
Weg fort nach Frankreich; die uͤbrigen Geſandten aber 
begaben ſich nach Genua und Piſa, um zu verſuchen, ob 
auch von dieſen beyden reichen Staͤdten einige Huͤlfe 
fuͤr das gelobte Land zu erlangen waͤre, fanden aber dort 
geringere Theilnahme für ihre Sache 2). 


Der Marſchall Villehardouin und ſein Gefaͤhrte, als 
ſie uͤber den Montcenis gingen, hatten den Verdruß, 
dort dem Grafen Walther von Brienne zu begegnen, 
welcher, obgleich er das Kreuz genommen hatte, doch 
einer andern Unternehmung den Vorzug gab. Der Graf 
Walther hatte nämlich, als er ſchon das Zeichen des 
heiligen Kreuzes trug, mit der Tochter des ehemaligen 
Koͤnigs Tancred von Sicilien ſich vermaͤhlt und eilte 
nach Apulien, um die Anſpruͤche ſeiner Gemahlin auf die 


April 
1201. 


tet, es ſeyen auf Verlangen der fran— 
zöſiſchen Barone einige venetianifche 
Abgeordnete (de lor plus sages ho- 
mes) nach Frankreich gekommen, um 
einen Vertrag (marchie) wegen der 
Schiffe abzuſchließen, und mit dieſen 
ſey zu Corbie, wo die Barone ſich 
verſammelt hatten, der Vertrag abge— 
ſchloſſen und von beyden Theilen be— 
ſchworen worden. Die Venetianer 
follen nach eben dieſem Schriftſteller 
die Schiffe den frangofifihen Baronen 


auf zwey Jahre überlaſſen haben. 
23) Villeh. a. a. O. „Legati Ve- 
netiis duobus millikus marcharum 
argenti de mensa Rivoaltina sumtis 
eisdemque Duci ad classem constru- 
endam et ornandam repraesentatis 


. in reditum ad suos accingun- 


tur.“ Ramnus. p. 1g. 

24) Villehardouin erwähnt (S. 12.) 
nur der Reiſe ſeines Gefährten nach 
Genua und Piſa, ohne des Erfolgs 
zu gedenken. 


J Chr. 
1201, 


124 Geſch. d. Kreuzz. Buch VI. Kap. IV. Verh. m. d. Venetian. 


Grafſchaft Lecce und das Fuͤrſtenthum Tarent geltend zu 
machen, nachdem dieſe Anſpruͤche, welche auf einer Ver- 
willigung des Kaiſers Heinrich des Sechſten zu Gunſten 
der Erben des Koͤnigs Tancred beruhten, von dem Papſte 
Innocenz dem Dritten als rechtmaͤßlg waren anerkannt 
worden. In der Begleitung des Grafen Walther befan— 
den ſich auch Walther von Montbeillard, Euſtach von 
Covelans, Robert von Joinville, und viele andere tapfere 
Ritter, ſaͤmmtlich mit dem heiligen Kreuze bezeichnet, deren 
Beyſtand durch ihren Zug nach Apulien der Kreuzfahrt ent— 
zogen wurde. Zwar bezeugten ſie große Freude uͤber den 
gluͤcklichen Erfolg der Unterhandlungen zu Venedig, wovon 
ihnen Villehardouin erzaͤhlte; auch verſprachen ſie, zu 
rechter Zeit in Venedig ſich einzufinden und ſich der 
Meerfahrt nicht zu entziehen; fie ließen aber in eine Uns 
ternehmung ſich ein, deren Ende nicht abzuſehen war 2). 


25) Gesta Innoc. III. c. 25. 30. 38. 
Hugo Plagon p. 650. 651. Nach 
mehreren Siegen wurde im Jahre 
1203 Graf Walther von Brienne, als 
er ein Schloß des Grafen Diepold 
von Acerra (welches Sacrum, Sarlum, 
Sarnum und Soiclum in den Hand— 
ſchriften genannt wird, f. Not. ad 
Gesta Innoc. III, c. 38) belagerte, 
von dem Grafen Diepold überfallen 
und erhielt bey dieſem Ueberfalle eine 
fo. ſchwere Wunde, daß er nach we— 
nigen Tagen ſtarb. Johann, der Bru: 


der des Grafen Walther und nachhe⸗ 
riger König von Jeruſalem, welcher 
ebenfalls damals das Kreuz genom⸗ 
men hatte, blieb ſeinem Gelübde 


treu und hatte keinen Antheil an dem 


Zuge ſeines Bruders nach Apulien. 
In der Urſpergſchen Chronik (Basil. 
1569 fol. p. 309) werden die beyden 
Brüder alfo bezeichnet: „duo comi- 
tes de Brana, nobiles quidem, sed 
pauperes.“ S. von Raumer Geſch. 
der Hohenſtaufen, Th. 3. S. 92. 
97. 98. 


Unzufriedenheit mit dem Vertrage. 12⁵ 


—— 


= 


Sünftes Kapitel. 


Dex von den Botſchaftern der franzoͤſiſchen Barone mit J. br. 
dem Dogen von Venedig abgeſchloſſene Vergleich fand f 
nicht bey allen Kreuzfahrern Beifall; vielmehr ſchien vielen 

die bekannte Gewinnſucht der Venetianer zu mancherley 
Beſorgniſſen Raum zu geben *). ; 

Auch der Papſt Innocenz war keineswegs zufrieden 
mit dieſen Verabredungen, und gab, unlautere Abſichten 
ahnend, die von den beiderſeitigen Abgeordneten erbetene 
Beftätigung nur unter der Bedingung, daß die Kreuz— 
fahrer auf keine Weiſe andere Chriſten beſchaͤdigen duͤrf⸗ 
ten, ausgenommen in dem Falle, daß ihrer Fahrt auf 
boͤsliche Weiſe Hinderniſſe in den Weg geſtellt wuͤrden, 
oder ſonſt wegen einer gerechten und dringenden Urſache 
Feindſeligkeiten nicht vermieden werden koͤnnten; aber 


1 ere). Villehard. S. 20. In den 
Beſorgniſſen, welche ihnen die be⸗ 
kannte Gewinnſucht der Venetianer 


1) Diejenigen Pilger, welche ihrem 
Verſprechen zuwider aus Marſeille 
und andern Häfen nach dem gelob: 


ten Lande ſich begaben, entfchuldig: 
ten ſich mit der Gefahr, welche mit 
der Fahrt von Venedig nach Syrien 
verbunden wäre (le grant peril qui 


einflößte, lag aber ohne Zweifel die 
wahre urſache ihrer Trennung von 
ihren Mitpilgern. Vgl. den Anfang 
des folgenden Kapitels. 


126 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V. 


J.br. auch in ſolchen Fällen ſollten die Kreuzfahrer nicht feindlich 
handeln ohne Zuſtimmung des paͤpſtlichen Legaten. 
In jenem Verdachte wurde Innocenz noch dadurch be— 
ſtaͤrkt, daß die venetianiſchen Geſandten feine bedingte 
Beſtaͤtigung nicht annahmen 2). 

Außerdem wurde durch mancherley Widerwaͤrtigkeiten 
der Muth der Kreuzfahrer nicht wenig niedergeſchlagen. 
Der Marſchall Villehardouin, als er nach Troyes kam, um 
ſeinem Herrn, dem Grafen Thibaut von Champagne, 
welcher zum Hauptanfuͤhrer der Kreuzfahrer war ernannt 
worden, von dem Erfolge ſeiner Sendung Bericht abzu— 
ſtatten, fand denſelben krank und ſehr ſchwach. Der 
jugendliche Graf wurde aber ſo ſehr durch die Ankunft 
ſeines trefflichen Marſchalls und die Nachrichten, welche 
er ihm uͤberbrachte, erfreut, daß er durch neue Kraft ſich 
geſtaͤrkt fuͤhlte, ſogleich ſein Bett verließ, ein Roß beſtieg 
und ins Freye ritt, was er ſeit langer Zeit nicht gethan 
hatte. Durch dieſe Anſtrengung aber wurde ſeine Krank— 
heit ſehr verſchlimmert, und der Graf ſah bald ſich in 
die Nothwendigkeit gebracht, durch letzten Willen ſeine 
Angelegenheiten zu ordnen. Er vertheilte durch ſein Te— 
ſtament einen großen Theil des Geldes, welches er geſam— 
melt hatte, unter feine Vaſallen und Waffengefaͤhrten, 


confirmationem sub hoc tenore re- 
cipere noluerunt. Unde pro certo 


2) „Summus Pontifex, quod futu- 
rorum esset praesagiens, caute re- 


spondit, quod conventiones illas 
ita duceret confirmandas, ut vide- 
licet ipsi Christianos non laede- 
rent, nisi forsan iter eorum illi 
nequiter impedirent, aut alia causa 
justa vel necessaria forsan occurre- 
ret, pröpter quam aliud agere non 
possent, Apostolicae Sedis Legati 
cousilio accedente, Veneti autem 


conjicitur, qualis fuerit eorum in- 
tentio, per effectum operis postea 
declarata.“ Gesta Innoc. III. c. 83, 
Es iſt alſo nicht genau, wenn Ville— 
hardouin (c. 17. p. 12) ſagt: „LApo- 
stoille Innocent le feist (c. a. d. 
conferma la convenance) mult vo- 
lentiers.“ | 


Tod des Grafen Thibaut. 127 


deren er eine groͤßere Zahl hatte als legend ein anderer 
zu ſeiner Zeit; jedoch unter der Bedingung, daß alle 
diejenigen, welchen aus ſeinem Nachlaſſe eine Unterſtuͤtzung 
zu Theil wuͤrde, eidlich ſich verpflichten ſollten, mit dem 
Heere nach Venedig ſich zu begeben. Einen Theil jenes 
geſammelten Geldes aber beſtimmte er durch jenen letzten 
Willen zur Beſtreitung der allgemeinen Beduͤrfniſſe des 
Heeres 3). Nach wenigen Tagen, nachdem er dieſe Anord⸗ 
nungen getroffen hatte, ſtarb Graf Thibaut (am 25. Mai 
1202) eines ſanften und ſchoͤnen Todes *), tief betrauert 
von ſeinen zahlreichen Blutsfreunden und Lehensmaͤnnern, 
deren viele zu Troyes ſich einfanden, um feinem Leichen; 
begaͤngniſſe beyzuwohnen. Er wurde neben feinem 


J. Chr 


1201. 


Vater im Muͤnſter des heiligen Stephan zu Troyes 


beygeſetzt; auf einem ſilbernen Grabmable, welches man 
zu ſeinen Ehren errichtete, wurde er in Pilgerkleidung 
abgebildet, und in einer lateinifchen Inſchrift wurden 
ſeine Froͤmmigkeit und ritterliche Tugend und ſein 
Eifer für das heilige Land geprieſen; es ſchloß ſich dieſe 
Inſchrift mit den ſchoͤnen Worten, daß er, nach dem 
irdiſchen Jeruſalem trachtend, das himmliſche gefunden, 


und was er in der Ferne geſucht, in der Heimath erlangt 


4 


3) Die Verwaltung, des Geldes, 
welches der Graf Thibaut für die 
allgemeinen Bedürfniſſe des Heers bes 
ſtimmte, ſo wie die Anführung der 
Ritterſchaft der Champagne während 
der Kreuzfahrt, Scheint er dem Gras 
fen Rainald von Dampierre übertra⸗ 
gen zu baben; wenigſtens ſcheinen 
die nachfolgenden Worte des Mön— 
ches Alberik von Troisfontaines auf 
eine ſolche Anordnung hinzudeuten: 
„Anno MCCI mortuus est in Cam- 
pania Theobaldus Comes anno ae- 


0 
tatis suae vigesimo quinto, cruce 
signatus, qui Comitem Rainaldum 
de Dampetra misit pro se in partes 
transmarinas cum suffioientibus ex- 
pensis.““ Alberici Mon. Chron. (in 
Leibnit. access, hist. Pp. 421). Ville⸗ 
hardouin erwähnt nichts von einem 
ſolchen dem Grafen Rainald ertheil⸗ 
ten Auftrage. 

4) „Ensi mourut li gen et fu 
un des homes del munde qui feist 
Plus belle fin.“ Villeh, p. 14. 


128 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V. 


Jer habe ). Kein Fuͤrſt in feinem Alter, ſagt Villehardouin, 
wurde ſo ſehr von ſeinen Lehnsmaͤnnern und allen andern, 
welche ihn kannten, geliebt. Seine Gemahlin Blanche, 
eine ſchoͤne und tugendhafte Frau, welche ihm ſchon eine 
Tochter geboren hatte, hinterließ er ſchwanger; und ſie 
gebar nach dem Tode ihres Gemahls einen Sohn, welcher 
den Namen feines Vaters erhielt “), ſpaͤterhin von feinem 
Großvater Sancho das Koͤnigreich Navarra erbte, und 
als Sänger der Liebe ſich bekannt machte ). 

Junius Die mit dem Kreuze bezeichneten Barone waren, nach 

=. dem Tode des Grafen Thibaut, ſofort darauf bedacht, 
einen andern allgemeinen Heerfuͤhrer und Ordner der 
Kreuzfahrt zu ernennen; und ihre Wahl fiel zuerſt auf 
den Herzog Odo von Burgund, Sohn deſſelben Herzogs 
Hugo, welcher der Meerfahrt der Koͤnige Philpp Auguſt 
und Richard Loͤwenherz beygewohnt hatte und zu Tyrus 


eines klaͤglichen Todes geſtorben war. “). 


9 „Terrenam quaerens, coelestem 
reperit urbem ; 
Dum procul haec potitur, ob- 
viat ille domi.“ 
Michaud hist. des Croisades T. III, 


P. 112. Eine Beſchreibung dieſes merk⸗ 


würdigen Denkmals, welches in derzeit 
der Revolution zerſtört wurde, findet 
ſich in Baugier Memoires historiques 
de la province de Champagne T. I. 
1721. p. 166. vgl. M. F. de Montrol 
resume de Thist. de la Champagne 
(Paris 1826. 12.) p. 194. Den Tod des 
Grafen Thibaut V. ſetzt Baugier (a. 
a. O. S. 165) auf den 25. May 1202, 

6) Auf dieſen Grafen Thibaut VI., 
welcher den Beynamen des Nachge⸗ 
bornen (posthumus) erhielt, bezogen 
ſich folgende, von Ducange (ad 
Villeh. p. 267) angeführte Verſe 


Es begaben ſich 


der Inſchrift des Grabmals ſeines 
Vaters: 
„Tanta Palatino ne Principe terra 
careret, 
Transit in haeredem terra pa- 
terna novum; 

Qui Puer ut Phoenix de funere 

patris obortus, N 
Continuet patrios in sua jura 
dies.“ 

7) Vgl. De la Littérature du midi 
de I Europe par Simonde de Sis- 
mondi T. I. (Paris 1813. 8.) p. 322. 
Seine Gedichte ſind bekanntlich von 
La Ravalliere in zwey Bänden 
(Poesies du roi de Navarre) heraus 
gegeben worden. 

8) S. Geſch. der Kreuzz. Th. IV. 
S. 542. 543. 


Wahl eines neuen Feldherrn. 129 


zu dem Herzoge Odo der Seneſchall der Champagne, 8b. 


Gottfried von Joinville, der Marſchall Gottfried von 
Villehardouin, Mathias von Montmorency und Simon 
von Montfort, und ſprachen: Gnaͤdiger Herr, du ſiehſt, 


welches Mißgeſchick dem Lande jenſeit des Meeres begeg— 


net iſt. Darum bitten wir dich, um Gottes willen, ner 
Kreuz zu nehmen und dem heiligen Lande zu helfen“) 

wir und mit uns die übrigen Barone werden dir das 
Geld, welches der Graf Thibaut in ſeinem letzten Willen 
für die allgemeinen Beduͤrfniſſe der Kreuzfahrt beſtimmt 
hat, uͤberantworten und durch einen feyerlichen Eid auf 
die Heiligen dir eben fo treuen Gehorſam geloben, als 
wir dem Grafen Thibaut geleiſtet haben wuͤrden. Der 
Herzog Odo aber ließ ſich nicht geneigt finden, die Bitte 
der Kreuzfahrer zu erfüllen, 20), was er ſpaͤter bitter⸗ 
lich bereute und dadurch gut zu machen ſich bemuͤhte, 
daß er noch in ſpaͤten Jahren, im Jahr 1218, auf feinem 
Sterbebette das Kreuz nahm, durch ſeinen letzten Willen 
eine betraͤchtliche Geldſumme fuͤr den Dienſt des heiligen 
Landes vermachte und dahin an ſeiner Statt Ritter und 
andere Bewaffnete ſandte *). Hierauf übernahm es der 


Seneſchall, Gottfried von 
uͤbrigen drey Abgeordneten 


9) Der Oberbefehl über das Heer 
wird von Villehardouin (z. B. S. 
18. 17) la Seigneurie de lost ge: 
nannt, und der Oberbefehlshaber 
(z. B. S. 27): Sires de l’ost (prin- 
ceps exercitus, Ep. Innoc. III. ed. 


Brequigny et La Porte du Theil. 


Lib. VI. 99. p. 30g.) . In einer Urs 
kunde vom Jahre 1204, welche zu In⸗ 
ciſa ausgefertigt wurde, und deren 


wir in einer Anmerkung zum letzten 


V. Band. 


Joinville, im Namen der 
dem lothringiſchen Grafen 


Kapitel dieſes Buchs noch erwähnen 


werden, wird der Markgraf Bonifaz 
als Befehlshaber des Pilgerheers ge: 
nannt: supremus dux Christiana- 
rum omnium potentiarum. S. Sto- 
ria d'Incisa e del giä celebre suo 
marchisato. Asti 1810. 


10) „Tel fu sa volenté que il re- 


usa. Sachiez que il peust bien 
mielz faire.“ Villeh. p. 18. 
11) Alberici Chron, ad a. 1218. 
CN 


J 


— 


J. Chr. 
1201. 


Julius 
1201. 


130 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V. 


Thibaut von Bar le Duc, einem Vetter des verſtorbenen 
Grafen von Champagne *), den Antrag zu machen, 
welchen der Herzog von Burgund abgelehnt hatte; aber 
der Graf von Bar war eben ſo wenig, als der Herzog 
von Burgund, geneigt, ſich mit dem Kreuze zu bezeich⸗ 
nen und an die Spitze der Kreuzfahrt zu ſtellen. 


Unter dieſen Umſtaͤnden, welche die Barone in große 
Verlegenheit brachten, verſammelten ſie ſich zu einer Be— 
rathung zu Soiſſons *); es fanden ſich daſelbſt ein die 
Grafen Balduin von Flandern und Hennegau, Ludwig 
von Blois, Hugo von St. Paul, Gottfried von Perches 
und viele andere Herren. Der Marſchall Villehardouin 
berichtete vor dieſer Verſammlung zuerſt von dem unguͤn⸗ 
ſtigen Erfolge der Sendung an den Herzog von Burgund 
und den Grafen von Bar, und machte hierauf den Vor— 
ſchlag, daß man den Markgrafen Bonifaz von Montferrat 
auffordern moͤchte, das Zeichen des heiligen Kreuzes zu 
nehmen und an der Stelle des verſtorbenen Grafen von 
Champagne das Heer der Pilger zum Kampfe wider die 
Heiden zu führen. Villehardouin begruͤndete dieſen Vor— 
ſchlag durch die Bemerkung, daß der Markgraf ein ſehr 
wackerer Ritter und einer der geachtetſten Krieger dama— 
liger Zeit wäre ), und auf feine Bereitwilligkeit zur 
Annahme des Kreuzes und der Anfuͤhrung des Pllger— 
heers mit Sicherheit gerechnet werden koͤnnte. Denn der 


12) Er war der Sohn Rainald des 13) Dieſe Verſammlung fand nach 


Zweyten, Grafen von Bar, und Ag: 
nes, der Tochter Thibaut des IV. des 
Großen, Grafen von Champagne. 
Agnes war die Tante, und der Graf 
Thibaut von Bar alſo der Vetter des 
Grafen Thibaut V. von Champagne. 
S. Ducange ſ ad Villeh. p. 267. 


Villehardouin (S. 16) Statt „al 
chief del mois“, ohne Zweifel im 
Anfange des Julius, 

14 „Li Marquis Bonifaces de 
Monferrait est mult prodöm et un 
des plus proisiè (prisies) qui hui 
cest jor uviue.““ Villeh, a. g. O. 


Wahl eines neuen Feldherrn. 131 


Markgraf Bonifaz gehörte einem Geſchlechte an, welches IL 
ſeit laͤngerer Zeit an den Angelegenheiten des heiligen 
Landes ſehr thaͤtigen Antheil genommen hatte. Sein 
Vater Wilhelm hatte wider Saladin geſtritten und war 
in der unglücklichen Schlacht bey Tiberias in die Gefan⸗ 
genſchaft des Sultans gefallen; ſein aͤlteſter Bruder 
Wilhelm Longaſpata war der Gemahl der Sibylle, Schwe— 
ſter des Koͤnigs Balduin des Vierten von Jeruſalem, 
und Graf von Joppe und Askalon geweſen **); und fein 
zweiter Bruder war der Markgraf Conrad von Tyrus , 
deſſen Verdienſte um das heilige Land noch eben ſo ſehr 
in friſchem Andenken waren, als ſein ungluͤckliches Ende. 
Dieſer Vorſchlag fand zwar bey den verſammelten Ba— 
ronen zuerſt mancherley Bedenklichkeiten, wurde aber her; 
nach einmuͤthig angenommen 7). Nachdem der König 
von Frankreich die Wahl des Markgrafen Bonifaz, ſeines 
Vetters, zum Feldherrn des Kreuzzugs genehmigt hatte s): 
ſo begaben ſich einige Abgeordnete der Barone nach Ita— 
lien, um dem Markgrafen einen Brief zu überbringen, 
in welchem ihm die Barone ihren Wunſch kund thaten, 
daß er die Anfuͤhrung des Heeres der Pilger uͤbernehmen 
moͤchte. 


Der Marſchall Villehardouin hatte ſich nicht getaͤuſcht au gat 


in der Hoffnung, daß Bonifaz ſich nicht weigern wuͤrde, Sonn 
der Führer eines Heers zu werden, welches die Bluͤthe 


15) Geſch. der Kreuzz. Th. III. 
Abth. 2. S. 170. 171. 


16) Geſch. der Kreuzz. Th. IV. S. 
217. 8d. 

17) „Assez i ot paroles dittes 
avant et arriere, mais le fin de la 
parole fu telx, que tuit se accor- 


derent li grant et li petit.“ Villeh, 
g. a. O. 

13) „Ceteri Barones cum consilio 
Regis Franciae vocaverunt Boni- 
facium“ etc. Gesta Innoc, III. c 


83. Villehardouin erwähnt der Ge: 


nehmigung des Königs von Frank: 
reich nicht. 


8 2 


132 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V. 


. or. der franzöſiſchen Nitterfchaft vereinigte. Der Markgraf 
trat ohne Verzug die Reiſe nach Frankreich an, um an 
dem Tage, welchen die franzoͤſiſchen Barone zu einer 
ferneren Berathung beſtimmt und in ihrem Briefe dem 
Markgrafen angezeigt hatten, zu Soiſſons ſich einzufinden, 
und beſuchte zuvor den Koͤnig von Frankreich, von welchem 
er mit großen Ehrenbezeigungen empfangen wurde. Die 
zu Soiſſons in großer Zahl verſammelten Grafen und 
Barone, als fie hörten, daß der Markgraf von Mont 
ferrat im Anzuge waͤre, ritten ihm entgegen und fuͤhrten 
ihn in feyerlichem Zuge in die Stadt "?), 

Schon am andern Tage nach der Ankunft des Mark— 
grafen verſammelten ſich die mit dem Kreuze bezeichneten 
Barone in einem Garten des Kloſters Unſrer lieben Frauen 
zu Soiſſons, und auch der Markgraf Bonifaz war in 
dieſer Verſammlung anweſend. Dort ließen ſich die 
Barone vor ihm nieder auf ihre Knie und baten ihn mit 
Thraͤnen, daß er um Gottes willen mit dem Kreuze ſich ö 
bezeichnen, des Oberbefehls uͤber das Heer der Pilger 
ſich unterwinden, uͤberhaupt an die Stelle des verſtor— 
benen Grafen Thibaut treten und die Verwaltung des 
Geldes, welches derſelbe fuͤr die Kreuzfahrt geſammelt, 
ſo wie die Fuͤhrung der Pilger, welche zu dem Panier 
des Grafen von Champagne gehoͤrten, waͤhrend der Kreuz— 
fahrt uͤbernehmen moͤchte. Bonifaz ließ ſich nicht lange 
bitten, ſondern, indem er ebenfalls niederkniete, erklaͤrte 
er, daß er gern dem Wunſche der Barone willfahre. 
Hierauf begab er ſich in die Kirche Unſrer lieben Frauen, 


10) Die Zeit, zu welcher dieſe Ver- Auguſtmonats und im Anfange des 
ſammlung gehalten wurde, wird von Septembers 1201 Statt gefunden 
Villehardouin nicht beſtimmt; ſie haben. 
muß aber gegen das Ende des 


Der Markgraf Bonifaz 133 


wo der Biſchof von Soiſſons, und Fulco, welcher eben— 
falls zu Soiſſons ſich eingefunden hatte, ſo wie zwey 
Aebte des Auguſtinerordens, die Aebte von Los und von 
Trappes, welche den heiligen Kreuzprediger damals be— 
gleiteten 25), dem neuen Pilger ein rothes Kreuz auf 
ſeine Schultern hefteten. Schon am folgenden Tage 
verließ der Markgraf Soiſſons, empfahl aber zuvor allen 
Kreuzfahrern, ihre Angelegenheiten ſorgfaͤltig und ohne 
Zoͤgerung zu ordnen, und verſprach, zu Venedig mit 
ihnen zuſammen zu treffen. 


Auf der Ruͤckkehr in ſeine Heimath begab ſich 
Bonifaz zu dem Capiteltage des Ciſtercienſerordens, wel⸗ 
cher, wie gewohnlich, auch in dieſem Jahre an dem 
Feſte der Kreuzes erhoͤhung in der Abtey Citeaux gehalten Sept. 
wurde, und dieſes Mal, weil die Kreuzfahrt einer der 
Hauptgegenſtaͤnde der Berathung war, nicht nur von 
vielen Aebten, ſondern auch von vielen andern Geiſt⸗ 
lichen und Layen beſucht war. Auch der Meiſter Fulco 
war zu dieſem Capiteltage gekommen, um die verſam— 
melten Geiſtlichen und Layen zur Annahme des Kreuzes 
zu ermahnen. Seine damaligen Predigten waren fo wirk⸗— 
ſam, daß außer vielen andern der Biſchof Walther von 
Autun, der Graf Veit von Foreſt, und die Ritter Odo 
von Chanlite aus der Champagne und deſſen Bruder 
Wilhelm, Richard von Dampierre und deſſen Bruder 


J. Chr. 


1201. 


20) „Dui blanc Abbe“, nach Ville 
hardouin S. 17. Die Ciſtercienſer 
wurden die weißen Mönche (li blanc 
moine, Villehard. S. 37.) genannt; 
die Benedictiner dagegen wurden 
mit dem Namen der ſchwarzen Mön⸗ 
che bezeichnet: „Priscis temporibus 


in partibus oecidentis duae tantum 
fuerunt regularium diversitates, 


monachi scilicet nigri, sancti Bene- 


dicti regulam sequentes, et Cano- 
nici albi, secundum regulam beati 
Augustini viventes.““ Jac. de Vi- 
triaco hist. occidentalis C. 28. 


134 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V 


J. Che. O 


1281, Odo und vornehmlich viele treffliche Ritter aus Burgund 
mit dem Kreuze ſich bezeichneten 2). Der Markgraf 
Bonifaz aber empfahl ſich zu Citeaux der Fuͤrbitte der ver 
ſammelten Aebte bey Gott und bat um die Verguͤnſtigung, 
daß der Abt des in der Markgrafſchaft Montferrat gelegenen 
Ciſtercienſerkloſters Lucedio, welcher damals in feinem 
Gefolge war, auch auf der Kreuzfahrt ihn begleiten 
dürfte 22). Dann kehrte der Markgraf durch Deutſchland 
zurück in feine Markgrafſchaft 23). 


In der Lombardey und den benachbarten italieniſchen 
Landſchaften nahmen viele ebenfalls das Kreuz, nachdem 
der Markgraf Bonifaß als Kreuzfahrer und Herr des 
Pilgerheers aus Frankreich zurückgekommen, und es rucht⸗ 
bar geworden war, daß er mit großem Eifer der Kreuz 


fahrt ſich annaͤhme 2). 


Die franzoͤſiſchen Pilger aber kamen bald, nachdem 
Bonifaz es uͤbernommen hatte, ihnen den Verluſt des 
Grafen Thibaut zu erſetzen, aufs neue in große Trauer, 
durch den Tod des Grafen Gottfried von Perches, eines 
der tapferſten unter den Rittern, welche das Kreuz 
genommen hatten. Er erkrankte um die Faſtenzeit des 

Sebruar Jahres 1202 25) und ſtarb mitten unter emſigen Zuruͤ⸗ 
ſtungen zur Kreuzfahrt, nachdem er durch ſeinen letzten 


21) Villeh. S. 17. 18. 

22) Rad. Coggeshale Chron. Angl. 
p. 93., wo das Kloſter Lucedio un: 
richtig Lucelana genannt wird. 
23) Gesta Innocentii III. c. 83. 

24) Nach den gestis Innocentii III. 
'e, 46) nahmen der Markgraf Bontfaz 
von Montferrat, der Biſchof Sicard 


von Cremona (Verfaſſer der von Mu: 
ratori im ſiebenten Bande der Scri- 
ptores rerum Italicarum herausgege⸗ 
benen Chronik), der Abt von Lucedio 
und viele aus dem Adel und dem 
Volke der Lombardey das Kreuz ſchon 
früher auf die Ermahnung des Car⸗ 
dinals Peter. 

25) En Quaresme apres, devant 


. 


Tod des Grafen von Perches. 135 


Willen feinem Bruder Stephan die Verwaltung des Ich" 


von ihm zur Kreuzfahrt geſammelten Geldes und die 
Fuͤhrung ſeiner Mannſchaft im Pilgerheere uͤbertragen 
hatte. 


ce que il durent movoir, li Euens fiel im Jahre 1202 auf den 26. Februar, 
Joffrois del Perche s'acocha de ma- und Oſtern auf den 14. April. 


ladie, Villeh. S. 18. Die Faſtnacht 


136 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.) 


- 


Sechſtes Kapitel. 


lieh: Der Graf Balduin von Flandern und Hennegau 
mit einem Theile der Ritter ſeines Landes, welche 
das Kreuz genommen hatten, der Graf Hugo von St. 
Paul, der Marſchall Villehardouin und andere Ritter *), 
verließen nach Oſtern, nicht lange vor dem Pfingſtfeſte, 
ihre Heimath, indem ſie nicht ohne Schmerz von 
den Ihrigen ſich trennten 2). Sie nahmen ihren Weg 
durch Burgund, uͤber das Juragebirge und den Mont— 
cenis, und durch die Ebenen der Lombardey, und erhiel— 
ten, als ſie zu Venedig angekommen waren, auf der 
Inſel St. Nicolaus ?) ihre Herberge. 

Viele andere Pilger aber, die Gemeinſchaft mit den 
Venetianern ſcheuend, nahmen andere Wege, unter dem 
Vorwande, daß die Fahrt von Venedig nach dem gelobten 
Lande, wegen der bekannten Gefaͤhrlichkeit des adriatiſchen 
Meeres, hoͤchſt unſicher waͤre ); obwohl fie früher die 


19 Villehardouin S. 18. 19. 
2) „Et sachiez que mainte lerme 


1 fu ploree de pitie al departir de 


lor pais, de lor genz et de lor 
amis.“ Villeh. a. a. O. 
3) In insula S. Nicolai de litoxe, 


quae ab urbe uno distat milliario, 
Marin. San. p. 203. 0 
4) „Il eschiverent le passage de 


Venise por le grant peril qui i 
ere.“ Villeh. S. 20. — 
% 1 


Die Kreuzfahrer zu Venedig. 137 


Zuſage gegeben hatten, zu Venedig zu rechter Zeit ſich I,Chr. 
einzuſtellen. Der Biſchof von Autun, der Graf Veit 

von Foreſt, der Ritter Peter Bromons, und mehrere 
Barone aus den Laͤndern des Koͤnigs von Frankreich, 

wie Bernhard von Morueil, Hugo von Chaumont, die 
beyden Bruͤder Walther und Hugo von St. Denys und 
viele andere begaben ſich daher nach Marſeille, um dort 
nach Syrien ſich einzuſchiffen; nicht achtend die Vor⸗ 
wuͤrfe ihrer Mitpilger, welche, ihrem gegebenen Worte 
treu, nach Venedig ſich begaben). 5 


Eine zahlreiche flandriſche Flotte, geführt von Johann 
von Neele, Burgvogt von Bruͤgge, Dietrich, dem Neffen 
des Grafen Balduin, und Nicolaus von Mailli, ſegelte 
in derſelben Zeit, in welcher die uͤbrigen Pilger auszogen, 
aus den niederlaͤndiſchen Seehaͤfen und nahm den Weg 
durch die Meerenge von Gibraltar * Viele der treff; 
lichſten flandriſchen Krieger 7) befanden fi ich auf dieſer 
ſchoͤnen und reich ausgeſtatteten Flotte; und, weil dieſe 
Pilger mit einem feyerlichen Eide auf die Heiligen gelobt 
hatten, den Weg nach Venedig zu nehmen: ſo hatten 
ihnen der Graf Balduin und ſein Bruder Heinrich meh— 
rere mit Lebensmitteln und andern Beduͤrfniſſen?) befrach⸗ 


Anmerkung von Ducange zu Villehar⸗ 
douin S. 270. Ueber die Fahrt dieſer 
flandriſchen Pilger dal. Marin. San. 


5) „Mult en furent blasme, et 
dont grant mesavanture lor en 
avint puis.“ Villehard. a. a. O. 


Mit dieſer Formel giebt Villehardouin 
gewöhnlich ſein Mißfallen zu erken— 
nen über das Betragen derjenigen 
Kreuzfahrer, welche den Beſchlüſſen 
und Wünſchen der Mehrheit ihrer 
Waffengefährten entgegen handelten. 

6) Par le detroise de Maroc. Villeh. 
S. 10. So wurde dieſe Meerenge das 
mals gewöhnlich genannt. Vgl. die 


Lib. III. Pars. T. c. l. p. 205. Hugo 
Plagon S. 659. folg. 

7) Mult grant plente de bones 
gens armes; und weiter unten: la plus 
granz plentez de lor bons Serians 
s’en alerent en cele estoire (Flotte). 
Villeh. a. a. O. 

8) De dras et de viandes et d'au- 
tres choses. Villeh. a. a. O. 


138 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VI. 


Jer tete Schiffe anvertraut. Sie brachen aber ihren elan und 


* 


taͤuſchten die Hoffnungen ihrer Mitpilger. 

Der Graf Balduin und die andern Barone, welche 
zu Venedig die Ankunft der uͤbrigen Pilger mit heftiger 
Sehnſucht erwarteten, geriethen in große Beſorgniß, als 
fie erfuhren, daß viele ihrer Mitpilger nach andern See 
hafen ſich begaben, und ſelbſt diejenigen, welche über 
die Alpen nach der Lombardey gekommen waren, unter 
ihnen der Graf Ludwig von Chartres und Blois, ihrem 
gegebenen Worte untreu, den Weg nach Venedig ver— 
ließen und die apuliſchen Häfen zu gewinnen ſuchten. 
Denn, abgeſehen von allen uͤbrigen Nachtheilen einer 
ſolchen verderblichen Theilung der Pilger, ſo waren die 
Mittel der Barone, welche nach Venedig vorausgezogen 
waren, in der ſichern Hoffnung daß die übrigen nach⸗ 
folgen würden, nicht zureichend, um die in dem Vers 
trage mit dem Dogen Dandulo verabredeten Verbindlich⸗ 
keiten zu erfuͤllen. 

Unter dieſen Umftänden übernahmen es der Graf 
Hugo von St. Pol und der Marſchall Villehardouin, 
zu den Pilgern, welche in der Lombardey angekommen 
waren, ſich zu begeben, fie zu bitten, daß fie Erbarmen 
haben moͤchten mit dem Lande jenſeit des Meeres, und 
ihnen vorzuſtellen, daß es ihrer unwuͤrdig waͤre, von 
ihren Mitpilgern ſich zu trennen und nicht nach Venedig 
zu kommen, wo, ihrer fruͤhern Zuſage gemaͤß, auf ihre 
Ankunft gerechnet wuͤrde. Die Abgeordneten fanden den 
Grafen Ludwig von Blois und Chartres mit vielen treff— 
lichen Rittern und andern wohlgeruͤſteten Kriegern zu 
Pavia und bewogen ihn durch ihre Bitten, ſeine Mann— 
ſchaft nach Venedig zu fuͤhren. Andere Pilger aber, 
welche ſchon Piacenza erreicht hatten, ſetzten ihren Weg 


Die Kreuzfahrer zu Venedig. 139 


nach Apulien fort. Unter dieſen waren ſelbſt Rainald J. hr. 
von Dampierre, welcher fuͤr den verſtorbenen Grafen 
Thibaut von Champagne das Geluͤbde der Pilgerfahrt 
erfüllte, und Guido von Traſignies aus Hennegau, obs 
gleich dieſem Ritter der Graf Balduin von Flandern, 
damit er auf dieſer Pilgerfahrt ihm folgen moͤchte, fuͤnf⸗ 
hundert Pfund gegeben hatte, ſo wie auch Heinrich von 
Longchamp und Villain von Nuilly, der letztere ein vor 
zuͤglich tapferer und allgemein geachteter Ritter, und 
viele andere Ritter und Knechte“). 


Auf der Inſel St. Nicolaus bey Venedig war, 
nachdem auch der Graf von Blois mit ſeiner Miliz dort 
ſeine Herberge genommen hatte, zwar eine ſehr ſtattliche 

Ritterſchaft verſammelt; gleichwohl entſprach ihre Zahl 
bey weitem nicht der fruͤhern Erwartung. Die Venetianer 
dagegen erfuͤllten ihre Zuſage auf das vollkommenſte und 
leiſteten ſogar mehr, als ſie verſprochen hatten. Die 
Schiffer welche fie den Kreuzfahrern zu ihrer Ueberfahrt 
zu liefern ſich verbindlich gemacht hatten, lagen ſegelfertig 
und auf das trefflichſte bemannt und ausgeruͤſtet im 
Hafen, und waren für ein dreymal größeres Heer hinreis— 
chend; niemals war in dem Hafen von Venedig eine ſo 
ſchoͤne Flotte geſehen worden); und die Kreuzfahrer 
fowohl als ihre Roſſe wurden in dem Lager auf der 
Inſel St. Nicolaus mit allen Beduͤrfniſſen im Ueberfluſſe 
verſehen. Dafuͤr drangen auch die Venetianer auf die 


9) Villeh. S. 20 — 2. fica navigia praeparaverant, ut a 
10) Et li navies que li Venisiens longis retro temporibus nedum vi- 
orent appareillie, fu si riches et si sus, sed nec auditus fuerit tantus 
bels, que onques nus hom Chres- navalium apparatus, Gesta Innoc. 
tiens plus bel ne plus riche ne vit. III. Cc. 65. 
Villeh. S. 22. Vencti tam mazni- 


* 


J. Chr. 
1203. 


140 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI. 


puͤnktliche Bezahlung des in dem Vertrage feſtgeſetzten 
Geldes. 5 
Die Mahnung, welche die Venetianer, als die er— 
wartete Bezahlung ſich verzoͤgerte, und die Abfahrt der 
Pilger wegen ihrer geringen Zahl verſchoben wurde, an 
die Barone erließen, brachte dieſe in große Verlegenheit. 
Ungeachtet aller Bemuͤhungen des Papſtes Innocenz des 
Dritten, den Kreuzfahrern anſehnliche Geldunterſtuͤtzung zu 
verſchaffen, war dennoch wenig Geld im Heere vorhanden, 
und die Aufforderung der Barone an die einzelnen Pilger, 
beyzutragen zur Befriedigung der Venetianer, hatte daher 
geringen Erfolg. Viele Pilger erklaͤrten, daß fie gänzlich 
außer Stand waͤren, irgend eine Zahlung zu leiſten; andere 
gaben ſo wenig, daß durch ihre Beytraͤge nur ein unbe⸗ 
trächtlicher Theil der Forderung der Venetlaner gedeckt 
wurde; und manche, deren Eifer fuͤr das heilige Land 
vielleicht niemals ſehr ernſtlich geweſen oder ſchon ermuͤdet 
war, gaben ſich der Hoffnung hin, daß die Kreuzfahrt 
ruͤckgaͤngig werden koͤnnte, und hielten, in der boͤslichen 
Abſicht, die Aufloͤſung des Heers zu beſchleunigen, die 
ſchuldigen Beytraͤge zuruͤck. Da ſolche Geſinnung in die 
Gemuͤther der Pilger Eingang gefunden hatte, ſo erhob 
ſich in der Verſammlung, in welcher die Barone uͤber die 
eaßregeln, welche in ihrer damaligen verdrießlichen Lage 
zu nehmen ſeyn möchten, ſich beriethen, die heftigſte Pars 
theyung. Denn diejenigen, welche es redlich mit der 


Kreuzfahrt meinten, drangen darauf, daß die Pilger alles 


hergeben ſollten, was noch in ihrem Beſitze waͤre, um 
die Forderung der Venetianer zu befriedigen, damit nicht 
dieſes Heer, auf welchem die ganze Hoffnung des heiligen 
Landes beruhte, ſich aufloͤſen moͤchte. Andere aber meinten, 
daß das Geld, welches bereits zuſammengebracht worden, 


Die Kreuzfahrer zu Venedig. 141 


den Venetlanern genuͤgen muͤßte, als Entſchaͤdigung fuͤr die 3.004 
Mühe und Koſten der Ueberfahrt der Pilger, welche zu Vene⸗ 
dig wirklich ſich eingefunden haͤtten, und aͤußerten ſogar, daß 
ſie, wenn jene habſuͤchtigen Kaufleute damit nicht zufrieden 
ſeyn wuͤrden, ihrerſeits entſchloſſen waͤren, nach anderen 
Haͤfen ſich zu begeben. Bey dieſer Meinung beharrten 
dieſe verdroſſenen Pilger mit ſtarrem Sinne, obgleich die 
andern eifrigern Kreuzfahrer erklaͤrten, daß ſie lieber ihr 
ganzes Habe und Gut daran ſetzen und bettelarm die Fahrt 
antreten wollten, als zugeben, daß das Heer ſich trennte; 
da Gott ihnen, falls es ihm gefaͤllig ſeyn wuͤrde, das 
Aufgeopferte reichlich wieder geben koͤnnte **). | 

Der Markgraf Bonifaz von Montferraf*?), die Grafen 
von Flandern, Blois und St. Paul und mehrere ihnen 
gleichgeſinnte Barone ließen jedoch durch die Widerſpen— 
ſtigkeit ihrer Mitpilger ſich nicht abhalten, der von ihnen 
gegebenen Erklaͤrung gemaͤß, der gemeinſchaftlichen Sache 
jedes Opfer zu bringen, welches ſie zu bringen vermochten, 
und leerten nicht nur ihren ganzen Schatz, ſondern erho⸗ 
ben auch noch Geld durch Anleihen und ſandten nicht 
nur alles, auf ſolche Weiſe geſammelte, eigne und fremde 
Geld, ſondern auch alle Geraͤthe von Gold und Silber, 
welche ſie mit ſich fuͤhrten, in den Palaſt des Dogen. 
Nachdem alle dieſe Anſtrengungen gemacht worden waren, 
fehlten aber gleichwohl noch an der Summe, welche die 
Venetianer dem Vertrage gemaͤß forderten, vier und 
dreißig Tauſend Mark Silbers. 


11) Villeh. 20. ar. Berathungen ſeine Gegenwart nöthig 
12) Villehardouin (S. 21) nennt war. Während die übrigen Kreuz— 
bey dieſer Gelegenheit ausdrücklich fahrer zu Venedig ſich aufhielten, un: 
den Markgrafen; dieſer ſcheint aber ternahm er eine Reiſe nach Rom. 
nur dann nach Venedig gekommen Gesta Innoc. III. cap. 83. 85 
zu ſeyn, wenn zu gemeinſchaftlichen 


142 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI. 


Obgleich die Zahl der franzoͤſiſchen und flandriſchen 
Kreuzfahrer, welche nach Venedig gekommen waren, bey 
weitem nicht die Zahl erreichte, fuͤr welche die Ueberfahrt 
war bedungen worden, und alſo auch weniger Schiffe 
erfordert wurden, als man fruͤher berechnet hatte: ſo 
verlangten die Venetianer gleichwohl fuͤr die Ueberfahrt 
des Pilgerheeres die Bezahlung der ganzen in dem Ver— 
trage feſtgeſetzten Summe von fuͤnf und achtzig Tauſend 
Mark Silbers; denn obwohl man in den Unterhand⸗ 
lungen, welche dem Vertrage vorangingen, für jeden 
einzelnen Kreuzfahrer und fuͤr jedes einzelne Pferd einen 
gewiſſen Preis angenommen hatte, fo war doch im Der 
trage ſelbſt jene Summe im Ganzen zugeſichert worden *). 


SE: Ehr. 
1202. 


Am wenigſten war der Doge Heinrich Dandulo geneigt, 
von dieſer Forderung irgend etwas nachzulaſſen. Schon 
in fruͤherer Zeit hatte er unter der Regierung des Dogen 
Vitalis als Geſandter zu Conſtantinopel den Vortheil 
feiner Vaterſtadt mit fo großem Eifer und folder Feſtig⸗ 
keit wahrgenommen, daß der Kaiſer Manuel der Comnene 
den frevelhaften und tuͤckiſchen Beſchluß faßte, den um 
biegſamen Geſandten des Geſichts berauben zu laſſen und 
dadurch zur fernern Verwaltung ſeiner Geſandtſchaft un— 
fähig zu machen. Durch dieſe Blendung verlor zwar 
Dandulo die Schaͤrfe des Geſichts, aber nicht den volligen 
Gebrauch der Augen *); und als er in feine Vaterſtadt 


13) S. Beilage I. 

14) Ueber die Blendung des Dogen 
Heinrich Dandule ſind die Nachrich⸗ 
ten ſehr abweichend. Nach Villehar⸗ 
douin (S. 26) waren die ſonſt ſchö⸗ 
nen Augen des alten Dogen völlig 
blind, und dieſe Blindheit war die 
Folge einer Wunde, „Car viels home 


Ere, et si avoit les yeulx en la 


teste biaus, et si wen veoit gote 
que perduè avoit la veue per une 
plaie qu'il ot en la chief.“ Auch 
Günther ſagt von dem Dogen dp. 
XIII.): Dux Venetorum, coecus 
quidem in facie, sed perspicacissi- 
mus in mente, qui corporis coeci- 


Die Kreuzfahrer zu Venedig. 143 


zuruͤckgekehrt war, fo wurde der Eifer, welchen er fuͤr 
die Angelegenheiten der Republik bewieſen hatte, im 
Jahre 1192 durch feine Wahl zum Dogen belohnt *). 


J. Chr. 
1202. 


Obgleich Heinrich Dandulo ſchon ein hohes Alter erreicht 


hatte, als er an die Spitze der Republik geſtellt wurde, 
ſo war gleichwohl noch nicht von ihm die Kraft der 
Jugend gewichen, und das Alter hatte nur feine Umſicht 
und Erfahrung gemehrt, ſeinen Muth geſteigert und die 
Feſtigkeit feines Sinnes geſtaͤrkt *). Für den Ruhm 
oder Vortheil ſeiner Vaterſtadt ſcheute er weder Gefahr 
noch Anſtrengung; und in verwickelten Lagen bewährte 
ſich eben ſo ſehr ſeine bedaͤchtige Staatsklugkeit als ſeine 
kraftvolle Thaͤtigkeit. Er war von Eitelkeit und Ehrgeiz 
nicht frey **); aber er ſuchte die Befriedigung dieſer 


tatem animi vigore atque pruden - 
tia optime compensabat. Nach der 
Chronik des Andreas Dandulo (Mu— 
rat. T. XII. p. 322) aber war Hein: 
rich Dandulo nur visu debilis, Nach 
Marino Sanuto (a. a. O. S. 204) 
war er von den Griechen durch ein 
glühendes Eiſen geblendet worden 
(abacinatus); und die Chronik des 
Andreas Dandulo (S. 298), ſo wie 

abellicus chistor. Venet. Dee, V. 
Lib. 8.) und Rhamnuſius (p 32), 
letzterer mit Berufung auf die vene⸗ 
tianiſchen Chroniken, behaupten aus⸗ 
drücklich, daß dieſe Blendung auf Be⸗ 
fehl des Kaiſers Manuel geſchehen 
ſey. Emanueli, ſagt Andreas Dan: 
dulus, Henricus Dandolo pro salute 
pätriae constanter resistens 1 visu 
aliqualiter obtenebratus est. Phi: 
lipp Mouskes (in der von Ducange, 
zu Villeh. S. 271 angeführten Stelle) 
behauptet, daß Heinrich Dandulo 
durch den Gewalthaber (li Sire) von 


Zara, alſo auf einem früheren Zuge 


gegen dieſe widerſpenſtige Stadt, viel- 


leicht, als er in Gefangenſchaft ge: 
rathen war, des Geſichts beraubt wor: 
den ſey; und auch der Mönch Gott» 
fried (ad a. 1201 in Freheri Scriptor. 
rer. Germ. ed. Struve T. I. p. 367) 
erzählt, daß der Doge zu Zara ſey 
geblendet worden, ohne die nähern 
Umſtände zu berichten. Nicetas (S. 
347) erwähnt ebenfalls beyläufig der 
Blindheit des Heinrich Dandulo, ohne 
die Urfache anzugeben: 0 e- 
ta dong Bevstinuv, Eoluð Adv 
dovAos, avng πνο, αν ras Oyeıs 
* Tu yo0vw ,s. 

16) Andr. Danduli chron. p. 315. 
316. a 

16) Dux senex corpore, animo 
tamen magnanimus. Andr. Dand. 
chron. p. 316. 320. 

17) Sehr hart, obwohl nicht ganz 
unrichtig, urtheilt Nicetas (a. a. O.) 


144 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI. 


Nie Leidenſchaften in dem Wohlſtande, dem Ruhm und der 
Groͤße ſeiner Vaterſtadt. Was er einmal begonnen hatte, 
fuͤhrte er mit Beharrlichkeit zum Ziele, und Schwierig— 
keiten ſtaͤrkten nur ſeine Kraft und Entſchloſſenheit. 
Seiner eben ſo klugen als beharrlichen Thaͤtigkeit in 
Unterhandlungen verdankte die Republik nicht nur die de 
ſtaͤtigung ihrer alten Rechte ſondern ſelbſt die Erwerbung 
neuer Beguͤnſtigungen in Conſtantinopel *). Durch drey⸗ 
jaͤhrigen Krieg ermuͤdete Dandulo die Piſaner, welche es 
gewagt hatten eine aus Syrien zuruͤckkehrende Flotte der 
Venetianer zu überfallen und der Stadt Pola in Iſtrien, 
einer der Republik Venedig unterworfenen Stadt, ſich 
zu bemaͤchtigen; die Stadt Pola wurde wieder ge— 
wonnen, ihre Mauern an der Seeſeite wurden zerſtoͤrt, 
und die Piſaner gezwungen, um Frieden zu bitten *). 
Dagegen beharrte die Stadt Zara in Dalmatien, welche 
ſchon ſeit langer Zeit ungern den DVenetianern gehorcht 
und oftmals ſich empoͤrt hatte, unter dem Schutze des 
Koͤnigs von Ungarn, welchem ſie ſich unterworfen hatte, 
fortwaͤhrend in ihrer Empoͤrung, und die Sperrung ihres 
Hafens, ſo wie die Beſchraͤnkung ihrer Schifffahrt, welche 
der Doge ſchon im zweyten Jahre ſeiner Regierung (1193) 
angeordnet hatte, waren ohne Erfolg geblieben. 

Dem Dogen Heinrich Dandulo war die Verlegen— 
heit, in welche die franzoͤſiſchen Barone gerathen waren, 
nicht unwillkommen, weil fie ihm die Moͤglichkeit darbot, 


8 


über ihn alſo: Er war ein Ausbund 
von Verſchmittheit, nannte ſich klü— 
ger als die Klugen und war ruhm⸗ 
ſuͤchtig wie kein Anderer (mund 
Anua dyvorelas nd ppoviuurs- 
O TUV geowiuuy EuvToV 0V0- 


ualav zur dofouavuv ws ob 
Ersp06). 
ı8) Andr. Dand, chron. p. 31g. 


319. 
19) Andr. Dand, chron. p. 317 — 


320. 


* 


Die Kreuzfahrer zu Venedig. 145 


die Tapferkeit der Kreuzfahrer der Republik Venedig 18 


dienſtbar zu machen, und er hielt daher in ſeinem Rathe 
folgenden Vortrag: „Wir koͤnnten zwar alles von den 
Kreuzfahrern uns bezahlte Geld als gewonnen betrachten, 
ohne zu irgend einer Leiſtung verbunden zu ſeyn, weil 
fie die verabredeten Bedingungen nicht zu erfüllen ver; 
moͤgen; aber wir wuͤrden uns und die Republik uͤbler 
Nachrede preisgeben, wenn wir alſo verfahren und nicht 
lieber zuvoͤrderſt den Kreuzfahrern die vollſtaͤndige Erfuͤl⸗ 
lung ihrer Verbindlichkeiten erleichtern und dann auch 
von unſrer Seite den Vertrag vollziehen wuͤrden. Laßt 
uns alſo ihnen den Vorſchlag machen, daß ſie uns bei— 
ſtehen moͤgen, die Stadt Zara in Dalmatien, welche der 
Koͤnig von Ungarn uns geraubt hat, eine der feſteſten 
Staͤdte der Welt, zu erobern; und fuͤr ſolchen Dienſt 
koͤnnen wir ihnen in Hinſicht der ruͤckſtaͤndigen vier und 
dreyßig Tauſend Mark Silbers gern Friſt bewilligen 
bis zur gemeinſchaftlichen Eroberung von Zara, welche 
ihnen ohne Zweifel die Mittel gewaͤhren wird, uns zu 
befriedigen.“ Dieſer Vorſchlag fand zwar bey den Raͤthen 
des Dogen allgemeinen Beyfall; unter den Kreuzfahrern 
aber erhoben beſonders diejenigen Widerſpruch, welche 
die Aufloͤſung des Heeres und die Vereitelung der Kreuz— 
fahrt wuͤnſchten 2°). 

Heinrich Dandulo aber fand bald ein Mittel, nicht 
nur dieſen Widerſpruch, obwohl er mit triftigen Gruͤnden 
unterſtuͤtzt werden konnte, zu vereiteln, ſondern auch 
einen ſehr weſentlichen Antheil an der Leitung der Unter— 
nehmungen dieſer Kreuzfahrer ſich und der Republik 
Venedig zu verſchaffen. Als an einem Sonntage, dem 


20) Villeh. S. 24. 23. 5 
V. Band. K 


146 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. VI. 


br. Feſte der Geburt der Mutter Gottes 2 *), in der Kirche 

6. Sept. des heiligen Marcus viele Einwohner der Stadt und 
viele Pilger verſammelt waren: fo beſtieg er den Redner— 
ſtuhl ? ), um zu dem verſammelten Volke zu reden. In 
einer kraftvollen Rede erhob er zuerſt die Tapferkeit der 
Pilger ſowohl als ihre Aufopferung fuͤr die Sache Gottes 
mit großen Lobſpruͤchen, pries die Vereinigung der Ve— 
netlaner mit ſo tapfern und edeln Maͤnnern zu einer 
gemeinſchaftlichen Unternehmung als ein höchft glückliches 
Ereigniß und fuhr dann alfo fort: „Zwar bin ich alt 
und ſchwach, wie ihr ſeht, und der Ruhe ſehr beduͤrftig; 
aber ich weiß, daß niemand im Stande ſeyn wird, euch 
ſo gut zu fuͤhren, als ich es vermag. Darum geſtattet 
mir, das Kreuz zu nehmen, meinem Sohn Rainer die 
Regierung des Landes waͤhrend meiner Abweſenheit anzu— 
vertrauen, und euch zu begleiten, damit ich mit euch und 
den Pilgern leben und ſterben moͤge.“ Hierauf riefen 
alle mit Einer Stimme: „Wir bitten euch um Gottes 
willen, mit uns zu gehen;“ und viele ſowohl der Vene— 
tianer als der Pilger wurden, als ſie dieſen unerwarteten 
Entſchluß des Dogen vernahmen, dadurch ſo ſehr geruͤhrt, 
daß ſie Thraͤnen vergoſſen. Alsdann begab der Doge 
ſich zu dem Altar, wo er weinend auf die Knie ſich nie— 
derließ und die Ertheilung des Kreuzes begehrte. Es 
wurde aber das Kreuz an ſeinen großen baumwollenen 
Hut angenaͤht 23), weil Heinrich Dandulo wollte, daß es 


in der Zeit, in welcher dieſe Verhand⸗ 


21) „A un dimanche .. . si ere 
lung kann Statt gefunden haben, 


une mult feste.“ Villeh. S. 25. 


Ramnuſius (S. 31): „ad VI. Idus 
Sept. (8. Sept.), qui Deiparae 
Virginis dies natalis est;“ denn es 
fiel kein anderes hohes Feſt, als das 
Feſt der Geburt Unſerer lieben Frauen, 


auf einen Sonntag. 
22) Siehe oben S. 119, Anm. 18. 
23) „Il li cousierent la Croix en 
un grant Chapel de coton, perce 
que il voloit que la gent la veis- 


Byzantiniſche Angelegenheiten. 147 


von allen Anweſenden geſehen würde, Viele Venetianer Ihr. 


folgten dem Beyſpiele des Dogen und nahmen ebenfalls 
das Kreuz. 


Die Pilger wurden durch dieſe unerwartete Wendung 
ihrer Angelegenheiten zwar ſehr uͤberraſcht; noch mehr 
aber uͤberraſchte fie ein anderes Ereigniß, welches von 
noch wichtigern Folgen war: naͤmlich die Erſcheinung 
von Abgeordneten des griechiſchen Prinzen Alexius Angelus, 
welche den Markgrafen Bonifaz und die uͤbrigen Fuͤrſten 
des Pilgerheers um Beyſtand anſprachen wider den Kaiſer 
Alexius, den Oheim des jungen Prinzen, und unrecht— 
maͤßigen Beſitzer des Thrones von Conſtantinopel 25). 

Das griechiſche Kaiſerthum war ſeit dem Tode des 
Kaiſers Emanuel Comnenus, welcher nicht minder als ſeine 
beyden Vorgaͤnger, Alexius und Johannes, mit ange— 
ſtrengter Thaͤtigkeit und nicht ohne Erfolg ſich bemüht 
hatte, die Wuͤrde des roͤmiſchen Reichs wiederherzuſtellen, 
der klaͤglichſten Zerruͤttung preisgegeben. Nachdem der 
eben ſo leichtſinnige als talentvolle Andronikus, Enkel 
des Kaiſers Alexius des Erſten, und Vormund des Knaben 
Alexius, des Sohns des Kaiſers Emanuel, durch die treuloſe 
Ermordung feines Muͤndels den Weg zur Herrſchaft über 
das roͤmiſche Reich ſich geöffnet hatte: ſo entſchied uͤber 


sent.“ Villeh. S. 26: „Huic prae- ctior.““ Ramnus, p. 32. 

sto affuere primarii Templi Sacer- 24) Villehardouin, welcher allein 
dotes linteati, qui de vetere con- der damaligen Unterhandlungen ers 
suetudine ex sacratis Pontiſiciarum wähnt (denn alle übrigen Schrift⸗ 
ceremoniarum libris, in ipsius ſteller erwähnen nur des zu Zara 
summo pileo (id erat xylinum, ſpäter abgefchloffenen Vertrags), ev: 
nullo tum Venetis Ducibus holose- öffnet ſeine Erzählung (S. 27) alſo: 
rici, purpurae et auri usu, ita Or oiez une des plus grant mer- 
optimi et frugi mores ferebant), veilles et des greignors aventures, 
Crucem rubram insuunt, ut in que vos onques oissiez, 

vertice toti Civitati esset conspe- 


x 


K 2 


— — 


148 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. VI. 


Jer den Beſitz des Throns von Byzanz nicht mehr Recht, ſon— 
dern Gewalt; und nach dem kaiſerlichen Namen trachtete 
jeder, welcher durch Macht oder Anhang ſich ſtark genug 
achtete, ſeine Anmaßungen durchzuſetzen. Daher folgte 
Empoͤrung auf Empoͤrung. Ein Uſurpator nach dem 
andern machte den Thron dem anerkannten Kaiſer ſtrei— 
tig, und was Einem gelungen war, verſuchten viele 
Andere, ohne ſich durch das ungluͤckliche Ende derer, 
welche ihres Ziels verfehlten, abſchrecken zu laſſen. Andro— 
nikus buͤßte durch ein ſchreckliches Ende jenen grauſamen 
Mord und die Graͤuel einer tyranniſchen Regierung, 
nachdem er nur zwey Jahre *) mit Mühe das von 
aͤußern Feinden eben fo ſehr bedraͤngte als durch Empoͤ⸗ 
rungen verwirrte Reich behauptet hatte. Iſaak Angelus, 
welcher auf eine unerwartete und faſt wunderbare Weiſe 
zum Kaiſer ausgerufen wurde, als er durch den Mord 
des Stephanus Hagiochriſtophorites, des Guͤnſtlings von 
Andronikus, das ihn bedrohende Verderben abgewandt 
hatte und Schutz in der Kirche der goͤttlichen Weisheit 
ſuchte, vertheidigte mit vieler Anſtrengung, welche ihm 
bey ſeinem Hange zur Unthaͤtigkeit und zum uͤppigen Leben 
nicht geringe Ueberwindung koſtete, das Reich gegen die 
Eroberungsſucht des Koͤnigs Wilhelm von Sicilien, die 
Raubereyen der Walachen und Comnenen, und die Feind— 
ſeligkeiten der Tuͤrken; ſchuͤtzte aber nicht die Wuͤrde ſeiner 
Krone gegen mancherley Demuͤthigungen, zu der Zeit, als 
der Kaiſer Friedrich der Erſte das große Heer der deut— 
ſchen Pilger durch das roͤmiſche Reich nach Aſien fuͤhrte; 
und, nach faſt neunjähriger Regierung, nachdem die Vers 
ſuche vieler Empoͤrer, ihn des Reichs zu berauben, miß⸗ 


25) Vom September 1183 bis zum September 1185. 


Byzantiniſche Angelegenheiten. 149 


J. Chr. 
1203, 


lungen waren, unterlag Iſaak Angelus der Hinterlift 
ſeines Bruders Alexius. Dieſer wurde auf einem Feld— 
zuge wider die Walachen von der Parthey, welche er im 
Stillen ſeit laͤngerer Zeit gewonnen hatte, in dem kaiſer— 
lichen Lager bey Kypſella an der Graͤnze von Macedonien, 
als Iſaak Angelus mit der Jagd ſich beluſtigte, ploͤtzlich 
zum Kaiſer ernannt, und glaubte ſeine Herrſchaft dadurch 
zu ſichern, daß er ſeinen Bruder, den bisherigen Kaiſer, 
auf der Flucht zu Stagira ergreifen und blenden ließ ?“). 
Dieſe That war die Urſache von großem Unheile fuͤr das 
roͤmiſche Reich. 

Alexius, welcher, vielleicht um ſeiner Herrſchaft den 
Schein der Rechtmaͤßigkeit zu geben, den Namen ſeines 
Geſchlechts ablegte und den Namen der Comnenen 
führte 22), war noch weniger als feine beyden Vorgaͤnger 
im Stande, dem Reiche aͤußere Sicherheit und innere 
Ruhe zu verſchaffen; er befchäftigte ſich wenig oder gar 
nicht mit den oͤffentlichen Angelegenheiten, lebte nur in 
Vergnuͤgungen oder unnuͤtzer Geſchaͤftigkeit 5), und ob⸗ 
wohl er nicht grauſam und blutdürfig, „ fie viele feiner 


26) Nicetas S. 288 — 200. Ganz 
anders erzählt Marino Sanuto (S. 
204) den Hergang: Cum Isacus in 
quadam Abbatia Philippis (zu Phi⸗ 
lippopolis) cum paucis se recrearet, 
Alexius illum aggreditur et captum 
exoculat. Die Abſetzung und Blen— 
dung des Kaiſers Iſaak geſchah im 
März oder April 1195. Die meiſten 
Schriftſteller, welche dieſer Begeben— 
heiten erwähnen, erzählen nichts von 
den nähern Umſtänden. Villehar— 
douin (S. 26. 27) ſagt blos: Sursac 
(Sire Isaac, ſo wie andere Schrift⸗ 
ſtellet den Kaiſer Alexius Kyr Alexius, 
d. i. Kvpros "AltEıos nennen) em- 


pereor en De öpie, avolt un 
frere, qui avoit a nom Alexis, que 
il avoit rachete de prison des Turs 
(Andr. Danduli Chron. p. 318). Icil 
Alexis si prist son frere IEmpe- 
reor, si Ii traist les iaulz de la teste 
et se ist Empereor en tel traison, 
Ueber die Sefangenfchaft des Alexius 
bey den Türken findet ſich keine Nach: 
richt bey Nicetas. 


27) Nicetas S. 293. 


23) Er beſchäftigte ſich am meiſten 
mit der Anordnung von Luſtgärten, 
und war ein leidenſchaftlicher Jäger. 
Nleetas S. 848. 


J. Chr. 
1202. 


150 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. 


Vorgänger, ſondern vielmehr ſanft und milde war, fo 
erbitterte er gleichwohl eben ſo wie ſein Bruder Iſaak 
Angelus das Volk durch Erpreſſung uͤbertriebener Ab— 
gaben und Steuern, deren Ertrag er an Guͤnſtlinge und 
Buhlerinnen verſchwendete 25). Trotz der Gefahren, 
welche von allen Seiten das Reich bedrohten, der unbe— 
dachtſamſten Sorgloſigkeit ſich ergebend, vernachlaͤſſigte 
er ſelbſt die Bewachung ſeines geblendeten Bruders, deſſen 
Rache er ſo ſehr zu fuͤrchten hatte. Nachdem er ihn 
einige Zeit im kaiſerlichen Palaſte gefangen gehalten 
hatte, wies er ihm an der Kuͤſte in der Nähe der Haupt— 
ſtadt eine Wohnung an *), wo ihm der freye Verkehr 
mit ſeinen Freunden und Anhaͤngern geſtattet wurde; und 
ſelbſt Fremdlingen aus den abendlaͤndiſchen Voͤlkern wurde 
der Zutritt zu ihm nicht gewehrt, ſo daß Iſaak Gelegen— 
heit fand, an ſeinen Eidam, den deutſchen Koͤnig Philipp, 
Gemahl ſeiner Tochter Irene, Briefe zu befoͤrdern, und 
uͤberhaupt mancherley Verbindungen anzuknuͤpfen und 
Verabredungen wegen ſeiner Befreyung und Wiederein— 
ſetzung in das Reich zu machen. Bald darauf gab der 
Kaiſer Alexius auch ſeinem Neffen, dem jungen Prinzen 
Alexius, Sohn des Iſaak Angelus *), die Freyheit; 


29) Nicetas S. 346. 

30) Tard rovs xloves, o, meg) 
Tov nogduov avraioı al dvd- 
Core koravenı, Nicetas a. a. O. 
Dieſe beyden Säulen ſtanden in der 
Entfernung einer Stunde von der 
Stadt, Scutari gegenüber; und die 
dortige Ueberfahrt nach Scutari führ— 
te daher den Namen Lırrloziovıov. 
Jetzt prangt in dieſer Gegend der 
Palaſt von Beſchiktaſch, wo der Sut⸗ 


tan den Sommer zubringt; ſ. Joſ. 


v. Hammer Conſtantinop. und der 
Bosporus Th 2. S. 103 folg. und 
deſſen osmaniſche Geſchichte Th. 1. 
S. 384. 330. Ueber die Lage jener 
beyden Säulen vgl. Nicetas S. 349 
und die von Ducange im Glossarium 
graecum v. Ilsgaia und zu Ville 
hardouin S. 286 angeführten Stellen. 


31) Ueber das Alter des jungen 
Alexius geben die Schriftſteller keine 
Nachricht; doch war er ohne Zweifel 
nicht mehr Knabe, ſondern im Jüng 


. 


Byzantiniſche Angelegenheiten. 151 
und dieſer, als er feinen Oheim auf dem Kriegszuge 
gegen einen Empoͤrer, den Protoſtrator Manuel Kamytzes, 
ang entfloh aus dem kaiſerlichen Lager zu Damo— 
krania, und beſtieg an der Mündung des in die Pro— 
pontis ſich ergießenden Fluſſes Athyras ein Boot, welches, 
ausgeſandt von einem piſaniſchen Schiffe, deſſen Haupt— 
mann es uͤbernommen hatte, ihn nach Italien zu fuͤhren, 
unter dem Vorwande, Sand als Ballaſt einzunehmen, 
dort ſeiner wartete und ihn zu dem bey Antonia am 
Hellespont vor Anker liegenden Schiffe brachte 2). Auf 
dieſem Schiffe entkam Alexius glücklich, nach Ancona 33), 
nachdem er als piſaniſcher Schiffsmann verkleidet den 
Nachforſchungen derer ſich entzogen hatte, welche von 
dem Kaiſer waren ausgeſandt worden mit dem Auftrage, 
ſich des Juͤnglings wieder zu bemaͤchtigen 2). Von 
Ancona zog er nach Rom und fuchte zuerft die Huͤlfe 
des Papſtes Innocenz des Dritten. Der Papſt aber, 
deſſen Zuneigung der Kaiſer Alexius durch die Achtung, 
welche er ihm bewies, gewonnen hatte, gab ihm eine 


ſeine Rettung einem Seneſchall des 
byzantiniſchen Hofes. Die Flucht 
deſſelben geſchah ohne Zweifel fpäte: 
ſtens im Jahre 1201, denn in einem 
Schreiben vom 20. November (XII. 
Kal. Dec.) 1202 an den Kaiſer Ale⸗ 
xius, erwähnt der Papſt Innocenz III. 
(Epist, Innoc. III, ed. Brequigny 
et la Porte du Theil T. I. v. 190. 


lingsalter. Ramnuſius (S. 32) be: 
zeichnet ihn richtig als adolescens. 
Villehardouin (S. 28. 56 nennt ihn: 
ie valet de Constantinople. Valet 
bezeichnete nämlich in der damaligen 
Sprache einen Jüngling von Adel, 
welcher noch nicht die ritterliche 
Würde erlangt hatte; ſ. Ducange zu 
Villehardouin S. 172 - 173. Hugo 


Plagon (S. 662) ſagt von dem jun⸗ 
gen Alexius: Li enfes (enfant) 
Fust grant vaslet. 


37) Nicetas S. 346. 
33) Villeh. S. 27. Nach der Er⸗ 


zählung des Mönchs Alberik (ad a, 
1202) verdankte der junge Alexius 


Raynaldi ann, ccc. ad a. 1202 $. 36.) 
der Anweſenheit des jungen Alexius 
zu Rom als einer geraume Zeit zu: 
vor geſchehenen Begebenheit: Alexius 
olim ad praesentiam nostram acce- 
dens etc. y 


39) Nicetas a. a. O. 


0 


J. Chr 


1202. 


A 
*. 
* 


152 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI. 


Jet ausweichende Antwort 3°); worauf Alexius ſich entſchloß, 


ſeine Zuflucht zu ſeiner Schweſter Irene und ſeinem 
Schwaͤher, dem deutſchen Koͤnige Philipp, zu un. 
Auf der Reiſe nach Deutſchland verweilte er zu na, 
und dort wurde ihm von feinen Begleitern ?°) der Rath 
gegeben, den Beiſtand der Kreuzfahrer anzuſprechen. 

Die Abgeordneten des Prinzen Alerius fanden zu 
Venedig nicht unguͤnſtige Aufnahme. Den Venetianern 
war es nicht unerwuͤnſcht, wenn die Kraft der Kreuz— 
fahrer gegen das griechiſche Reich ſich richtete; denn 
welchen Ausgang auch ein ſolches Unternehmen gewann, 
ſo durften ſie wenigſtens unter den damaligen Umſtaͤnden 
mit Sicherheit hoffen, dadurch Vortheile oder Vorrechte 
für ihren Handel in Conſtantinopel und andern Häfen 
des byzantiniſchen Reichs zu gewinnen. Ohnehin war— 
teten ſie laͤngſt auf eine guͤnſtige Gelegenheit, den damals 
zu Conſtantinopel ſehr beguͤnſtigten Piſanern die erlangten 
Vortheile zu entreißen. Der Doge Heinrich Dandulo 
war daher dem Anliegen der Abgeordneten des Prinzen 
Alexius nicht hinderlich 37). Die Barone des Pilgerheeres 
aber wurden eben ſo ſehr geruͤhrt durch die traurige Lage 
des jungen Prinzen, als ſie ſich geſchmeichelt fuͤhlten durch 
das Zutrauen, welches er ihnen gewaͤhrte; auch rechneten 
ſie in dem Falle, daß es ihnen gelaͤnge, den Kaiſer 
Iſaak wieder auf den Thron zu bringen, auf deſſen Bey— 


35) Cumque nos eidem dedisse- 
mus responsum, juxta quod vidi- 
mus expedire, recessit a nobis et 
ad praedictum Philippum, sororium 
suum, concitus properavit. Epist. 
Innoc. III, ad Alexium Imp. I. c. 
Der junge Alexius ſcheint aber ſeine 
Reiſe nicht ſehr beſchleunigt zu haben, 
da er, wie Villehardouin (S. 27) 


berichtet, noch im Herbſte 1202 zu 
Verona ſich aufhielt. 


35) Cil qui l’avoient aidie a echa- 
per. Villeh. a a. O. 


37) Villehardouin erwähnt nicht 
des Einfluſſes, den die Venetianer 
auf die damaligen Unterhandlungen 
mit Alexius hatten. 


Byzantinifhe Angelegenheiten. 153 


ſtand in ihren Bemühungen zur Befreyung des gelobten Nehr— 
Landes. Der Markgraf Bonifaz von Montferrat hatte 
ohnehin Urſache, dem ungluͤcklichen Iſaak Angelus gewo— 
gen zu ſeyn, da dieſer Kaiſer ſeine aͤlteſte Tochter Theodora, 
die Schweſter des jungen Alexius, ihm zur Ehe ange— 
tragen und ſeinem Bruder Conrad, dem nachherigen 
Markgrafen von Tyrus, zur Gemahlin gegeben hatte. 
Auch ſoll der Markgraf Bonifaz ſchon, als er auf feiner 
Ruͤckkehr aus Frankreich durch Deutſchland reiſte, dem 
deutſchen Koͤnige Philipp die Zuſage gegeben haben, daß 
er ſich bemuͤhen wuͤrde, mit Huͤlfe der Kreuzfahrer, welche 
ihn zum Oberfeldherrn erwaͤhlt hatten, den jungen Alexius 
zum Beſitze des Throns von Byzanz zu bringen 38). Die 
Barone gaben alſo den griechiſchen Abgeordneten ??) zur 
Antwort: „Wir haben ſehr wohl vernommen, was ihr 
uns vorgetragen habt, und werden, da euer Herr nach 
Deutſchland ſich begiebt, dahin an ihn und den Koͤnig 
Philipp, ſeinen Schwaͤher, Botſchafter ſenden, zur weitern 


38) Gesta Innocentii III. c. 83. 
Auf dieſe Unterhandlung des Mark: 
grafen Bonifaz mit dem Könige 
Philipp bezieht ſich wahrſcheinlich 
auch die Aeußerung Villehardouin's 
(S. 43): En cui garde (c. a. d. 
du Marquis) le Roy Philippe La- 
voit recommande, qui sua seror 
avoit à fame. 

30) Nach dem Texte des oben (Anm. 
33. 35) erwähnten Schreibens des 
Papſtes Innocenz an den Kaiſer Ale— 
rius könnte man glauben, daß die 
erſten Unterhandlungen wegen der 
byzantiniſchen Angelegenheiten mit 
den franzöſiſchen Baronen durch Ge— 
fandte des Königs Philipp wären 
angeknüpft worden: 


„Cum quo 


(Philippo, Duce Sueviae) delibe- 
rato consilio (Alexius) sic effecit, 
quod idem Philippus nuntios suos 
ad principes exercitus Christiani 
sine qualibet dilatione transmisit, 
rogans eos et petens, ut, quia pa- 
ter suus et ipse fuerant jure suo et 
imperio nequiter spoliati, cum eo 
Constantinopolitanum deberent re- 
gnum intrare, ac ad illud recupe- 
randum eidem praestare consilium 
et favorem.““ Man ſieht aber leicht, 
daß hier von Geſandten des jungen 
Alexius die Rede iſt, und es iſt alſo, 
wenn nicht etwa der Text lückenhaft 
iſt, für idem Philippus zu fegen: 
idem Alexius. 


154 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. VI. 


sb. Unterhandlung. So er uns beyſtehen will zur Eroberung 
des Landes jenſeit des Meeres, ſo wollen auch wir ihm 
helfen, damit er ſein Reich wieder gewinne, welches ihm 
und ſeinem Vater, wie wir wiſſen, mit Gewalt iſt ge— 
raubt worden . Es begaben ſich auch ſogleich einige 
Botſchafter der Barone auf die Reiſe nach Deutſchland. 
Nicht lange nach den erzaͤhlten Verhandlungen mit 
den Venetianern ſowohl als den Abgeordneten des Prinzen 
Alexius, wodurch die Unternehmung der franzoͤſiſchen 
Barone eine ganz andere Richtung gewann, kamen der 
Biſchof Conrad von Halberſtadt, ein eifriger Anhaͤnger des 
Koͤnigs Philipp (welcher, um den verdrießlichen Haͤndeln, 
welche Deutſchland damals verwirrten, ſich zu entziehen, 
unmittelbar nach ſeiner Wahl zum Biſchofe das Kreuz ge— 
nommen hatte), der Graf Berthold von Katzenellnbogen “*) 


40) Alſo Villehardouin S. 27. 28. 
Nach der Angabe des Papſtes Inno— 
cenz III. (a. a. O.) erhielten die Ge⸗ 
ſandten von den Baronen zur Ant⸗ 
wort: quod, cum in tam arduo 
negotio sine mandato et auctoritate 
nostra non possent procedere nec 
deberent, nos (i. e. pontilicem ) 
volebant consulere super his, ac 
exinde praestolari nostrae beue- 
placitum voluntatis, 
dann, wie Innecenz weiter meldet, 
dieſe Sache dem päpſtlichen Legaten, 
dem Cardinal Peter, welcher bald 
hernach nach Venedig kam, zur Be: 
urtheilung vor, und füchten durch 
deſſen Vermittelung nach um die Er⸗ 
laubniß des Papſtes zur Abſchließung 
eines Vertrages mit dem jungen Ale: 
xius. Auch der Markgraf Bonifaz 
erforſchte bey ſeiner Anweſenheit zu 
Rom, nach der Erzählung der Gesta 
Innocentii III. (c. 83.), von fern 


Sie legten 


(coepit agere a remotis) die Gefin: 
nung des Papſtes über die byzantini⸗ 
ſchen Angelegenheiten und fand, daß 
der Papſt nicht geneigt war, ſchon 
wegen ſeines feindſeligen Verhält⸗ 
niſſes zu dem Könige Philipp, der 
Sache des jungen Alexius ſich anzu⸗ 
nehmen (intellexit, summi Ponti- 
ficis animum ad hoc non esse di- 
rectum). 

41) Der Biſchof Conrad kam nach 
dem Chronicon Falberstadiense 
(Leibnitii Script. Brunsvic. T. II. 
P. 143.) am 15. Aug. (Idus Augusti) 
zu Venedig an. Der Wallfahrt des 
Grafen Berthold von Katzenelln⸗ 
bogen (Beltous de Chassenele et 
de Boghe) wird von Villehar⸗ 
douin (S. 23), und ſeiner Anwe⸗ 
ſenheit zu Conſtantinopel in einem 
Briefe des Papſtes Innocenz III. 
(Innoc. Ep. ed. Baluze Lib. XIV. 
ep. 94. T. II. p. 594) erwähnt; vgl. 


Die deutſchen Kreuzfahrer zu Venedig. 155 


und blels andere Wallfahrer aus den Laͤndern des deutſchen 
Reiches, nach Venedig, in der Hoffnung, mit den franzoͤ— 
ſiſchen Kreuzfahrern ohne Verzug die Fahrt nach Alexan⸗ 
drien in Aegypten antreten zu koͤnnen. 


Auch der Abt Martin kam damals nach Venedig mit 
den Pilgern aus dem Elſaß und Helvetien, welche, bewo— 
gen durch ſeine Ermahnungen, das Kreuz genommen und 
ſeiner Fuͤhrung ſich anvertraut hatten. Als die Zeit ſich 
naͤherte, welche zum Auszuge der Pilger war beſtimmt 
worden: ſo begab ſich Martin zuvoͤrderſt nach Citeaux, 
der Mutterabtey ſeines Ordens, um auch von dem dorti— 
gen Abte und andern daſelbſt verſammelten Aebten ihren 
Segen und die Erlaubniß zur Pilgerfahrt ſich zu erbitten, 
wiewohl ihm ſchon fruͤher ſolche Erlaubniß von dem 
Papſte war verwilligt worden; dann kehrte er in ſeine 
Abtey zuruͤck, ordnete ſeine Angelegenheiten, empfahl ſich 
dem Gebete ſeiner Kloſterbruͤder und eilte nach Baſel, 
wo ihn die ſchon in großer Zahl verſammelten Kreuz— 

a. 
dominus Conradus Halberstaden- 


sis. Auch der Kaiſer Balduin gedenkt 
dieſes Biſchofs unter den Theilneh— 


über dieſen Grafen Wenck heſſiſche 
Landesgeſchichte Th. 1. S. 232. Der 
Biſchof Conrad von Halberſtadt nahm 


das Kreuz zu Quedlinburg am Palm: 
ſonntage 1201 und trat am x. Mai 
dieſes Jahres die Wallfahrt an, nach: 


dem Albert, Domdechant zu Magde 


burg, ihm dazu 880 Mark Silbers 
geſchenkt hatte. Chron. Halberstad. 
p. 142. Dieſe Chronik giebt eine aus: 
führliche Nachricht über die Watt 
fahrt des Biſchofs Conrad. Auch der 
Mönch Alberik (ad a. 1202) erwähnt 
der Pilgerſchaft dieſes Biſchofs: Ad- 
juncti sunt eidem (Henrico, Vene 
ttarum Duci) episcopus Bethlehem 
et magister Johannes Acconensis 
1 electus et unus episcopüs de Saxonia, 


mern der damaligen Kreuzfahrt in 
dem zweyten von Arnold von Lübeck 
(Lib. VI. c. 20. in Leibnitii Scri- 
ptor. Brunsvic, T. II. p. 724) mit: 
getheilten Briefe. Von andern Pil- 
gern, welche mit dem Grafen Bert: 
hold und dem Biſchof von Halber— 
ſtadt nach Venedig kamen, nennt 
Villehardouin noch: Garniers de 
Borlande, Tierris de Los, Henris 
d’Orme, Tierris de Dies, Rogiers 
de Suicre, Alexandre de Villers, 
Odris de Tone. Vgl. Ducange zu 
Villeh. S. 275. 270. 


J. Chr. 
1202, 


156 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. VI. 


22 r fahrer mit Freuden empfingen. Nachdem er dort das 
Volk zur chriſtlichen Froͤmmigkeit ermahnt, den Schutz 
der heiligen Jungfrau für ſich und feine Gefährten ev 
fleht ) und von dem Volke und der Geiſtlichkeit von 
Baſel Abſchied genommen hatte: ſo fuͤhrte er ſeine 
Schaaren durch die Thaͤler von Tyrol uͤber Trident nach 
Italien. Ueberall wurden die Pilger auf dieſem Wege 
mit großer Liebe empfangen; und nicht nur die Ein— 
wohner der Staͤdte und Ortſchaften, welche auf ihrem 
Wege lagen, ſondern auch die Einwohner entfernterer 
Oerter kamen ihnen entgegen und brachten ihnen Lebens— 
mittel fuͤr billige Preiſe. Der Abt Martin beſonders war 
uͤberall auf dieſem Wege der Gegenſtand der Verehrung 
und Bewunderung des Volks, welchem es als ein ſelt— 
ſames Wunder erſchien, daß ein Abt es uͤbernommen 
hatte, ein Kriegsheer zu fuͤhren. Martin aber lebte auf 
dieſem Zuge mitten unter den Kriegern als Moͤnch, be— 
obachtete, ſoviel die Geſchaͤfte, welche als Fuͤhrer des 
Heers ihm oblagen, es verſtatteten, die Strenge des 
kloͤſterlichen Lebens, verſagte ſich jede Bequemlichkeit und 
vertheilte alles Geld, was er mit ſich genommen hatte 
oder ſpaͤterhin durch milde Gaben frommer Chriſten erhielt, 
unter die Duͤrftigen des Heers; in zwey Tagen ſpendete 
er einſt hundert Mark Silbers, und am dritten Tage wie— 
derum ſiebzig Mark. Das Volk ſtellte ihn wegen dieſer 
Mildthaͤtigkeit und Uneigennuͤtzigkeit an Heiligkeit gleich 
dem heiligen Martin von Tours, deſſen Namen er 
fuͤhrte. Als Martin mit ſeinen Pilgern nach Verona 


42) Ibi (Basileae) quoque sermo- Filio suo novum conciliaret exer- 
ne exhortationis habito, se ipsum citum. Guntheri Historia Constan- 
et socios beatae Virgini commen- tinop. p. vII. 
davit, humiliter roganı, ut ipsa 


Die deutſchen Kreuzfahrer zu Venedig. 157 


kam, fo fand er dort bereits eine große Zahl anderer 75835 
Kreuzfahrer aus verſchiedenen chriſtlichen Ländern ver 
ſammelt, welche durch die Ankunft der deutſchen Pilger 
ungemein erfreut wurden; und der Bifchof von Verona 
nahm den frommen deutſchen Abt gaſtfreundlich auf in 
ſeinen Palaſt und beherbergte ihn acht Wochen lang, 
waͤhrend die Pilger zu Verona von den Muͤhſeligkeiten 
der Reiſe ſich ausruhten. Nach ſolcher Ruhe fuͤhrte 
Martin fein Heer nach Venedig ). 

Die Freudigkeit, mit welcher die deutſchen Pilger 
nach Venedig gezogen waren, verſchwand, als ſie vernah— 
men, daß die franzoͤſiſchen Barone den Venetianern ihren 
Beiſtand zur Unterjochung der Stadt Zara in Dalmatien 
zugeſagt hatten; denn dieſe Pilger brannten vor Verlan— 
gen, die Fahrt nach Aegypten anzutreten, weil ſie ver— 
nommen hatten, daß Aegypten von einer ſchrecklichen 
Hungersnoth, als Folge mehrjaͤhriger unvollkommener 
Ueberſchwemmungen des Nils ), heimgeſucht würde, und 
die Heiden auch in Syrien durch Erdbeben und Miß— 
wachs *) in große Noth waren gebracht worden. Unter 
ſolchen Umſtaͤnden glaubten die Pilger von den Heiden 
keinen erheblichen Widerſtand fuͤrchten zu duͤrfen; ſie 
waren vielmehr uͤberzeugt, daß die Eroberung von Aegyp— 
ten und Syrien ohne große Schwierigkeit gelingen muͤßte, 
wenn die Noth der Heiden ohne Zeitverluſt benutzt würde, 


43) Gunther p. vr. vııt.' 

44) Aegypto Nilus frugiferas 
aquas, quibus eam rigare solet, 
annis, ut ajunt, jam quinque sub- 
traxerat. Gunther p. vrII. 

45) Die Urſache dieſes Mißwachſes 
wird in der Chronologia Roberti 
Altissiodorensis (p. 265, 266) alſo 


erzählt: Nam, cum terrae fructus 
uberiores apparerent, et prae mul- 
tis annis fertilius pullularent in 
granis, subita cujusdam immissio- 
ne nebulae ita segetes sunt corru- 
ptae, quod vix dimidiam partem 
seminis reddidere, 


158 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI. 


2220. Daher erhoben ſie heftigen Widerſpruch gegen jeden Auf— 
ſchub der Fahrt nach Aegypten, indem ſie erklaͤrten, daß 
der Krieg gegen Zara aus zwiefachem Grunde im Wider— 
ſpruche ſtehe mit dem Geluͤbde derer, welche ſich dem 
Kampfe für die Ehre Chriſti wider die Unglaͤubigen ge 
weiht hätten, und daher für ein ruchloſes und verab— 
ſcheuungswuͤrdiges Unternehmen zu achten waͤre: einmal, 
weil dieſe Stadt eine chriſtliche Stadt waͤre, und dann, 
weil ſie dem Koͤnige von Ungarn angehoͤrte, welcher das 
Zeichen des heiligen Kreuzes truͤge und deshalb mit ſeinem 
ganzen Reiche unter dem unmittelbaren Schutze des apoſto—⸗ 
liſchen Stuhls ſtaͤnde “). Die Venetianer aber ließen ſich 
um ſo weniger in dem einmal entworfenen Plan ſtoͤren, als 
die deutſchen Pilger eben ſo wenig als die franzoͤſiſchen 
im Stande waren, die Zahlungen vollſtaͤndig zu leiſten, 
welche die Venetianer von den Kreuzfahrern zufolge des 
Vertrages zu fordern berechtigt waren. Viele deutſche 
Pilger wurden daher, als ſie ſahen, daß ihr Wider— 
ſpruch unbeachtet blieb, abtruͤnnig und kehrten in ihre 

Heimath zuruͤck; einige gewiſſenhaftere begaben ſich nach 
Rom, meldeten dem Papſt, was zu Venedig vorginge 


46) Quae utique res nostris prin- 
cipibus, tamquam Deum timenti- 
bus, crudelis atque nefaria vide- 
batur, tum quia civitas illa Chri- 
stianae gentis erat, tum quia ad 
Regem Hungariae pertinebat, qui 
et ipse, signo crucis accepto, ut 
moris est, sub protectionem Summi 
Pontificis se et sua tradiderat. Gun- 
ther p. vııı, Daß viele Kreuzfahrer 
den Verdacht hegten, daß die Bene: 
tianer mit Planmäßigkeit ſie in die 
Nothwendigkeit geſetzt hätten, ihnen 
in Hinſicht des Kriegs gegen Zara zu 


Willen zu ſeyn, geht aus einer Nach⸗ 
richt des Albericus (ad a. 1202) hervor: 
Interea, dum naves parantur, Ve- 
netiani, callide cogitantes, ipsos 


peregrinos 
insulam, quae dicta est ad Sanctum 


in quamdam parvam 


Nicolaum, venire fecerunt et ibi 
concluserunt, nec exire permise- 
runt, donec iidem peregrini civi- 
tatem Jazeram venientes, Venetia- 
nis a longo tempore inimicam, ju- 
rarent secum hostiliter expugnan- 
dam. Vgl. Hugo Plagon S. 657. 
658. 


Mißverhaͤltniſſe des Papſtes u. d. Pilger. 159 


und berathen wuͤrde, und baten um die Losſprechung 
von der Verbindlichkeit ihres Geluͤbdes; Innocenz aber 
gewaͤhrte ihnen nicht ihre Bitte, ſondern bewilligte ihnen 
nur Friſt für die Vollziehung ihres Gelübdes auf einige 
Jahre. Andere, zu welchen, bevor ſie die Pilgerfahrt 
antraten, das Geruͤcht gelangte von der Verſchiebung 
der Fahrt nach Aegypten, blieben nunmehr ruhig in ihrer 
Heimath 7). g 

Der Papſt Innocenz empfand heftigen Verdruß, als 
er vernahm, daß die Venetianer die Kreuzfahrt, welche 
er mit ſo großer Muͤhe und Anſtrengung zu Stande ge— 
bracht hatte, zu ihrem Vortheile benutzten; und um ihre 
eigennuͤtzigen Abſichten zu vereiteln, ſandte er ohne Ver— 
zug den Cardinal Peter, damals Presbyter zu St. Mar— 
cellus, als Legaten des apoſtoliſchen Stuhls nach Venedig 
mit dem Auftrage, die Venetianer ſowohl als die Kreuz— 
fahrer von dem ruchloſen Kriege gegen Zara abzumahnen, 
und die letztern unmittelbar zum Kampfe gegen die Sara— 
cenen zu fuͤhren. Die Venetianer aber achteten nicht auf 
die Ermahnungen des Cardinals, und erklaͤrten ihm un— 
umwunden, daß ſie ihn nicht anders auf eines ihrer 
Schiffe aufnehmen wuͤrden, als wenn er ſich der Geſchaͤfte 
eines Legaten enthalten und auf die Uebung des Predigt— 
amts beſchraͤnken wuͤrde; er moͤchte, falls er dieſer Be— 
dingung ſich nicht unterwerfen wollte, dahin gehen, woher 
er gekommen waͤre 8). 

Dieſe trotzige Abweiſung des paͤpſtlichen Legaten von 
Seiten der uͤbermuͤthigen Venetianer erfuͤllte zwar die 
deutſchen Kreuzfahrer, welche ihr Geluͤbde treulich zu 


47) Gunther 1. c. Porte du Theil Lib. V, 161. Lib. VI. 
48) Gesta Innoc. III. c. 85. Ep. 438. T. I. p. 331, 266. Gunther 1. c. 
Innoc, III. ed. Brequigny et la 
e 


J. Chr. 
1202. 


160 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI. 


J. Ehr vollbringen wünſchten, und einen beſſern Erfolg der 


— 


Ermahnungen des paͤpſtlichen Legaten erwartet hatten?“), 
mit großer Betruͤbniß; doch fuͤgten ſie ſich endlich dem 
Willen der Venetianer, weil fie fuͤrchteten, durch laͤngern 
Widerſpruch der Sache des heiligen Landes mehr zu 
ſchaden als zu nuͤtzen, und ſich ſelbſt die Erfuͤllung ihres 
Geluͤbdes unmoͤglich zu machen; ſie ließen ſich alſo bereit⸗ 
willig finden, an dem Kriege gegen Zara Theil zu neh— 
men, jedoch unter der Bedingung, daß nach Beendigung 
dieſes Krieges die Venetianer das Pilgerheer nach Alexan— 
drien ohne weitere Hinderniſſe fuͤhren und begleiten, und 
demſelben in dem Kampfe gegen die Heiden redlich bey— 
ſtehen ſollten ). Der Abt Martin, als er ſah, daß 
der dem Papſt mißfaͤllige und dem Zwecke der Kreuz— 
fahrt nachtheilige Krieg gegen Zara nicht mehr gehindert 
werden koͤnnte, begab ſich zu dem Cardinal Peter und 
bat flehentlich um die Aufhebung ſeines Geluͤbdes und 
die Erlaubniß, in die friedliche Stille ſeines Kloſters 
zuruͤckzukehren; der Legat aber erfuͤllte nicht ſeine Bitte, 
ſondern uͤbertrug ihm vielmehr kraft paͤpſtlicher Vollmacht 
die Obhut uͤber alle deutſche Pilger, welche nach und 
nach zu dem Heere der Kreuzfahrer gekommen waren, 
und wies ihn und einige andere Geiſtliche an, das Heer 
der Kreuzfahrer auf allen feinen Unternehmungen zu bes 
gleiten und an der Vergießung chriſtlichen Bluts, ſoviel 
als es ihnen möglich ſeyn würde, zu verhindern °*). 


49) Gunther 1. c. Nach den ge- 
stis Innocentii III. CI. c.) waren 
auch die Franzoſen damit unzufrie⸗ 
den: Quamvis autem displicuisset 
hoc Francis, rediit tamen (legatus) 
inhonoratus a Venetis. 

80) Accepta a Venetis certissima 


sponsione, quod ipsi quoque ar- 
mati nostros usque Alexandriam 
et comitarentur et veherent. Gun- 
ther p. ıx. 

51) Gunther 1. c. Als der Biſchof 
Conrad von Halberſtadt den Cardi⸗ 
nal Peter fragte, was er unter den 


Mißverhaͤltniſſe des Papſtes u. d. Pilger. 161 


Bald hernach verließ der Cardinal Peter Venedig? 2) 835 
und meldete dem Papſte, was ihm widerfahren war; 
und Innocenz ſandte hierauf an die Haͤupter des Pilger— 
heeres Briefe, in welchen er alle Kreuzfahrer, welche, 
anſtatt ihrem Geluͤbde gemaͤß gegen die Unglaͤubigen zu 
kaͤmpfen, ihre Waffen gegen Chriſten und insbeſondere 
gegen die Stadt Zara kehren wuͤrden, mit dem paͤpſt— 
lichen Banne bedrohte. Die meiſten der zu Venedig 
verſammelten franzoͤſiſchen Barone aber achteten weder 
auf dieſe ſchriftliche Drohung des Papſtes, noch auf die 
muͤndliche Ermahnung, welche der Abt Ogier von Loce— 
dio, der geiſtliche Begleiter des Markgrafen Bonifaz, 
hinzufuͤgte, als er die paͤpſtlichen Briefe ihnen über 
gab 5); denn, nachdem ihnen durch die Unterhand— 


ſtoliſchen Stuhls nicht anerkennen 
und die Abſolution verſchmähen ſoll⸗ 


damaligen Verhältniſſen thun ſollte, 
ſo erhielt er zur Antwort: plane Do- 


minum Papam quodlibet inconve- 
niens eorum (Venetorum) dissimu- 
lare velle potius, quam peregrina- 
tionis huius expeditio solveretur,. 

. ne ipse isch aliquo modo 
ab exercitu recederet, sed super 
insolentiis eorum (Venetorum) hoc, 
quod facere posset, toleret. Chron. 
Halberstad. p. 143. 


52) Er ging aber nicht nach Rom 
zurück, wie aus einem Schreiben des 
Papſtes hervorgeht (Ep. Inno. III. 
1. c. L. VI, 4g. p. 266), in welchem 
dem Cardinal auf ſeine ſchriftliche 
Anfrage die Anweiſung gegeben 
wird, das venetianiſche Heer, als 
von Gott verſtoßen (tanquam a 
Deo reprobatum) und feines Segens 
verluſtig, zu verlaffen und nach Se: 
ruſalem ſich zu begeben, falls die 
Venetianer ihn als Legaten des apo— 


V. Band. 


ten. In Hinſicht der Franzoſen giebt 
Innocenz dem Cardinal folgende Anz 
weiſung: Cum Francis autem, si 


* 
sequi volierint perfidiam Veneto— 


rum, secure procedas et super ab- 
solutione Baronum, si forte suc- 
cessores vel haeredes suos nolue- 
rint obligare, provide facias, quod 
tibi Deus diguabitur inspirare. Der 
Brief iſt vom at. April (XI. Kal. 
Maji) 1203 datirt, alſo erſt geſchrie⸗ 
ben, nachdem die Barone des Pilger: 
heeres wegen der Eroberung von Zara 
den Papſt um Verzeihung gebeten 
hatten. Der, Cardinal war zu der 
Zeit, als dieſer Brief geſchrieben 
wurde, zu Benevent, und hatte die 
Abſicht, von dort unmittelbar nach 
Ptolemais ſich zu begeben. Gunther 
P. X. 


53) Gesta Innoc. III. I. c. 


£ 


J. Chr. 
1203. 


162 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. VI. 


lungen mit dem Prinzen Alexius eine ganz neue Ausſicht 
war eröffnet worden, fo war ihnen an der Beſchleuni— 
gung der Fahrt nach Syrien oder Aegypten viel weniger 
gelegen als zuvor. Einige franzoͤſiſche Pilger nahmen 
jedoch das paͤpſtliche Mißfallen an dem Kriege gegen 
Zara zum Vorwande, ſich von dem Heere zu trennen, 
wie Graf Stephan von Perches, Rotrou von Montfort, 
Ivo de la Valle und Andere, welche nach Apulien ſich 
begaben, dort bis zum Fruͤhlinge des folgenden Jahres 
verweilten und die Zeit der jährlichen großen Oſter— 
meerfahrt abwarteten *), dann aber den übrigen Pils 
gern, welche damals aus den apuliſchen Haͤfen nach dem 
gelobten Lande fuhren, ſich anſchloſſen und auf ſolche 
Weiſe die Verbindlichkeit ihres Geluͤbdes loͤſten ). 
Auch der Markgraf Bonifaz von Montferrat, welchen 
der Papſt Innocenz, als der Markgraf zu dieſer Zeit 
nach Rom gekommen war, um wegen mancherley auf 
die Kreuzfahrt ſich beziehende Angelegenheiten den Papſt 
zu befragen, muͤndlich von dem Kriege gegen Zara ab— 
5 ** 


54) Au passage de Marz. Ville⸗ 
hardouin S. 30. Um die Fahrt nach 
dem gelobten Lande in zahlreicher 
Geſellſchaft und eben dadurch mit 
größerer Sicherheit zu machen, ver⸗ 
einigten ſich, ſeitdem die Chriſten 
Syrien beſaßen, die Schiffe, welche 
aus den italieniſchen und anderen 
chriſtlichen Häfen der Küſte des mit: 
telländiſchen Meers nach dem gelob— 
ten Lande fuhren und dahin Pilger 
und Waaren brachten in zwey Jahres— 
zeiten zu bedeutenden Flotten, näm⸗ 
lich im März oder April und dann 


ſpäter um Johannistag im Junius. 


Daſſelbe geſchah auch auf ihrer Rück⸗ 
kehr aus Syrien nach dem Abend⸗ 


lande. Die erſte Fahrt hieß passa- 
gium vernale, passagium paschae, 
passagium Martii und transitus 
vernalis, und ihrer wird zuerſt von 
Wilhelm von Tyrus (XVII. g.) in 
ſeiner Nachricht von der Kreuzfahrt 
der Könige Conrad von Deutſchland 
und Ludwig VII. erwähnt: die zweyte 
hieß passagium aestivale und passa- 
gium S. Joannis (baptistae). Vgl. 
die von Ducange zu Villehardouin 
(S. 177) und im Gloſſarium (V. Pas- 
sagium) angeführten Stellen. 


55) Qui mult en furent blasme. 
Villeh. S. 30. 0 


U 


Mißverhaͤltniſſe des Papſtes u. d. Pilger. 163 


gemahnt hatte, hielt davon ſich fern und blieb unter Ir 
dem Vorwande dringender Geſchaͤfte zuruͤck in ſeiner 
Markgrafſchaft °°). 


56) Gesta Innocentii III. c. 85. gegen Zara keinen Antheil genommen 
Villehardouin ſagt zwar (S. 34), daß habe, berichtet aber nicht die Urſache 
der Markgraf Bonifaz an dem Kriege ſeines Zurückbleibens. 


L 2 


164 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


Siebentes Kapitel. 


Jane Die Ankunft der deutſchen Pilger ſowohl als die Wir— 


kung, welche die paͤpſtliche Abmahnung von dem Kriege 
gegen Zara auf die Gemuͤther vieler Kreuzfahrer machte, 
bewogen die Venetianer, die Abfahrt des Pilgerheeres 


nunmehr zu beſchleunigen. 


Nachdem die Barone die 


Schiffe unter ſich, nach dem Beduͤrfniſſe eines jeden, 
vertheilt und die Einſchiffung der Pilger und ihrer Roſſe 


9. Oct. beſorgt hatten: fo lichtete am 8. October 1202 * die 


prächtige Flotte von vierhundert und achtzig Schiffen ?) 


1) As octave de la feste S. Remi, 
en lan de l’Incarnation Jesu Christ 
MCC. anz et II. Villeh. St. Remigius 
iſt am x. October, die Abfahrt geſchah 
alſo am 8. October, dem Tage vor 
St. Dionyſius. Nach RNamnuſius 
(Pp. 38): VIII. Idus Octob. ex die 
Divo Remigio dicato IIX., qui 
Venetiis stata quotannis Marcia- 
Aedis Deo dicatae memoria 
festus est. Nach der Chronik des 
Andreas Dandulo Cp. 320): Dux 
cum multitudine Venetorum et Ita- 
licorum e portu de mense Octobris 
feliciter exeunt. Nach dem Chro— 
nicon Halberstadiense (in Leibnitii 


nae 


Script. Brunsvic. T. II. p. 143) 
verließ die Flotte der Pilger den Ha: 
fen von Venedig am 1. October 1201 
(1202). 

2) Nämlich, auſſer den funfzig von 
Dandulo zugeſagten blos mit Vene: 
tianern bemannten Schiffen (bire- 
mes), 310 Transportſchiſſe (von wel— 
chen 240 ohne Ruder blos durch die 
Segel, velis quadratis, bewegt wur— 
den und für den Transport der frem— 
den Krieger, 70 für den Transport 
der Lebensmittel beſtimmt waren), 
und 120 Schiffe für den Transport 
der Pferde (vuissiers). Ramnuſius 
p. 33 nach venetlaniſchen Annalen. 


Eroberung von Zara. 165 


— 


die Anker. Einen großartigen und prachtvollen Anblick ges 
waͤhrten die herrlich gebauten und reichlich ausgeruͤſteten 
Schiffe mit ihren ſchwellenden Segeln, flatternden Flaggen 
und hohen Thuͤrmen, ſo wie die glaͤnzenden Schilder und 
die vielen, mannichfaltigen und ſchoͤnen Paniere der 
Ritter, welche an den Seiten der Schiffe und auf deren 
Thuͤrmen 8) aufgeſtellt waren; und wer dieſe Flotte ſah, 
welche das Meer bedeckte, ſo weit der Blick reichte, der 
war uͤberzeugt, daß mit einer ſolchen Flotte die ganze 
Welt erobert werden koͤnnte ). Dieſe Flotte führte 
mehr als dreyhundert Petrarien und andere Wurfma— 
ſchinen '); auch gebrach es nicht an anderem Belagerungs— 


geraͤthe; und an Lebensmitteln war Ueberfluß. 
Die Pilger ließen auf der Fahrt ſich bewegen, dem 
Dogen von Venedig auch ihren Beyſtand zu gewaͤhren 


Die Chronik des Andreas Dandulo 
(a. a. O.) giebt nur die Zahl von 
dreyhundert Schiffen an: trecento- 
rum navigiorum fere stolus erat. 
Eine große Zahl der venetianiſchen 
Adligen, welche den Dogen auf dieſer 
Fahrt begleiteten, wird von Ramnu— 
ſius (p. 38) genannt; Admiral der 
ganzen Flotte war Vitalis Dandulo, 
und die Transpertfchiffe ſtanden un: 
ter dem beſondern Befehle des Ga— 
briel Superantius. 

3) Li escu furent portendu en- 
viron de borz et des chaldeals (d. i. 
chastials oder castella, welche ſich 
am Hintertheile des Schiffes befan— 
den) des nes, et les banieres dont il 
avait tant de belles. Villeh. S. 28. 
Vgl. S. 50. wo es heißt: kurent 
drecies les banieres et li confanon 
es chastials des nes et les hosches 
des escus (d. i. Zinnen der Schilde, 
weil die Schilde gleichſam Zinnen 
bildeten) et portendus les borz des 


nes, Das letzte et in dieſer Stelle 
muß geſtrichen werden. Vielleicht ſind 
die letzten Worte alſo zu leſen, indem 
nach hosches (Zinnen) ein Comma 
geſetzt, und dieſes Wort noch zu cha- 
stials gezogen wird: et les escus 
portendus sur les (oder és) borz des 
nes. Ueber das Aufſtellen der Schilde 
an den Rändern der Verdecke, ſo daß 
dieſelben eine Bruſtwehr bildeten 
und Schutz gegen die feindlichen Ge: 
ſchoſſe gaben (was die Griechen 0u0- 
Kovro, norsev nannten) vgl. die ges 
lehrte Anmerkung von Ducange zu 
Villehard. S. 283 — 288. 

4) Et bien sembloit estoire qui 
terre deust conquerre. Villeh. S. 46- 


5) Sachiez que il porterent es nes 
de Perieres (Petrarias) et de Man- 
goniax (Mangonellos) plus de CCC, 
et toz les engins qui ont mestiers 
à vile prendre à grant plente, ®iller 
hard. S. 28. 20. 


J. Chr. 
10. 


166 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


J zur Zuͤchtigung der Städte Trieſt und Muggia, welche 
durch Seeraͤuberey die Schifffahrt auf dem adriatiſchen 
Meere ſtoͤrten; dieſe Staͤdte aber wagten nicht den Kampf 
gegen eine ſo uͤberlegene Macht, ſondern ſandten, als 
der Doge mit einem Theile der Flotte nach Pirando ges 
kommen war, Abgeordnete; gelobten fuͤr die Zukunft 
Frieden und treuen Gehorſam, und redliche Bekaͤmpfung 
und Unterdrückung der Seeraͤuberey; und die Stadt Trieſt 
verſprach dem Dogen und ſeinen Nachfolgern einen Zins von 
funfzig Faͤſſern ihres beſten Weins, und Muggia von fuͤnf 
und zwanzig, jährlich am Feſte des heiligen Martinus zu 
entrichten, worauf Abgeordnete beyder Staͤdte nach Ve— 
nedig ſich begaben und dieſen Vertrag beſchworen. Heinrich 
Dandulo aber beſuchte auf der Fortſetzung ſeiner Fahrt 


beyde Städte und nahm ihre Unterwerfung an ). 


6) Er war am 25. October zu Trieſt, 
wo folgendes Protokol aufgenom: 
men wurde: Anno MCCII Ind. VI, 
actum in civitate Tergestina die v 
Octobris exeunte. Dominus Noster 
Henricus Dandulus Dei gratia Ve- 
netiarum, Dalmatiae atque Croatiae 
Dux, qui in servitio Cristianitatis 
ultra Mare cum copiosa navium, 
Galearum, Usseriorum ac Militum 
multitudine erat iturus, altera die 
Post egressum ejus de Venetia Pira- 
num (Stadt und Hafen in Iſtrien) 
applicuit. Nos vero homines Ter- 
gestinae civitatis, qui ipsius gra- 
tiam amiseramus, misimus de me- 
lioribus Viris Civitatis nostrae, vi- 
delicet Vitalem Gastaldionem, Pe- 
trum Judicem, et alios plures, qui de 
voluntate omnium hominum dictae 
Civitats nos et Terram nostram, ac 
omnia nostra suae potentiae facerent 
subditos, et omnia praecepta Do- 


mini jurarent, et sic Duci jurave- 
runt; et nos in Civitatem Ducem 
recepimus, et subponimus Nos suae 
Dominationi et Potentiae. Facie- 
mus servitia, ut aliae terrae Hi- 
striae, capiemus Piratas a Rubino 
infra, et captos Duci pracsentabi- 
mus, 
Vobis urnos (amfore im Italieni⸗ 
ſchen) optimi vini puri de nostro 
Territorio 50 nostris expensis ad 
Ripam Ducalis Palatii in Festo S. 
Martini. Ein ähnliches Protokoll, 
doch ohne Angabe des Monatstages, 
wurde auch zu Muggia aufgenom— 
men; und beyde Urkunden finden ſich 
in Carli Antichitä Italiane T. V. 
Appendice I. n. 19. 20. p. 40. 41. 
Vgl. Andr. Danduli Chron. p. 329., 
und Marin Storia del Commercio 
de’ Veneziani T. IV. p. 20— 22. Bil: 
lehardouin erwähnt der Unterjochung 
dieſer beyden Städte nicht. 


Omni anno debemus solvere 


r 


1 


Eroberung von Zara. 167 


Am Tage vor St. Martin 2) erblickten die Pilger 125 
die Stadt Zara, welche, auf einer Erdzunge liegend 
und nur durch einen ſchmalen Landſtrich mit der Kuͤſte 
von Dalmatien zuſammenhaͤngend 2), durch hohe Mauern 
und Thuͤrme ſo trefflich befeſtigt war, daß die Pilger, als 
ſie dieſer Stadt anſichtig wurden, uͤber ihre Feſtigkeit 
erſtaunten und zu einander ſprachen: wie kann eine ſolche 
Stadt mit Gewalt erobert werden, wenn Gott ſelbſt es 
nicht thut“! Einige Schiffe, welche den übrigen vorange⸗ 
ſegelt waren, legten ſich ſofort vor den Mauern der Stadt 


kn; 
8 


J. — 8 
2 Nov. 


vor Anker; und am andern Morgen, als die ganze Flotte u. Nov. 


vereinigt war, an einem ſchoͤnen und heitern Tage, wurde 
die Kette, wodurch der Hafen geſperrt war, unge— 
achtet ihrer Feſtigkeit, geſprengt, und der Hafen mit 
Gewalt genommen. Hierauf beſtiegen die Pilger ſo— 
gleich das Land, brachten ihre ſtattlichen Streitroſſe 
aus den Schiffen, ordneten noch an dieſem Tage, dem 
Feſte des heiligen Martin, ihr Lager an der noͤrd⸗ 


7) La veille de la 8. Martin, 
Villeh. S. 30. 

8) Vgl. über Zara, außer den ältern 
Beſchreibungen von Zara in Casi- 
miro Freschot Memorie della Dal- 
matia (Bologna 1687. 12), des Abts 
Alberto Fortis Reiſen nach Dalma: 
tien und anderen früheren Schriften: 
Cassas Voyage pittoresque et histo- 
zique d’Istrie et de Dalmatie (Paris 
1802. fol.) p. 83. und E. F. Germar 
Reiſe nach Dalmatien und in das 
Gebiet von Raguſa (Leipz. u. Altenb. 
1817) S. 107. Die Landenge, wo— 
durch die Halbinſel, auf welcher die 
Stadt liegt, mit dem feſten Lande 
zuſammenhängt, iſt ſehr ſchmal (nach 
Caſſas und ältern Nachrichten nicht 
breiter als dreyßig Schritt, was jedoch 


irrig zu ſeyn ſcheint und vieleicht 
in dreyhundert Schritte zu verbeſſern 
iſt) und durchgraben, ſo daß das 
Meer die Stadt ganz umftteßt; und 
über dieſen Canal führt eine durch 
eine Schanze beſchützte Zugbrücke. 
Die Stadt hieß im Mittelalter Jadera 
oder Jadra (Jadres bey Villehardouin, 
Id ao bey Nicetas p. 348.), auch Ja. 
zera und Diadora; bey Hugo Plagon 
S. 658 und 662. Ladres und Gadres; 
die Einwohner wurden Jadertini ge: 
nannt. Noch jetzt iſt Zara eine ſehr 
wichtige Feſtung. 

9) Et dirent li uns a autres: Co- 
ment porroit estre prise tel ville 
por force, se 8 ey mesmes nel 
k Dilleb. S. 29. 


e 


* 


J. Chr. 
1202 


2. Nov. 


168 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


r. lichen Seite der Stadt, fo daß der Hafen fie von der 
Mauer der Stadt trennte *°), und begannen damit die 


Belagerung von Zara. 
Die Einwohner der belagerten Stadt aber, ſchon 
geſchreckt durch die Eroberung ihres Hafens, geriethen 
in noch groͤßere Furcht, als ſie dieſes ſtattliche, durch 
ſchoͤne Zelte und Paniere geſchmuͤckte Lager erblickten **), 
ſandten ſchon am folgenden Tage Abgeordnete zu dem 
Dogen und ließen ihm die Uebergabe der Stadt und 
alles deſſen, was darin waͤre, anbieten gegen Sicherung 
ihrer Perſonen. Der Doge aber, welcher dieſe Abgeord— 
neten in ſeinem Zelte empfing, gab ihnen zur Antwort, daß 
er weder dieſe noch andere Bedingungen genehmigen koͤnnte, 
ohne den Rath und die Zuſtimmung der franzoͤſiſchen Grafen 
und Barone, und mit dieſen Ruͤckſprache nehmen wollte. 
Der Doge machte ſchon bey dieſer Veranlaſſung die 
unangenehme Erfahrung, daß in dem Heere der Kreuz— 
fahrer weder Eintracht noch Gehorſam gegen die Anord— 
nungen der Fuͤhrer zu finden war, und daß es daher 
großen Schwierigkeiten unterlag, von dem Beyſtande 
dieſes Heeres die Vortheile zu gewinnen, welche er er— 
wartete. Die Grafen und Barone riethen zwar dem 
Dogen, die angetragene freywillige Uebergabe von Zara 
anzunehmen; aber waͤhrend er mit ihnen ſich berieth, 
ſprachen der Graf Simon von Montfort **) und einige 
10) Et descendirent A terre. Si des nés, et maint bon Gerti (dex- 
que li porz fu entr' aus et la ville. trarius, Streitroß) traire des vissiers, 
Villeh. a. a. O. Ad veterem Divo- et maint riche tref (Zelte) et maint 
rum Philippi et Jacobi aedem, quam pavillon. Villeh. S. 29. 30. 
munitionis loco haberent, castra 
ponunt. Hamnus. p. 40. Der Ha⸗ 
fen iſt nördlich von der Stadt. 


ır) Lor veisiez (ihr hättet geſehen) 
maint Chevalier et maint Serianz isır 


12) Petri, Monachi coenobii Val- 
lium Cernaii, historia Albigensium 
(in Du Chesne Scriptor, rer, Gallic. 
T. V.) cap. 10 p. 373. 


Eroberung von Zara. 169 


Ritter zu den noch im Lager ſich aufhaltenden und die J. or. 
Antwort des Dogen erwartenden Abgeordneten der Stadt 
alſo: Warum wollt ihr eure ſo trefflich befeſtigte Stadt 
übergeben? die Pilger ſind nicht geſonnen, euch Leid zu⸗ 
zufuͤgen; und wenn ihr euch gegen die Venetianer halten 
koͤnnt, fo habt ihr gewonnenes Spiel *?), Der Ritter 
Robert von Boue begab ſich hierauf an die Mauer der 
Stadt, und redete im Namen der übrigen, welch edieſen 
Rath den Abgeordneten gegeben hatten, auf aͤhnliche Weiſe 
zu denen in der Stadt *). Als nun die Grafen und 
Barone mit dem Dogen in deſſen Zelt kamen, um den 
Abgeordneten die Eroͤffnung mitzutheilen, daß die von 
ihnen angetragene Uebergabe der Stadt angenommen 
werde: ſo wurden ſie durch die Nachricht uͤberraſcht, daß 
die Abgeordneten wieder in die Stadt zuruͤckgekehrt waͤren. 
Sie hatten aber kaum dieſe Nachricht vernommen, als 
der Abt Guido des in der Dioͤceſe von Paris gelegenen 
Ciſtercienſerkloſters Baur de Sernay **) unter fie trat 
und alſo ſprach: Ich verbiete euch, ihr Herren, im 
Namen des Papſtes zu Rom, dieſe Stadt zu berennen; 


13) Villeh. 30. 31. Cives autem 
Jadrae, qui ibi (in castris) cauga 


die Abficht an, das Heer aufzulöſen, 
(depecier host) und die Kreuzfahrt 


postulandae pacis advenerant, allo- 
cutus est Comes nobilis (Simon 
Montis - fortis) in praesentia baro- 
num omnium in hunc modum: 
Non veni, inquit, huc, ut destrue- 
rem Christianos, nullum malum 
vobis inferam, sed quidquid fa- 
ciant alii, ego a me et meis vos 
facio securos. Sic fatur, statimque 
ipsi et sui a loco colloquii exie- 
runt. Petr. Mon. I. c. 


14) Als Urſache dieſes Verfahrens 
giebt Villehardouin (S. 32. 33.) blos 


rückgängig zu machen; vielleicht hatte 
auch daran Antheil, bei Einigen die 
Rückſicht auf die von dem Papſte aus— 
geſprochene Mißbilligung der Bela— 
gerung von Zara, bey Andern Hab— 
ſucht und Beutegier. Denn die Beute, 
worauf dieſe Kreuzfahrer gerechnet 
hatten, ging verloren, wenn die 
Stadt vermittelſt eines Vertrags über— 
geben wurde. 


15) Er wurde hernach Biſchof von 
Carcaſſonne. Petr. Mon. I. c. 


J. Chr. 
1202. 


15. Nov. 


170 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


denn ſie iſt eine chriſtliche Stadt, und ihr ſeyd Pilger. 
Dieſe unerwartete Wendung der Dinge brachte den Dogen 
zwar in heftigen Zorn; er kehrte ſich aber nicht an den 
Einſpruch des Abtes und redete zu den Grafen und 
Baronen alſo: Dieſe Stadt war ſchon in meiner Gewalt, 
und eure Leute haben ſie mir wieder genommen; doch ihr 
habt verſprochen, mit mir ſie zu erobern, und ich fordere 
euch feyerlich auf, euer gegebenes Wort zu loͤſen ne). Die 
uͤbrigen Venetianer richteten ihren Unwillen gegen den 
Abt, welcher das Verbot des Papſtes aufs neue ver— 
kuͤndigt hatte, und ſie wuͤrden ihn getoͤdtet haben, 
wenn nicht der Graf Simon von Montfort ihn beſchuͤtzt 
haͤtte **). 

Die Grafen und Barone gingen wegen der Aufforde— 
rung des Dogen mit einander zu Rathe; und, da ſie darin 
einverſtanden waren, daß ihre ritterliche Ehre es ihnen 
nicht geſtattete, das gegebene Wort zu brechen, und das 
durch die Umtriebe derer zum Ziele zu fuͤhren, welche 
taͤglich an der Aufloͤſung des Heeres arbeiteten: ſo er— 
klaͤrten ſie dem Dogen, daß es trotz des unwuͤrdigen 
Betragens derer, welche die Uebergabe von Zara 
hintertrieben haͤtten, ihr feſter Wille waͤre, den Vene— 
tianern zur Eroberung dieſer Stadt redlich beyzuſtehen. 
Am folgenden Tage ymlagerte das Heer die Thore von 
Zara, es wurden die Petrarien und andere Wurfgeruͤſte 
gegen die oͤſtliche Mauer an der Landſeite gerichtet, und 
auf den Schiffen die Sturmleitern aufgeſtellt; und ob— 
wohl die Belagerten an den Mauern Erucifire befeſtigt 


hatten *), fo wurde dennoch die Beſchießung der Stadt 


16) Villeh. S. 30 — 32. Vgl Petr. 17) Petr. Mon. I. c. 
Mon. I. c. 16) Hinoc. III. Epist, ed. Bre- 


/ 


Eroberung von Zara. 


begonnen und während fünf Tage mit großer Gewalt 


171 


fortgeſetzt. Nur der Graf Simon von Montfort nahm 
an der Belagerung keinen Antheil, und er und der Abt 
Guido von Vaux de Sernay bezogen mit ihren Leuten 
ein abgeſondertes Lagern“). Als am ſechſten Tage von den 
Belagerern auch die Untergrabung eines Thurms unters 
nommen wurde, ſo verzagten die Belagerten und uͤber— 
gaben ſich und ihre Stadt dem Dogen unter der zuvor 
angetragenen Bedingung ). Die Venetianer ſetzten ſich 
hierauf in den Beſitz der Stadt und theilten die Beute, 
welche fie fanden, mit den Kreuzfahrern. 


quigny et la Porte du Theil. Lib. 
V. ep. 161. (Exercitui Crucesigna- 
torum) T. r. p. 231. 

10) Petrus Mon. I. c. 

20) Villeh. S. 32. 33. Die Bedin⸗ 
gungen, welche der Stadt Zara vor— 
geſchrieben und ihren Deputirten zu 
Venedig von Rainer, dem Sohn und 
Stellvertreter des Dogen, eröffnet 
wurden, find aus dem Liber secun- 
dus Pactorum (einer aus fieben Bü: 
chern und eben fo vielen Bänden be: 
ſtehenden und jetzt im k. k. Hof: und 
Staats- Archiv zu Wien befindlichen 
Sammlung von venetian. Staats- 
ſchriften) mitgetheilt worden in Marin 
Storia del commercio de' Veneziani 
T. IV. p. 30. 31. Auch die Chronik 
des Andreas Dandulo enthält dieſe 
Bedingungen (S. 32r) in einem Eur: 
zen Auszuge, indem ſie hinzufügt, 
daß dieſer Vertrag erſt abgeſchloſſen 
worden ſey, nachdem die Einwohner 
von Zara, welche nach der Einnahme 
der Stadt entflohen waren, wieder in 
den Beſitz derſelben ſich geſetzt hatten. 
In dieſer Chronik (a. a. O.) wird 
übrigens die Einnahme von Zara 
durch die Kreuzfahrer ſehr unbefrie⸗ 


digend und abweichend von dem Be: 
richte des Villehardouin alſo erzählt: 
Nachdem der Doge des Beyſtandes 
und der Zuſtimmung der Franken ſich 
verſichert hatte (obtemperantibus 
Francis), ermahnte er die Einwohner 
von Zara zur Unterwerfung, und 
als ſie nicht Folge leiſteten, ſo ließ 
er die Stadt berennen. Die Belage— 
rung währte nur Einen Tag, und 
am folgenden ergab ſich Zara ohne 
alle Bedingung, worauf der Doge 
mit Zuſtimmung der anweſenden De: 
netianer (consilio totius Populi Ve- 
neti tunc praesentis) die Mauern 
an der Seeſeite niederwerfen ließ 
und dort zu überwintern beſchloß. 
Die Bürger von Zara aber, da ſie 
nicht hoffen durften, die Gnade des 
Dogen ſich zu erwerben, wanderten 
aus, dem Schutze des Königs von 
Ungarn vertrauend. Nach der Erzäh— 
lung des Günther (p. IX) dauerte 
die Beſchießung von Zara drey Tage, 
und es wurde blutiger Kampf ſorg⸗ 
fältig vermieden: Milites nostri ce- 
leri cursu, sed mente tristi et tar- 
da, regionis opposita littora tenue- 
runt, ac ne in re odiosa et sibi 


J. Chr. 


1202. 


1202, 


172 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


Die Kreuzfahrer waren, nachdem Zara mit ſo leichter 
Mühe war bezwungen worden, zwar berechtigt, zu for 
dern, daß die Fahrt nach Aegypten ohne Aufſchub vor 
ſich ginge; der Doge Heinrich Dandulo aber, welchem | 
es vortheilhaft war, das Heer der Kreuzfahrer noch länger 
in Dalmatien zuruͤckzuhalten, um in dem Beſitze der 
eroberten Stadt ſich befeſtigen und ſie gegen einen Angriff | 
des Königs von Ungarn deſto ſicherer beſchuͤtzen zu koͤnnen, 
beredete die Grafen und Barone, bis zum Oſterfeſte des 
nächſten Jahres ?*) in Zara zu verweilen, indem er ihnen 
vorſtellte, daß wegen des in allen Laͤndern in dieſem 
Jahre herrſchenden Mangels ſie waͤhrend des Winters an 
keinem andern Orte hinlaͤngliche Lebensmittel finden wuͤr— 
den, und ſich erbot, die Stadt Zara mit dem Pilgerheere, 
ſo lange deſſen Aufenthalt daſelbſt dauern wuͤrde, zu theilen. 
Die franzoͤſiſchen Grafen und Barone gaben dieſem Rathe 
um ſo lieber Gehoͤr, als ſie nicht abgeneigt waren, zu 
Zara den Erfolg der Unterhandlungen ihrer nach Deutſch— 
land geſandten Abgeordneten mit dem Koͤnige Philipp ab— 
zuwarten. Die Stadt wurde alſo fo getheilt, daß die Bene, 
tianer an dem Hafen und in der Naͤhe ihrer Schiffe, und die 
franzoͤſiſchen und andere Pilger in dem uͤbrigen Theile der 


ipsis detestabili diuturnas agerent 
moras, praefatam urbem maguo ter- 
rore et fremitu obsederunt, eam- 
que per triduum non tam hostiliter 
quam minaciter oppugnantes, sine 
caede et sanguine ad deditionem 
compulerunt. Die Uebergabe der 
Stadt kann übrigens nach der ge: 
wiß zuverläſſigen Nachricht des Ville⸗ 
hardouin nicht ſpäter als etwa am 
19. November geſchehen ſeyn; und 
wenn in der Chronik von Halberſtadt 
(in Leibnitii Script. Brunsvic. T. 


— 


II. p. 144.) es heißt: in die beati 
Chrysogoni- (23. November), cujus 
corpus in eadem civitate requiescit, 
ab exercitu eadem civitas Iader, 
occupata fuit: fo bezieht fich dieſe 
Angabe, wie auch aus den un: 
mittelbar folgenden Worten ſich er— 
giebt, nicht auf die Uebergabe von 
Zara an die Venetianer, ſondern auf 
den Einzug des Heeres der Pilger in 
die Stadt nach der ſpäter verabrede— 


ten Theilung derſelben. 


21) Das Oſterfeſt fiel im Jahre 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 173 


Stadt ihre Herberge erhielten 2); und am Feſte des heili⸗ a eh 
gen Chryſogonus, deſſen Gebeine zu Zara ruhen, nahmen die 
Pilger Beſitz von der ihnen angewieſenen Haͤlfte der Stadt. 
Die meiſten Pilger bezogen ihre Herbergen zu Zara 
nicht ohne Unwillen und Erbitterung gegen die Venetianer, 
durch welche ſie nicht nur waren genoͤthigt worden, eine 
chriſtliche Stadt zu bekaͤmpfen und dadurch den Zorn 
des Papſtes auf ſich zu laden, ſondern auch nunmehr 
aufs neue an der Vollbringung ihres Geluͤbdes gehindert 
wurden; ſie nannten Zara nicht anders als die Stadt 
der Uebertretung 23). Dieſe Stimmung der Pilger ſtoͤrte 
bald auch das aͤußere Vernehmen zwiſchen ihnen und den 
Venetianern; und ſchoͤn am dritten Tage, nachdem das 
Heer in die Stadt eingezogen war, erhob ſich um die 
Veſperzeit ein heftiger und blutiger Kampf der Venetianer 
und Pilger, ſo daß faſt in allen Straßen der Stadt mit 
Schwertern, Lanzen, Bogen und Armbruͤſten geſtritten 
wurde; und die Venetianer waren nicht im Stande, der 
uͤberlegenen Zahl und Tapferkeit der Kreuzfahrer hinlaͤng⸗ 
lichen Widerſtand zu leiſten. Die verſtaͤndigern Maͤnner 
des Heeres ?*) blieben zwar, als dieſer aͤrgerliche Kampf 
entſtanden war, nicht muͤßig; ſie drangen, völlig geruͤſtet, 
in die Mitte der Kaͤmpfenden und ſuchten mit Gewalt 


1203 auf den 6. April. 

22) Villeh. S. 33. Chron. Halber - 
stad. I. c. 

23) Urbem transgressionis ... sic 
enim Jaderam nominamus. Epistola 
Baronum Crucesignatorum ad uni- 
versos fideles bey Arnold von Lübeck 
Lib, VI. 19. P. 721, und Recueil des 
historiens de la France T. XVIII. 
p. 515. Jener Brief findet ſich auch 
unter den Briefen des Papſtes Inno⸗ 
cenz III. Epist, Innoc. III, ed. Bre- 


7 


quigny et la Porte du Theil, Lib. 
VI. 211. T. I. p. 410., und als ge: 
meinſchaftlicher Brief aller Grafen 
und Barone des Pilgerheeres in Ed- 
mundi Martene et Ursini Durand. 
Thesaurus novus Anecdotorum T7. 
I. col. 787 — 791. 


24) Li prudomme qui ne voloient 
mie le mal. Villeh. S. 34. Die Ver: 
anlaſſung dieſes Kampfes wird nicht 
berichtet. 


J. Chr. 
1202. 


Decbr. 


174 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


und durch Zuſpruch dem Gefechte ein Ende zu machen; 
lange aber waren ihre Bemuͤhungen ohne Erfolg, und wenn 
es ihnen auch gelang, an Einem Orte Ruhe zu ſtiften, 
ſo erneute ſich an einem andern Orte der ungeſtuͤme 
Kampf mit verſtaͤrkter Erbitterung. Es wurde bis zur 
ſpaͤten Nachtzeit geſtritten, und von beyden Seiten wur 
den viele verwundet und getoͤdtet; die Pilger beklagten 
am meiſten den Verluſt des Ritters Guido von Landas 
aus einem edlen und beruͤhmten flandriſchen Geſchlechte, 
welcher in dieſem heilloſen Kampfe am Auge verwundet 
wurde und an den Folgen dieſer Wunde ſtarb. Erſt 
nach mehreren Tagen war es dem Dogen von Venedig 
und den Baronen der Kreuzfahrer möglich, durch vereis 
nigte angeſtrengte Bemuͤhungen den aͤußern Frieden unter 
den erbitterten Parteyen wiederherzuſtellen 2). 


Die Aufmerkſamkeit der Venetianer ſowohl als der 
Pilger wurde bald hernach durch andere Angelegenheiten 
ſo ſehr in Anſpruch genommen, daß beyde Parteyen 
jener Streitigkeiten nicht mehr gedachten. Vierzehn Tage 
nach jener blutigen Nacht kamen der Markgraf Bonifaz 
von Montferrat, Matthias von Montmorency 29) und 
viele andere edle Pilger, welche in Italien zuruͤckgeblieben 
waren, nach Zara; und ihre Ankunft belebte in den Pils 
gern frohe Hoffnungen fuͤr den gluͤcklichen Fortgang ihrer 
Pilgerfahrt. Vierzehn Tage ſpaͤter erfolgte die Ruͤckkehr 

25) Lors orent li Dux de Venise 


Douay. Vgl. Ducange zu Villeh. 


et li Baron grant travail tote celle 
semaine de faire paig de cele mel - 
lee, et tant i travaillerent que pais 
en fu, Dieu mercy. Villeh. a. a. O. 
Landas war eine Baronie in der 
Nähe von Orchies, im franzöſiſchen 
Flandern, zwiſchen Tournay und 


S. 278. . 

26) Villehardouin (S. 34) nennt 
noch unter den Pilgern, welche mit 
dem Markgrafen Bonifaz nach Zara 
kamen, den Ritter Peter von Brale⸗ 
cuel. 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 175 


der Abgeordneten, welche mit dem Prinzen Alexius nach IP" 
Deutſchland ſich begeben hatten; und die Vorſchlaͤge, 
welche ſie uͤberbrachten, ſetzten die Gemuͤther aller Pilger 

in große Bewegung, erregten aber auch aufs neue die 
heftigſte Zwietracht. 

Die Abgeordneten redeten in der Verſammlung, 
welche in dem Palaſte gehalten wurde, wo der Doge 
von Venedig ſeine Herberge genommen hatte, alſo: Der 
Koͤnig Philipp laͤßt dem Dogen von Venedig und den 
ſaͤmmtlichen Baronen des Heeres der Pilger durch uns 
Folgendes entbieten: Er will zu euch den Bruder ſeiner 
Gattin ſenden, welchen er der Hand Gottes, der ihn 
vor dem Tode bewahren wolle, und eurem Schutze vers 
trauenvoll uͤbergiebt. Da ihr euch bewaffnet habt zum 
Kampfe fuͤr Gott, Recht und Gerechtigkeit, ſo geziemt 
es euch wohl, wenn ihr es vermoͤgt, denen ihr Erbe 
wiederzugeben, welche deſſelben durch Gewaltthaͤtigkeit 
beraubt worden ſind. Auch ſollen euch ſo große Vor— 
theile und ein ſo kraͤftiger Beyſtand zur Eroberung des 
heiligen Landes gewaͤhrt werden, wie vor euch keinem 
andern Pilgerheere. Wenn Gott es ſo fuͤgt, daß ihr 
den Prinzen Alexius in ſeine Rechte wieder einſetzen 
könnt: fo unterwirft derſelbe das Reich von Byzanz dem 
apoſtoliſchen Stuhle zu Rom *); und, da er wohl weiß, 
daß ihr euer Vermoͤgen aufgeopfert habt und darum 
jetzt arm ſeyd: ſo wird er euch zweyhundert Tauſend 
Mark Silbers geben und den Großen und Kleinen des 


27) Tot premierement se Diex geraumer Zeit). Viuleh. S. 35. Vgl. 
done que vos le remetez en son Andr. Danduli Chron. p. 321. Die: 
heritage, il metra tot l’empire de fer Zufage erwähnt auch Nicetas 
Romanie à la obedience de Rome (S. 348) mit großem Unwilten, 
dont elle era partie piega (d. i. vor 


176 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


W hr. Pilgerheeres Lebensmittel liefern nach ihrem Beduͤrfniſſe. 


Auch iſt Alexius erboͤtig, entweder in eigner Perſon mit 
euch nach Aegypten zu ziehen, oder, falls ihr ſolches 
lieber wollt, zehn Tauſend Mann auf ſeine Koſten fuͤr die 
aͤgyptiſche Unternehmung auszuruͤſten und waͤhrend eines 
ganzen Jahres zu eurer Verfuͤgung zu ſtellen, ſo wie 
auch, ſo lange er leben wird, beſtaͤndig fuͤnfhundert Mann 
jenſeit des Meeres zur Vertheidigung des heiligen Landes 
auf feine Koſten zu unterhalten 28). Die Abgeordneten 
ſchloſſen ihren Vortrag mit der Verſicherung, daß ihnen die 
Vollmacht ertheilt worden ſey, unter dieſen vortheilhaften 
Bedingungen im Namen des Koͤnigs Philipp und des 
Prinzen Alexius das Buͤndniß auf vollkommen bindende 
Weiſe abzufchließen. „Der Doge 4 Heinrich Dandulo, der 
Markgraf Bonifaz und die uͤbrigen Barone gaben zur 
Antwort, daß ſie dieſe wichtige Angelegenheit in ſorg— 
faͤltige Berathung nehmen wuͤrden. 


Silbers, als Erſatz für den Schaden, 
welchen ihnen der Kaiſer Manuel 
Comnenus zugefügt hatte, und den 
Kreuzfahrern die Wiedererſtattung des 
Geldes, welches ſie den Venetianern 
bezahlt hatten. Nach Günther (p. X. > 
verhieß Alexius den Kreuzfahrern 
dreyhundert Tauſend Mark Silbers. 
„Aus dem Briefe des Grafen von St. 
Paul an den Herzog Heinrich von 
Nicetas behauptet, die Angelegenheit Prabant, welchen der Mönch Gott 
des jungen Alexius fen nicht nur fried in feinen Annalen (ad. a. 1205 
durch Briefe des Königs Philipp, fon: in Freheri Script. rer. Germ. 
dern auch durch Briefe des Papſtes ed, Struve T. I. p. 368 sd.) mit: 


28) Alſo Villehardouin (S. 35. 36). 
Nach Nicetas (a. a. O.) verſprach 
Alexius den Kreuzfahrern den bey: 
ſtand von funfzig dreyrudrigen Schif— 
fen (oiwepow'zare TCC h“ͥ u, 
ue d ον . Pν uu nal 
Nav _NEVTNAOVTE). 
Uebrigens zeigt es von großer Un⸗ 
kunde der damaligen Verhältniſſe, daß 


Tgıx00 Tom 


(roöIane Pouns ty: ngsohvrigas) 
den Kreuzfahrern empfohlen worden. 
Nach der Chronik des Andreas Dan⸗ 
dulo a. g. O. verſprach Alexius den 
Venetianern dreyßig Tauſend Mark 


getheilt hat, geht hervor, daß die 
von Alexius verſprochenen 2000 
Mark Silbers zu gleichen Theilen 
unter den Venetianern und Pilgern 
getheilt werden ſollten. 


* 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 177 


Die franzöfifhen Grafen und Barone verſammelten 
ſich zur Berathung am folgenden Tage. Sie waren aber 
kaum verſammelt, als der Abt von Vaux de Sernay auf— 
trat und erklaͤrte: daß es den Pilgern nicht gebuͤhre, in 
die Angelegenheiten des byzantiniſchen Reichs ſich zu 
miſchen, und aufs neue mit chriſtlichem Gelde zum 
Kriege gegen Chriſten ſich dingen zu laſſen; ſondern daß 
vielmehr ihnen obliege, ihre Fahrt nach Syrien fortzu— 
ſetzen und dort durch redlichen Kampf wider die Heiden 
ihr Geluͤbde zu loͤſen. Die uͤbrigen im Heere befindlichen 
Aebte des Ciſtercienſerordens waren zwar nicht ſeines 
Sinnes, und beſonders bemuͤhte ſich der Abt von Locedio, 
darzuthun, daß die byzantiniſche Sache keinesweges den 
Zwecken der Kreuzfahrt fremd waͤre; der Abt von Vaux 
de Sernay beharrte aber bei ſeiner Meinung. Auch andere 
Aebte und Geiſtliche, ſelbſt manche Ritter 2”) traten zu 
dieſer Meinung und vertheidigten fie zum Theil mit Uns 
geſtuͤm und Leidenſchaftlichkeit; ſie behaupteten, daß das 
Heer nicht zahlreich genug waͤre, um ine ſo volkreiche 
und feſte Stadt, als Conſtantinopel, zu bezwingen, und 
erklaͤrten es fuͤr thoͤricht und vermeſſen, zum Vortheile 
eines fremden Prinzen und ohne gegruͤndete Hoffnung 
eines glücklichen und belohnenden Erfolgs, eine fo gefahr; 
volle Unternehmung zu wagen. Andere dagegen ſprachen: 
man ſieht aus dem Beyſpiele derer, welche aus anderen 
Haͤfen nach Syrien ſich begeben haben, daß in dieſem 
Lande gegenwaͤrtig nichts auszurichten iſt s); vielmehr 


J. Chr. 


1292. 


kann Syrien nur erobert oder behauptet werden, wenn 


20) Nach Villeh. S. 36: celle par- Vgl. das Schreiben der Barone des 
tie qui voloit ost depecier. Pilgerheeres an den Kaiſer Otto bey 

30) Bel Seignor, en Surie ne Arnold von Lübeck Lib. VI. cap. 19. 
poez vos rien faire. Villeh. g. a. O. p. 725, 


V. Band. M 


178 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


9. Chr. wir uͤber Aegypten oder Griechenland gebieten; und es 
wuͤrde uns zu ewiger Schande gereichen, wenn wir den 
uns angetragenen vortheilhaften Vertrag von uns wieſen; 
auch melden glaubwuͤrdige Nachrichten, daß der groͤßere 
Theil der Bewohner von Conſtantinopel das Joch des 
Thronraͤubers mit Unwillen traͤgt und nach Befreyung ſich 
ſehnt. Alſo waren die Geiſtlichen dieſes Heeres nicht 
minder als die Krieger in Zwietracht. 

Der Markgraf Bonifaz von Montferrat und die Gra— 
fen Balduin von Flandern und Hennegau, Ludwig von 
Blois und Chartres, und Hugo von St. Paul kehrten ſich 
aber nicht an den Widerſpruch derer, welche die Meinung 
des Abtes von Vaux de Sernay vertheidigten; ſondern 
begaben ſich mit den Baronen, welche ihnen anhingen, 
in die Herberge des Dogen von Venedig; und nachdem 
dorthin die Bevollmaͤchtigten des Koͤnigs Philipp und des 
Prinzen Alexius *) waren gerufen worden, fo wurden 
die Urkunden des Vertrags von beiden Seiten vollzogen; 
und die Bevollmaͤchtigten verſprachen, daß vierzehn Tage 
nach Oſtern der Prinz Alexius im Heere der Kreuzfahrer 


31) Villehardouin erwähnt blos der 
Rückkehr der von den Kreuzfahrern 
nach Deutſchland geſandten Abgeord— 
neten (vgl. oben S. 173). Daß dieſe 
Abgeordneten aber von Bevollmäch⸗ 
tigten des Königs Philipp und des 
Prinzen Alexius begleitet wurden, 
war nach der Beſchaffenheit der Ver— 
handlungen nothwendig und wird 
auch von Günther (p. X.) ausdrück⸗ 
lich erzählt: Audiens autem (Philip- 
pus Rex), exercitum nostrum, Ja- 
zira expignata, circa ſines Graeciae 
conversari, saepe dictum juvenem 
cum nunciis et epistolis suis di- 
scxit ad Principes, utrum, si fieri 


posset, in regnum patris sui redu- 
cere molirentur. Theutonicis au- 
tem pro eo, quod sui juris esse vi- 
debantur, hano rem curiosius et 
imperiosius injungebat. Marchio- 
nem, cognatum suum, ejus, quae 
inter eos erat, commonebat propin- 
quitatis. Flandrenses atque Fran- 
cigenos et Venetos et aliarum regio- 
num homines omni precum moli- 
mine sedulos exorabat, certissime 
promittens, si ille auxilio ipsorum 
sedem suam reciperet, peregrinis 
omnibus tam per Theutoniam quam 
per totam Graeciam tutam ac libe - 
ram in perpetuum patere viam. 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 179 


ſich einfinden wuͤrde. Es beſchworen dieſen Vertrag von 7er 
Seiten der Pilger außer den vier genannten Fuͤrſten nur 

acht franzoͤſiſche Barone; alle andere verweigerten den 
Schwur. 


Es verſchlimmerte ſich aber die Stimmung der Pil⸗2. Chr. 
ger mit jedem Tage; und den Fuͤhrern des Heeres war es 
deshalb unmoͤglich, mit Erfolg den Umtrieben der Partey 
entgegen zu arbeiten, welche nichts ſehnlicher wuͤnſchte, 
als die ganze Kreuzfahrt ruͤckgaͤngig zu machen, und kein 
Mittel unverſucht ließ, um Unzufriedenheit und Unmuth 
zu erwecken. Faſt mit jedem Tage minderte ſich daher die 
Zahl der Pilger; Viele benutzten die Abfahrt von Han— 
delsſchiffen, um Zara zu verlaſſen und dem Heere ſich zu 
entziehen, Andere entfernten ſich auf eben ſo muͤhſeligen 
als gefahrvollen Landwegen. Von denen aber, welche zu 
Lande in ihre Heimath zuruͤckzukehren oder ihre Pilger— 
fahrt nach Syrien fortzuſetzen verſuchten, wurden Viele 
durch die raͤuberiſchen felavonifchen Bauern 3?) erſchlagen 
und dadurch die Uebrigen bewogen, zu dem Heere zuruͤck— 
zukehren. Zu den Handelsſchiffen war der Andrang der 
Pilger fo groß, daß einſt fuͤnfhundert auf Ein Fahrzeug 
ſich begaben, und das Schiff, unfaͤhig, eine ſolche Laſt zu 
tragen, verſank, und die abtruͤnnigen Pilger ertranken. 
Unter denen, welche auf Handelsſchiffen ſich entfernten, 
war auch der tapfere deutſche Ritter Werner von Bor— 
land. Der franzoͤſiſche Ritter Rainald von Montmirail 
erwirkte ſich durch die Fuͤrſprache des Grafen Ludwig 
von Blois und Chartres eine Sendung nach Syrien und 


32) Illyricimontani latrones (Mar- secure clavaque armati, IIIyricis 
telosios vocant) feritate pernicita- montibus latrocinia exercent ac via- 
teque insignes, speluncis et cavis ar- *toribus insidiantur. Rumnus. P. 48. 
borum pro domo utuntur; et parva 


M2 


180 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


3 58. trat auf einem Schiffe der venetlaniſchen Flotte die Fahrt 


dahin an, nachdem er uͤber heiligen Reliquien feyerlich 
geſchworen hatte 33), nicht länger als vierzehn Tage dort 
verweilen und nach Ausrichtung ſeines Auftrags ohne Ver— 
zug zu dem Heere zuruͤckkommen zu wollen; er brach aber 
ſeinen Schwur und blieb mit allen den Rittern, welche 
ihn begleiteten 3°), im gelobten Lande. Ueberhaupt mas 
ren, ſagt Villehardouin, ſo viele Uebelgeſinnte auf den 
Schaden des Heeres bedacht, daß daſſelbe nicht ſich wuͤrde 
zuſammengehalten haben, wenn Gottes Liebe es nicht ge— 
ſchuͤtzt hätte ?°). 

Unter ſolchen verdrießlichen Verhäͤltniſſn war die 
Beſorgniß ſehr begruͤndet, daß das Heer noch bedeutendere 
Verminderung erleiden wuͤrde, wenn Innocenz, wie er 
gedroht hatte, die wider ſein ausdruͤckliches Verbot ge— 
ſchehene Eroberung von Zara durch den kirchlichen Bann 
ſtrafte; und daß Innocenz ſeine Drohung ins Werk ſetzen 
wuͤrde, war eben ſo gewiß, als daß viele Pilger den uͤber 
das Heer ausgeſprochenen Bann als Vorwand benutzen 
wuͤrden, um daſſelbe zu verlaſſen. Die Barone beſchloſ— 
ſen daher, eine Geſandtſchaft nach Rom zu ſenden, und 
durch dieſelbe den Papſt, als ihren guten Vater 3°), 
wegen der von ihnen begangenen Uebertretung ſeiner Ge— 
bote demuͤthigſt um Verzeihung bitten zu laſſen. Auch 
ließen ſie ſich vorlaͤufig durch die im Heere anweſenden 


33) Et si jura sor Sains de son 
poing destre etc, Villeh. S. 39. 


35) Or poez savoir, Seignor (Vils 
lehardouin redet feine Leſer an), que 
si Diex ne amast ceste ost, qu'elle 


34) Heinrich von Caſtel, der Neffe ne peut mie tenir ensemble à ce 


des Rainold von Montmirail, Viz⸗ 
dom (Visdame) von Chartres, und 
die Brüder Johann und Peter von 
Froeville. Villeh. S. 39. 


que tant de gent li queroient mal. 
Villeh. S. 40. 

36) Comme à lor bon pere. Bil: 
leh. S. 41. 


181 


Biſchoͤfe von dem etwa auf ihnen laſtenden Banne Ipsfpres IE" 
chen, indem ſie in die Haͤnde der Biſchoͤfe einen Eid ſchwu— 
ren, wodurch ſie gelobten, alles, was ihnen der Papſt als 
Genugthuung auflegen würde, zu erfüllen. Zu der Geſandt— 
ſchaft nach Rom wurden der Biſchof Nevelon von Soiſ— 
ſons, ein Praͤlat von großer Heiligkeit und anmuthiger 
Beredſamkeit, und der gelehrte und in der Rede ge— 
wandte Meiſter Johann von Noyon, Canzler des Grafen 
Balduin, und aus den Layen die Ritter Johann von 
Friaiſe und Robert von Boue erwaͤhlt; auch zog mit 
ihnen der Abt Martin im Namen der deutſchen Pilger ). 
Dieſe Geſandten wurden beauftragt, dem Papſte vorzu— 
ſtellen: daß die Pilger, indem von ihnen zur Unterjochung 
von Zara den Venetianern Beiſtand geleiſtet worden ſey, 
nur einer unabwendlichen Nothwendigkeit nachgegeben 
haͤtten, und daß die Schuld der Suͤnde, welche auf dem 
Heere laſte, auf diejenigen zuruͤckfalle, welche ihrem Eide 
zuwider nach andern Haͤfen ſich begeben und durch ihren 
Abfall es unmoͤglich gemacht haͤtten, die gegen die Ve— 
netianer uͤbernommenen Verbindlichkeiten auf andere Weiſe 
zu erfuͤllen. Auch thaten die Grafen und Barone des 
Heeres dem apoſtoliſchen Vater ihre Bereitwilligkeit kund, 
nicht nur in den fernern Unternehmungen dieſer Kreuz— 
fahrt ſeinen Vorſchriften gemaͤß ſich zu verhalten, ſondern 
auch wegen des Ungehorſams, den fie ſich hatten zu 
Schulden kommen laſſen, jede Genugthuung, welche der 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 


37) Von Günther (p. IX.) werden 
nur drey Geſandte genannt: der Bi⸗ 
ſchof von Solſſons (vir magnae san- 


liter eruditus et sermone affabilis) 
und der Abt Martin. Vgl. Ducange 
zu Villeh. S. 280. Villehardouin 


ctitatiset dulcis facundiae‘, der Mei: 
ſter Johann, welchen er Johann von 
Paris nennt (Magister Johannes Pa- 
risiensis, homo Francigena, nobi- 


(S. 40) erwähnt dagegen des Abts 
Martin nicht. 
tii III. (c. 87) nennen nur den Bi⸗ 
ſchof von Soiſſons als Abgeordneten. 


Die gesta Innocen- 


182 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


J. Chr. 
1203. 


Papſt ihnen auflegen wuͤrde, zu leiſten, und zu ſolchem 
Gehorſam eidlich ſich zu verpflichten. Die Bevollmaͤch— 
tigten der franzoͤſiſchen Pilger ſchwuren zwar vor ihrer 
Abreiſe einen feyerlichen Eid uͤber heiligen Reliquien, 
durch welchen ſie gelobten, ihren Auftrag getreulich aus— 
zurichten und nach Ausrichtung deſſelben nach Zara zu— 
ruͤckzukehren; der Ritter Robert de Boue aber brach die— 
ſen Schwur und begab ſich nach Ptolemais in Syrien. 
Die uͤbrigen franzoͤſiſchen Botſchafter dagegen leiſteten 
redlich, was ſie uͤbernommen hatten. 

Auch der Abt Martin kam eben fo wenig als der 
Ritter Robert de Boue nach Zara zuruͤck, ſondern, nach— 
dem er vergeblich den Papſt um die Aufhebung ſeines 
Geluͤbdes gebeten hatte: ſo begab er ſich nach Benevent, 
wo damals der Cardinal Peter auf eine Gelegenheit zur 
Fahrt nach Ptolemais wartete, ſandte durch feine Rei— 
ſegefaͤhrten den paͤpſtlichen Losſprechungsbrief an die zu 
Zara verweilenden deutſchen Pilger, und begleitete den Car— 
dinal auf deſſen Meerfahrt nach Syrien 38). 

Innocenz, welcher den Umſtaͤnden nachzugeben wußte, 
nahm dieſe Geſandtſchaft nicht unfreundlich auf und ge— 
nehmigte die Unterwerfung der Grafen und Barone des 


38) Epist, Innoc. III. ed, Bre- 
quigny et la Porte du Theil Lib. v. 
ep. 16T. 162. T. I. p. 230 — 232. 


nur gegen die Venetianer; und nur 
auf den gegen die Venetianer erlaffe: 
nen päpſtlichen Bannbrief kann die 


Beide Briefe ſind ohne Datum, und 
der erſtere ſcheint ſchon vor der An: 
kunft der von den Pilgern nach Rom 
geſandten Abgeordneten geſchrieben zu 
ſeyn. Uebrigens wurde, wie aus den 
in den Briefen des Papſtes Innocenz 
erwähnten Verhandlungen hervorgeht, 
gegen die franzöſiſchen Barone wegen 
der Eroberung von Zara der päpſtliche 
Bann keinesweges vollzogen, ſondern 


Nachricht des Mönchs Peter (Hist. 
Albigensium c. 19. P. 673.) ſich be: 
ziehen: Iterum (Barones exercitus) 
aDomino Papa miserabiliter et gra- 
vissime excommunicantur: et ego, 
qui ibi (Jadrae) eram, testimonium 
perhibeo veritatis, quia et litteras 
vidi et legi, excommunicationem 
Apostolicam continentes. Vgl. 
Anm. 41. S. 184. 


— 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 183 


Pilgerheeres; ſchrieb ihnen aber ernſte Briefe 2°), in 2. chr. 
welchen er ihr bisheriges Betragen ihnen nachdruͤcklich 
verwies, ſie zur Reue und Buße ermahnte und unter An— 
drohung des Bannes im Falle des Ungehorfams ihnen ge⸗ 
bot, die von den Venetianern angefangene Zerſtoͤrung der 
Stadt Zara und die Pluͤnderung der dortigen Kirchen zu 
hemmen und die geraubte Beute den Bevollmaͤchtigten des 
Koͤnigs von Ungarn zuruͤckzugeben, ſo wie auch dieſen 
Koͤnig mit Demuth um Verzeihung des von ihnen began— 
genen Frevels zu bitten. Wir haben, ſchrieb Innocenz, 
zwar von euern Abgeordneten vernommen, daß ihr nicht 
aus freiem Entſchluſſe, ſondern durch die Noth gedrun— 
gen, zur Eroberung von Zara geſchritten ſeyd, ſolches 
dient aber nicht zu eurer Rechtfertigung; denn ihr ſelbſt 
habt euch in ſolche Noth gebracht, und der Menſch muß 
Haut um Haut und alles, was er hat, geben fuͤr das Heil 
ſeiner Seele. Doch that er ihnen kund: daß er den Car— 
dinal Peter als ſeinen Legaten bevollmaͤchtige, den Bann, 
welchen die Kreuzfahrer verwirkt haͤtten, entweder ſelbſt 
oder durch einen beglaubigten Stellvertreter aufzuheben, 
unter der Bedingung, daß die Grafen und Barone den 
verſprochenen Eid des Gehorſams leiſten, und Diejenigen, 
welche ihn ſchon geleiſtet haͤtten, ihren Schwur als guͤltig 
feyerlich anerkennen würden. Die von den Biſchoͤfen des 
Pilgerheeres geſchehene vorlaͤufige Aufhebung des Bannes 
erklaͤrte Innocenz für ungültig *°). 

Den Auftrag, den von den Pilgern verwirkten Bann 
vorläufig bis zur Ankunft des paͤpſtlichen Legaten aufzu— 
heben, erhielten die beyden geiſtlichen Abgeordneten der 
Pilger, der Biſchof Nevelon von Soiſſons und der Canzler 


39) Innoc III. ep. I. c. p. 202. 40) Villeh. S. 41. 
Gesta Iunoc, III. c. 87. 


J. Chr, 
1206. 


184 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII. 


Johann von Noyon *). Dieſe aber uͤberbrachten zugleich 
einen paͤpſtlichen Brief, in welchem über die Venetianer 
der Bann ausgeſprochen wurde. Der Canzler Johann 
hatte es gewagt, den Papſt zu bitten, daß er dieſen 
Bannſpruch noch zuruͤckhalten moͤchte; Innocenz aber hatte 
ihm geboten, zu ſchweigen. 


Der Markgraf Bonifaz aber, als Oberfeldherr des 
Heeres, ließ den gegen die Venetianer erlaſſenen paͤpſtli— 
chen Bannſpruch nicht kund werden, in der Beſorgniß, 
daß deſſen Verkuͤndigung die Aufloͤſung des Heeres zur 
Folge haben möchte, und Bonifaz ſowohl, als die uͤbri⸗ 
gen Grafen, indem ſie dem Papſte die Abſchrift der von 
ihnen dem Cardinal Peter zugeſandten Unterwerfungs— 
urkunde * überreichen ließen, entſchuldigten in demuͤthi— 
gen Briefen die von ihnen fuͤr nothwendig geachtete Ver— 
heimlichung des paͤpſtlichen Bannbriefes und baten drin— 
gend, daß Innocenz der Vollziehung des Bannes noch 


4t) Brief der Barone des Pilger⸗ 
heeres (mit Ausſchluß des Markgra— 
fen Bonifaz); Ep. Innoc. III. (edit. 
oit) Lib. VI. ep. 99. P. 308. Vgl. 
Villehard. p. 40. Gunther p. X. 
Der Cardinal Peter und der Abt Mar: 
tin ſegelten aus dem Hafen von Si— 
vonto am 4. April (II. Non. April.) 
und kamen an zu Ptolemais am 
25. April (VII. Kal. April.) 1203. 

43) Dieſe Urkunde lautete alſo: Bal- 
duinus Flandriae et Hainoniae, Lu- 
dovicus Blesensis et Carnotensis et 
Hugo S. Pauli Comites, Oddo de 
Chanlier et W. (Wilelmus ſ. Villeh. 
S. 18) frater eius, omnibus, ad quos 
literae istae pervenerint, salutem 
in Domino. Notum fieri volumus, 
quod super eo, quod apudJaderam in- 
currimus excommunicationem apo- 


stolicam vel incurrisse nos time- 
mus, tam nos quam successores no- 
stros Sedi apostolicae obligamus, 
quod ad mandatum eius satisfactio- 
nem curabimus exhibere. Dat. apud 
Jaderam anno Domini 1203, mense 
Aprilis. Ep. Inuoe. III. I. o Vgl. 
oben S. 182. Anm. 38. Die beyden 
Ritter Otto und Wilhelm von Chan— 
lier (de Chamlite bey Villehardouin 
z. B. S. 44) leiſteten im Namen der 
übrigen Barone die Gewähr dieſer 
Urkunde (Barones se esse confessi 
sunt). Die Grafen bemerkten aber 
ſpäterhin, wie ſie in ihrem Schreiben 
an den Papſt ſagen, daß die Siegel 
jener beiden Ritter an der Original— 
Urkunde fehlten. Vgl. gesta Inno- 
centii III. c. 87. 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 185 
Anſtand geben möchte. Doch erklaͤrten fie ihre Bereltwil, N. br. 


1203. 
ligkeit, falls der Papſt es wiederholt gebieten wuͤrde, die 
Bannbriefe ohne Ruͤckſicht auf die Folgen, welche daraus 
vermuthlich entſtehen würden, kund zu machen 8). Der 
Markgraf Bonifaz insbeſondere rechtfertigte ſein Beneh— 
men in dieſer Angelegenheit durch den von dem Papſte 
ſelbſt ihm empfohlnen Grundſatz, daß Ort und Zeit Mans 
ches zu uͤberſehen nothwendig machten *); auch gab er 
die Verſicherung, daß die Venetlaner, wie er von befreun— 
deten Männern aus ihrer Mitte wiſſe, die Abſicht haͤt— 
ten, durch einen Botſchafter des Papſtes Nachſicht und 
Gnade wegen der Eroberung von Zara zu erbitten. 


Da aber dieſer Botſchafter nicht erſchien, und die 
Venetianer uͤberhaupt keine Reue bewieſen: ſo ſandte In— 
nocenz an die Grafen und Barone den Befehl, den wider 
die Venetianer erlaſſenen Bannbrief ohne Verzug dem 
Dogen Heinrich Dandulo einzuhaͤndigen *), und ev 
mahnte die Kreuzfahrer in zwey nach einander an ſie ge— 
richteten Briefen »), durch ihr ferneres Betragen die 
Aufrichtigkeit ihrer Reue darzuthun, und die Fahrt nach 
dem gelobten Lande nicht laͤnger unter nichtigem Vor— 
wande zu verſchieben, ſondern recht bald durch redlichen 
und tapfern Kampf wider die Heiden die Schmach des 
Gekreuzigten zu raͤchen. Er geſtattete zwar den Pilgern, 
weil das Frachtgeld einmal ſey bezahlt worden, und damit 
nicht den Kreuzfahrern ihre Bußfertigkeit Schaden, und 


43) Ep. Innoc, III. I. c. 45) Ep. Innoc. III. (ed, cit.) Lib. 
VI. ep. ıor. p. 310, Vgl. gesta In- 
nocentii III. c. 87. 


43) Reminiscens de consilio vestro 
multa dissimulanda fore loco et 
tempore. Ep. Innoc, III. ed, citat, 46) Ep. Innoc. III, (ed. cit.) Lib. 
Lib. VI. c. rob. p. 809. VI, ep. 101. 102. p. 309 - 312. 


186 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VII. 


Tenn den Venetlanern ihre Halsſtarrigkeit Vortheil bringen 
möchte, der venetianiſchen Schiffe zur Fahrt nach dem 
gelobten Lande ſich zu bedienen, und den Umgang mit 
den Venetianern fortzuſetzen, fo lange die Fahrt dauern 
würde, und fo weit, als es die Nothwendlgkeit forderte 
und kirchliche Geſetze zuließen. Er machte aber ihnen zur 
Pflicht, alle Gemeinſchaft mit den Gebannten aufzuheben, 
ſobald ſie das Land von Jeruſalem oder das Gebiet der 
Heiden betreten haben wuͤrden; auch warnte er ſie, nicht 
in Gemeinſchaft mit den Venetianern wider die Sarace— 
nen zu ſtreiten, damit es ihnen nicht ergehen moͤchte, wie 
dem Volke des alten Bundes, welches durch die Gemein— 
ſchaft mit Achan und andern Suͤndern mehr als einmal 
ſchmachvolle Niederlagen ſich zugezogen hätte »). Ueber 
haupt empfahl er den Pilgern fuͤr den Verkehr mit den 
Venetianern jede Vorſicht und Klugheit, indem er ihnen 
den Rath gab, während der Fahrt ſich eines nachgiebigen 
und friedfertigen Betragens zu befleißigen, und erſt dann, 
wenn ſie an dem beſtimmten Orte angelangt ſeyn wuͤr— 
den, die Ruchloſigkeit der Venetianer bey ſchicklicher Ge— 
legenheit und in der rechten Weiſe zu beſtrafen “). 


47) Ep. Innoc. III. I. c. P. Zrr. 
Die Chronik von Halberſtadt giebt 
(p. 144) ſehr richtig den Hauptinhalt 
dieſes päpſtlichen Schreibens, ſo weit 
daſſelbe auf das Verhältniß der Pil⸗ 
ger zu den Venetianern während der 
Fahrt ſich bezieht, alſo an: Si vero Ve- 
neti beneſicium parvi penderent ab- 
solutionis, nihilominus tamen ipsis 
communicandum foret, quoniam 
peregrinis, in navibus Venetorum 
tanquam in eorum domiciliis habi- 
tantibus, sententia excommunica- 
tionis in Venetos tanquam in pa- 


tresfamilias lata in peregrinorum 
tanquam in piorum familiam non 
transiret. g 

48) Provideatis autem prudenter 
et caute, ut, si forte Veneti volue- 
rint occasiones aliquas invenire, 
quod exercitus dissolvatur, multa 
pro tempore dissimulare ac tolerare 
curetis, doneo ad locum pervene- 
ritis destinatum, ubi, opportunitate 
accepta, eorum, ut expedit, mali- 
tiam comprimatis. Ep. Innoc. III. 
I. C. p. 319. 


187 


Da Innocenz durch den Cardinallegaten Peter von 9785. 
den fernern Verhandlungen war unterrichtet worden, 
welche zu Zara zwiſchen den Kreuzfahrern und dem Prin— 
zen Alexius Statt gefunden hatten *°): fo ermahnte er die 
Pilger nachdruͤcklichſt in den erſten der erwaͤhnten beyden 
Briefe, ſich der Einmiſchung in die byzantiniſchen Ange— 
legenheiten zu enthalten. Keiner von Euch, ſchrieb er, 
ſchmeichle ſich mit der Meinung, als ob es erlaubt ſey, 
das Land der Griechen zu erobern und auszupluͤndern, 
weil der gegenwaͤrtige Kaiſer von Conſtantinopel feinen 
Bruder geblendet und von dem Throne geſtoßen und das 
Reich ſich angemaßt hat; als ob das Land der Griechen 
nicht unter dem Schutze des apoſtoliſchen Stuhles ſtaͤnde 
und demſelben unterworfen wäre. Wie ſtrafbar auch ims 
mer der Kaiſer und deſſen Unterthanen wegen jenes und 
anderer Verbrechen ſeyn moͤgen, ſo iſt es doch nicht eures 
Amtes, daruͤber zu richten, und ihr habt nicht das Zei— 
chen des Kreuzes genommen, um Raͤcher dieſer Unbill zu 
ſeyn; ſondern euch liegt ob, die Schmach des Gekreuzig— 
ten zu rächen, deſſen Dienſte ihr euch geweiht habt?“). 
In dem zweyten jener beiden Briefe aber ſchrieb Ins 
nocenz alſo: Wir werden an unſern geliebten Sohn in 
Chriſto, den Kaiſer von Conſtantinopel, ſchreiben und ihn 
auffordern, euch mit Lebensmitteln zu verſorgen, was er 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 


49) Ep. Innoc. III. (ed. cit.) Lib. 
VI. ep. 48. Pp. 266. Accepisti, ſchrieb 


die Nachricht des Alberleus (ad a. 
1202), daß der Papſt zu der byzanti⸗ 


Innocenz an den Cardinal Peter, pro 
certo, quod Veneti cum filio 
quondam Imperatoris Constantino- 
politani, quem ducere secum inten- 
dunt, veliut in Graeciam profi- 
cisci. Die Barone ſcheinen dem 
Papſte von dieſen Verhandlungen keine 
Nachricht gegeben zu haben. Denn 


niſchen Unternehmung auf das Anfus 
chen der Barone des Pilgerheeres ſeine 
Zuſtimmung gegeben habe, iſt aus 
einer ganz unſichern Quelle gefloſſen 
und widerſpricht den im Texte aus 
päpſtlichen Briefen angeführten Aeu⸗ 
ßerungen. 1 
50) Ep. Innoc. III. I. C. p. 510, 


J. Chr. 
1203. 


188 Geſchichte der Kreugzäge. Buch VI. Kap. VII. 


uns auch ſchon in ſeinen Briefen zugeſagt hat. Sollten 
ſie euch aber verſagt werden, obwohl ihr dem Gekreuzig— 
ten dient, welchem die ganze Erde mit allen ihren Bewoh—⸗ 
nern gehoͤrt: ſo iſt es in der Ordnung, daß ihr euer 
Beduͤrfniß nehmet, wo ihr es findet, jedoch mit Furcht 
des Herrn, mit dem aufrichtigen Vorſatze, Genugthuung 
zu geben, und ohne Beſchaͤdigung der Perſonen, auf gleiche 
Weiſe, als in dem buͤrgerlichen Rechte dem Kaiſer die 
Befugniß zugeſtanden wird, aus ſeinem Lande dasjenige 
zu nehmen, deſſen fein Kriegsheer bedarf? “). 

Solche Warnungen, Ermahnungen und Zuſicherungen 
kamen aber zu ſpaͤt; und die Botſchafter der Kreuzfahrer 
hatten noch nicht Rom verlaſſen, als ſie die Nachricht 
erhielten, daß der Prinz Alexius zu Zara eingetroffen 
waͤre, und die Pilger zur Fahrt nach Conſtantinopel ſich 


anſchickten ). 


31) Ep. Innoc. III. I. c. p. 312. 
Günther (p. X) trägt dieſe Aeuße— 
rung des Papſtes mit folgenden Wor⸗ 
ten vor: Permittebat (summus pon- 


tifex) eis, ut de maritimis locis Ro- 


maniae, quam alluit id mare, cibos 
inemptos, id est, absque pretio, 
moderate tollerent, qui eis ad an- 
num dimidium possent sufficere. 
Günther behauptet, Innocenz habe die 
byzantiniſche Unternehmung blos Des: 
wegen gemißbilligt, weil er davon kei⸗ 
nen glücklichen Erfolg erwartet habe: 
dicens, eandem urbem (Constanti- 
nopolin) plus in solis navibus pis- 
catorum abundare quam illos in 
toto navigio; habebat enim mille 
sexcentas piscatorias navcs, qua- 
rum quaelibet per totum annum 
ad quatuordecim dies ſisco regio 
persolvebat nummum aureum, qui 


perperam vocari solet Ferdoni (ein 
Vierling, ſ. Adelung, Glossar, v. 
Ferto), ig est, quartae parti Mar- 
cae unius aequivalens; bellicas au- 
tem sive mercatorias habebant in- 
finitae multitudinis et portum tu- 
tissimum. Innocenz mißbilligte dieſe 
Unternehmung beſonders deswegen, 
weil fie dem Kreuzzug eine ganz ans 
dere Richtung gab, als es in ſeinem 
Plane lag. 


52) Gunther 1. c. Dieſe Nachricht 
konnten wohl erſt diejenigen Geſandten 
erhalten, welche die Unterwerfungs— 
ſchreiben der Grafen und Barone an 
den Papſt im April 1203 nach Rom 
überbrachten; denn Alexius kam nach 
Villehardouin (S. 42.) zu Zara an 
erſt kurz vor der Abfahrt der Flotte 
nach Corfu. Nach der Angabe des 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 189 


Die Barone des Pilgerheeres ließen um fo weniger br. 
von der beſchloſſenen Unternehmung durch die päpftliche 
Abmahnung ſich abwendig machen, als fie nicht fich über; 
zeugen konnten, daß der Papſt mit diefer Abmahnung es 
ſehr ernſtlich meinte. Die Mißbilligung ihres Vorhabens, 
welche der Papſt in ſeinen Briefen ausſprach, ſchien ihnen 
nur in den damaligen Mißverhaͤltniſſen des roͤmiſchen 
Stuhls mit dem Koͤnige Philipp, dem Eidam des ungluͤck— 
lichen Kaiſers Iſaak und Schwaͤher des jungen Alexius, 
begruͤndet zu ſeyn, und ſie hofften daher, daß, ſobald 
dieſe Mißverhaͤltniſſe ſich ausgeglichen haben wuͤrden, die 
Anſicht des Papſtes von den byzantiniſchen Angelegenhei— 
ten ſich aͤndern wuͤrde. Innocenz der Dritte, ſprachen 
die Barone, hat nicht weniger, als ſeine Vorfahren, Ur— 
ſache die ketzeriſchen und abtruͤnnigen Griechen zu haſſen, 
und wenn er auch im gegenwaͤrtigen Augenblicke ſich ſtellt, 
als ob er der Freund des Thronraͤubers Alexius ſey, ſo 
wird er im Grunde ſeines Herzens es doch nicht ungern 
ſehen, daß die vielfaͤltige, von den Griechen in fruͤherer 
Zeit dem apoſtoliſchen Stuhle zugefuͤgte Beleidigung end— 
lich empfindlich geſtraft und die griechiſche Kirche mit 
Gewalt in den Schooß der roͤmiſchen zuruͤckgebracht werde; 
und uͤberhaupt, falls es uns gelingen wird, das griechi— 
ſche Reich uns dienſtbar zu machen: ſo wird die Herr— 
ſchaft uͤber Conſtantinopel und die uͤbrigen Staͤdte und 


Chronicon Halberstadiense (pag. 
244.) kam Alexius am St. Marcus⸗ 
tage (25. April) 1203 nach Zara. Die 
Unterhandlungen der Barone mit dem 
Papſte mögen etwa im Februar oder 
März 1203 begonnen haben, im April 
kamen die erſten Geſandten zurück 
(ſ. Anm. 41), und hierauf überſandten 


die Barone dem Papſte die Abſchrift 
der Unterwerfungsurkunde (f. Anm. 
42) durch eine zweite Geſandtſchaft, 
welche auch den Anm. 44 erwähnten 
Brief des Markgrafen Bonifaz über— 
brachte, noch während des Aprilmo: 
nats 1903. 


\ 


190 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. VII. 


* Sr Lander des griehifhen Kalſerthums der ganzen abend» 
laͤndiſchen Chriſtenheit ſo wichtige Vortheile gewaͤhren 
und die Wiederherſtellung und Behauptung der chriſt— 
lichen Herrſchaft im gelobten Lande ſo ſehr erleichtern, 
daß der apoſtoliſche Vater feine Gnade uns nicht vorent—⸗ 
halten wird, ob wir auch jetzt in dieſer Sache ſeinen 
Rath nicht befolgen. Andere Pilger, welche nicht ſowohl 
jene entferntern Folgen bedachten, als ihren unmittelbaren 
Vortheil beruͤckſichtigten, verſchloſſen der paͤpſtlichen Abs 
mahnung ihr Ohr, weil ſie der Hoffnung, in der wegen 
ihres unermeßlichen Reichthums geprieſenen Hauptſtadt 
durch anſehnliche Beute ſich zu bereichern, nicht entſagen 
wollten; und manchen Pilgern geluͤſtete ſogar nach der 
Pluͤnderung der betraͤchtlichen Schaͤtze von Reliquien, 
welche in den Kirchen von Conſtantinopel aufbewahrt 
wurden 8). 

Nur der Graf Simon von Montfort, welcher ſchon 
zuvor, dem paͤpſtlichen Befehle gehorchend, von der Bela 
gerung von Zara ſich fern gehalten hatte, bewies auch in 
Hinſicht der byzantiniſchen Angelegenheit ſich folgſam 
gegen den apoſtoliſchen Stuhl. Als die Anſtalten zur Fort— 
ſetzung der Fahrt nach Conſtantinopel ſchon beendigt, und 
die Schiffe ſegelfertig waren, und alle uͤbrigen Pilger, mit 
Sehnſucht den Tag der Abfahrt erwartend, am Tage nach 
dem Oſterfeſte ihre bisherigen Herbergen in der Stadt Zara 
verlaſſen und am Hafen ſich gelagert hatten, entfernte ſich 
der Graf Simon ploͤtzlich aus dem Heere, um die fernere 
Gemeinſchaft mit Suͤndern zu meiden ), und begab ſich 

7. April zu dem Könige von Ungarn; ihn begleiteten fein Bruder 
83) Gunther p. X. XII. gensium cap. 19. p. 573. Vgl. Al- 


54) Exiens a consortio peccato- bericus, ad a. 1203. Hugo Plagon 
rum. Petri Monachi histor. Albi- S. 638. 


Die Kreuzfahrer zu Zara. 


191 


Veit und die Ritter Simon von Neaufle, Robert von 
Mauvoiſin, Dreux von Creſſoneſſart, ſo wie auch der Abt 


von Vaux de Sernay und viele andere Pilger °°). 


Sie 


begaben ſich ſpaͤterhin auf ſehr beſchwerlichen Wegen nach 

Apulien und fuhren von dort nach dem gelobten Lande“). 

Das Beyſpiel dieſer Pilger wurde bald hernach von den 

Bruͤdern Engelram und Hugo de Boue und den uͤbrigen 

Rittern ihres Landes nachgeahmt, und das Heer erlitt 

durch die Entfernung ſo vieler tapferer Ritter aufs neue 
ſehr betraͤchtlichen Schaden 7). 


55) Villeh. S. Ax. 2. Hugo von 
Plagon (S. 688) nennt außer den im 
Texte vorkommenden noch folgende 
Pilger, welche damals das Heer vers 
ließen und nach Syrien ſich begaben: 
Stephan von Perches, Rainald von 
Montmirail und den Abt von Sar— 
quanciau, falls der letzte Name rich: 
sig iſt, und nicht etwa aus dem Abte 


von Vaux de Sernay durch einen 
Fehler der Abſchreiber oder ein Ver: 
ſehen des Schriftſtellers zwey Aebte 
gemacht worden find (Labs de Vaus 
et l’abe de Sarquanciau), 

86) Petr. Mon. p. 674. 

857) Villeh. S. 42. Auch der Abt 
Adam von Trappe verließ damals das 
Heer. Albericus I. c. 


J. Chr. 
1203. 


192 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


— —— ͤẽ— —ñ— — zn 


Achtes Kapitel. 


a Der Prinz Alexius wurde zu Zara mit großen Ehren 


Ma 


— 


aufgenommen, der Doge von Venedig uͤberließ ihm ſogar 
einige Schiffe ), und bald nach feiner Ankunft, nachdem 
die Schleifung der Mauern von Zara durch die Venetianer 
indeß war vollendet worden, ſegelte die Flotte mit guͤnſti⸗ 
gem Winde aus dem dortigen Hafen 2), fuhr vor der alten 
Stadt Spalatro oder Salona vorbey und warf zuerſt 
vor dem Hafen von Dyrrachium ihre Anker. Dieſe Stadt 
zoͤgerte nicht, den Prinzen Alexius als rechtmaͤßigen Kaiſer 
anzuerkennen und ihm als ſolchem zu huldigen 8); worauf 
die Flotte, ohne bey Dyrrachium zu verweilen, ihre Fahrt 
fortſetzte nach der Inſel Corfu, welche zum Sammelplatze 
der ganzen Macht der Pilger war beſtimmt worden. Sie 
legte in den erſten Tagen des Maimonats des Jahres 1203 
bey dieſer Inſel an; und da ein Theil des Heeres, wel— 


cher noch waͤhrend des Aprils dieſes Jahres und vor der 


1) Villehard. S. 22. Vgl. Chron. Abfahrt der Pilger von Zara erſt auf 
Halberstad. p. 144. den 15. Mai (Idibus Maii), 


2) Villehard. S. 41. Das Chroni- f 
* [2 2 N 
con Halberstadiense (I. c.) ſetzt die 3) Villeh. S. 42. Nicetas p, 339, 


\ 


uns‘ — 


77 193 


ern, 


Die Kreuzfahrer zu Corfu. 


Ankunft des Prinzen Alexius ) vorangegangen war, fchon 
vor den Mauern der Stadt Corfu im Lager ſtand: ſo 
verließen alle Pilger die Schiffe, brachten auch ihre Streit— 
roſſe ans Land und lagerten ſich ebenfalls vor den Mauern 
dieſer Stadt. Ein Heer von faſt vierzig Tauſend 
Streitern ') war in dieſem Lager verſammelt. 


Dem Prinzen Alexius, als auch er an das Land 
ſtieg, zogen die Ritter und Knappen entgegen, ihre treff— 
lichen Streitroſſe mit ſich fuͤhrend; mit großen Ehren ge⸗ 
leiteten fie ihn in das Lager ), und der Prinz ließ fein 
Zelt errichten in der Mitte des Lagers neben dem Zelte 
des Markgrafen Bonifaz; denn der Koͤnig Philipp, ſein 
Schwaͤher, hatte ihn ganz beſonders dem Schutze des 
Markgrafen empfohlen ). 


Weil dieſe Inſel reich war und Ueberfluß an Le— 
bensmitteln darbot: fo wurde von den Fuͤhrern des Pils 
gerheeres beſchloſſen, auf derſelben einige Zeit zu verwei— 
len; obwohl die Einwohner nicht ſo bereitwillig waren, 
den Prinzen Alexius als Kaiſer anzuerkennen, wie die 
Einwohner von Dyrrachium, ſondern nur das Verſpre— 
chen gaben, ihm dann ſich unterwerfen zu wollen, wenn 


4) Villeh. S. Ar. Chron. Halber - 


stad, I. C. 


Germ. ed, Struve. T. I.) p. 368. ad 
a. 1203. Eben dieſer Brief ſteht als 
Schreiben eines Ungenaanten in Ed- 


J. Chr. 


190 8. 


5) Circiter quadragintamillia. Al- 
bericus ad a. 1202. Der Graf Hugo 
von St. Paul war unter denen, 
welche vorangezogen waren; mit der 
großen Flotte kamen der Doge von 
Venedig und der Markgraf Bonifaz. 
Villeh. S. 42. Brief des Grafen von 
St. Paul an den Herzog Heinrich von 
Brabant in Godefridi Monachi An- 
nalibus (in Freheri Script. rer. 


V. Band. 


mundi Martene et Ursini Durandi 
Monumentorum Gollectione amplis- 
sima, T. I. col. 784 sq. 


6) Si veissiez maint bon cheva- 
lier et maint bon serianz aller en- 
contre et mener maint bel destriers. 


Villeh. S. 33. 
7) Villeh. a. a. O. 


N 


194 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


Wehr die Kreuzfahrer ihn in Conſtantinopel eingefuͤhrt haben 
würden 8). 


Waͤhrend dieſes Aufenthaltes, welcher bis zu drey 
Wochen ſich verlängerte, erhob ſich aufs neue Zwietracht 
und Parteyung unter den Pilgern. Als der Prinz Alexius 
fußfaͤllig und mit Thraͤnen um Schutz und Beyſtand bat, 
ſo erneuten zwar die Fuͤhrer des Pilgerheeres die Zuſage, 
welche den Geſandten des Koͤnigs Philipp zu Zara war 
gegeben worden, und Alexius bekraͤftigte dagegen die 
Verheißungen, welche jene Geſandte in ſeinem Namen den 
Baronen gemacht hatten?); andere Barone aber bereu— 
ten das fruͤher gegebene Wort und vereinigten ſich mit 
einander dahin, daß ſie vorlaͤufig auf der Inſel zuruͤck— 
bleiben und, wenn das uͤbrige Heer Corfu verlaſſen haben 
wuͤrde, von dem Grafen Walther von Brienne, welcher 
nicht lange zuvor mit ſechszig Rittern das Koͤnigreich 
Neapel groͤßtentheils erobert hatte und im Beſitze des 
Hafens von Brunduſium war, Schiffe begehren wollten, 
um vermittelſt derſelben nach Apulien und demnaͤchſt ge— 
meinſchaftlich mit den noch dort befindlichen Kreuzfahrern 
nach Ptolemais in Syrien ſich zu begeben, wohin ſchon 

eine ſo große Zahl andrer Pilger vorangegangen war. 
Die Anſtifter dieſer Parteyung waren vornehmlich die Rit— 
ter Otto von Chanlite aus der Champagne, der Burgvogt 
Guido von Coucy, Jakob von Avesnes, die Brüder 


8) Albericus 1. c. Villehardouin Tage dort verweilt habe, S. 349) 
giebt durchaus keine Nachricht über genau überein mit der Nachricht des 
das Verhältniß der Kreuzfahrer zu Villehardouin (Enci seiournerent en 
den Bewohnern von Corfu. Ueber dele ysle trois semaines S. 43.). 
die Dauer des Aufenthaltes der Kreuz 9) Epistola Comitis de 8, Paulo 
fahrer daſelbſt ſtimmt die Angabe 1.8. p. 365, 369, 
des Nicetas (daß die Flotte zwanzig 


Die Kreuzfahrer zu Corfu. 195 


Richard und Otto von Dampierre und mehrere Andere ) 3 1 8 
bald aber ſchloſſen ſich dieſen Rittern fo viele andere Pils 

ger an, daß ihre Partey, welche mit Ungeſtuͤm die Be— 
ſchleunigung der Fahrt nach Syrien forderte, mehr als 
die Haͤlfte des ganzen Heeres umfaßte. Manche waren 

nur im Geheimen zu dieſer Partey getreten, indem ſie ſich 
ſchaͤmten, ihre Abſicht kund werden zu laſſen **). 


Ueber dieſe Parteyung des Heeres geriethen der Mark 
graf Bonifaz von Montferrat und die Grafen Balduin 
von Flandern, Ludwig von Blois und Hugo von St. Paul 
und einige andere ihnen gleichgeſinnte Barone in große 
Beſtuͤrzung, und nur durch den eben ſo raſchen als zweck— 
mäßigen Entſchluß, welchen fie faßten, wurde die Ausfuͤh— 
rung des Planes, welchen jene Barone verabredet hatten, 
verhindert. Die Fuͤhrer des Pilgerheeres ritten, den 
Prinzen Alexius mit ſich fuͤhrend, und begleitet von den 
Biſchoͤfen und Aebten, welche im Heere ſich befanden, und 
den treu gebliebenen Rittern, in das abgelegene Thal, in 
welchem die Haͤupter der Parteyung zu Pferde geheime 
Berathungen hielten, ſtiegen, als ſie die Verſammlung er— 
blickten, von ihren Roſſen und naͤherten ſich mit demuͤthi— 
ger Geberde ihren abtruͤnnigen Waffenbruͤdern. Dieſe, 
uͤberraſcht durch eine fo unerwartete Erſcheinung, unter; 


10) Villehardouin (S. 44) nennt 
noch: Pierres d' Amiens, Ogiers de 
Saint-Cheron, Guis de Cappes et 
Clarashauz (Clerembault) ses niers 
(d. i. fein Neffe; im Texte ſteht feh: 
lerhaft de Mez), Guillelmes d’Ai- 
noy, Pierres Coiseaus, Guy de Pes- 
mes et Haimes ses Freres. 

11) Villehardouin (S. 43) ſagt zwar 


nur, daß es die Abſicht dieſer Partey 


geweſen ſey, ſich zu Walther von 


Brienne nach Apulien zu begeben; 
man ſieht aber aus dem endlichen Er— 
folge der Verhandlungen, daß fie kei— 
nesweges den Willen hatten, ihr Ge— 
lübde zu brechen, ſondern vielmehr 
entſchloſſen waren, die Meerfahrt nach 
Syrien fortzuſetzen. Nach dem ange: 
führten Briefe des Grafen von St. 
Paul (p. 368): Omnes clamabant 
ire Accaron, 


N 2 


J. Chr. 


1203. 


laſſen werden ſollten. 


196 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


brachen ihre Berathungen, verließen ebenfalls ihre Roſſe 
und gingen zu Fuß dem Zuge entgegen; und, als ihre 
Herren, Verwandte und Freunde auf die Knie vor ihnen 
fielen und mit vielen Thraͤnen ſchwuren, daß ſie nicht 
anders aufſtehen wuͤrden, als wenn ſie die Verſicherung 
erhielten, daß die boͤſen Abſichten derer, welche das Heer 
aufzuloͤſen trachteten, nicht in Erfuͤllung gehen ſollten: ſo 
konnten ſich die abtruͤnnigen Pilger der Ruͤhrung nicht 
erwehren, und ſie gaben weinend zur Antwort, daß ſie 
unter einander das Naͤhere berathen wollten. Nachdem ſie 
hierauf fuͤr einige Zeit ſich entfernt und mit einander ſich 
beſprochen hatten, ſo erklaͤrten ſie ſich willig, noch bis 
zum Michaelistage bey dem Heere zu bleiben, doch unter 
der Bedingung, daß von dieſem Tage an ihnen Schiffe 
zur Fahrt nach Syrien, getreulich und ohne Gefaͤhrde n), 
und nach vlerzehn Tage zuvor geſchehener Mahnung, uͤber— 
Die Freunde des Prinzen Alexius 
wendeten zwar ein, daß das Heer der Pilger viel weniger 
furchtbar ſeyn wuͤrde, wenn die Griechen voraus wuͤßten, 
daß der Aufenthalt deſſelben zu Conſtantinopel auf eine 
gewiſſe Zeit befchränft wäre; als aber die abtruͤnnigen Pils 
ger bey der von ihnen geſtellten Bedingung hartnaͤckig bes 
harrten, fo wurde fie zugeſtanden, und hierauf der Vertrag 
feyerlich von beyden Seiten beſchworen **); woruͤber im 


12) A bonne foi, sanz mal engin. 
Villeh. S. 45. 

13) Dieſe Verhandlung iſt im Gans 
zen nach dem Berichte des Villehar⸗ 
douin (S. 44 45), jedoch mit Zuzie⸗ 
hung der von dem Grafen von St. 
Paul in dem mehrere Male angeführ: 
ten Briefe gegebenen Nachricht, er: 
zählt worden; die Erzählung des 
Grafen von St. Paul iſt von dem 


Berichte des Villehardouin beſonders 
in Hinſicht der von den abtrünnigen 
Baronen geſtellten Bedingung ab— 
weichend. Nach dem Grafen von 
St. Paul (p. 369) forderten fie; quod 
apud Constantinopolim moram nul- 
latenus facerent ultra mensem, nisi 
voluntate sua propria morarentur; 
was auch bewilligt wurde. Nach der 
ebenfalls von dem Grafen von St. 


Die Kreuzfahrer zu Corfu. 197 


J. Chr. 
10203. 


ganzen Heere, wie Villehardouin verſichert, große Freude 
entſtand *). 2 

Am Tage vor dem Pfingſtfeſte, einem überaus ſchoͤnen 24. Mai 
und heitern Tage, verließen die Pilger die Inſel Corfu, 
verſoͤhnt unter einander, aber nicht ohne Erbitterung gegen 
die Bewohner der Inſel, welche nichts weniger als gaſt— 
freundlich gegen das Heer ſich bewieſen hatten ); und 
auch die Praͤlaten des Heeres, obwohl von dem griechi⸗ 
ſchen Erzbiſchofe von Corfu durch Einladungen zu ſeiner 
Tafel geehrt, hatten durch den Umgang mit den Geiſt—⸗ 
lichen der Inſel Gelegenheit gefunden, zu erfahren, wie 
ſehr die griechiſche Geiſtlichkeit der Unterwerfung unter 
den Gehorſam des roͤmiſchen Stuhls und der Vereinigung 
mit der abendlaͤndiſchen Kirche widerſtrebte *). 

Mit guͤnſtigem Winde ſegelte die prachtvolle Flotte 
an den Inſeln des ioniſchen Meeres vorbey und längs 
den Kuͤſten des Peloponneſes, umfuhr das Vorgebirge 


Pauf gegebenen Nachricht wurde erſt, 
nachdem dieſe Verſöhnung war zu 
Stande gebracht worden, der Ver— 
trag mit Alexius unter den oben 
(S. 176) angegebenen Bedingungen 
abgeſchloſſen. j 

14) Et lors ot grant ioie par tote 
ost. Billeh. a. a. O. 

15) Cives eiusdem civitatis (Cor- 
vini i, e, Corfu) audientes, venisse 
iuvenem memoratum, Regni Grae- 
corum haeredem, cum machinis pe- 
regrinos a portu cedere compule- 
runt; exercitusigitur, eius (Alexii) 
auctoritate insula penitus deva- 
stata, recessit, Chron. Halberstad. 
P. 144. Von dieſen Feindſeligkeiten 
findet ſich weder bey Villehardouin 
eine Spur, noch bey andern Schrift— 
ſtellern. Nach der halberſtädtiſchen 


Chronik (a. a. O.) prophezeyhte dem 
Biſchofe von Halberſtadt, als er auf 
der Fahrt von Zara nach Corfu bey 
Raguſa anlegte, der in dieſer Stadt 
als Mönch (reclusus) lebende Graf 
Burchard von Hallermund die Erobe- 
rung von Conſtantinopel. 

16) Bey einem Mittagsmahle, wozu 
der Erzbiſchof einige Prälaten des 
Pilgerheeres eingeladen hatte, fiel die 
Rede auf die Hoheit des römiſchen 
Stuhls; als vieles darüber war ge 
ſprochen worden, ſagte der Erzbiſchof, 
er kenne keinen andern Grund ſolcher 
Hoheit, als daß römiſche Soldaten 
Chriſtum gekreuzigt hätten (nullam 
aliam causam se scire primatus vel 
praerogativae sedis Romanae, nisi 
quod Romani milites Christum cru- 
ciſixissent). Chron. Halberst, I. c. 


198 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 3 i 


J. he Metapan und erreichte die Landſpitze von Malea. Dort 
wurden zwey Schiffe angetroffen, beſetzt mit Pilgern, 
welche aus dem Hafen zu Marſeille nach Syrien gefah— 
ren waren und nach Vollbringung ihres Geluͤbdes zuruͤck— 
kehrten, und, als ſie die prachtvolle Pilgerflotte erblickten, 
ſo ſehr ſich ſchaͤmten, daß fie ſich zu verbergen ſuchten. 
Der Graf Balduin von Flandern aber ſandte ſogleich das 
Boot ſeines Schiffes aus, um zu forſchen, wer dieſe Pil— 
ger waͤren; und als das Boot den Schiffen ſich genaͤhert 
hatte, fo ſtuͤrzte ſich ein Knappe n“) von dem Verdecke 
des einen derſelben in das Boot, indem er denen im 
Schiffe zurief: ich uͤberlaſſe euch alles Meinige, was im 
Schiffe iſt; denn ich gehe mit dieſen Leuten, und es iſt 
gewiß, daß fie das Land erobern werden * 8). 


Ohne irgend einen Unfall fuhr die Flotte durch das 
wegen gefaͤhrlicher Klippen und ſtuͤrmiſcher Winde ge— 
fuͤrchtete Meer zwiſchen dem Vorgebirge Malea *) und 
den Inſeln des aͤgaͤiſchen Meeres nach Negroponte oder - 
Euboͤa, wo Kriegsrath gehalten wurde. In Folge des 
gefaßten Schluſſes begab ſich der Markgraf Bonifaz mit 
dem Prinzen Alexlus und einer hinlaͤnglichen Anzahl von 
Rittern nach Andros, und zwang die Bewohner dieſer 
Inſel, durch eine betraͤchtliche Kriegsſteuer ſich den Frieden 
zu erkaufen und den Prinzen Alexius als ihren Herrn an— 
zuerkennen. Als nach Vollendung dieſer Unternehmung 
der Markgraf Bonifaz die Flotte, welche die Inſel Negro— 


17) Un Serjant. Villeh. S. 46. 

18) Darum, ſagt Villehardouin (S. 
47.) pflegt man zu fagen: Aus tau: 
ſend Irrwegen kommt man doch noch 
auf den rechten Weg (de miles males 
voies pu<t on xctourner). 

19) Bey Villehardouin (S. 46): 


Cademelee zuſammengezogen aus Cap 
de Melee. Bey den Griechen wurde 
die Gefährlichkeit des Meeres in der 
Nähe dieſes Vorgebirges bezeichnet 
durch das Sprichwort: Maga de 


S,¹u i C twv oixude. 


Fahrt nach Conſtantinopel. 199 


ponte bereits verlaſſen hatte, wieder zu erreichen ſuchte, nr 
traf ihn das Mißgeſchick, daß er einen der Ritter, wel— 

cher ihn begleitete, den Burgvogt Guido von Couch, durch 

den Tod verlor; und der Leichnam des edeln Ritters 
wurde den Wellen des Meeres übergeben ). 

Die Flotte gelangte mittlerweile gluͤcklich an die 
Mündung der Meerenge von Seſtus und Abydus 25), 
oder des heiligen Georg, und warf vor dem Hafen von 
Abydus Anker. Als die Pilger an das Land ſtiegen, ſo 
kamen die Einwohner von Abydus ihnen entgegen und 
uͤberbrachten die Schluͤſſel ihrer Stadt; und es wurde bei 
der Beſitznahme dieſer Stadt ſo ſtrenge Ordnung von den 
Pilgern gehalten, daß keiner der Einwohner das mindeſte 
einbuͤßte. Die Pilger verweilten dort acht Tage, die Ans 
kunft des Markgrafen Bonifaz mit den ihm zur Unter 
nehmung gegen die Inſel Andros uͤberlaſſenen Schiffen 
abwartend, und benutzten dieſen Aufenthalt, da gerade 
die Zeit der Ernte war, um mit Korn ſich zu verſehen, 
woran ſie Mangel zu leiden anfingen. Nachdem die 
ganze Flotte in dem Hafen von Abydus wieder ſich ver— 
einigt hatte, ſo wurde die Fortſetzung der Fahrt nicht 
laͤnger verſchoben; die Flotte bedeckte wie ein reicher 


20) Villehard. S. 47. 

at) Boche d' Avie d. i. Mündung 
von Abydus (Avie). Villeh. S. 47. 
48. Der Hafen von Abydus heißt in 
dem Briefe des Grafen von St. Paul 
(p. 369): Portus Bucceavia, d. i. 
Buccae Aviae, der Mündung von 
Abydus; und der Graf bemerkt, daß 
die Flotte ihn am achten Tage nach 
der Abfahrt von Corfu (Corkaut) er⸗ 
reichte, und dieſer Hafen hundert Mei— 
len von Conſtantinopel entfernt ſey, 
das Meer aber in dem engen Paſſe 


2 


des hell. Georg einen ſehr ſchnellen 
Fluß habe: Ab eo loco Constanti- 
nopolin usque Cleucae numerantur, 
a portu vero isto usque Gonstanti- 
nopolin per striotum mare et velo- 
citer currens transitur. Albericus 
(ad a. 120) nennt den Hafen von 
Abydus: portus sub Bodecave, und 
der Abt Radulph Coggeshale (Chron. 
Anglic. p. 97): portus Duccaviae, 
welches in Buccae Aviae zu verbeſ⸗ 
fern iſt. 


J. Chr. 
1255, 


* 


200 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


Teppich den ſchmalen Arm des Meeres 22), ſegelte mit 
guͤnſtigem Winde nach der Propontis oder dem Meere 


3. Jun. von Marmora, und erreichte am Tage vor dem Feſte des 


heiligen Johannes die Kuͤſte bey der nur drey Stunden von 
Conſtantinopel entfernten Abtey des heiligen Stephan 2). 


Dort entfaltete ſich vor dem Blicke der erſtaunten 
Kreuzfahrer die unvergleichliche Schoͤnheit der geſegneten 
Ufer der Propontis; prachtvolle Landhaͤuſer, reizende 
Gaͤrten, anmuthige Doͤrfer und uͤppige Fluren, welche die 
Kuͤſte ſchmuͤckten, ſo wie die fruchtbaren, lieblichen und 
von den Bewohnern einer reichen Hauptſtadt mit hert; 
lichen Gebaͤuden und Anlagen gezierten Inſeln, welche bey 
St. Stephan dem Anblicke dieſes ſchoͤnen Meeres einen bezau— 
bernden Reiz verliehen **), feſſelten die Aufmerkſamkeit der 
Pilger um ſo mehr, als damals die in dieſem Lande ſo 
ergiebige und reiche Natur in der ganzen Fuͤlle ihrer 
Kraft prangte. In der Ferne erblickten ſie mit Staunen 
die unermeßliche Kaiſerſtadt mit ihren hohen Mauern, 
zahlreichen Thuͤrmen, prachtvollen Kirchen und herrlichen 
Palaͤſten; dieſer Anblick aber erregte in den Gemuͤthern 
der Pilger aͤngſtliche Beſorgniſſe, und Keiner im Heere 
war ſo unerſchrocken, daß ihm nicht das Herz bebte, 


22) Si peussiez voir flori le braz 
8. Jorge contre mont de neset de 
Villeh. S. 48. 

23) S. Estienne qui ere une Ab- 
baie à trois lieues de Constanti- 
nople. Villeh. a. a. O. Vgl. über 
dieſen Kriegsrath Villeh. S. 81. Nach 
Albericus (ad a. 1292) warfen die 
Kreuzfahrer die Anker: ad locum, qui 
vocatur Speculum, 

24) „Nirgends vielleicht macht, der 
ruhigen Umgebung willen, die Schön⸗ 


galies et de vissiers. 


heit der Propontis mit ihren gerade 
vor dem Blicke hingeſtreuten Inſel⸗ 
gruppen einen tiefern und größer 
Eindruck, als in dem Dorfe St. Ste⸗ 
fano.“ Sof. von Hammer's Conſtan⸗ 
tinopolis und der Bosporos Th. II. 
S. 9. II a isles ci pres, ſprach dort 
der Doge Heinrich Dandıflo zu den 
Kreuzfahrern, que vos poez veoir 
deci qui sont habitees de genz, et 
laborees de blez et de viande et 
d'autres biens. Villehard. S. 50. 


Fahrt nach Conſtantinopel. 201 


wenn er den gewaltigen Umfang der Stadt betrachtete, ID" 
deren Groͤße allen Pilgern unglaublich vorgekommen war, 
bevor ſie dieſe rieſenhafte Stadt mit ihren Augen erblickt 
hatten. Solche Beſorgniß, ſagt Villehardouin, war ſehr 
begreiflich; denn, ſo lange die Welt ſteht, hatte ein ſo 
kleines Heer nicht ein fo großes Unternehmen gewagt). 


Der Doge von Venedig ſowohl als die Grafen und 
Barone des Pilgerheeres ſtiegen noch an dem Tage, an 
welchem die Flotte in dieſer herrlichen Gegend ihre Anker 
geworfen hatte, an das Land und hielten am Abende in 
dem Muͤnſter von St. Stephan ?°) einen Kriegsrath. 
Nachdem mancherley Vorſchlaͤge waren vorgetragen wor— 
den, ſo erhob ſich der Doge von ſeinem Sitze und ſprach: 
Mir iſt durch fruͤhern Aufenthalt die Beſchaffenheit dieſes 
Landes bekannter geworden, als ſie es euch ſeyn kann; 
das feſte Land umher auf beyden Seiten des Meeres iſt 
ſtark bevoͤlkert und keinesweges arm an ſtreitbarer Mann— 
ſchaft; und ich halte daher es nicht fuͤr rathſam, daß 
das Heer ſofort das feſte Land betrete. Da unſre Leute 
begierig ſind nach Beute und vornehmlich nach Lebens— 
mitteln, woran es uns gebricht: ſo wuͤrden ſie leicht ſich 
verleiten laſſen, in dem Lande ſich zu zerſtreuen, was 


25) „Or poez savoir que mult le veist à Toeil et le lonc, et le 16 


esgarderent Constantinople (von dem 
Ankerplatze bey Conſtantinopel) cil 
qui onques mais (jamais) ne Pa- 
voient veue que il ne pooient mie 
cuidier, que si riche ville peust 
estre en tot le monde, Cum il vi- 
rent ces halz murs et ces riches 
tours dont Ere close, tot entor a 
la rconde, et ces riches palais ct ces 
haltes Yglises dont ili avoit tant 
que nuls nel poist croire, se il ne 


(lieu) de la ville qui de totes les 
autres ére souveraine; et sachiez 
que il ni ot si hardi, cni le cuer 
ne fremist, et ce ne fu mie mer- 
veille, que onques si grant affaires 
ne fu empris de tant de gent puis 
que li monz fu estorez.“ Willehard. 
©. 48. 49. 

26) Et fu li parlemenz ou mon- 
stier (c. a. d. Al’eglise) Saint Estiene. 
Villeh. a. a. O. 


J. Chr. 


1203. 


24. Jun. 


202 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


ihnen und dem Heere großen Schaden bringen koͤnnte. 
Es wird beſſer ſeyn, auf den nahe gelegenen fruchtbaren 
Inſeln die Lebensmittel, deren das Heer bedarf, zu ſam— 
meln, und erſt dann, wenn wir hinlaͤnglich mit Mund— 
vorrath verſehen ſeyn werden, die Belagerung von Con— 
ſtantinopel zu beginnen. Ueberhaupt verfahrt mit Vorſicht; 
denn es iſt nichts leichtes, was ihr unternehmen wollt. 
Dieſem Rathe gaben alle Anweſende Beyfall 27). 


Am folgenden Tage, dem Feſte des heiligen Johan— 


nes, wurden die Paniere und Fahnen auf den Thuͤrmen 


der Schiffe aufgepflanzt, aus den Schilden der Rit— 
ter wurde eine ſchuͤtzende Mauer laͤngs den Raͤndern der 
Verdecke gebildet, und jeder Pilger pruͤfte feine Waffen 2 ), 
auf baldigen Kampf gefaßt. Nach dieſen Vorbereitungen 
wurden die Anker gelichtet, und die Flotte ſegelte mit 
guͤnſtigem Winde ſo nahe an Conſtantinopel vorbey, daß 
mehrere Pfeile, welche von der Mauer und den Thuͤrmen 
der Stadt geſchoſſen wurden, die Schiffe erreichten; denn die 
Mauer ſowohl als die Thuͤrme waren mit zahlloſen Kriegern 
beſetzt. Der Rath aber, welchen der Doge von Venedig 
am Abende zuvor gegeben hatte, wurde nicht befolgt, ſondern 
die Fahrt nach Chalcedon gerichtet, wo die Ritter und ihre 
Knappen, ſo wie alle uͤbrigen Pilger, mit allen Pferden 
und Waffen, die Schiffe verließen, ſo daß nur die See— 
leute in denſelben zuruͤckblieben. Die Grafen und Barone 
nahmen ihre Herberge theils in dem ſchoͤnen und anmuthi— 


27) Villehard. S. 49. 30. ) gen bewegt) auf ihre Waffen und 


23) Chascuns regardoit ses armes 
tels com à lui convint que defisens- 
sent, que par tens en arons besoin. 
Villeh. S. 50. Dieſe Worte haben 
ſicherlich nicht den Sinn, daß die 
Pilger (von mancherlep Empfindun: 


Rüſtungen blickten; ſondern die Waf⸗ 
fen wurden unterſucht und in Stand 
geſetzt. Ueber das Aufſtellen der Schil⸗ 
der an den Rändern der Verdecke 
vgl. oben S. 163. Anm. 3. 


Die Kreuzfahrer vor Conſtantinopel. 


— 


203 


gen kaiſerlichen Palaſte zu Chalcedon 2), theils in der 
Stadt; die uͤbrigen Pilger lagerten ſich außerhalb der— 


ſelben in ihren Zelten, 


und da das eben geſchnittene 


Getreide noch auf dem Felde lag, ſo fanden die Pilger 


fuͤr ſich und ihre Roſſe Nahrung im Ueberfluſſe. 


Sie 


J. Chr. 
1203. 


ruhten dort Einen Tag; und als am dritten Tage ein . Jun. 
guͤnſtiger Wind ſich erhob, fo ſegelten die Kriegsſchiffes“) 
nach Scutaris “), und das Heer zog eben dahin zu Lande; 
die Laſtſchiffe blieben der Stadt Chalcedon gegenuͤber, 


20) II pristrent port devant un 
palais l’Empereor Alexis, dont li 
leus estoit apellez Calchidoines; et 
fu endroit Constantinople d’autre 
part del Braz devers la Turchie 
(d. i. Kleinaſien). Villeh. S. sr. 
Peter D’Dutreman (Constantinop. 
belg. p. 150.), Ramnuſius (Lib. II. 
P. 63.) und mehrere andere Schrift: 
ſteller erzählen, daß die Flotte, durch 
den Wind wider ihren Willen ge— 
zwungen, die Fahrt nach den Inſeln 
aufgegeben habe, hierauf an die 
Mauern der Stadt getrieben worden 
und dann nach Chalcedon geſegelt 
ſey. Villehardouin fagt im Gegen— 
theil (©. 50): Diex lor dona bon 
vent tel com ä els convint, si s’en 
passent tres par devant Constan- 
tinople. 

30) Or Ögouowss. Nicetas S. 349. 

31) Ensi se hebergierent sor le 
Bras Saint Jorge ä le Scutaire. Bil: 
leh. S. 52. Vgl. Nicetas a. a. O. 
Per portum cepimus ad firmam ter- 
ram versus Iconium, qui portus 
distat a Constantinopoli una leuca, 
Ep, Comitis de S. Paulo ap. Go- 
defr. Mon, p. 369. Ducange (au 
Villeh. S. 286) ſchlägt vor, in dieſer 
Stelle ſtatt Iconium zu leſen Diplo- 
cionium oder Cionium, ſo daß nur 


die Rede wäre von dem Ankerplatze 
der Laſtſchiffe (ogl. Anm. 33); der 
Graf ſpricht aber von einem Hafen 
am feſten Lande und kann daher wohl 
nur Scutari meinen, und versus 
Iconium iſt nichts anders als was 
Villehardouin (ſ. Anm. 29) ausdrückt 
durch devers la Turchie. Nach der 
Erzählung des Nicetas warfen die 
Griechen zwar Pfeile auf die Schiffe 
der Kreuzfahrer, als dieſe von Chat: 
cedon nach Scutari ſich begaben, doch 
ohne ihnen Schaden zu thun. Nach 
der Chronologia Alberti Altissiodo- 
rensis (ad a. 1203 im Recueil des 
histor. de la France. J. XVIII.) 
p. 267 kamen die Kreuzfahrer vor 
Conſtantinopel an: VI. Kal. Jul. — 
26. Junius, was mit dem Berichte 
des Villehardouin vollkommen überein— 
ſtimmt. Die Vorſtadt Scutari hieß 
bekanntlich in früherer Zeit Chryſo— 
polis (Goldſtadt), und der Name 
Srovragıov kommt zuerſt bey Nice— 
tas (im Leben des Kaiſers Emanuet 
S. 130) vor, als Name eines kaiſer— 
lichen Palaſtes in der Nähe von 
Chryſopolis am Vorgebirge Damalis 
(rd zara Jauakıv dpysiıo & ονe 


ragıov Ovouakorraı). Vgl. Gyllius 
de Bosporo Thracio Lib. III. c. g. 


J. Chr. 
1203. 


204 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


außerhalb der Weite eines Bogenſchuſſes von der Kuͤſte, 
vor Anker 32). 


Dem Kalſer Alexius war die Erſcheinung des Heeres 
der Pilger in der Naͤhe ſeiner Hauptſtadt eben ſo wenig 
unerwartet, als die Abſicht unbekannt, in welcher die 
Kreuzfahrer kamen; er achtete aber anfangs nicht auf die 
Warnungen, durch welche er von mehrern Seiten ge 
mahnt wurde, auf ſeiner Hut zu ſeyn, und bey den 
ſchwelgeriſchen Gelagen, welche er mit ſeinen Guͤnſtlingen 
hielt, wurde der Kreuzfahrer nicht anders als mit Spott 
erwaͤhnt. An Ruͤſtungen wurde ſo wenig gedacht, daß 
der Admiral der kaiſerlichen Flotte ss), Michael Stryphnus, 
welcher nicht lange zuvor die Schweſter des Kaiſers Alexius 
zur Gemahlin erhalten hatte, die Anker, Segel, Taue, 
ſelbſt die Naͤgel der vorhandenen zumeiſt unbrauchbaren 
Kriegsſchiffe verkaufte; und die Aufſeher der Forſten, in 
welchen der Kaiſer zu jagen pflegte, ſorgloſe und eigen— 
ſinnige Verſchnittene, geſtatteten nicht die Faͤllung eines 
einzigen Baumes, ſo daß es dem Admiral unmoͤglich war, 
auch wenn er den beſten Willen gehabt haͤtte, die Flotte 
in Stand zu ſetzen. Erſt als die Kunde von dem, was 
zu Dyrrachium und auf der Inſel Corfu geſchehen war, 
nach Conſtantinopel war gebracht worden, wurden in der 
Eile zwanzig von Wuͤrmern zerfreſſene Schiffe ausgeruͤſtet, 
die Haͤuſer außerhalb der Mauern von Conſtantinopel auf 
unmittelbaren Befehl des Kaiſers, welcher endlich von 


32) Nicetas a. a. O. Die Laſtſchiffe uëνν Öpovyyagıos rod orolow 
legten ſich vor Anker in der Nähe der Ducange (zu Villeh. S. 287) hält ihn 
beyden Säulen (Au οẽ,. o). für den von Villehardouin (S. 52) 
S. oben S. 150. Anm. 30. erwähnten Megedux (uëyus dov£); 

33) O doubt rod orokov. Nicetas was unwahrſcheinlich iſt. 

a. a. O. Er war wahrſcheinlich 


Die Kreuzfahrer zu Seutari. 205 


feinen Gartenarbeiten und Beluſtigungen feine Aufmerk- 288. 
ſamkeit auf die Vertheidigung ſeiner Hauptſtadt lenkte, 
niedergeriſſen, und Truppen nach LConſtantinopel ge 
rufen 35). 

Die Kreuzfahrer geriethen aber in große Verlegenheit, 
als die Bewohner von Conſtantinopel nicht die mindeſte 
Theilnahme fuͤr den Prinzen Alexius bewieſen, und kein 
Grieche, ſelbſt keiner der Verwandten des Prinzen, in dem 
Lager bey Scutari erſchien 3°); den Griechen aber, welche 
in den letzten zwanzig Jahren wieder eben ſo ſehr an ge— 
waltſame Thronveraͤnderungen als an Tyranney oder 
weichliche Unthätigfeit und mancherley Laſter und Frevel— 
thaten der Beherrſcher ſich gewoͤhnt hatten, war die Per— 
ſon des Kaiſers viel gleichguͤltiger, als die Kreuzfahrer 
dachten; auch war Alexius, wenn auch ſeine Regierung 
nicht gerade lobenswerth war, doch ein Mann von milder 
und ſanfter Geſinnung, freundlich, herablaſſend und zu— 
gaͤnglich für jeden feiner Unterthanen; und die Griechen 


* 


34) Nicetas a. a. O. Nach der An⸗ 
gabe der von Arnold von Lübeck mit— 
getheilten Briefe der Kreuzfahrer 
(P. 727) befanden ſich, zur Zeit der 
Ankunft des Pilgerheeres, in Con— 
ſtantinopel ſechszig Tauſend Reiter 
ohne das Fußvolk. 

35) Ibidem (zu Scutari) stupui- 
mus valde, super hoc, quod nemo 
amicorum, nemo parentum juvenis 
Imperatoris, qui nobiscum erat, seu 
aliquis nuncius eorum venit ad 
eum, qui ei statum Constantino- 
poli declararet. Ep. Comitis 8. 
Pauli l. c. Auf ähnliche Weiſe ſpricht 
von dieſer Stimmung der Griechen 
der Brief der Kreuzfahrer an den 
Kaiſer Otto bey Arnold von Lü— 
beck (p. 721): Contra omnium ergo 


opinionem universorum civium 
mentes contra nos invenimus ob- 
Hrmatas, nec aliter contra Domi- 
num suum civitatem muris et ma- 
chinis obseratam, quam si adven- 
tasset populus infidelis, qui loca 
sancta polluere et religionem Chri- 
stianam inexorabiliter evellere pro- 
poneret. Die Schuld dieſer Stims 
mung wird den Anfchuldigungen bey» 
gemeſſen, welche der Kaiſer Alexius in 
einer Rede an das Volk gegen die 
Lateiner vorbrachte, daß dieſe die Ab⸗ 
ſicht hätten, die alte Freyheit der 
Griechen zu unterdrücken und die 
griechiſche Kirche unter das Joch des 
römiſchen Papſtes zu bringen. Vgl. 
Chronol. Roberti Altissiodorensis 
1. c. 


206 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


* konnten ſicherlich am wenigſten die Verbeſſerung ihres Zu— 
ſtandes von einem Prinzen hoffen, welcher mit der Huͤlfe 
von Fremdlingen in den Beſitz des Thrones ſich ſetzen 
wollte. Kaum hatten die Kreuzfahrer bey Scutari ihre 
Zelte errichtet, ſo ſahen ſie am entgegengeſetzten Ufer ein 
betraͤchtliches griechiſches Lager ſich bilden 3°), Die Ueber— 
zeugung, daß Conſtantinopel nur durch eine langwierige 
Belagerung bezwungen werden koͤnnte, welche dieſe Ans 
ſtalten der Griechen begruͤndeten, erregte in ihnen ſehr 
ängftlihe Beſorgniſſe, beſonders deswegen, weil fie be 
fuͤrchteten, in dieſer zwar ſehr fruchtbaren Gegend nur 
auf hoͤchſtens vierzehn Tage Lebensmittel und Nahrung 
für ſich und ihre Pferde finden zu koͤnnen 3). 

Obgleich auch auf der aſtatiſchen Kuͤſte am Berge 
Damatrys eine griechiſche Schar ſich lagerte, um die 
Streifereyen der Kreuzfahrer zu hindern 3°); fo ließen dieſe 
waͤhrend der neun Tage, welche ſie bey Scutari verweil— 
ten“), doch nicht ſich abhalten, das Land zu durchziehen, 


36) Villeh. S. 52. Brief des Gras 
fen von St. Paul (ap. Godefr. Mon. 
P. 369). 5 

37) Brief der Kreuzfahrer an den 
Kaiſer Otto a. a. O. 

38) Kai DalayE ë r rie avo- 
Hey meoi rov Jauargva 7ygavkeı 
Tas row inn!wv enòͤgouds sm 
0ynoovoa. Micetad S. 349. Dama⸗ 
trys war damals der Name des eine 
Stunde von Scutari entfernten Ber— 
ges mit zwey Gipfeln, welcher jetzt die 
Namen Bulgurlu und Oſchamlidſche 
trägt. Auf demſelben befand ſich ein 
von den Kaiſern Tiberius und Maus 
ritius gebauter Palaſt und der Hain 
des von feiner Mutter Irene geblen: 


deten Kaiſers Conſtantinus. Anon. de 
antiquit. Constantinop. ap. Ban- 
dur. Lib. III. p. 39. S. Joſ. von 
Hammer Conſtantinopolis und der 
Bosporos Th. I. S. 23. Th. II. S. 
336 — 341. Villehardouin, welcher 
den Namen dieſes Berges nicht nennt, 
bemerkt (S. 83), daß das Lager der 
griechiſchen Schar am Fuße deſſel— 
ben (el pie de la montaigne) drey 
Stunden (trois lieues) von dem Las 
gerplatze der Kreuzfahrer entfernt ge: 
weſen ſey. 

30) Villeh. S. 52. Vom 26. Junius 
bis zum 5. Julius. Am 5. Julius, 
einem Sonnabende, wurde das Lager 
bey Scutari verlaſſen. S. unten. 


Die Kreuzfahrer zu Seutari. 207 


und die Ritter begleiteten und beſchuͤtzten die geringen 3. ‚Chr. 
Pilger, welche Lebensmittel auffuchten. An einem Tage 
geſchah es, daß die Brüder Otto und Wilhelm von 5 
Chanlite, Ogiers von St. Cheron, und Manaſſe von 
Lisle, welche mit einem lombardiſchen Grafen aus dem 
Gefolge des Grafen von Montferrat *°) und achtzig 
andern Rittern die Streifer geleiteten, am Fuße des 
Berges Damatrys das Lager jener griechiſchen Schar 
erblickten, in welchem auch der Oberbefehlshaber der grie— 
chiſchen Heere *) mit fuͤnfhundert Reitern ſich befand. 
Die Ritter zoͤgerten nicht lange, den erſten Kampf gegen 
die Griechen zu wagen, ordneten ſich in vier Scharen), 
und rannten gegen die Griechen, welche ſich ebenfalls 
geſchart hatten und vor ihren Zelten aufgeſtellt den An— 
griff erwarteten. Der Kampf war nur von kurzer Dauer; 
die Griechen vermochten nicht, dem erſten Anlaufe zu 
widerſtehen *?) und wandten ſogleich den Ruͤcken; die 
Ritter eroberten das feindliche Lager, verfolgten die Flie— 
henden eine Stunde weit und brachten eine reiche Beute 
an Zelten, Pferden aller Art und Maulthieren in das 
Lager, wo ſie mit großem Jubel empfangen wurden und 
die gewonnene Beute mit ihren Waffenbruͤdern redlich 
theilten ). 

Dieſer erſte ohne ſonderliche Muͤhe uͤber die Grie— 
chen gewonnene Sieg minderte die Beſorgniſſe, welchen 


40) Villehardouin (S. 53) nennt 
dieſen lombardiſchen Grafen den 
dicken Grafen (li Cuens Cras), 
S. mehrere Vermuthungen über 
dieſen Grafen bey Ducange, zu Vil— 
lehard. S. 287. 

41) Li Megedux l’Empereor de 
Constantinople. Villeh. ©. 835 Vgl. 
oben S. 203. Anm. 33. 


42) Si ordenerent lor gent en 


quatre batailles. Villeh. 


43) Et li Greu lor tornent les dos, 
ei furent desconſiz a la premiere 
assemblee. Villeh. 


44) Il departärent lor gaing si com 
il durent. Villeh. 


J. Chr. 


1203. 


208 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


die Kreuzfahrer bis dahin Raum gegeben hatten, und 
erregte dagegen große Furcht in Conſtantinopel, ſowohl 
am kaiſerlichen Hofe als im Volke und in dem Kriegs— 
heere *). Schon am folgenden Tage nach dieſem Siege 
meldete ſich ein zu Conſtantinopel wohnender Lombarde, 
Nicolaus Roſſi *°), als Botſchafter des Kaiſers Alexius, 
bey den Grafen und Baronen des Heeres der Pilger, 
welche eben in dem reichen kaiſerlichen Palaſte zu Scu— 
tari zum Kriegsrathe verſammelt waren, und uͤberreichte 
dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat, als dem Ober— 
feldherrn, ſein Beglaubigungsſchreiben. Als nach ge— 
ſchehener Vorleſung dieſes Schreibens der Botſchafter war 
aufgefordert worden, ſeinen Auftrag auszurichten, ſo 
redete er ſtehend zu den Baronen, anfangs hoͤflich, dann 
trotzig alſo: Der Kaiſer Alexius laͤßt euch, edle Herren, 
melden, er wiſſe wohl, daß ihr die maͤchtigſten ſeyd unter 
denen, welche nicht Kronen tragen, und dem trefflichſten 
Lande der Erde angehoͤrt. Um deſto mehr aber befremdet 
es den Kaiſer, daß ihr den Frieden eines chriſtlichen Lan— 
des ſtoͤrt, da ihr doch das Zeichen des heiligen Kreuzes 
tragt und ausgezogen ſeyd aus eurer Heimath, um das 
heilige Grab zu befreyen. So ihr arm ſeyd und der 
Huͤlfe beduͤrft, ſo ſagt es, und der Kaiſer wird euch gern 
mit Geld und Lebensmitteln unterſtuͤtzen; aber entfernt 


45) „Die bey Damatrys aufgeſtellte 
Schar brachte gar keinen Nutzen; 
denn fie wagte es gar nicht (oud” er? 
Boayv), den Feinden nahe zu kommen, 
und wandte vielmehr den Rücken 
denen, welche Luſt hatten, fie zu verfols 
gen. Einige fielen, Andere waren be— 
denklich (Zueikov), Andere liefen mit 
Macht (dva zgaros) davon. Denn 


wie hätten ſie es wagen können, mit 
Männern zu kämpfen, welche ſie 
nicht ſich ſchämten ſeelenraubende ' En⸗ 
gel und aus Erz getriebene Statuen 
zu nennen, und bey deren Anblick ſie 
vor Furcht ſtarben!“ Nicetas a. a. O. 


46) Nicholas Rous. Villeh. ©. 53. 
Vgl. Ducange zu Villeh. S. 287. 


Die Kreuzfahrer zu Scutari. 209 
euch ſchleunigſt aus feinem Reiche. Der Kaiſer wird euch *r. 
ungern Leid zufuͤgen, wiewohl die Macht dazu ihm kei— 
nesweges fehlt; und waͤren euerer noch zwanzig Mal ſo 
viele, als jetzt, ſo wuͤrdet ihr doch dem Tode und dem 
Verderben nicht entgehen koͤnnen, wenn der Kaiſer die 
Abſicht haͤtte, euch Boͤſes zu thun. Hierauf erwiederte 
Conon von Bethune, ein eben ſo beredter als tapferer 
und einſichtvoller Ritter, im Namen und Auftrage der 
ganzen Verſammlung: Schoͤner Herr, ihr ſagt, euer Herr 
wundre ſich, daß wit in ſein Reich gekommen ſind; es 
iſt aber nicht ſein Reich, in welches wir gekommen ſind. 
Denn dieſes Reich, uͤber welches er mit offenbarem Un— 
rechte und als ein Frevler gegen Gott und Menſchen 
herrſcht ““), gehört feinem Neffen, welcher hier unter uns 
feinen Sitz hat, dem Sohne des Kaiſers Iſaak. So er 
ſeinem Neffen mit Demuth ſich unterwerfen und deſſen 
Gnade anflehen wird: ſo ſind wir geneigt, uns dafuͤr zu 
verwenden, daß ihm verziehen und ſo viel gegeben werde, 
als ihm noͤthig iſt, um mit Anſtand zu leben. Wenn ihr 
uns nicht ſolche Botſchaft bringen koͤnnt, ſo erdreiſtet euch 
nicht, wieder zu uns zu kommen 5). 


Nach dieſer Abfertigung des Botſchafters ſetzten 
die verſammelten Heerfuͤhrer ihre Berathungen fort; 


47) Quar il tint le regne A tort et 
A pechie contre Dieu et contre rai- 
son, Villeh. S. 55 


48) Villeh. S. 53—55. Der Graf 
von St. Paul berichtet dem Herzoge 
von Brabant über dieſe Verhandlun— 
gen (ap. Godefr. Mon, p. 369) alſo: 
Non mora Imperator imperium te- 
nens Duci Ventti (Venetiae), Mar- 
chioni, Comiti Flandrensi, Comiti 


V. Band. 


Ludevico et nobis nuncios suos 
destinavit. Nos vero secretum in- 
ter nos ineuntes consilium dixi- 
mus, quod Imperatoris nuncios nul- 
latenus audiremus, nisi prius se ab 
Imperialis cathedra deponeret Ma- 
iestatis; aliter ipsum vel eius nun- 
cios nequaquam auscultaremus, No- 
lebamus enim; quod Graeci (nos) 
muneribus attentarent vel molli- 


rent. 
O 


210 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VIII. 


Nebr und es wurde beſchloſſen, den Prinzen Alexius am fol 
genden Tage den Bewohnern von Conſtantinopel zu zeigen. 


Zur Ausfuͤhrung dieſes Beſchluſſes wurden die Vor— 
bereitungen mit großer Sorgfalt gemacht, und der Doge 
ſowohl als die Barone der Pilger verſprachen ſich von 
dieſer Maßregel ſehr erfprießiiche Wirkung. Die Kriegs⸗ 
ſchiffe “) wurden ſchleunigſt geruͤſtet, der Doge und der 
Markgraf begaben ſich mit dem jungen Prinzen auf eines 
derſelben, die franzoͤſiſchen und andern Barone vertheilten 
ſich mit ihren Ritterſchaften auf die uͤbrigen, und alſo 
fuhr die Flotte in prachtvoller Haltung an den Mauern 
von Conſtantinopel hin. Der Prinz, auf dem Verdecke 
des Schiffes in kaiſerlichem Schmucke ſtehend ?), wurde 
dem an dem Ufer verſammelten neugierigen Volke der 
Stadt ſowohl als des flachen Landes, und den auf der 
Mauer ſtehenden Kriegern gezeigt, und dabey wurde laut 
gerufen: Sehet hier euern rechtmaͤßigen Herrn; denn der— 
jenige, welcher jetzt uͤber euch herrſcht, beſitzt das Reich 
mit offenbarem Unrechte und als Frevler wider Gott und 
Menſchen. Wir ſind gekommen, um euch zu beſchuͤtzen, 
wenn ihr thut, was eure Pflicht iſt, den Thronraͤuber, 
welcher ſeinen Bruder vom Throne geſtoßen und geblendet 
hat, verlaßt, und euren rechtmaͤßigen Kaiſer annehmt. 
So ihr aber wider eure Pflicht handeln werdet, ſo ſind 
wir geſonnen, euch ſo viel Boͤſes anzuthun, als wir irgend 
koͤnnen. Dieſe Aufforderung blieb aber ohne Wirkung, 
und die Ritter kehrten mit getaͤuſchter Hoffnung zu ihren 
Zelten zuruͤck ). 


49) Les Galies. Villeh. S. 55.56. (S. 36): il monstrerent al pueple 
50) Was von Villehardouin zwar des Grez li valet, 
nicht gemeldet wird, aber ſehr wahr⸗ 61) Villeh. ©. 55. 56. Saepius ergo 
scheinlich IR. Villehardouin ſagt blos per nuncios, imo per ipsum exulem 


Ueberfahrt nach der thraciſchen Käfte 211 


Am folgenden Morgen verſammelten ſich die Barone, 9, Ein. 
nachdem fie zuvor die heilige Meſſe angehört hatken, 
ſitzend auf ihren ſtattlichen Streitroſſen ), in der Mitte 
des Lagers zum Kriegsrathe, wo der Tag zum Uebergange 
des Heeres nach der europaͤlſchen Kuͤſte und zur Eroͤff— 
nung der nunmehr unvermeidlichen Belagerung von Con— 
ſtantinopel, ſo wie die Anordnung derſelben beſtimmt, und 
das Heer in ſechs Schlachtordnungen 5s) getheilt wurde. 
Die erſte, als die Vorwache, ſollte der Graf Balduin von 
Flandern und Hennegau mit ſeiner Ritterſchaft und ſei— 
nen Leuten bilden; weil kein anderer Graf oder Baron 
uͤber eine ſo anſehnliche Zahl, als er, von tapfern Rit— 
tern, geuͤbten Bogenſchuͤtzen und trefflichen Armbruſtſchuͤ— 
tzen gebot. Die zweyte Schlachtordnung ſollte von Hein— 
rich, dem Bruder des Grafen Balduin, geführt werden, 
und zu ihr ſollten Matthias von Valincourt, Balduin 
von Beauvoir und viele andere edle Ritter gehören. Die 
dritte ſollte unter dem Befehle des Grafen Hugo von 
St. Paul ſtehen, und zu dieſer Schlachtordnung wurden 
Peter von Amiens, des Grafen Neffe, Euſtach von Can— 
teleu, Anſelm von Cachieu und viele andere tapfere Rit— 
ter ihres Landes gewieſen. Zum Anfuͤhrer der vierten 
Schlachtordnung wurde der Graf Ludwig von Chartres 
und Blois beſtellt, und die fuͤnfte dem beruͤhmten Ritter 
Matthias von Montmorency uͤbertragen; in dieſer fuͤnften 
befanden ſich die Pilger aus Burgund und der Cham— 


nostrum et Barones nostros seu 
etiam nosmet ipsos a civibus po- 
stulantes audiri, nec adventus no- 
stri causam nec petitionis modum 
explicare potuimus, sed quoties terra 
vel mari stantibus in muro sermo - 
nes obtulimus, totiesretulimus tela 
pro verbis. Brief der Kreuzfahrer 


an den Kaiſer Otto ap. Arnold. Lu · 
bec. p. 727. 


52) Et fu li parlemenz A cheval 
emmi le champ; la peussiez veoir 
maint bel destrier. Villeh. S. 86. 


53) Six batailles. Villeh. S. 37. 


88. 65. 
8 2 


212 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VE Kap. VIII. 


2h pagne und, außer den Rittern Odo von Chamlite, Ogiers 
von St. Cheron, Manaſſe de l' Isle, Milo von Brabant 
und andern, auch der edle Marſchall der Champagne, 
Gottfried Villehardouin, der Geſchichtſchreiber dieſer 
Kreuzfahrt. Die Fuͤhrung der ſechſten Schlachtordnung, 
als der Hinterwache, uͤbernahm der Markgraf Bonifaz 
von Montferrat; und dieſer wurden alle Lombarden, 
Toskaner, Deutſche und überhaupt die Pilger aus den 
Ländern zwiſchen dem Montcenis und Lyon an der 
Rhone *) zugetheilt. Die Venetianer ſollten auf ihren 
Schiffen bleiben und von der Seeſeite das Heer unter⸗ 
ſtuͤtzen ?“). 

Die erſte Aufgabe, welche die Kreuzfahrer zu loͤſen 
hatten, war, das grlechiſche Heer, welches an der europaͤi— 
ſchen Kuͤſte, gegenuͤber von Scutari und unfern von der 
Stadt Galata, aufgeſtellt war, zu vertrelben und dann 
des Hafens ſich zu bemaͤchtigen, welcher durch den Meer— 
buſen Chryſokeras oder Goldhorn gebildet wird und, wie 
gewoͤhnlich in Faͤllen der Gefahr geſchah, durch eine von 
dem Thurme von Galata bis an die Akropolis oder Burg 
der Hauptſtadt gezogene ſtarke eiſerne Kette geſperrt 
war 5°), Denn an jeder andern Stelle widerſetzten ſich 
der Landung des Heeres noch groͤßere Schwierigkeiten, 


54) Totes les genz qui furent de 
le Mont de Moncenis trosque 
Gusque) a Lion sor le Röne. Bil 
leh. S. 88. Daß die Burgunder (li 
Bourguignon) zur fünften Schar 
gehörten, erhellt ſowohl aus der von 
Villehardouin (S. 64) mitgetheilten 
Nachricht, daß Wilhelm von Chanlier 
(Chamlite), der Bruder des Ritters 
Odo, bey ihnen ſich beſand; als aus 
der ausdrücklichen Angabe (S. 63), 
daß die Schlachtordnung der Cham: 


pagner und Burgunder la bataille 
des Champenois et des Borgoignons) 
von Mathias von Montmorency ges 
führt wurde. 

55) Was jedoch nicht von Villehar⸗ 
douin in der Erzählung von den Bes 
ſchlüſſen dieſes Krlegsrathes bemerkt 
wird, aber aus dem Fortgange des 
Berichtes von der Ausführung dieſer 
Beſchlüſſe hervorgeht. 

56) Villehard. S. 60. Alexius, qui 
Imperium occupaverat, a loco 


Ueberfahrt nach der thraeiſchen Kuͤſte. 213 


und die Flotte konnte von der Seite des Hafens, die 
Verbindung mit Galata und Pera ſtoͤrend, wirkſamer die 
Stadt bedraͤngen als von der ſuͤdlichen Seite, oder der 
durch heftige Stroͤmung des Meeres gefaͤhrdeten oͤſtlichen 
Spitze des Hornes, welches die an drey Seiten vom 
Meere umfluthete Stadt bildet. 


Die Kreuzfahrer betrachteten die Ueberfahrt uͤber den 
Bosporus nach der europaͤlſchen Kuͤſte nicht als ein leich— 
tes Unternehmen, erwarteten vielmehr einen ſehr heftigen 
Widerſtand ') und verführen daher mit großer Sorg— 
falt und Behutſamkeit. Die Biſchoͤfe und die uͤbrigen 
Geiſtlichen, welche im Heere waren, ermahnten, als der 
Beſchluß des Kriegsraths, daß der Uebergang geſchehen 
ſollte, kund geworden war, die Krieger mit eindringender 
Rede, ihre Suͤnden zu beichten und ihre letzten Anord— 
nungen zu treffen, weil ſie nicht wuͤßten, ob nicht Gott 
über ſie verfugen würde; und alle leiſteten dieſer Ermahnung 
willig und mit reuigem Herzen Folge. Mit deſto groͤßerer 


Manganae usque Galatas catenam svyoraty vie Fpodon Vgl. Leo Diao. 
propugnaculis communitam trans- 


poni fecerat, quae ingressum pe- 
nitus prohibebat. Andr. Dand. 
Chron. p. 322. Mangana heißt ei- mabatur catena ferrea grossa nimis, 
gentlich das Zeughaus oder Arſenal, quae posita super ligna transversa 
welches entweder in der Akropolis (nach Leo Diakonus: auf großen 
ſelbſt, oder deren Nähe ſtand; aber Pfählen, en? gıromv ueyloruv) 
auch ein von Conſtantinus Monachus mare transnatabat, attingens usque 


1 10 Dee Haan 5 ad muros civitatis. Vgl. Alberi- 
loſter führte dieſen Namen. S. Gy!- cus ad a. rec. Hugo Plagon S. 663. 


lius de Topographia Constantinop. 

5 Ducange zu Villehard. S. 289. 
Tab. IL. c. 7. Nicetas (S. 300) nennt f N” 

den Thurm von Galata: To gYeov- 57) Et sachiez que ce fu une des 


TEN „RR 2 ! plus doutoses choses a faire qui 
107, 29 w Eiduoraı "Poualoıs 
n rt onques fu. Villeh. S. 58. Vgl. 


one Pagvralavrov amodtsıv Epist. Comitis de St. Paulo ap, Go- 
ükvoıv, yvina wloiuw wolsulov ‚deis. Mon, p. 369. 


V. 3. Inde perreximus, ſchrieb der 
Graf von St. Paul (J. c.), ad quam- 
dam turrim fortissimam, in qua fir- 


J. Chr. 
1203. 


214 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. VIII. 


2.289. Freudigkeit aber, als der beſtimmte Tag erſchienen war, 
waffneten ſich die Pilger in der Frühe eines ſchoͤnen und hel— 
. Julius tern Morgens, am Sonnabend, dem fünften des Julius? “); 
die Ritter begaben ſich geharniſcht und behelmt mit ihren 
Streitroſſen auf die Frachtſchiffe, und mit den Rittern 
ihre Knappen, fo wie auch die Armbruſtſchuͤtzen und Bogen— 
ſchuͤtzen; auch die Streitroſſe der Ritter waren ſchon zum 
Kampfe bereitet, igefattelt und mit glänzenden Decken ges 
ziert *); das geringere Volk, deſſen man im erſten 
Kampfe weniger bedurfte, beſtieg die uͤbrigen großen und 
ſchweren Schiffe; die Galeen oder Kriegsſchiffe waren 
zum Streite trefflich geruͤſtet, und jede Galee fuͤhrte ein 
Frachtſchiff am Tau, um deſſen Fahrt zu erleichtern und 
zu beſchleunigen. Nach ſolchen Vorbereitungen lichtete die 
ſtattliche Flotte“) die Anker und näherte fich unter ſchmet— 
terndem Trompetenſchalle sn) der von dem Heere des Kai— 
ſers Alexius beſetzten europaͤiſchen Kuͤſte des Bosporus; 
und ein allgemeiner Wetteifer erhob ſich, als die Schiffe 
das Land erreichten, unter den Kreuzfahrern; jeder ſuchte 
zuerſt und vor dem Andern die Kuͤſte zu erreichen; die 
Ritter ſprangen, noch ehe die Bruͤcken ausgelegt wurden, 
ungeachtet ihrer ſchweren Ruͤſtungen von den Schiffen, 
und wateten, mit gezogenen Schlachtſchwertern, durch das 
Waſſer, welches ihnen bis an den Guͤrtel reichte, an das 


88) Tant errerent les pelerins 
frangois qu'il vindrent par un sa- 
medi devant Constantinople. Hugo 
Plagon. S. 663. Nach Nicetas (S. 
330) im Anfange des Julius: 8 
oraro s Tors use (leg. uyv) 
Job ios. 

59) Li cheval covert et ensele, 
Villeh. Ses8. Die Pferde der Ritter 
trugen gewöhnlich große Schaberacken 


von leichtem Zeuge, welche ihnen 
faſt bis zu den Füßen reichten und 
mit dem Wappen der Ritter geſchmückt 


u 


waren. Ducange zu Villeh. ©. 288. 


60) Vasa navigio apta (usariae et 
galeides) CC numero fuerunt, prae- 
ter naviculas bargas. Epist, Comi- 
tis de St. Paulo I. c. 


61) Et on sone les bozines (buc- 


cinas). Villeh. S. 59. 


ueberfahrt nach der tdracifhen Kuͤſte. 215 


J. Chr. 
1205. 


Land; nicht minder die Knappen, die Bogenſchuͤtzen und 
Armbruſtſchuͤtzen. Das griehifhe Heer aber, obwohl es 
in zahlreichen Scharen ſich geordnet hatte und zum Kampfe 
bereit zu ſeyn ſchien 2), hinderte nicht die Landung, 
ſondern wandte, als die Ritter mit eingelegten Lanzen ſich 
naͤherten 's), den Ruͤcken, die Kuͤſte den Kreuzfahrern 
uͤberlaſſend ), welche ohne alles Hinderniß das Fußvolk 
ſo wie ihre Pferde an das Land brachten, ihre Streit— 
roſſe beſtiegen und die ſechs im letzten Kriegsrathe bey 
Scutari verabredeten Scharen ordneten °°). 

Die Kreuzfahrer zogen hierauf in völliger Schlacht-s Julius 
ordnung nach dem Lagerplatze des griechiſchen Heeres und 
bemaͤchtigten ſich der Zelte, welche die Griechen zuruͤck— 
gelaſſen hatten, und einer reichen Beute; und da in dem 
Kriegsrathe alle der Meinung einſtimmig waren, daß es 


62) Et l’Empereres Alexis les at- 
tendoit à granz batailles et à grant 
corroiz de I' autre part.. Et li 
Greu Äirent mult grant semblant 
del retenir, Villeh. a. a. O. Vgl. 
Epist, Comitis de St. Paulo J. o. 


attingere, Epist. Comitis de st. 
Paulo Il. c. Vgl. Villeh. a. a. O. 
65) Hugo Plagon erzählt (a. a. O.) 
folgendes Mährchen: Als die Ein: 
wohner von Conſtantinopel die Fran: 
zoſen erblickten, ſo begaben ſie ſich 


Unrichtig iſt alſo, was Nicetas (S. 
340) berichtet: „Nur wenige Tage 
(ſeit der Lagerung bey Scutari) wa⸗ 
ren vergangen, als die Lateiner der 


Küſte ſich näherten, weil fie wußten, 


daß keiner auf dem feſten Lande ihnen 
widerſtehen würde.“ 


65) Et quant ce vint A lances 
baissier, Villeh. a. a. O. Die Ritter 
machten den erſten Angriff zu Fuß. 


64) Cum vero Deo ducente ultra 
fuimus applicati, omnes Graeci, qui 
convenerant, ut transitum nobis 
impedirent, ita Dei gratia a nobis 
elongarunt, quod aliquem eorum 
etiam volatu sagittae vix potuimus 


sum Kaiſer und ſprachen: Gnädiger 
Herr, laßt uns ausziehen und den 
Feinden die Landung wehren. Der 
Kaiſer aber antwortete: mit nichten; 
die Franzoſen möchten kommen und 
landen; si com il seroient herbergie 
il feroit istre (d. i. herausgehen) 
toutes les putaius de Constantino- 
ple, 
mont qui estoit devers cele partie 
ou il estoient herbergies, si les fe- 
roit tant pisser qu'il seroient noie 
et de si vil mor les feroit morir. 
Hugo Plagon ſetzt aber ſelbſt hinzu: 
Je ne le di mie por voir, mes ainsi 


si les feroit monter sor un 


£ # MEN 
le disent aucunes gens, que ainsi 
le dist lempereor par orgueil, 


216 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. VIII. 


DE Dringend nothwendig waͤre, des Thurmes von Galata ſowohl 


als des Hafens baldigſt Meiſter zu werden: ſo lagerten 
ſich die Scharen noch am Abende dieſes entſcheidenden 
Tages vor jener Feſte, welche zugleich mit der ihr gegen— 
uͤber liegenden Akropolis den Eingang des Hafens be— 
herrſchte; und die Schiffe legten ſich vor Anker ſo nahe 
dem Eingange des Hafens, als die Strömung des Mee— 


res es erlaubte °°), 


66) Nicetas (S. 349) beſchrelbt dieſe 
Bewegung des Heeres und der Flotte 
alſo: „Noch waren nicht viele Tage 
verfloſſen ſeit der Ankunft der Flotte 
der Kreuzfahrer, als die Lateiner, 
wiſſend, daß keiner auf dem feſten 
Sande ihnen widerſtehen würde, ſich 
der Küſte näherten. Von dort zog 
die Reiterey weiter, dem Meere ſich 
nahe haltend; die Schiffe aber aller 
Art (al os vñ es Te u o, gd du 
ves al Er rovroıs ta πιον, 
begaben ſich an den in das Land fich 
ergießenden Meerbuſen.“ Villehar— 
douin bezeichnet (cap. 83. p. 60) den 
Ort vor dem Thurme von Galata, 
wo das Heer ſich lagerte, durch: la 
Jverie que Lon appelle le Stanor, 
was Vigenere, der Ueberſetzer des Vil— 
lehardouin, durch la Iuikverie que 
Ton appelle le Stenon ganz richtig 
überfegt. Nach Hugo Plagon Ca. a. 
O.) zogen ſich die Kreuzfahrer, da ſie 
in den Hafen nicht eindringen konn⸗ 
ten: a une part ariere desus la Gui- 
rice presdela rougeabbaie. Stenon 
(rd orevov) d. i. die Meerenge, hieß 
vorzugsweiſe der Bosporus (vgl. Zo- 
sim. II. 30.), ſehr oft aber führt die: 
ſen Namen bey den ſpätern Griechen 
die ganze jenſeitige Küſte des Meer⸗ 
buſens Chryſokeras von der Seite von 


Galata an (d'autre part del port de- 
vers le Stanor, Villeh. S. 78). Daß 
auch der Hafen von Conſtantinopel, 
wie Krug (Chronologie der Byzantier, 
St. Petersburg 1810. 8. S. 100 folg.) 
annimmt, von den byzantiniſchen 
Schriftſtelern TO orevov genannt 
werde, ſcheint mir nicht erweislich zu 
ſeyn, wenn es auch richtig ſeyn mag, 
daß alte nordiſche Nachrichten dieſen 
Hafen ſowohl als die von den By— 
zantinern mit dem Namen TO orsvor 
bezeichnete Gegend bey Galata einen 
Sund, und ruſſiſche Chroniken ihn 
Sud nennen. Daß den Juden in die⸗ 
fer Gegend ihre Wohnungen ſowohl 
als ihr Begräbnißplatz angewieſen 
waren, und die Juden von Conſtanti⸗ 
nopel daher unter dem orgarnyos 
Tod oTEvoD ſtanden, wiſſen wir durch 
verſchiedene Zeugniſſe, welche von 
Ducange angeführt werden in der 
Constantinopolis Christiana Lib. IV. 
Sect. x. $. z. 2. und zu Villehar⸗ 
douin S. 290. 291. Ueber die rothe 
Abtey, deren Hugo Plagon erwähnt, 
wage ich nichts zu beſtimmen, wenn 
ſie nicht etwa das Kloſter des heiligen 
Mamas (Tov dylov Mauavros) 
it, welches am Stenon, und an der 
weſtlichen Seite von Galata lag, 


Eroberung von Galata. 


Die Fuͤhrer des Heeres waren in der Frühe des fol ICh 
genden Tages »») zum Kriegsrathe verſammelt, über dies 
Weiſe der Belagerung des Thurmes von Galata mit dem 
Dogen von Venedig ſich berathend os), als das Geſchrey 
erhoben wurde, daß die Beſatzung des Thurmes, welche 
aus engliſchen, daͤniſchen, italieniſchen und andern Soͤld⸗ 
nern?) beſtand, unterſtuͤtzt durch Truppen aus der Stadt, 
einen Ausfall mache. Sogleich waffnete ſich das Heer; 
und der tapfere Jakob von Avesnes war der erſte auf 
dem Kampfplatze mit feiner Ritterſchaft und feinem Fuß— 
volke 7e) und unternahm den Kampf gegen die uͤberlegene 
Zahl der anſtuͤrmenden Feinde mit allzugroßer Kuͤhnheit, 


217 


in der Nähe des an der Hafen: 
ſeite liegenden Thores Fylokerkes. 
Vgl. Anon, antiquit. Constantinop, 
ap. Bandur. p. 57. 58. Ducange 
a. a. D. La Guirice ift ohne Zweifel 
der Meerbuſen und Hafen Chryſoke— 
ras (Sinus Ceratinus), welcher auch 
abgekürzt K hieß und von Ville: 
hardouin (S. 62) le port de Scique, 
richtiger Seique oder Saque genannt 
wird. Die jetzigen Vorſtädte Galata 
und Pera bildeten nämlich damals 
eine einzige Vorſtadt, welche Syca 
oder Sycae (ar ovxeL d. i. die Fei⸗ 
genbäume) genannt wurde; und die— 
ſer Name findet ſich ſchon bey Strabo 
(Lib. VII. c. 6. p. 310.). Vgl. Gyllius 
de Topogr. Constantinop. Lib. IV. 
c. 10. 11. of. v. Hammer Conſtanti— 
nopolis und der Bosporos. Th. 2. S. 78. 


67) Quant fu hore de tierce, Dil; 
leh. S. 60. 


68) Super turri illa locuti sumus 
cum Duce Veneti, viro prudentis- 
simo et discreto, dicentes ei, quod 
nullo modo posset capi, nisi per 


minitores et petrarias caperetur. 
Respondit nobis, quod juxta eate- 
nam antedictam faceret naves suas 
protrahi, suas erigens petrarias cum 
instrumentis variis super naves: 
nos quoque nostra faceremus in- 


- genia erigi super terram; sic un- 


dique turris obsessa Dei nostroque 
auxilio de facili caperetur. Epist, 
Comitis de $. Paulo l. o. 

69) Sarjanti Anglici, Pisani, Le- 
veniani, Dachi. Epist. Comitis de 
St. Paulo I. o. Statt Leveniani ſteht 
in dem Abdrucke dieſes Briefes in 
Edm, Martene et Ursini Durand 
Collect. ampl. T. I. p. 784: Gene- 
ciani, alſo Genueſer. 

70) La soe maisne à pie, Villeh. 
Das Wort maisne iſt aus masnada 
gebildet, ein Name, womit überhaupt 
diejenigen, welche im Dienſte eines 
andern ſtehen, und ſelbſt Ritter, wel: 
che der Fahne eines andern folgen, 
bezeichnet werden. Von Villehar— 
douin wird S. 64 ein Ritter Euftach 
le Marquis de la masnie Herris le 
frere le Conte Baudouin genannt. 


218 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VIII. 


hr welche ihm faſt Verderben gebracht hätte. Denn er erhielt 


1203. 


durch das Schwert eines der Feinde eine ſchwere Wunde 
im Geſichte, und nur die treue Huͤlfe ſeines Waffengefaͤhr— 
ten, des Ritters Nicolaus von Laulain, rettete ihn vom 
Tode oder von der Gefangenſchaft *). Als aber die übrigen 
Kreuzfahrer von allen Seiten andrangen, da leiſteten die 
feigen Soͤldlinge des Kaiſers Alexius nicht lange Wider- 
ſtand. Nachdem ihrer viele waren erſchlagen oder gefan— 
gen worden, ſo kehrten diejenigen, welche aus der Stadt 
uͤber den Meerbuſen gekommen waren, in verwirrter Flucht 
zurück nach dem Ufer, ſtuͤrzten, von den Kreuzfahrern raſch 
verfolgt, ſich in das Waſſer und ſuchten die Kette, welche 
den Hafen ſperrte, zu erreichen, um an derſelben, wie an 
einem Seile, zu ihren Schiffen zu gelangen; viele aber, 
welche die Kette nicht erreichten, ertranken 2). Die des 
ſatzung der Burg wurde von den Rittern ſo ungeſtuͤm 
verfolgt, daß es ihr unmoͤglich war, das Thor zu ver— 
ſchließen; und nachdem noch einmal am Eingange der 
Burg das Gefecht mit heftiger Erbitterung ſich erneut 
hatte, ſo drangen die Kreuzfahrer zugleich mit der Be— 
ſatzung in die Burg ein und bemaͤchtigten ſich derſelben. 
Von dieſer Einnahme der Burg von Galata war die Er— 
oberung des Hafens die unmittelbare Folge; die große 
Kette, welche den Hafen ſperrte, wurde geſprengt; das 
große und treffliche venetianiſche Schiff, der Adler, 
mit geſpannten Segeln und getrieben von der Gtrös 
mung, drang zuerſt mit der Schnelligkeit eines Pfeils 
in den Meerbuſen; die übrigen venetianifhen Schiffe 


71) Villehard. S. 60. wurde, viele der Griechen, welche 
22 Villehard. a. a. O. Nicetas vermittelſt derſelben ihre Schiffe zu 
S. 349. Nach Hugo Plagon S 693. gewinnen ſuchten. 
ertranken, als die Kette geſprengt 


Eroberung von Galata. 219 


folgten *), und die wenigen morſchen Schiffe des Kalſers u 
Alexlus, welche Widerſtand zu leiſten wagten, wurden 
theils erobert, theils zerſtoͤrt ?“). 

So war jene erſte Aufgabe von den Kreuzfahrern mit 
viel geringerer Schwierigkeit, als fie erwartet hatten, ges 
loͤſt worden; und der treffliche Hafen von Conſtantinopel 


73) Ueber die Art und Weiſe, wie 
die Kette geſprengt wurde, geben weder 
Nicetas noch Villehardouin nähere 
Nachricht; die Sprengung derſelben 
war, nachdem der Thurm von Ga— 
lata war erobert worden, nicht 
mehr ſchwierig. Nach der von Dus 
cange (zu Villeh. S. 289) angeführs 
ten, albernen Erzählung des Blondus 
Flavius (de origine et gestis Vene- 
torum, in Graevii Thes. antiqui- 
tatum et historiarum Italiae Tom. V. 
P. 1. col. ız.) gefchah es vermittelſt 
einer großen Zange (forceps magnus), 
welche an dem Schiffe ſich befand, 
das, von einem ſtarken Winde getries 
ben, gegen die Kette ſegelte. Herr Mis 
chaud (Hist. des Croisades T. 8. 
p. 175), ohne ſeine Quelle zu nennen, 
trägt kein Bedenken, dieſe große Zange 
noch deutlicher alſo zu beſchreiben: 
d'onormes ciseaux d’acier qui s'ou- 
vraient et se renfermaient à Paide 
d'une machine, was von einem KKriegs⸗ 
kundigen (Herrn J. B. Schels) in der 
öſtreichiſchen militäriſchen Zeitfchrift, 
Wien 1828. Th. 2. S. 220, treuherzig 
nacherzählt worden iſt. Andreas Dans 
dulus (chron. p. 322) berichtet aber auf 
folgende glaublichere Weiſe: Perito- 
rum consilio paratur nayis, vocata 
Aquila, magna valde, quae impul- 
sione Venetorum elevatis velis ap- 
positam confregit catenam, et sic 
stolus libere portum intravit. (Nice⸗ 
tas bezeichnet, S. 347, als das größte 


Schiff der venetianifhen Flotte dad: 
jenige, welches die Welt, 0 Kochs, 
hieß.) Vgl. Hamaker commentatio 
de expeditionibus a Graecis Fran- 
cisque adversus Dimyatham susce- 
ptis, p. 85. Auch ruſſiſche Nachrichten 
erwähnen der im J. 1203 geſchehenen 
Sprengung der Hafenkette von Con⸗ 
ſtantinopel durch die Kreuzfahrer als 
einer beſondern Merkwürdigkeit; f. 
Philipp Krug Chronologie der By: 
zantier. S. 195. Uebrigens war die 
Sperrung des Hafens durch eine ei⸗ 
ferne Kette auch im Jahre 824, als 
Conſtantinopel durch den Empörer 
Thomas belagert wurde, von gerin— 
gem Nutzen (avruogsiv öhus u 
dvrnYsions hs Eursrauevns oro n 
od dahvosws). Cedreni comp, hist, 
ed, Paris. p 502. Vgl. F. C. Schloß 
ſer Geſchichte der bilderſtürmenden 
Kaiſer (Frankf. 1812. 8.) S. 44r. 

74) „Die Schiffe wurden zum Theil 
ans Ufer gebracht, und nachdem die 
Mannſchaft ſie verlaſſen hatte, in den 
Grund gebohrt (Tırewvras)."" Nice⸗ 
tas S. 330. Vgl. Epist. Comitis de 
8. Paulo 1. c. Nach dem Berichte des 
Villehardouin (S. 60. 61.) und der 
übereinſtimmenden Erzählung des Hu— 
go Plagon (a. a. O.) geſchah die Er: 
oberung der Burg von Galata und 
die Einnahme des Hafens am Sonn⸗ 
tage den 6. Julius 1253, am folgen: 
den Tage nach der Landung des Pil⸗ 


220 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


Nes war in ihre Gewalt auf eine ſolche Weiſe gekommen, 
daß ihnen ſelbſt dieſer erſte gewonnene Vortheil als hoͤchſt 
wunderbar und als eine unmittelbare Wirkung der goͤtt— 

7. Julius lichen Allmacht erſchien 7°). Ermuntert durch die Ueber— 
zeugung, daß Gott mit ihnen war, hielten ſie am folgen— 
den Tage, nachdem die Schiffe im Hafen ſich vor Anker 
gelegt hatten 7°), einen Kriegsrath über die Anordnung 
der Belagerung der Stadt ſelbſt; und die Venetianer 
waren in dieſem Rathe der Meinung, daß es am zweck— 
maͤßigſten wäre, die Belagerung auf die Hafenſeite zu bes 
ſchraͤnken, dieſe mit der ganzen vereinigten Macht zu 
beſtuͤrmen und von den Schiffen aus vermittelſt der Sturm— 
leitern die Mauern zu erſteigen; die franzoͤſiſchen, italie— 
niſchen und deutſchen Ritter aber erwiederten: wir ſind 
des Krieges auf dem Waſſer nicht ſo kundig als ihr, und 
haben nur gelernt, auf unſern Streitroſſen und mit 
unſern ritterlichen Waffen zu ſtreiten. Es wurde alſo 
beſchloſſen, daß die Venetianer die Belagerung an der 
Hafenſeite uͤbernehmen, die uͤbrigen Pilger von der Land— 
feite die Stadt berennen ſollten 77). 


gerheeres am europäifchen Ufer. Nach 
dem Berichte des Grafen von St. 
Paul wurde erſt am dritten Tage nach 
dem Uebergange und nach mehreren 
vorhergegangenen unbedeutenden Ge— 
fechten mit der Beſatzung der Burg 
Galata der entſcheidende Sieg über 
die Griechen gewonnen, und die Burg 
nebſt dem Hafen erobert. Die Ehre 
dieſes Sieges wird von dem Grafen 
von St. Paul dem Ritter Peter von 
Braiecuel (fo iſt zu leſen ſtatt Braie- 
leuel, d. i. Bracheux, f. Ducange zu 
Villehard. S. 257) zugeſchrieben. 


7 


75) Mult en furent conforte cil 
de l’ost et mult en loërent Dam le 
Dieu. Villeh. S. 61. Statim Deo 
mirabiliter operante turris absque 
bellico instrumento capta et catena 
rupta fuit. Epist. Comitis de St. 


Paulo l. c. 


76) Lendemain furent enz traites 
(d. i. hereingezogen in den Hafen) les 
nes et les vaissiels et les galies et 
li vissier. Villeh. a. a. O. 


77) Villeh. S. 67. 62. 


Belagerung von Conſtantinopel. 221 


Nachdem das Heer vier Tages) bey der Burg Gas hr. 
lata geruht hatte, ſetzte es am 10. Julius ſich wieder in w. Jul. 
Bewegung, und zog in geordneten Scharen bis an den 
Fluß Barbyſes, welcher, vereinigt mit dem Fluſſe Cydaris, 
in die Spitze des Meerbuſens ſich ergießt, ſtellte die von 
den Griechen zerſtoͤrte ſteinerne Bruͤcke uͤber dieſem Fluſſe 
an dieſem Tage und in der darauf folgenden Nacht wie— 
der her??) und zog am andern Tage, ohne durch irgend u Sur. 
einen Widerſtand gehindert zu werden, bis an die Mauern 
der Hauptſtadt. Auch die venetianiſche Flotte bewegte 
ſich, dem Heere unmittelbar folgend, in Schlachtordnung 
nach dem Innern des Meerbuſens und ſtellte ſich in 
ſchoͤner Haltung auf, in einer Ausdehnung von drey Bo— 


78) Villeh. S. 62. Vom 7. bis zum 
10. Julius. Den Anfang der Bela: 
gerung von Conſtantinopet ſetzt die 
Chronologia Roberti Altissiodoren- 
sis (Recueil des histor. des Gaules 
et de la France T. XVIII. p. 267) 
auf: VI. Idus Julii = Don nerſtag 
10. Julius 1203. 

70) Villeh. S. 62. Der Graf St. 
Paul (ap. Godefr. Mon, p. 370) er⸗ 
wähnt der von Villehardouin berich— 
teten Zerſtörung der Brücke nicht, fon: 
dern ſagt vielmehr ausdrücklich, daß 
das Heer über dieſe Brücke ohne 
Schwierigkeit gegangen ſey. Die 
Brücke wird aber alſo von ihm be 
ſchrieben; Tunc nostris navibus et 
nobis ordinatis ad pugnam proces- 
simus iuxta littus ad quendam pon- 
tem lapideum distantem a turre 
Praenominata (Galata) una leuca 
(die ganze Ausdehnung des Hafens 
Chryſokeras beträgt über 4000 Klafter, 
ſ. Joſ. v. Hammer Conſtantinopolis 
und der Bosporos Th. I. S. 18.); 
pons vero illo protensior erat parvo 


ponte Parisiensi et erat adeo stri- 
otus, ut tres equites juncti lateri- 
bus simul vix per illum possent 
transire; vadis profundis existenti- 
bus non poteramus alias transire, 
nisi multam faceremus torsuram. 81 
vero a nostro navigio longe dista- 
remus, fortasse periculum multum 
incurrissemus et damnum. Nach 
eicetas (S. 350) hatten die Kreuz⸗ 
fahrer bey dieſer Brücke und dem ſo— 
genannten durchbohrten Steine (re 
zov Asyousvov rovmmtov Aldov) 
einen Schwachen Widerſtand (uıxea» 
avrioraoıy) zu überwinden. Diefe 
Brücke hieß die Kameelbrücke (Kuun- 


Amv yEpvoa), vgl. Ducange zu Bit 
leh. S. 292. 293. Des durchbohrten 
Steines erwähnt Nicetas noch einmal 
Pp. 361, indem er hinzuſetzt, daß auch 
ein Bogengang dort geweſen fey: 
are Tov Asyousvov tovmnrov A- 
or nal TyV Ersice MEgLayoucvnv 


arvida, 


222 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. VIII. 


5 genſchußweiten und in geringer Entfernung von dem La— 
ger des Heeres ®°), | 
Die Länge der durch einen tiefen Graben geſchuͤtzten 
doppelten Mauern der Landſeite von Conſtantinopel war zu 
betraͤchtlich? *), als daß das Heer der Kreuzfahrer vermocht 
haͤtte, alle Thore derſelben zu umlagern; die ſechs Scharen des 
Heeres bezogen alſo, dem in einem Kriegsrathe gefaßten Be— 
ſchluſſe zufolge, ein Lager am Thore Gyrolimne, ſo daß der 
rechte Fluͤgel ſich an das Cosmidium, oder das nebſt ſeinen 
Nebengebaͤuden mit einer feſten Mauer umgebene Kloſter 
der heiligen Cosmas und Damianus, welches die Kreuz— 
fahrer das Caſtell Boemunds nannten, ſich lehnte; der 
linke Fluͤgel aber ſtand dem innerhalb der Stadtmauern 
liegenden Blachernenpalaſte ſo nahe, daß die Steine, 
welche von den Wurfmaſchinen der Kreuzfahrer geſchleu— 
dert wurden, dieſem Palaſte großen Schaden zufuͤgten, 
und die Pfeile der Kreuzfahrer das Dach und die Fen— 
ſter deſſelben erreichen konnten 52). Da die Kreuzfahrer, 


80) Villehard. S. 66. 

gt) Villehardouin S. 62 giebt die 
Länge zu drey Meilen an. De Con- 
stantinople qui tenoit trois lieues 
de front par devers la terre, ne pot 
tote Lost assieger que Pune des 
portes (nämlich die Gyrolimne, ſ. die 
folgende Anm.). 2 

82) Ep. Comitis de S. Paulo I. o. 
Villeh. a. a. O. Man konnte, fagt 
Nicetas, von der Mauer herab faſt 
reden mit denen, welche in den Zel⸗ 
ten des feindlichen Lagers an der Gy— 
rolimne waren. Der Name des Thores 
Gyrolimne war von dem Namen ei: 
nes Platzes oder eines Teiches, nach 
Hammer (Conſtantinopel und der 
Bosporos Th. I. S. 62) dem Namen 


des von den Fluͤſſen Cydaris und Bars 
byſes durchſtrömten Thales, welches 
egyvga Jiuvm (vgl. Anna Comn, 
P. 294.) d. i. Silberteich genannt 
wurde, abgeleitet. Ducange (zu Vil⸗ 
lehard. S. 295) halt dieſes Thor für 
daſſelbe Thor, welches in der nachher 
angeführten Stelle das Blachernenthor 
genannt wird. Vgl. Joſ. von Ham⸗ 
mer Conſtantinop. und der Vosporos. 
Th. I. S. 103. Nlcetas beſchreibt (S. 
350) den Plat des Lagers der Kreuzfah⸗ 
rer alſo: „Der Feldherr (alſo der Mark⸗ 
graf Bonifaz) errichtete ſein Feld⸗ 
herrngezelt (TO oTgaT7yıov), das zum 
Theil mit Graben und Palliſaden um⸗ 
geben war, an dem Hügel, auf wel: 
chem man den Blachernenpalaſt er⸗ 


„ 


Belagerung von Conftantinopel. » 223 


ungeachtet der Leichtigkeit, mit welcher fie des Hafens ſich 1289. 
bemaͤchtigt hatten, gleichwohl wegen der Groͤße und Fe— 
ſtigkeit der Stadt ſowohl als der betraͤchtlichen Zahl ihrer 
Beſatzung 83), auf eine ſchwierige und muͤhevolle Belages 
rung rechneten: fo befeſtigten fie ihr Lager durch Wälle, 
Schranken und Pfahlwerk ). Hierauf wurde das Be— 
lagerungsgeſchuͤtz errichtet und verordnet, daß bey Tag 
und Nacht die ſechs Scharen in der Bewachung der Wurf 
maſchinen abwechſeln ſollten 8°); auch die Untergraͤber 
begannen ihre Arbeiten. Der Doge von Venedig ließ 
auf jedem feiner Schiffe aus Segelſtangen ein Geruͤſt ®°) 
in der Hoͤhe von hundert Fuß und von ſolcher Breite er— 
richten, daß auf denſelben vier Mann neben einander 
bequem ſtehen und die Vertheidiger der Mauer mit Arm— 


blickt, ſo weit dieſer Palaſt gegen 
Abend ſich neigt. An dem Abhange 
deſſelben befindet ſich ein Vorhof 
(avAsıog), welcher gegen Mittag 
ſich bis an die Mauer, wodurch der 
Kaiſer Manuel Comnenus dieſen Pa— 
laſt befeſtigt hat, und gegen Mitter— 
nacht an das Meer (den Meerbuſen) 
ſich erſtreckt.“ Unter dieſer avAsuos 
ſcheint Nicetas einen Platz vor dem 
Thore oder innerhalb des Thores der 
Blachernen zu verſtehen; denn er ſagt 
hernach, daß von dieſem Vorhofe aus 
das griechiſche Fußvolk Ausfälle gegen 
die Belagerer unternahm. Zunächſt 
dieſem Thore (quae porta, sd. Bla- 
chernae, patet a dextra parte pala- 
tii, nach der epist. Comitis de 8. 
Paulo J. c.; la porte desus le palais 
de Blakerne nach Villehardouin S. 
65, vgl. S. 99.) ſtand Peter von Braie⸗ 
cuel, welcher daher am meiſten der 
Gefahr ausgeſetzt war. Wenn Nicer 
tas (a. a. O.) ſagt: 7v dd aa am 


r mergoßöoluw umyarnuaruv 
oypsiodusva Ta Puoilsıa: fg 
meint er damit keinen andern Palaſt, 
als den Palaſt der Blachernen. 

83) Por un qu'il estoient en Lost, 
estoient il deux cens en la ville, 
Vitlehard. a. a. O. 

84) De bones lices et de bons mer- 
riens. Villehard. S. 63. Grossis pa- 
lis et litiis, Ep. Comitis de S. Pau- 
lol. o. ’Ogvarois zaganouaos * 
Ev megLoravposunot. Nicetas 
a. a. O. Vgl. Hugo Plagon S. 663. 
664. 

85) Villeh. S. 65. 

86) Pontem altissimum, Epist. 
Comitis de St. Paulo. I. c. Vgl. 
Nicetas S. 351. Villehardouin nennt 
dieſe Gerüfte: eschieles (scalas), wegen 
der daran befindlichen Sturmleitern, 
und dieſen Namen geben ihnen auch 
der Graf Balduin in ſeinem Briefe 
und Nicetas (sAluanus) p. 366. 


J. Chr. 
1203. 


* 


224 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


brüften beſchießen oder von denſelben die Mauer vermit⸗ 
telſt Fallbruͤcken erſteigen konnten; leichtbewegliche Strick⸗ 
leitern wurden ebenfalls bereitet, und die Schiffe gegen 
Feuer durch den Ueberzug von Ochſenhaͤuten geſichert; 
von jedem Schiffe drohte außerdem eine Wurfma— 
ſchine s?) der Stadt Verderben. Die Venetianer uͤber⸗ 
nahmen es, den Theil der Stadt, welcher an der Hafen— 
ſeite liegt und Petrium genannt ward, zu berennen ??). 
Alſo wurde die Belagerung der reichen und maͤchtigen 
Stadt mit aller Vorſicht begonnen. 

Die Truppen, welche von dem Kaiſer Alexius nach 
Conſtantinopel waren gerufen worden, hatten anfangs den 
beſten Willen, die Stadt zu vertheidigen; ſie unternahmen 
haͤufige Ausfaͤlle, meiſtens aus dem Thore, welches zur 
rechten Seite der Blachernen war, zuweilen aus dem 
Thore Gyrolimne, vor welchem die Belagerer ihre Wurf— 
maſchinen aufgerichtet hatten, und hielten dadurch die 
Kreuzfahrer in ſteter Unruhe; alſo daß keiner von dieſen 
es wagen durfte, nur eine Bogenſchußweite von dem bes 
feſtigten Lager ſich zu entfernen, und die Kreuzfahrer ihre 
Ruͤſtung niemals ablegen und ruhen, auch nicht anders 
als vom Kopfe bis zum Fuße bewaffnet Speiſe zu ſich 
nehmen konnten. An mehreren Tagen wurde das Heer der 
Pilger ſechs oder ſieben Mal zu den Waffen gerufen, weil 
die Feinde die Ausfälle wiederholtens??). Zwar gewann 
die Tapferkeit der Ritter des Kreuzes, ſo oft es zum 
Kampfe kam, den Sieg, und beſonders furchtbar waren den 
Griechen die Armbruſtſchuͤtzen der Lateiner??). In einem 


87) Mogonellum (Mangonel- go) Balistarum usus, quarum usus, 
lum). Ibid, quanto est rarior apud illos (Grae- 
88) Nicetas ©. 351. cos), tanto etiam terribilior et pe- 


89) Villeh. S. 63. 64. Epist. Co- riculosior habetur. Guntheri hist, 
mitis de St, Paulo I. c. Constant. p. XIII. 


Belagerung von Conſtantinopel. 225 


J. Chr. 
1803. 


dieſer Gefechte wurde ein vornehmer griechiſcher Herr aus 
dem Geſchlechte der Ducas erfchlagen ?*); und in einem ans 
dern, welches die Burgunder beſtanden, als ſie in ihrer Reihe 
die Wache hielten ??), wurde Conſtantinus Laskaris, Bru— 
der des nachherigen Kaiſers Theodorus Laskaris?s), von 
dem Ritter Walther von Nuilly mit Roß und Waffen 
zum Gefangenen gemacht *); aber auch die Kreuzfahrer 
erlitten manche empfindliche Beſchaͤdigung; und als die 
Burgunder nach dem letztern Gefechte die fliehenden Grie— 
chen mit großer Haſt bis an das Thor verfolgten: ſo 
wurden fie mit gewaltigem Steinregen empfangen s), 
und dem Ritter Wilhelm von Chamlite, welcher mit den 
Burgundern auf unvorſichtige Weiſe vorgedrungen war, 
wurde ein Arm zerſchmettert. Nicht leicht verging ein 
Tag ohne blutigen Kampf. Den Kreuzfahrern wurde die— 
ſer faſt ununterbrochene Kampf um ſo laͤſtiger, als es 
ihnen an Lebensmitteln ſehr gebrach und unter den be— 
ſtaͤndigen Ausfaͤllen der Griechen es ihnen unmoͤglich war, 
aus dem umliegenden Lande Vorraͤthe zu holen; ſie hat— 
ten gar kein Mehl, ſehr wenig Salz und geſalzenes Fleiſch, 
und waͤhrend drey Wochen genoſſen ſie kein anderes fri— 
ſches Fleiſch, als das Fleiſch der in den Gefechten ge— 
toͤdteten Pferde “). 


91) Filius Ducis de Ducato, qui erat. Epist. Comitis de S. Paulo 


inter Constantinopolitanos fortior 
et pulchrior dicebatur. Epist, Co- 
mitis de St. Paulo I. c. 

92) Un jor faissaient li Borgueig- 
non la gait. Villeh. S. 64. 

93) Nicetas S. 350. 

94) Tunc quidam retentus est vir 
nobilissimus, potentia et in militia 
nobilior omnibus Constantinopoli- 
tanis, qui consiliarius Imperatoris 


V. Band. 


1. c. Villehardouin (a. a. O.) bes 
richtet das Nähere über die Gefans 
gennehmung des Conſtantinus Lass 
karis. 


95) Villehard. a. a. O. Der Ber 
ſchädigung, welche die Kreuzfahrer 
durch Steinwürfe erfuhren, erwähnt 
Nicetas S. 380 im Allgemeinen. 


96) Villehard. S. 63. 


P 


lagerung. 


226 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


Daß die griechiſchen Truppen im Anfange der Bela— 
gerung mit ſolcher Entſchloſſenheit und Beharrlichkeit 
wider die Belagerer ſtritten, dieſes war das Werk der 
Verwandten des Kaiſers Alexius, beſonders ſeines Eidams 
Theodorus Laskaris, welche ihre Ehre darein ſetzten, den 
Kreuzfahrern zu beweiſen, daß von dem byzantiniſchen Heere 
nicht alle Kraft und Tapferkeit gewichen waͤre. Der 
Kaiſer Alexius aber nahm an der Vertheidigung ſeiner 
Hauptſtadt keinen andern Antheil, als daß er von der 
Höhe des Palaſtes der Kaiſerin Irene?) die Gefechte 
anſchaute, ſchon damals, wie der griechiſche Geſchicht— 
ſchreiber Nicetas verſichert, zu baldiger Flucht ent— 
ſchloſſen “ ). 

Die Kreuzfahrer aber ſehnten ſich wegen des mit 
jedem Tage in ihrem Lager ſteigenden Mangels an Le— 
bensmitteln nach ſchneller Entſcheidung; denn in ihrer Lage 
war ihnen nichts verderblicher, als eine langwierige Bes 
In der Fruͤhe des Morgens vom ſiebzehnten 
des Julius ruͤſteten ſich Heer und Flotte zum allgemeinen 
Sturme ??). Der Markgraf Bonifaz mit feiner Schlacht— 


97) Osarıjs rov aq ονανν e 
Into, rods Umeguwnkovs do uwovs 
avıov, o rs & AV uv de- 
oroivns zın)monovro, Nicetas a. a. 
O. Dieſe oͤbomrove war wohl keine 
andere als Irene, die Gemahlin des 
Kaiſers Manuel, Tochter des Grafen 
Beringer von Sulzbach, welche vor 
ihrer Vermählung Gertraude hieß. 
S. Otton. Frising. Chron. lib. VII. 
28. Guil. Tyr. XVI. 23. Vgl. Tol- 
neri histor. palat. cap, 2. p. 65. 
Den Theodorus Laskaris bezeichnet 
Villehardouin (S. 129) alſo: un 
Grieu que on appelloit Toldre Las- 


cre et avoit la fille “ Empereor à 
fame. 

98) Nicetas a. a. O. 

99) Den Monatstag dieſes allgemei— 
nen Sturms giebt Nicetas an; der 
17. Julius aber war ein Donnerſtag, 
und es ſtimmt alſo mit dieſer Angabe 
des Nicetas auch die Angabe des Ville: 
hardouin (S. 65): Un ioesdi maitin 


ku lor assauls atornez et les eschie- 


les. Die Belagerung hatte nach Bils 
lehardouin ſchon faſt zehn Tage (prés 
de dix iors) gedauert, nämlich vom 
7. Julius an. Nach dem Briefe des 
Grafen von St. Paul geſchah dieſer 
Sturm an einem Mittwoch, und die 


Belagerung von Conſtantinopel. 


ordnung, ſo wie Matthias von Montmorency mit den 
Scharen aus Burgund und Champagne, an welchen die 
Reihe der taͤglichen Wache war, uͤbernahmen die Be— 
ſchuͤtzung des Lagers an der dem flachen Lande zuge— 
wandten Seite ); die übrigen vier Schlachtordnungen 
ſtuͤrmten wider die Mauer, und es gelang einigen Rittern 
und zwey Knappen, zwey Sturmleitern an die Vormauer 
nahe dem Ufer des Meerbuſens zu bringen, die Mauer 
zu erſteigen und Paniere und Fahnen des Kreuzes auf— 
zupflanzen n). Da aber nicht mehr als im Ganzen 
funfzehn Ritter und Knappen die Hoͤhe der Mauer erreich— 
ten, ſo vermochten dieſe wenigen Maͤnner gegen die Ver— 
theidiger der Mauer an dieſer Seite, Daͤnen und Eng— 
länder 2) in großer Zahl, welche bald noch durch andre 
Truppen verſtaͤrkt wurden, nicht, ſich zu halten, als es 
zum Handgemenge kam mit Schwertern und Streitaͤxten; 
ſondern ſie waren genoͤthigt, ſich zuruͤckzuziehen mit Zu— 
ruͤcklaſſung zweyer Gefangenen; dieſe wurden fogleich zum 


Belagerung dauerte, nach der Erzäh⸗ 
lung ſowohl dieſes Briefes als des 
von Arnold von Lübeck (Lib. VI. 19) 
mitgetheilten Schreibens der Kreuz— 
fahrer, im Ganzen nur acht Tage. 

100) So berichtet Villehardouin. Der 
Graf von St. Paul behauptet in fei: 
nem Briefe, daß er nebſt dem Mar: 
ſchall der Champagne (Marscalcus 
Campanicus de sancto Tyrone) und 
Matthias von Montmorency die Be— 
wachung des Lagers beſorgt habe. 

101) Villehardouin und Epistola 
Comitis de S. Paulo a. a. O. 

102) Et li murs fu mult garnis 
d' Anglois et de Danois. Villehard. 
a. a. O. Auch Nicetas erwähnt (S. 


361) der meistupoguw Bapßagnv, 


(Englois et Danois à totes haches 
bey Villeh. S. 72), welche damals im 
Heere des Kaiſers von Byzanz dien⸗ 
ten und nebſt den piſaniſchen Söld— 
lingen dieſen Theil der Mauer ver— 
theidigten. Ueber die däniſchen und 
engliſchen Söldtinge im Heere des by: 
zantiniſchen Kaiſers vgL, Ducange zu 
Villehard. S. 206 — 299. Es ift merk: 
würdig, daß in den verſchiedenen Ber 
richten über dieſe Belagerung durch— 
aus keine Erwähnung des griechiſchen 
Feuers vorkommt; obwohl Herr Mi: 
chaud (Hist. des Crois, ed. 4. T. III. 
P. 181 folg.) nicht unterläßt, zu erzäh⸗ 
len, daß von dem feu gregeois die 
gehörige Anwendung gemacht wor: 
den ſey. 
P2 


27 


J. Chr. 
1203. 


228 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VIII. 


J. Chr. 
1203. 


Kaiſer Alexius gefuͤhrt, welchen der Anblick der gefange— 
nen Kreuzfahrer mit großer Freude erfuͤllte. An einem 
andern Orte warfen die Untergraͤber einen Thurm nieder, 
und eine Schar der Kreuzfahrer drang ſtuͤrmend ein in die 
durch den Fall des Thurmes entſtandene Oeffnung, erfuhr 
aber von den piſaniſchen und andern Soͤldlingen des Kai— 
ſers Alexius einen ſo heftigen Widerſtand, daß ſie eben— 
falls gezwungen wurde, zuruͤckzuweichen n). Gluͤcklicher 
waren die Venetianer, welche von den hohen Geruͤſten ihrer 
Schiffe, erhaben ſelbſt uͤber die Hoͤhe der Mauer, ihre 
Geſchoſſe gegen die griechiſchen Truppen mit großer Wirk— 
ſamkeit ſchleuderten ). Der Doge Heinrich Dandulo 
hatte Preiſe ausgeſetzt fuͤr diejenigen, welche zuerſt die 
Mauer beſteigen würden **); aber noch mehr als dieſe 
Belohnungen wirkte ſein eignes Beyſpiel, und ungeachtet 
ſeines hohen Alters und ſeiner Blindheit fuͤhrte er ſelbſt 
feine Krieger zur Landung und zum Sturme *). In 
voͤlliger Ruͤſtung ſtand er auf dem Vordertheile ſeines 
Schiffes, vor ihm wurde das Panier des heiligen Marcus 
getragen, und mit lauter Stimme gebot er unter Andro— 
hung ſchwerer Strafe ſeinen Leuten, das Schiff an das 
Ufer zu bringen. Als das Panier des heiligen Marcus 


103) Villehard. S. 66. Des nieder⸗ 
geworfenen Thurmes erwähnt nur der 
Brief des Grafen von St. Paul. 
Nach Nicetas (S. 351) wurde ein 
Theil der Mauer, welcher nach dem 
Meere ſich erſtreckte, an dem Orte, 
welcher Aroßadga Bacıkus (d. i. 
kaiſerliche Stiege) hieß, durch Mauer⸗ 
brecher (2 ) niedergeworfen. Nach 
der Erzählung des Mönches Alberik 
(ad a, 120): Nostri in littore castra 
posuerunt, minatores quoque mu- 


rum suffoderunt, de quo pars magna 
eecidit, et nostri, aditu patefacto, 
urbem intraverunt. 

104) Nicetas S. 351. 

105) Fr. von Raumer Geſch. der 
Hohenſtaufen Th. 3. S. 214 nach der 
handſchriftlichen venetianiſchen Chro— 
nik des Martino da Canale. 

106) Or porroiz oire (d. i. entendre) 
grande proesie. Alſo beginnt Ville⸗ 
hardouin (S. 67) ſeine Erzählung 
dieſes tapfern Benehmens des Dogen. 


Belagerung von Conſtantinopel. 229 


am Ufer geſehen wurde, fo folgten die übrigen Schiffe Fr 
mit großer Haſt. Die griechiſchen Truppen, ſchon ge— 
ſchreckt durch die moͤrderiſchen Geſchoſſe der Venetianer, 
wagten keinen Widerſtand, und die Venetianer bemaͤchtig⸗ 
ten ſich ohne Muͤhe der Mauer des Theils der Stadt, 
welcher damals Petrium genannt wurde, und beſetzten fünf 
und zwanzig Thuͤrme ). Die Kreuzfahrer, unmuthig 
uͤber das Mißlingen ihres Angriffes, wurden uͤberraſcht 
durch die Nachricht, welche ein venetianiſches Boot uͤber— 
brachte, daß ein Theil der Stadt in der Gewalt des Do— 
gen waͤre; und bald darauf wurden ſie erfreut durch das 
ihnen hoͤchſt willkommene Geſchenk von Pferden, welche 
die Venetianer in der Stadt erbeutet hatten und ihnen 
uͤberſandten. Die griechiſchen Truppen ſammelten ſich 
zwar wieder und zogen heran in ſtarker Zahl, um die 
Venetianer wieder aus dem Beſitze der genommenen 
Thuͤrme zu vertreiben; dieſe ſchuͤtzten ſich aber dadurch 
gegen jeden Angriff, daß ſie den Theil der Stadt, welcher 
zwiſchen ihnen und den Griechen lag, anzuͤndeten. Da 
das Feuer ſich ſchnell verbreitete, vom Huͤgel der Blacher— 
nen bis zum Kloſter Chriſti des Wohlthaͤters s) alle 
Gebaͤude in Flammen ſtanden, und der Wind Flammen 
und Rauch nach dem Innern der Stadt trieb: ſo war es 


107) Alſo Villehardouin; nach dem 
Brlefe des Grafen von St. Paul drey⸗ 
ßig Thürme. Vgl. Nicetas a. a. O. 
Veneti, ſagt der Mönch Albericus 
(ad a. 1202), urbem dimidia leuca 
intraverunt et multos equos lucrati 
sunt, de quibus Dux Venetiae misit 
Comiti Flandriae ducentos, 


108) IIgös ariv uovyv ẽ,⅛( Ni- 


ron, „Der Schwung der Flamme, 


febt Nicetas hinzu, erhob ſich über 
das ſogenannte Deuteron.“ Ueber die 
Lage des Kloſters Chriſti des Wohl⸗ 
thäters ſ. Ducange Constantinopolis 
Christ. Lib. IV. im Anfange. Dieſer 
Feuersbrunſt erwähnen auch die Chro-” 
nologia Hoberti Altissiodor. (im 
Recueil des historiens des Gaules et 
de la France T. XVIII. p. 267) und 
Hugo Plagon S. 664. 


230 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


9. ehr. den Griechen unmöglich, vorzudringen, und die Venetlaner 
blieben im Beſitze der eroberten Thuͤrme. 


In dieſer Lage der Dinge und als im Volke und in 
dem Heere der Unwille laut wurde uͤber den unwuͤrdigen 
Kaiſer, welcher die ſchoͤnſte und feſteſte Stadt der Erde 
einem kleinen Haͤuflein von Fremdlingen zur Verwuͤſtung 
preisgab, nahm endlich der Kaiſer Alexius den Schein 
an, als ob er geſonnen waͤre, ſeinen Thron und ſeine 
Hauptſtadt zu vertheidigen **). Er rief feine Scharen 
zu Fuß und zu Pferde zu den Waffen, ließ ſie in dichten 
Haufen aus mehrern nicht belagerten Thoren der Land— 
ſeite ausruͤcken und ordnete ſein Heer am Thore des 
heiligen Romanus **°), in der Entfernung einer Stunde 
von dem Lager der Kreuzfahrer, zur Schlacht. 


Die Kreuzfahrer hielten es nicht fuͤr rathſam, den 
Kampf in offenem Felde mit einer ſo uͤberlegenen Zahl, 
welche das ganze Land bedeckte, ſo weit der Blick reichte, 
anzunehmen, ſondern beſchraͤnkten ſich auf Vertheidigung. 
Sobald die beyden Scharen des Grafen Balduin von 
Flandern und der Ritter Matthias von Valincourt und 
Balduin von Beauvoir, an welche die Reihe der Wache 


109) „Die Einwohner von Conſtan⸗ 
tinopel kamen zum Kaiſer und fpra: 
chen: Gnädigſter Herr (Sire), wenn 
du uns nicht befreyſt von dieſen Hun- 
den, welche uns belagern: fo überge— 
ben wir ihnen die Stadt. Hierauf 
antwortete der Kaiſer, daß er ſie ſchon 
befreyen würde.“ Hugo Plagon S. 
664. Auch Nicetas berichtet, daß der 
Kaiſer Alexius durch die heftigen Bor: 
würfe, welche ihm wegen ſeiner Un⸗ 
thätigkeit gemacht wurden, endlich ſich 
bewegen ließ, an die Spitze feiner 
Truppen ſich zu ſtellen. 


110) Par une porte que on ap- 
pele porte Romaine, a un mille pres 
de la ou li Latins estoient herber- 
gies. Hugo Plagon a. a. O. Par 
autre portes, bien loin d'une lieue 
de lost. Villeh. S. 68 Das Thor 
des heiligen Romanus trug ſeinen 
Namen nach einer gleichnamigen, von 
der Kaiſerin Helena gebauten Kirche. 
Vgl. Ducange Constantinop. Christ. 
Lib. IV. 87. 


Belagerung von Conſtantinopel. 231 


übergegangen war **), meldeten, daß die Griechen in? 
gewaltiger Zahl herankaͤmen: ſo ſtellten ſich ſaͤmmtliche 
ſechs Schlachtordnungen des Pilgerheeres auf vor den 
Schranken des Lagers, um im Ruͤcken gedeckt zu ſeyn; 
die Knappen und Knechte zu Fuß erhielten ihren Platz 
hinter den Roſſen der Ritter, die Armbruſtſchuͤtzen vor 
denſelben, und eine eigene Schar wurde gebildet aus etwa 
zweyhundert Rittern, welche ihre Pferde verloren hatten. 
In ſolcher Stellung erwarteten die Kreuzfahrer den An— 
griff nicht ohne Aengſtlichkeit. Denn die Griechen, ſagt 
Villehardouin, hatten wohl ſechszig Schlachtordnungen, 
und jede derſelben war groͤßer als eine von unſern ſechs 


Schlachtordnungen **. 


Das griechiſche Heer kam zwar in ſtattlicher Haltung 


und mit gemaͤßigtem Schritte den Schlachtordnungen der. 


111) Aus dem Ausdrucke des Ville⸗ 
bardouin (S. 69): Cel ior faisoit 
Henri le frere le Conte Baudoin de 
Flandres et de Hennaut la gait etc., 
könnte man ſchließen, daß der von dem 
Kaiſer Alexius ſelbſt geleitete Ausfall 
erſt am folgenden Tage Statt fand; 
aus der Erzählung aber, des Wis 
cetas ſowohl als des Grafen von 
St. Paul, geht hervor, daß der Kai: 
ſer den Ausfall noch an demſelben 
Tage unternahm, an welchem die 
Kreuzfahrer waren zurückgeſchlagen 
worden, und die Venetlaner das 
Quartier Petrium eroberten. 

112) Villehardouin S. 69. Et scia- 
tis, ſchreibt der Graf von St. Paul, 
quod non fuimus in toto exercitu 
plures quam quingenti milites et 
totidem equites, sarjantos non ha- 
buimus plures quam duo millia pe- 
ditum; major enim paıs statuebatur 
ad ingenia nostra conservanda. Die 


Chronik des Andreas Dandulo (S. 
322) behauptet, daß außer einer un⸗ 
zählbaren Menge von Fußvolk das 
Heer, mit welchem der Kaiſer Alexius 
dieſen Ausfall machte, dreyßig tau⸗ 
ſend zu Pferde zählte; die Chronolo- 
gia Roberti Altissiodorensis giebt 
ſechszig tauſend zu Pferde an, außer 
einer unendlichen Menge von Fußvolk. 
Nach der Chronik des Mönches Albe— 
vicus, welche über dieſen Ausfall 
ſehr ungenaue Nachrichten überliefert 
(ad a. 1203), beitaud das Heer des 
Kaiſers aus acht Schlachtordnungen, 
jede zu vier tauſend Streitern, und dle 
Anführer dieſer Schlachtordnungen 
waren: Ii Vernas (d. i. Theodorus 
Branas), qui uxorem Regis Philippi 
sororem (nämlich die ehemalige Kai: 
ſerin Agnes) habebat, Morculfus 
Boterans, Petrus de Navarris, Con- 
stantinus (Lascaris ?), Acharius Sy- 
nagon et Samson patriarcha. 


Chr. 


1205. 


J. Chr. 
1203. 


232 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. VIII. 


Kreuzfahrer fo nahe, daß Pfeilſchuͤſſe gewechſelt wurden; 
zum Handgemenge aber kam es nicht. Denn Alexius hatte 
weder ſelbſt Luft, den Kampf zu wagen, noch wollte er die 
Ehre einer Waffenthat feinem kampfluſtigen Eidam Theo⸗ 
dorus Laskaris gönnen *). Die Kreuzfahrer wurden 
indeß, waͤhrend beyde Heere unthaͤtig einander gegenuͤber 
ſtanden, durch die Ankunft der Venetianer verſtaͤrkt; denn 
ſobald der Doge von Venedig erfuhr, daß das Heer der 
Kreuzfahrer von den Griechen bedraͤngt wuͤrde: fo verließ 
er die von ihm beſetzten Thuͤrme der Mauer von Conſtan— 
tinopel, begab ſich eiligſt mit ſeinen Leuten nach dem Orte, 
wo die Gefahr drohte, und ſchloß ſich den Pilgern an, 
um jede Gefahr mit ihnen zu theilen ***). Die Kreuz— 
fahrer aber verließen ungeachtet dieſer Verſtaͤrkung nicht 
die angenommene Stellung. Erſt, als der Kaiſer mit 
feinen zahlreichen Scharen den Nückzug antrat, rückten 
ſie in gemaͤßigtem Schritte vor, mit großer Vorſicht den 
Feind verfolgend und ihrem Lager ſo nahe ſich haltend, 
daß ſie ſchleunige Huͤlfe leiſten konnten, wenn ihre Bela— 
gerungsmaſchinen durch die Feinde bedroht werden ſollten. 
Das griechiſche Heer aber nahm ſeinen Ruͤckzug nach dem 
kaiſerlichen Jagdſchloſſe in dem vor der Stadt gelegenen 
Luſthaine, dem Philopation **, und gewann von dort 


113) Nicetas S. 351. 52. 

114) Et quant ce oi (entendit) Ii 
Dux de Venise, si fist ses gens re- 
traire et guerpir les toxs que il avoi- 
ent conquises, et dist que il vo- 
loit vivre ou morir avec les Pele- 
zins, Villeh. S. 70. Sehr verwirrt, 
unvollſtändig und unklar iſt die Er⸗ 
zählung des Andreas Dandulo (a. a. 
O.) von dieſen Begebenheiten. 

115) A un Palais qui ere appellez 


au Philopaz, Villeh. a. a. O. Den 
Namen Philopation führten zwey Be⸗ 
luſtigungsörter von Conſtantinopel; 
das eine (TO Zvros Qılonarıov) 
war innerhalb der Stadt bey dem Pas 
laſte und Kloſter Mangana, unfern 
von der Akropolis; das andre, wel 
ches hier gemeint wird (TO Zxros 
gılorarıov), lag außerhalb der 
Stadt, unfern von dem goldenen 


Ereigniſſe in Conſtantinopel. 233 


wieder die Stadt. Die Kreuzfahrer waren froh, daß Wahr 
die Gefahr voruͤbergegangen war, legten ermattet von 
der Anſtrengung des Tages ihre Waffen ab, erquickten ſich, 
ſo gut ſie es bey dem Mangel, welcher im Lager herrſchte, 
vermochten, mit Speiſe und Trank *), und erwarteten 
nicht ohne Beſorgniß wegen noch groͤßerer Gefahr den 
kommenden Tag **). 

Auch dieſe Beſorgniß wurde auf eine den Kreuzfah' ze. Sur. 
rern hoͤchſt unerwartete Weiſe gehoben. Das Heer wurde 
am andern Tage nicht zu den Waffen gerufen, wie alle 
erwartet hatten, ſondern noch ehe es tagte, wurden die 
Barone zur Verſammlung in das Zelt des Markgrafen 
Bonifaz beſchieden; und dort vernahmen ſie aus dem 
Munde des Prinzen Alexius die ihm durch Botſchafter 
aus der Stadt uͤberbrachte Kunde, daß der Kaiſer Alexius 
in der verwichenen Nacht mit ſeiner Tochter Irene und 
ſo vielen Schaͤtzen, als er hatte mitnehmen koͤnnen 118), 


Thore, alſo nahe der Küfte der Pros 
pontis. Vgl. Ducange zu Villehard. 
S. 299. 300. 


118) Der Kaiſer Alexius war um 
die Zeit der erſten Nachtwache mit 
zehn Zentnern Goldes und vielem kai— 


116) Et sachiez qu'il ni ot si har - 
di qui n'aust grant ioie .. Et 
cil de Lost allerent a lor herber- 
ges, si se desarmerent qui ere mult 
las et travaillie, et poi (peu) man- 
gierent et poi burent, cor poiavoi- 
ent de viande (d. i. vivanda oder 
vivenda, Lebensmittel.) Villehard. 
a. a. O. 

117) Nach der Erzählung ſowohl 
des Grafen von St. Paul als der 
Chronik des Andreas Dandulo (a. a. 
O.) erklärte der Kaiſer, als er am 
Abende dieſes Tages in ſeinen Pa— 
laſt zurückkehrte, daß er am folgen: 
den Tage den Kreuzfahrern eine 
Schlacht zu liefern gedächte. 


ſerlichen Schmucke von Edelſteinen 
und Perlen nach Debeltum (SsBsArov 
d. i. Zagora in Bulgarien) entflohen, 
wo alles zu ſeiner weitern Flucht 
ſchon vorbereitet war. Nicetas S. 332. 
333. Als dies bekannt wurde, ſo ver— 
ſammelte der Verſchnittene Conſtantl⸗ 
nus, welcher kaiſerlicher Schatzmeiſter 
war, die fremden Söldlinge ( rovs 


mwehenupogovs) und trug ihnen die 
Lage der Sachen vor; und da auch dle 
Partey derer, welche ſchon feit län— 
gerer Zeit die Wiedereinfegung des 
Kaiſers Iſaak wünſchten, einverſtan⸗ 
den war: fo wurde die Kaiſerin Eur 
phroſyne mit ihrer ganzen Verwandt: 


234 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 


Jer feine Gemahlin Euphroſyne und feine übrigen Kinder ihrem 


1203. 


Schickſale preisgebend, heimlich aus der Stadt entflohen 
wäre; der geblendete Kalfer Iſaak aber mit ſeiner Ge— 
mahlin Margarethe, des Koͤnigs von Ungarn Schweſter, 
im Palaſte der Blachernen, mit kaiſerlichem Schmucke ans 
gethan und auf dem kaiſerlichen Throne ſitzend, aufs neue 
die Huldigung ſeines Volks empfangen haͤtte. Dieſe 
Nachricht erweckte im ganzen Lager die groͤßte Freude, und 
die Pilger erkannten mit dankbarem Sinne auch in dieſer 
unerwarteten Rettung aus einer Lage, welche ihnen ſehr 
bedenklich vorgekommen war, einen unzweydeutigen Bes 
weis der goͤttlichen Gnade, welche ſie gegen Untergang 
und Verderben ſchirmte und ihre Schickſale auf ſo wun— 
derbare Weiſe lenkte *). Gleichwohl waffnete ſich das 
ganze Heer, nachdem es Tag geworden war; denn man 
traute den Griechen nicht und argwoͤhnte Hinterliſt. Bald 
aber beſtaͤtigten andere Botſchafter, welche aus der Stadt 
an den Prinzen Alexius ſowohl als an die Barone ge— 
ſandt wurden *), die Wahrheit der früher gebrachten 


ſchaft gefangen genommen, und Iſaak 
zum Kaiſer ausgerufen. Nicetas S. 
354. Nach der Erzählung des Mönches 
Alberik belud der Kaiſer Alexius zehn 


pferde mit Gold und Edelſteinen, in 


der Abſicht, damit zum Sultan von 
Iconium zu fliehen. 

119) Et por ce puet on bien dire, 
que Diex vielt aidier, nuls home 
ne li puet nuire. Villeh. S. 73. 74. 
Aehnliche Betrachtungen ſtellt auch der 
Graf Balduin von Flandern und Hen— 
negau an, in dem von Arnold von 
Lübeck (Lib. VI. 20. p. 723) mitge⸗ 
theilten Briefe. Denſelben Brief rich: 


tete Balduin an den Papſt Inno- 


cenz III., und er findet ſich daher auch, 


und zwar vollſtändiger, unter den 
Briefen dieſes Papſtes. Epist. In- 
noc. III. Lib. VII. 132. ed. Bre- 
quigny et Laporte du Theil T. II. 
p. 570 sd. Er ſteht auch in Gode- 
fridi Monachi annalibus p. 371-374, 
und in Auberti Miraci operibus 
diplomaticis, T. I. p. 110. 


120) Villeh. S. 74. Nicetas S. 384. 
Auch die Erleuchtung des Blachernen— 
palaſtes beſtätigte den Pilgern die 
Wahrheit der ihnen gebrachten Nach: 
richt: Imsperatam laetitiam copiosa 
in palatio luminaria protestantur. 
Epist. Crucesignatorum ap. Arnold, 
Lubec. p. 721, 


Vertrag mit dem Kaiſer Iſaak. 235 


Nachricht; worauf in dem Kriegsrathe der Führer des eg. 


Pilgerheeres der Beſchluß gefaßt wurde, Geſandte an den 
Kaiſer Iſaak abzufertigen und durch dieſelben den Zuſtand 
der Dinge in Conſtantinopel erforſchen und dem Kaiſer 
erklaͤren zu laſſen, daß entweder von ihm der von dem 
Prinzen Alexius geſchloſſene und geſchworene Vertrag ans 
erkannt und vollzogen werden müßte, oder fie den Prin⸗ 
zen nicht aus ihrem Lager entlaffen würden ***). 


Zu dieſer Geſandtſchaft wurden von Seiten der Bar 
rone die Ritter Matthias von Montmorency und Gott— 
fried Villehardouin, und von Seiten der Venetianer 
ebenfalls zwey angeſehene Maͤnner erwaͤhlt; dieſe ritten 
an das Thor der Blachernen, ſtiegen, als ſie eingelaſſen 
wurden, von ihren Roſſen, gingen zu Fuß durch eine 
doppelte Reihe von daͤniſchen und engliſchen mit Beilen 
bewaffneten Soͤldnern, welche in den Straßen aufgeſtellt 
waren, zu dem nahe gelegenen kaiſerlichen Palaſte und 
fanden in demſelben den geblendeten Kaiſer und ſeine Ge— 
mahlin, Beyde angethan mit der koſtbarſten Kleidung und 
umgeben von einer glaͤnzenden und zahlreichen Verſamm— 
lung reich gekleideter und geſchmuͤckter Hoͤflinge 22). Als 
die Geſandten nach einem ſehr ehrenvollen Empfange dem 
Kaiſer gemeldet hatten, daß ſie ihm im Namen ſeines 
Sohnes, des Dogen von Venedig und der Barone des 
Pilgerheeres eine Botſchaft zu uͤberbringen haͤtten: ſo be— 
gab ſich der Kaiſer Iſaak mit feiner Gemahlin, feinem 
Kammerherrn 123), einem Dolmetſcher und den vier 


121) Villehard. S. 74, und ganz este le jor devant contre lui, estoi- 
übereinſtimmend Nicetas a. a. O. ent cel ior tost A sa volonte. 

122) Villehardouin (S. 75), indem 123) Son Chambrier (Villehard. 
er dies berichtet, macht dazu die Be: S. 73); entweder dem mαπονννπõν,/A m 
merkung: Et tuit cil qui avoient AHEVos Tov Puoıhınov Aννο 


J. Chr. 
1203. 


236 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. | 


Botſchaftern in ein Seitengemach. Dort nahm der Mars 
ſchall Villehardouin im Namen der uͤbrigen Botſchafter 
das Wort und ſprach: Ihr ſehet, gnaͤdigſter Herr, wie 
wichtigen Dienſt wir euerem Sohne geleiſtet, und wie wir 
unſer ihm gegebenes Wort geloͤſt haben; nunmehr aber 
kann er nicht eher zu euch kommen, als wenn auch er 
von ſeiner Seite die von ihm uͤbernommenen Verbind— 
lichkeiten erfuͤllt haben wird. Darum entbietet er, als 
ein gehorfamer Sohn, euch, feinem Vater, durch uns, 
daß ihr die Bedingungen des von ihm mit dem Dogen 
von Venedig und den Baronen des Pilgerheeres aufge— 
richteten Vertrags ſeinem ganzen Inhalte nach genehmigen 
moͤget. Hierauf berichtete Villehardouin dem Kaiſer, auf 
deſſen Aufforderung, die Bedingungen des zu Venedig 
verabredeten, von dem Kalſer Philipp, des Kaiſers Iſaak 


Schwiegerſohn, genehmigten und von dem Prinzen Alexius 


zu Zara bekraͤftigten Vertrags. Das ſind ſchlimme Be— 
dingungen, erwiederte der Kaiſer Iſaak, und ich ſehe nicht, 
wie ſie erfuͤllt werden moͤgen; doch ihr habt mir und 
meinem Sohne ſo große Dienſte geleiſtet, daß ihr es wohl 
verdient haͤttet, ob wir auch das ganze Reich euch 


gaͤben 22). Nach einigen Bedenklichkeiten ſtellte Iſaak 


eine Urkunde aus, in welcher er eidlich gelobte, die von 
ſeinem Sohne Alexius gegebenen Verheißungen zu erfuͤl— 
len; und die Botſchafter brachten dieſe Urkunde, an wel⸗ 


cher an einem ſeidenen Faden und in einer goldenen 


Kapſel das kaiſerliche Siegel hing), froh und vergnuͤgt 


(d. i. dem Oberkammerherrn), oder 124) Villehard. S. 73. 74. 


dem mgoxadrjusvos v Baoıkızov 
125) Chartres pendanz, bullées 


dor. Villeh. S. 74 


z0ıTWvoS (d. i. dem erſten Kammer⸗ 
herrn). S. Ducange zu Villehard. 
S. 301, 


Ereigniſſe in Conſtantinopel. 237 
uͤber die gelungene Ausrichtung ihres Auftrags, in das Ng“ 
Lager der Pilger. 


Nachdem der Kaiſer Iſaak auf ſolche Weiſe bewilligt 
hatte, was von ihm war gefordert worden: ſo ſaͤumten 
die Grafen und Barone des Pilgerheeres nicht laͤnger, den 
Prinzen Alexius in die Stadt zu geleiten; fie waren Zeus 
gen der herzlichen Freude, mit welcher der Sohn von 
dem ungluͤcklichen Vater empfangen wurde, und beobach- — 
teten mit Wohlgefallen die Aeußerungen der Zufriedenheit 
des Volks 2), welches mehr Urſache hatte, ſich zu freuen 
uͤber die Abwendung der Gefahren und Beſchwerlichkeiten 
einer laͤngeren Belagerung, als es ſich veranlaßt ſehen 
konnte, die Wiedereinſetzung des Kaiſers Iſaak als ein 
beſonders erfreuliches Ereigniß zu betrachten. N 


In der frohen und heitern Stimmung, in welche 
die Bereitwilligkeit des Kaiſers Iſaak, die von ſeinem 
Sohne Alexius zugeſtandenen Bedingungen als bindend 
fuͤr ſich anzuerkennen, die Grafen und Barone des Pil— 
gerheeres gebracht hatte, gaben ſie gern Gehoͤr dem An— 
trage, welchen der Kaiſer am folgenden Tage ihnen machen 19. Jul. 
ließ, daß ſie, um Streitigkeiten mit dem Volke der Haupt— 
ſtadt zu vermeiden, mit ihrem Heere auf das jenſeitige 


Ufer des Meerbuſens ſich begeben moͤchten. 


126) La ioie del pere et del ſil fu 
mult grant que il ne s' estoient 
piega (d. ic ſeit langer Zeit) veu 
Ensi fu la ioie mult grant dedenz 
Constantinople et en Post defors 
des Pelerins. Villehard. S. 75. Der 
Dag, an welchem der Friede zwiſchen 
den Pilgern und den Griechen ge— 
ſchloſſen wurde, wird in der Chrono- 
logia Roberti Altissiodorensis (p.268) 
alſo angegeben; Mane facto, die 


Die Pilger 


obsidionis nono, XV. Kal. Augusti 
(d. i. 18. Julius, einem Freytage) 
civitas aperitur. Die Barone, welche 
den Prinzen Alexius in die Stadt ges 
leiteten, ſpeiſten an dieſem Tage mit 
dem Kaiſer Iſaak, deſſen Gemahlin 
und Sohne; manducavimus cum eis 
cum magnis exultationibus et ho- 
nore solemni. Epist, Comitis de 
St. Paulo p. 371. 


238 Geſch. d. Kreuzz. Buch VI. Kap. VIII. Ereign. in Conſtant. 


Jer fühlten ſelbſt die Zweckmaͤßigkeit dieſes Antrages, und 


ohne Widerrede errichteten fie daher ſchon in den naͤch— 
ſten Tagen, nach der Wiederherſtellung des Friedens zwi— 
ſchen ihnen und den Griechen, ihr Lager am jenſeitigen 


ui ). 


427) D'autre part del port, devers 
le Stanor. Villeh. S. 75. Nos, ne 
discordiae inter nos et Graecos fo- 
mitem ministraret moribus nostris 
adversa barbaries, de civitate exeun- 
tes (d. i. fie entfernten fich von der 
Hauptſtadt), ex adverso civitatis, 
interjacente ponto (d. i. dem Meer⸗ 
buſen Chryſokeras), ad preces Impe- 
Yatoris castra posuimus. Epist. Bal - 
duini I. c. Unrichtig erzählt Albe- 
ricus (ad a. 1202): Nostri passim 
hospitia acceperunt in urbe, Die 


IIegala bildete übrigens damals 


nur Eine Vorſtadt, und Galata und 
Pera wurden nicht unterſchieden. Vgl. 
Sof. von Hammer Conſtantinopolis 
und der Bosporos, Th. II. S. 78. 
Nach der Erzählung des Hugo Pla— 
gon (continuata historia belli sacri 
P. 664. 665.) wurden die Unterhand⸗ 
lungen mit den Pilgern wegen Ver— 
legung ihres Lagers nach Pera durch 
Alextus Ducas Murzuflos geführt, 
welchen die Kreuzfahrer ſelbſt zum Re— 
genten und Vormund des jungen 
Kaiſers (baillif de la terre et de 
enfant) eingeſetzt hatten. 


/ 


Die Kreuzfahrer im Lager bey Pera. 239 


Neuntes Kapitel. 


4. 


Di Pilger brachten in ihrem Lager am jenfeltigen Ufer 3. Eur. 
des Hafens von Conſtantinopel mehrere Wochen auf fehr 
angenehme Weiſe zu. Die Kaiſer ließen ihnen Lebens; 
mittel der beſten Art und in großer Fuͤlle liefern, welche 
nach ſo langen und peinlichen Entbehrungen die Pilger 
um fo mehr erquickten ). Das Einverſtaͤndniß zwiſchen 
ihnen und den Griechen wurde durch keinen Streit ge— 
ſtoͤrt. So wie die Griechen vertraulich in das Lager der 
Pilger kamen und Waaren aller Art ihnen zum Kaufe 
boten: ſo kamen auch die Pilger haͤufig in die Stadt, 
bewunderten deren herrliche Palaͤſte und die unermeßlichen 
in dieſer uͤppigen Stadt gehaͤuften Reichthuͤmer und 
Schaͤtze, beſuchten mit Andacht ihre vielen praͤchtigen Kir— 
chen und Kloͤſter und erbauten ſich an dem Anblicke der 
in denſelben aufbewahrten Heiligthuͤmer und Reliquien. 
Denn von Reliquien, koſtbaren kirchlichen Geraͤthen und 
andern Gegenſtaͤnden andaͤchtiger Verehrung beſaß Con— 
ſtantinopel damals eben ſoviel, als die ganze uͤbrige 
1) Villehard. S. 75. 76. Epist. Cru» fles) lor envoya formant et vin et 


cesignatorum apud Arnold. Lubec. char A chascun ce qu'il estoit, 
Lib. VI. o. 19. Le baillif (Marco- Hugo Plagon S. 665. 


J. Chr. 


1203. 


1. Aug. 


240 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. IX. 


chriſtliche Welt zuſammengenommen 2). An dem kalſer⸗ 
lichen Hofe fanden die Grafen und Barone, ſo oft ſie 
dort erſchienen, ehrenvolle Aufnahme, der Kaiſer Iſaak 
bewirthete fie an feiner Tafel 3), vernahm gern ihren 
Rath und nannte ſie die Retter und Wohlthaͤter ſeines 
Hauſes ). Nicht ohne ihre Mitwirkung nahm der Kaiſer 
ſeinen Sohn Alexius zum Mitregenten an, und ſie wohnten 
der Kroͤnung deſſelben bey, welche am Feſte Petri Ketten— 
feyer in der Kirche der goͤttlichen Weisheit mit aller bey 
ſolchen Gelegenheiten am byzantiniſchen Hofe gewöhnlichen: 
Pracht vollzogen wurde ). In den Briefen, welche die 
Kreuzfahrer in ihre Heimath ſchrieben, ruͤhmten ſie es als 
die herrlichſte und glaͤnzendſte Belohnung ihrer Anſtren— 
gungen, daß nunmehr die morgenlaͤndiſche Kirche den 
Papſt als ihr Oberhaupt anerkannt haͤtte, und der Pa— 
triarch von Conſtantinopel, wie jeder andre Erzbiſchof, 
von dem apoſtoliſchen Vater fein Pallium nehmen wuͤrde ?). 

Die Kreuzfahrer uͤberließen ſich mit deſto groͤßerer 
Sicherheit jeder frohen Hoffnung, da die beyden Kaiſer 
Anſtalt trafen, wenigſtens in Hinſicht der verheißenen 


2) Villehard. S. 76. Nach dem 4) Evepyiraı dumõνꝓνοντ nal 0W- 
Mönche Albericus (ad a. 1202) hatte 2 N 
Tnoss. Nicetas ©. 354. 
Conſtantinopel (damals vier Meilen, 1 as 
miliaria, lang und 3 Meilen breit) 
fünfhundert Abteyen und Klofterfirs 
chen (ecolesias conventuales), 


5) A la feste Monseignor Saint 
Pierre entrant August. Villehard. 
S. 76. Vgl. Nicetas S. 384. Praeore 
dinatis, quae necessaria videbantur, 
ad ecclesiam S. Sophiae novus Im- 

3) Vgl. Cap. 8. Anm. 126. S. 237. perator cum solenni processione de · 
Nicetas S. 585. Oboͤs y ya S dο, ducitur, et exuli nostro sine con- 
ſetzt Nicetas hinzu, Egaoıyonuaru- tradictione imperiale restituitur dia- 
Tegov rodqs Tod ydvous (zov on cum W potestatis. 
3 . 5 Epist, Crucesignator. apud Arnold, 
Aorivav), Toszsösınvoregov TE ra 
(den Schmauſereyen nachrennender) 6) Epist. Comitis de 8. Paulo ap. 
u Öamavngörsgov [ovx] Ersgov. Godefr. Mon. p. 371. 


a. 241 


Geldzahlung, ihre Verbindlichkeiten zu erfuͤllen; und es 8g 
wurde in kurzer Zeit abſchlaͤglich von den verſprochenen 
zweyhundert tauſend Mark Silbers ſo, viel entrichtet, daß 
den einzelnen Kreuzfahrern zuruͤckgegeben werden konnte, 
was fie den Venetianern bezahlt hatten 7). Der junge 
Kalſer beſuchte oft die Grafen und Barone in ihrem Lager, 
hielt mit ihnen vertrauliche Geſpraͤche, nahm Theil an 
ihren Gelagen und Feſten und gab ihnen mancherley Bes 
weiſe ſeiner Zuneigung und Dankbarkeit; und die beyden 
Kaiſer zeigten ihren guten Willen auch dadurch, daß ſie 
Frieden ſtifteten zwiſchen den Venetianern und Piſanernz 
fo daß die Piſaner, welche im Dienſte des Kalſers von 
Byzanz gegen die Venetianer und Kreuzfahrer geſtritten 
hatten, ſich ihren bisherigen Feinden une und in 
deren en u 5 Ben en N 


Din 1 


Die Kreuzfahrer im Lager bey Per 


n 9 NN 


a 70 Gele S. 76. Dieſer abſchläg⸗ N 
lichen Zahlungen erwähnt auch die 


Epistola ben ee apud Ar- 
nold, Lubec. 1. C. 


historia Constantinop. (p. XII.) 


wurde die Hälfte der verſprochenen 


Summe entrichtet. Nach Hugo Pla: 


gon (S. 605): Quant li Latins se 


furent logies (à Pera) et lor navie 
pres deus, lors manga Marcofle as 
Venitiens, que ils eussent en Ecrit, 
combien li Pelerin avoient es nes 
A e et si list on a rah ur com- 
Si fist (Marcofle) prendre l’avoir Ei 
xendre à chascun.ce que Len avoit 
trouve en escrit, Nach der Chronik 
des Andreas Dandulo (p. 322): Ado- 
lescens (Alexius), adepto imperio, 
sine mora Francis implevit, sed 
non aeque Venetis, ut in corum 
continetur historia; Francorum ta- 


V. Band. 


Nach Guntheri 


. + % 
an ai "ad ana 
men narrat Hilton dubentk mil- 


lia warcharum data communiter 


Francis et Venetis. -‚Diefe von An⸗ 
dreas Dandulo erwahnte Nachricht 


der franzöſiſchen Chroniken findet ſich 
auch in des Abtes Radulf Coggeshale 


Chronicon Anglicanum (b. 97): 
„ Dedlit (Alexius) Duci Vehetiarum 


centum millia marcarum argenti, 
et totidem toti exercitui erogavit 


pro collato auxilio, sicut eisdem 
prius pollicitus erat.“ 

.8) (Ol ers NHioons) yivovrar 
rot roumv avrippoon. ‘(Beveri= 
x015) ovoanvor, Kal Ölodsımvor. 
Nicetas S. 355, welcher die Stiftung 
dieſer Verſöhnung für eine ſehr uns 
politiſche Handlung erklärt; ſie ge⸗ 
ſchah nach eben dieſem Schriftſteller 
am 19. Auguſt. Villehardouin er: 
wähnt dieſer Verſoͤhnung nicht. 


2 


J. Chr. 
1203. 


242 Ge ſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


Die beyden Kaiſer ſuchten um ſo mehr die Gunſt der 
Kreuzfahrer ſich zu erhalten, als fie des Schutzes derſelben 
noch ſehr bedurften. Denn ungeachtet aller aͤußern Ehr— 
erbietung, welche ihnen von dem Volke der Hauptſtadt 
bewieſen wurde, herrſchte im Allgemeinen weder in Cons 
ſtantinopel noch in den Provinzen eine fuͤr ſie guͤnſtige 
Stimmung; und der Unwille der Griechen, welche jede 
von den Kaiſern den Kreuzfahrern bewieſene Ehrenbezei— 
gung oder Aufmerkſamkeit als unvertraͤglich mit der Ehre 
ihres Kaiſerthrons betrachteten, war noch dadurch gefteis 
gert worden, daß die Kaiſer, da fie den Schatz leer ges 
funden hatten und nicht wagten, von den Unterthanen 
eine allgemeine Steuer zu fordern, durch Einſchmelzung 
der goldenen und ſilbernen Geraͤthe und Bilder der Kir— 
chen der Hauptſtadt, ſelbſt der goldenen Geraͤthe und ſil⸗ 
bernen Leuchter der Sophienkirche, und durch erzwungene 
Beytraͤge der reichen und wohlhabenden Bewohner der 
Hauptſtadt das Geld ſich verſchafft hatten, womit ſie einen 
Theil der Summe, welche ſie den Kreuzfahrern ſchuldig 
waren, bezahlten »). In dieſer Lage der Dinge war es 
den Kaiſern ſelbſt ſehr wuͤnſchenswerth, daß das Heer, 
welchem ſie den Thron verdankten, ſeinen Aufenthalt in 
der Nähe der Hauptſtadt verlaͤngern möchte. Der junge 
Kalſer kam alſo elnes Tages in die Herberge *°) des 


14 1 


9) Nicetad a. a. O. und S. 357. 
360. Nicetas äußert (S. 337) ſeinen 
Unwillen beſonders darüber, daß die 
Sateiner dieſes heilige Metall, wie 
eine gemeine Sache, zu körperlichen 
Bedürfniſſen verwandten und im ge⸗ 
wöhnlichen Handel und Wandel ger 
brauchten, obwohl fie wußten, wo⸗ 
her es genommen war (0. oe ya 


n 801 goonyov= 
Wevov Muαον % οννννỹ νννεανν re 
60 Eoyvoov ie TE TuS owuarında 
1oslas, es Vue gegner, werso- 
#svalov, nal rg Bovkouevors 
mgoVßaAov sı5 mEATTELOV). 


10) En Postel. Villeh. ©. 77. 


Die Kreuzfahrer im Lager bey Pera. 243 


Grafen Balduin von Flandern und Hennegau; und nach⸗ 
dem auf fein Anſuchen der Doge von Venedig ſowohl 
als die uͤbrigen hohen Barone ebenfalls daſelbſt ſich ein⸗ 
gefunden hatten, ſo ſprach Alexius alſo: Edle Herren, es 
iſt wahr, daß ihr mir einen ſo wichtigen Dienſt geleiſtet 
habt, als ſonſt nicht leicht ein Chriſt dem andern geleiſtet 
hat; ich darf euch aber nicht verhehlen, daß meine Leute 
mich deshalb haſſen, weil ich durch eure Huͤlfe zum Be⸗ 
ſitze meines Reiches gelangt bin. Wenn ihr ſchon jetzt 
mich verlaſſen wuͤrdet, ſo waͤre zu befuͤrchten, daß meine 
Unterthanen mich toͤdten oder doch des Reiches berauben 
wuͤrden. Darum bitte ich euch, bis zum März des naͤch⸗ 
ſten Jahres zu bleiben, indem ich euch verſpreche, nicht 
nur bis zu Oſtern euer Heer mit allen Beduͤrfniſſen zu 
verſorgen, ſondern auch den Venetianern ſo viel zu bezah⸗ 
len, als erforderlich ſeyn wird, um ſie zu bewegen, daß 
ſie die Dauer des mit euch geſchloſſenen Buͤndniſſes noch 
bis zum Michaelistage des naͤchſten Jahres verlaͤngern. 
Ohnehin bin ich nicht im Stande, in wenigen Wochen 
alle gegen euch uͤbernommene Verbindlichkeiten zu loͤſen; 
wenn ihr aber bis zum Fruͤhlinge verweilen werdet, dann 
werde ich binnen dieſer Friſt alles ſo ordnen, daß die 
Ruhe meines Reiches geſichert ſeyn wird, und eure Geld—⸗ 
forderung aus den indeß eingehenden Einkuͤnften wird 
berichtigt werden koͤnnen. Auch werde ich erſt gegen Oſtern 
die Ruͤſtung der Schiffe bewirken koͤnnen, welche erforder— 
lich find, um die euch zugeſagte Mannſchaft nach dem gez 
lobten Lande zu bringen; und fuͤr euch wird es in jeder 
Hinſicht vortheilhafter ſeyn, den Krieg wider die Tuͤrken 
in guter Jahreszeit zu beginnen **), Die Barone gaben 


11) Diefer Antrag wurdevon Alexius des Auguſtmonates oder im Anfange 
wahrſcheinlich entweder noch im Laufe des Septembers gemacht; denn die 


2 2 


J. Che. 
1203. 


7 


244 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Ka p. IX. 


N: auf dieſen Antrag, als fie nach Abtretung des Kaiſers mit 


einander ſich berathen hatten, zur Antwort, daß ſie in 
einer ſo wichtigen Angelegenheit nichts beſtimmen koͤnnten, 
ohne zuvor die Meinung * e re; vers 
nommen zu haben. 


Am andern Tage e ſich die inne zu 


einer Berathung, zu welcher außer ihnen ſaͤmmtliche 
Haͤupter des Heeres und der größte Theil der Ritter ) 
gezogen wurden. Es erhoben aber, als der Antrag des 
jungen Kaiſers war kund gemacht worden, alle diejenigen, 
welche auf der Inſel Corfu den oben berichteten Zwieſpalt 
geſtiftet hatten, aufs neue ihre Stimme, indem ſie ver⸗ 
langten, daß die Barone, dem geleiſteten Eide gemaͤß, ihnen 
ſchleunigſt Schiffe geben ſollten zur Ueberfahrt nach 
Syrien. Die Uebrigen, welche den Vorſchlag des juns 
gen Kaiſers fuͤr ſehr annehmlich hielten, erwiederten: es 
waͤre in keiner Hinſicht rathſam, unter den obwaltenden 
Umſtaͤnden, die Fahrt nach Syrien zu beſchleunigen; denn 
da der Winter bevorſtaͤnde, ſo wuͤrde das Heer dahin in 
einer Jahreszeit kommen, welche kriegeriſche Unternehmun⸗ 
gen nicht geſtatten wuͤrde, und es waͤre dann zu befuͤrch⸗ 
ten, daß alle Ehre und aller Vortheil, welche Gott ihnen 
bisher verliehen, verloren gingen. Wuͤrde man dagegen 
den Fruͤhling erwarten, ſo wuͤrden die Pilger mit Geld 
und Lebensmitteln von dem griechiſchen Kaiſer reichlich 
verſehen nach Syrien kommen und in guͤnſtiger Jahreszeit 


den Krieg wider die Maren Gephunen: koͤnnen. 1 waͤre 


Venisiens ne dure que trosque a la 
feste Sain Michel, 


gen des Vertrags der Pilger und Be. 
netianer war damals noch nicht ab⸗ 


gelaufen, wie aus folgenden Worten 
erhellt, welche Villehardouin (S. 77) 
dem jungen Kaiſer in den Mund 
legt: Et la compaignie de vos et de 


12) Furent mande (al parlement) 
tuit li Baron et li Chevetaigne (ca · 
pitanei) de lost et des Cheyaliers 
la graindre pertie. Villehard. S. 78. 


245 


zu hoffen, daß die Venetianer, wenn man die Fahrt nach Ya“ 
Syrien bis zum Fruͤhlinge verſchoͤbe, ihren Beyſtand und 
die Benutzung ihrer Flotte nicht nur bis zum Michaelis— 
feſte des nächften Jahres, ſondern ſelbſt bis zum Fruͤh— 
linge dieſes Jahres den Pilgern gewaͤhren wuͤrden, um 
die gefahrvolle Meerfahrt zur Winterzeit zu vermeiden“). 
Auf dieſe Weiſe würde das Heer hinreichende Zeit ges 
winnen, nicht nur zur Eroberung des heiligen Landes, 
ſondern auch zur Bezwingung von Aegypten, ohne welche 
Syrien nicht behauptet den koͤnnte. Dieſe Gruͤnde 
fanden, ungeachtet des lange fortgeſetzten Widerſpruchs 
derer, welche auf die Beſchleunigung der Fahrt nach Sy 
rien drangen *), endlich Anerkennung; es wurde die 
Dauer des Buͤndniſſes der Venetianer und Pilger bis 
zum Michaelisfeſte des folgenden Jahres verlaͤngert, und 
der Kaiſer uͤbernahm die Verpflichtung, den Venetianern 


Die Kreuzfahrer im Lager bey Pera. 


zu bezahlen, was fie als Entſchaͤdigung forderten ““). 


13) Porceque il ne se porront par- 
tir de nos por liver. Villeh. S. 70. 

14) Villehardouin (S. 79) bezeich⸗ 
net dieſe Partey auch bey diefer Ver⸗ 
anlaſſung als diejenige, welche die 
Abſicht gehabt habe, ohne Nückſicht 
auf Vortheil oder Nachtheil, das Heer 
aufzulöſen: Cil qui ost voloit de- 
pecier de meillor ne de peior, mais 
que Lost se departist. Die andere 
Partey dagegen beſtand aus denjeni— 
gen, qui Lost voloient tenir en- 
semble. 4 

15) Villehard. a. a. O. His igitur 
tot et tantis utilitatibus (nämlich 
durch die Hoffnung, daß die griechi⸗ 
ſche Kirche den römiſchen Papſt als 
Oberhaupt anerkennen werde) pro— 
vocati, ſchreibt der Graf von St. 
Paul (ap. Godefr. Mon. p, 371), et 


spe sancta bonorum detenti, apud 
oivitatem praescriptam (Constanti- 
nopelin) proposuimus hyemare. 
Bald, nachdem die Barone und Nitz 
ter des Pilgerheeres dieſen Beſchluß 
gefaßt hatten, ſtarb der Ritter Mat⸗ 
thias von Montmorency; er wurde 
begraben in einer Kirche des heiligen 
Johannes vom Hoſpital zu Jeruſalem. 
Villehard. S. 80. Nach der Chronik 
des Andreas Dandulus (p. 322): 
Pacta de obedientia Romanae eccle- 
siae et succursu terrae sanctae in- 
novantur et confirmantur, nämlich 
eben damals, als die Kreuzfahrer, nach 
Dandulo, auf die Bitte der beyden 
Kaiſer, des Vaters und des Sohnes, 
ſich entſchloſſen, den ganzen Winter 
noch im Lager bey Pera zu bleiben. 


246 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


Der Markgraf Bonifaz von Montferrat, der Graf 
Hugo von St. Paul, Heinrich, Bruder des Grafen Bal— 
duin von Flandern, und die Ritter Jacob von Avesnes, 
Wilhelm von Chamlite, Hugo von Colemy und mehrere 
Andre begleiteten hierauf den Kaiſer Alexius ne), als er 
auszog, um feinen Oheim Alexius, welcher zu Adrianopel 
ſich aufhielt und dort einen Anhang gefunden hatte, zu 
verjagen und die Provinzen, welche noch ihm und ſeinem 
Vater den Gehorſam verſagten, ſich zu unterwerfen. Sie 
leiſteten dem jungen Kaiſer wichtige Dienſte, indem ſie 

mit ihm die Laͤnder am Bosporus und der Propontis 

durchzogen; der Kaiſer Alexius der Aeltere wagte nicht, 

ihnen zu widerſtehen, ſondern ſetzte ſeine Flucht fort, und 

die Staͤdte und das flache Land huldigten aus Furcht vor 

der Tapferkeit der abendlaͤndiſchen Ritter dem jungen Kai⸗ 
ſer und feinem geblendeten Vater 7). Nur der kleinere 
Theil der Pilger nahm an dieſem Zuge Theil; die meiſten 
Pilger blieben mit den Grafen Balduin von Flandern und 
Hennegau und Ludwig von Blois und Chartres zurück 
im Lager bey Pera *). 

Waͤhrend der Abweſenheit des Markgrafen Bonifaz 
änderte ſich die Geſtalt der Dinge in Conſtantinopel, zum 
Theil durch die Schuld einiger ungeſtuͤmer und ruchloſer 
Pilger. Einige Flamlaͤnder und mit ihnen einige Vene⸗ 
tianer und Piſaner machten namlich von der ihnen ges 


J. Chr. 
1203, 


— T2 u | 


16) Nach Nicetas (S. 357) für den 
Lohn von ſechszehn Centnern Silbers. 

17) Nach der Erzählung des Ville⸗ 
hardouin (S. 80. 81.) huldigten die 
Griechen an beyden Seiten der bey⸗ 
den Meerengen (des Braz) dem jun⸗ 
gen Kaifer, mit Ausnahme des Jo: 
hannes, Krals der Walachey (Roi de 
Valachie), welcher damals in dem 


Beſitze faſt der Hälfte des an der weſt⸗ 
lichen Seite des Meerarmes vom hei⸗ 
ligen Georg liegenden römiſchen Ge⸗ 
bietes war. Nach der Erzählung des 
Nicetas (S. 357. 358.) durchzogen die 
Ritter das Land bis nach Kypſella, 
unfern von der macedoniſchen Gränze. 
18) Villehard. S. 80. 


j 
Feuersbrunſt in Conſtantinopel. 247 


waͤhrten Erlaubniß, in Conſtantinopel umherzugehen, einen I, 
frevelhaften und der Stadt hoͤchſt verderblichen Mißbrauch. 
Sie pluͤnderten zuerſt die Wohnungen der in Conſtanti⸗ 
nopel unter dem Schutze des Kaiſers lebenden Muſelmaͤn⸗ 
ner; drangen hierauf in das muſelmaͤnniſche Bethaus “), 
welches im noͤrdlichen Theile der Stadt, unfern von dem 
Ufer des Meerbuſens und in der Naͤhe der Kirche der 
heiligen Irene, lag und im Jahre 1190 von dem Kaiſer 
Iſaak auf die Verwendung des Sultans Saladin den 
Bekennern des arabiſchen Propheten war eingeräumt wor⸗ 
den; verſuchten auch dort zu rauben, was ihnen gefiel; 
und als ihnen die Muſelmaͤuner, unterſtuͤtzt durch den 
Beiſtand einer nicht geringen Zahl von Griechen, nach— 
druͤcklichen und wirkſamen Widerſtand entgegenſetzten: fo 
raͤchten ſie ſich dadurch, daß ſie in der Naͤhe des muſel⸗ 
maͤnniſchen Bethauſes und in mehreren andern Gegenden 
der Hauptſtadt Feuer anlegten. Dieſe Ruchloſigkeit hatte 
die furchtbarſte Feuersbrunſt zur Folge, welche nicht nur 
an dieſem Tage und in der darauf folgenden Nacht, fons 
dern waͤhrend acht Tage, durch die Gewalt des in ſeiner 
Richtung nicht ſelten wechſelnden Windes immer von 
neuem bald in dieſer, bald in jener Gegend angefacht 
und nach allen Seiten getrieben, in der ganzen Laͤnge und 
Breite der unermeßlichen Stadt eine große Zahl prächtis 
ger Palaͤſte, Bogengaͤnge, Säulen, ſchoͤner Wohnhaͤuſer, 


10) Tö rd EE Aydg ovvayw- 
Jıov und TO ovvaywyıov Tüv Zag- 
gaxıwüv ö pyou Mırarov ij dn 
une duuhexros. Nicetas S. 356. 
Merdrov (auch Wsrerov) iſt das in 


der lateiniſchen Sprache des Mittel⸗ 


alters vorkommende Wort metatum, 


welches Haus oder Wohnung bedeus 
tet. Die Lage dieſes muſelmänniſchen 
Bethauſes bezeichnet Nicetas a. a. O. 
Daß der Kaiſer Iſaak im Jahre 1190 
daſſelbe den Muſelmännern einräumte, 
berichtet Bohgeddin (vita Saladini 
ed, Schultens cap. 75. p. 129 — 131). 


J, Chr. 
1203. 


248 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Ka p. IX 


reicher Waarenlager und ſelbſt einen Theil des Hippo— 
droms *) in Aſche legte; auch die außerhalb der Stadt 
mauer gelegenen Haͤuſer blieben nicht verfhont, und ein 
an der Stadt vorbeyfahrendes Schiff wurde ſogar durch 
die bis zu weiter Ferne von der Heftigkeit des Windes 
getriebenen Kohlen angezuͤndet und zerſtoͤrt *). Die 
Kreuzfahrer, ohne die Veranlaſſung und Entſtehung ſolcher 
furchtbaren Verwuͤſtung zu wiſſen, erblickten aus dem 
Lager bey Pera mit Entſetzen und Mitleid das tobende 
Flammenineer und die grauſenvolle Zerſtoͤrung ſo vieler 
herrlicher Gebaͤude; aber ſie vermochten ein ſo ſchreckliches 


Ungluͤck nur zu beklagen und 


20) Nämlich den weſtlichen Theil. 
Nicetas S. 387. 5 
21) Nicetas a. a. O. 


22) „Et quant ce virent li baron 
de Post aui estoient herbergie d’au-, 
tre part del Port, si furent mult 
dolent, Amal en orent grant pi- 
tie, cum il virent ces Haltes Igli- 
ses et ces ‚Palais riches r et 
abaissier; et ces grauz rues mar- 
chandes axdoir en feu, et il nen 
pooient plus faire.“ Villehardouin 
S. 81. 82. Die Beſchreibung des Ni: 
cetas von dieſer Feuersbrunſt, obwohl 
nicht frey von ſchwülſtiger Ziererey, 
gehört zu den gelungenen Stellen ſei⸗ 
nes Werkes und erweckt in jedem 
fühlenden Leſer Theilnahme. Es iſt 
auffallend, daß Villehardouin nichts 
über die eigentliche Urſache und die 
Urheber dieſes Frevels in Erfahrung 
brachte; er erzählt, daß die Feuers⸗ 
brunſt bey Gelegenheit eines Hand: 
gemenges (une melee) der Griechen 
und der in Conſtantinopel wohnenden 
zahlreichen Lateiner entſtanden ſey, 
und daß er nicht wiſſe, wer das Feuer 


wußten nicht zu helfen). 


angelegt habe (et ne sai quex genz 


por mal mistrent le feu en la ville). 


Nicetas, welcher als kaiſerlicher Bes 


amter über den Hergang dieſes furcht⸗ 
baren Ereigulſſes genau unterrichtet 
ſeyn konnte, ſagt (S. 355) ausdrück⸗ 
lich, daß Flamländer (revss zum 


gouyylozwv, odr Ö£E el or 


mahcı pAaulovss maul noudlieno-] 
nebſt einigen Venetianern und Piſa⸗ 
nern, auf die im Texte erzählte Weiſe, 
die Anſtifter waren. Dieſer Schrift: 
ſteller, welcher mehrere durch dieſe 
Feuersbrunſt zerſtörte Gebäude auf⸗ 
zählt, ſtellt dieſes Ereigniß vor den 
Zug des jungen Kaiſers und der Ba— 
rone des Pilgerheeres in die Provin⸗ 
zen, jedoch ohne die Zeit weder der 
einen noch der andern Begebenheit 
anzugeben; und beſchränkt (S. 350) 
die Dauer der Feuersbrunſt auf den 
Tag, an welchem ſie geſtiftet wurde, 
die darauf folgende Nacht und den 
folgenden Tag bis zum Abende: nach 
Villehardouin (S. 82) dauerte ſie acht 
Tage. Nach Hugo Plagon, dem fran⸗ 
zöſiſchen Jortſetzer der Geſchichte des 


Feuersbrunſt in Conſtantinopel. 249 


In den Gemuͤthern der Griechen wurde durch dleſe 
ſchaudervolle Wirkung des verabſcheuungswuͤrdigen Fre 
vels einiger ruchloſen Kreuzfahrer die heftigſte Erbitterung 
aufgeregt gegen alle diejenigen, welche in Conſtantinopel 
durch den allgemeinen Namen Lateiner bezeichnet wurden; 
ſo daß ſelbſt die Abendlaͤnder, welche ſchon vor der Ankunft 
des Heeres der Pilger in Conſtantinopel wohnhaft waren, 
es nicht wagten, laͤnger in ihren Wohnungen zu bleiben. 
Sie brachten ihr Eigenthum, ſo viel fie davon der Ges 
walt der Flammen zu entreißen vermochten, auf Schiffe, 
und ſuchten, faſt funfzehn Tauſend an der Zahl, Er— 
wachſene und Kinder, meiſtens des Wohlſtandes und der 
Bequemlichkeit gewohnt und nun des Obdachs beraubt, 


Zufſacht im Lager der Kreuzfahrer 25). 


Erbiſchofs Wilhelm von Tyrus (S. 
665), dauerte fie neun Tage und neun 
Nächte und wurde von den Griechen 
ſelbſt angeſtiftet, in der Abſicht, die 
Kreuzfahrer von der Einmiſchung in 
ihren Streit (meslée) mit den in 
Conſtantinopet wohnenden Lateinern 
dadurch abzuhalten, daß ſie die Häu⸗ 
fer. der letztern anzündeten (Ui Gri- 
sons boutèrent la feu Es maisons des 
Latins). Abulfaradſch (Chron. Syr. 
p. 444), indem er die damalige und 
die ſpätere Feuersbrunſt zuſammen⸗ 
wirft, beſchuldigt die in Conſtantino⸗ 
pel anſäſſigen fränkiſchen Kaufleute 
der Anſtiftung derſelben: „Damals 
legten die fränkiſchen Kaufleute, welche 
in Conſtantinopel wohnten und, 'ob: 
wohl Ihrer dreyßig tauſend waren, 
wegen der Größe der Stadt daſelbſt 
nicht bemerkt wurden, zweymal Feuer 
in der Stadt an, und es verbrannte 
ungefähr der vierte Theil derſelben.“ 
Die damalige Feuersbrunſt ereignete 
ſich übrigens ohne Zweifel im Sep⸗ 


Die Erbitterung 


tember oder im Anfange des Octo⸗ 
bers 1203. 

23) Villehardouin S. 83. Nach der 
Erzählung des Georgius Akropolita 
(S. 4) vertrieb Alexius Murtzuflos, 
mit Zuſtimmung der angeſehenſten 
Hof: und Staatsbeamten, der latei⸗ 
niſchen Einwohner von Conſtantino— 
pel viele Tauſende, damit fie nicht 
innere Unruhen anſtiften möchten; 
was dieſer Schriftſteller eine lobens⸗ 
werthe Handlung nennt (Bovkevum 


enalvov 50V). Zwar mußten fie vor 


der Auswanderung durch einen Eid 


ſich verbinden, nichts zum Schaden 
von Conſtantinopel zu unternehmen; 
ſie wurden aber doch den Belagerern 
als kluge und in manchen Dingen 
erfahrne Männer (1. h molv 
Övrss ud elju e row moayud- 
720%) vielfältig nützlich. Sie baten 
die Griechen, ihre Weiber und Kinder 
nach ſichern Oertern des griechiſchen 
Reichs bringen zu dürfen, was ihnen 


J. Chr. 


1203. 


* 


250 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. IX. 


Jeg, der Griechen wurde noch dadurch geſtaͤrkt, daß ſelbſt in 


dieſen ſchrecklichen Tagen, in welchen kein Mittel und 
keine Anſtrengung genuͤgten, die von Kreuzfahrern geſtiftete 
Feuersbrunſt zu uͤberwaͤltigen, die Auspluͤnderung der 
Kirchenſchaͤtze zu Gunſten dieſer, dem byzantiniſchen Reiche 
nichts als Ungluͤck bringenden, Fremdlinge fortgeſetzt 
wurde 2). Das Volk von Conſtantinopel wurde um fo 
unwilliger uͤber dieſe fortgeſetzte Pluͤnderung der Kirchen, 
als es die Zerſtoͤrung eines großen Theils der herrlichſten 
Gebaͤude, welche dieſe ſchoͤne Hauptſtadt geziert hatten, 
und die angſtvolle Gefahr, in welcher der ganze uͤbrige 
Theil der Stadt waͤhrend acht Tage ſchwebte, fuͤr ein 
göttlihes Strafgericht wegen der frevelhaften Beraubung 
der Gotteshaͤuſer anſah, und Viele ſich ſelbſt und ihren 
Mitbuͤrgern es zum Vorwurfe machten, daß ein ſolcher 
Graͤuel mit Gleichguͤltigkeit und ohne Widerſpruch ertra— 
gen wuͤrde. Dieſe Meinung des Volks, welche ſelbſt viele 
angeſehene Maͤnner theilten 2), wenn fie auch laut und 
nachdruͤcklich ausgeſprochen wurde, blieb gleichwohl von 
dem Kaiſer Iſaak unbeachtet, und er ließ ſich nicht abhals 
ten, die Pluͤnderung der Kirchen fortzuſetzen und durch das 
geraubte Gold und Silber ſeinen eigenen leeren Schatz zu 
fuͤllen. Seit jenen, fuͤr Conſtantinopel ſo ſchrecklichen, Ta— 
gen verſchwand das bisherige gute Vernehmen der Grie— 
chen und der Kreuzfahrer, und ihr gegenſeitiger vertrau— 
licher Verkehr nahm ein Ende ?°), 

Auf ſolche Weiſe hatten ſich die Verhaͤltniſſe der 
Kreuzfahrer umgeſtaltet waͤhrend der Abweſenheit des 


nicht gewährt wurde. Auch Günther 24) Nicetas S. 357. f 
hist. Const. p. XVI.) erwähnt der 25) Dieſen Vorwurf macht ſich und 
aus Conſtantinopel vertriebenen La- auen feinen Mitbürgern Nicetas S. 388. 
teiner. 25) Villebardouin g. a. O. 


Tod d. Abtes von Los und des Matthias von Montmorency. 251 


Markgrafen Bonifaz und der Barone, welche ihn und Nahr. 
den jungen Kaiſer auf dem Zuge in die Provinzen des 
griechiſchen Reichs begleitet hatten. Sie fanden, als ſie 
gegen die Mitte des Novembers 27) in das Lager bey Norem⸗ 
Pera zuruͤckkehrten, das Heer in tiefer Trauer uͤber den 

Tod des Abtes von Los. Dieſer Praͤlat, ein frommer, 
treuer und redlicher Mann, welcher ſtets mit Fleiß 

und Eifer fuͤr die Erhaltung des Friedens und der Ein⸗ 
tracht im Heere der Pilger gearbeitet hatte ??), war nicht 
lange vor der Ruͤckkehr der Barone geſtorben. Nicht lange 
zuvor war auch der tapfere Matthias von Montmorency, 
einer der edelſten und geachtetſten franzoͤſiſchen Ritter, dem 
Heere durch den Tod entriſſen und ſein Leichnam in der 
Kirche des heiligen Johannes des Hoſpitals von Jeru— 
ſalem beſtattet worden 25). 


Die Verhaͤltniſſe der Kreuzfahrer und Griechen ver— 
wickelten ſich aber bald noch mehr. Der junge Kaiſer 
wurde zwar, als er von dem mit Huͤlfe der lateinifchen 
Barone gluͤcklich vollbrachten Zuge in die Provinzen zu 
ruͤckkam, mit großen Ehren in Conſtantinopel empfangen, 
und die Männer und Frauen der Hauptſtadt 3°) kamen 
ihm entgegen und geleiteten ihn mit Jubel zu dem Palaſte 


87) Ensi demora l’Empereres Ale- 
xis mult longuement en l’ost ou il 
fust issus, trosque a la Sain Martin, 
Villehard. S. 83. 

28) Qui avoit volu li bien de l’ost 
(Villehardouin S. 82), was nach dem 
Sprachgebrauche Villehardouin's zus 
nächſt bedeutet, daß von dem Abte die 
Abſichten derer, welche zur Bekriegung 
von Zara und Conſtantinopel gerathen 
hatten, waren befördert worden. Los 
(Laudum, bey Villehardouin Loges) 


war eine Ciſtercienſer - Abtey in der 
Nähe von Lille oder Ryſſel in Flan⸗ 
dern. Des Abtes von Los wurde oben 
gedacht Kap. 5. S. 134. 

29) Matthias von Montmorency 
ſtarb kurze Zeit vor der ebenerwähn— 
ten, gemeinſchaftlichen Unternehmung 
der Ritter und des jungen Alexius. 
Villehard. S. 80. Vgl. S. 248. 
Anm. 18. 

30) Li Grieu et les dame de Con- 
stautinople. Villehardouin S. 83. 


252 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. IX. 


Abs der Blachernen; er mußte aber, wenn auch ſeine Eins 
ſichten noch fo ſehr beſchraͤnkt waren, doch bald ſich übers 
zeugen, daß unter den obwaltenden Verhaͤltniſſen die Forts 
ſetzung ſeines bisherigen Benehmens gegen die Kreuzfahrer 
ihn um alles Vertrauen und alle Achtung bey ſeinen 
Unterthanen bringen wuͤrde. Auch fehlte es ihm nicht an 
Rathgebern, welche, die damaligen Mittel des griechiſchen 
Kaiſerthums uͤberſchaͤtzend, die Abbrechung der freunds 
ſchaftlichen Verhaͤltniſſe mit den Fremdlingen als eine nügs 
liche, nothwendige und ungefaͤhrliche Maßregel empfah— 
len. Den Griechen erſchien uͤberhaupt die Vertraulichkeit 
ihres jungen Kaiſers mit den Grafen und Baronen des 
Pilgerheeres als unanſtaͤndig und der hohen Wuͤrde eines 
Beherrſchers der Nömer unangemeſſen; und es war ihnen 
verdrießlich, daß Alexius ſo oft mit wenigen Begleitern 
in die Zelte der Kreuzfahrer ſich begab, dort ganze Tage 
in unmaͤßiger Schwelgerey und mit Wuͤrfelſpiel zubrachte 
und, wie die Sage ging, ſeinen zudringlichen und muth— 
willigen fremden Spielgenoſſen erlaubte, ihm das en 
und mit Edelſteinen geſchmuͤckte kaiſerliche Stirnband abs 
zunehmen, ſich ſelbſt anzulegen, und auf ſein gekroͤntes 
Haupt ihre rauhen und wollenen Hüte zu ſetzen *). 
Ohnehin war Alexius leichtſinnig genug, um den Vorwurf 
der Undankbarkeit nicht zu ſcheuen, als er durch die Huͤlfe 


31) Tüv d Aõ luv 
20 hayvijev au 2gsovv ‘nal €ijS 
Aecrtıwizns ralaciag mregldhmune 
Nicetas S. 358. Daß der Doge von 
Venedig das Kreuz an feinem wolle— 
nen Hute befeſtigen ließ, iſt oben be 
richtet worden S. 145. Durch ſolche 
Vertraulichkeiten beſudelte, ſagt Nice⸗ 
tas, der junge Kaiſer den erhabenen 


und hochgeprieſenen Namen des römi⸗ 
ſchen Kaiſerthums: To ueyalonrgs- 
nis a nayakliorov (von 21 
und leldo, wenn nicht etwa rd 
#heırov oder mayrAvror,d.i. überall 
berühmt, zu leſen iſt) 2 zwv P 
yalov Paoıksias aur. eÜ 
Ovond.. 


Streitigkeiten mit den Griechen. 253 


der latelniſchen Barone den Gehorſam der Provinzen ſich Jour. 
geſichert zu haben glaubte *); und die von ihm einge; 
gangenen Verbindlichkeiten waren von der Art, daß er ſie 

in ihrem ganzen Umfange niemals loͤſen konnte und alſo 

in jedem Falle mit den Baronen des Pilgerheeres und 

den Venetianern, welche nicht geſonnen waren, von ihren 
Forderungen etwas nachzugeben, uͤber kurz oder enen in 
Feind ſchaft gerathen mußte. Bi! 


Die Lage der Dinge in Conſtantinopel war feines 

weges 0 beschaffen, daß die Kaiſer von einem offenbaren 
Kriege wider die Kreüzfahrer einen glücklichen Erfolg hof; 
fen dukften. Der Haß und die Erbitterung des Volkes 
gegen die Fremdlinge ſtlegen zwar mit jedem Tage, und 
eine ungeffüme Rotte des Volkes bertrümmerte im Tau, 
bild der Athene von Erz auf dem Markte des Conta, 
tinus aus keinem andern Grunde, als weil die gegen 
Abend gerichteten Augen der Goͤttin durch ihren Wink 
die verhaßten abendlaͤndiſchen Barbaren zur Eroberung 
des römiſchen Reichs außzufordern ſchienen ). Aber 
weder Iſaak noch ſein Sohn Alexius verſtanden es, dieſe 
Stimmung des Volkes zu leiten und zu beherrſchen, oder 
zu ihrem Vortheile und zur Sicherung ihrer Herrſchaft 
zu benutzen und das Vekkrauen des aufgeregten Volkes 
zu gewinnen; ſie hinderten vielmehr durch ihre Uneinig— 
keit die Befeſtigung ihres Thrones und ſuchten einer den 
andern in der Meinung des Volkes herabzuſetzen. Der 
geblendete Kaiſer, ebenſo wie in feiner vorigen Regie; 
rung, dem albernſten Aberglauben und kindiſcher Ae 


32) Villehard. S. 83. 
33) Nicetas S. 358. 


254 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


3,26% meley huldigend, gab nur den Traͤumereyen der Wahr⸗ 
fager Gehör und lebte, unbekuͤmmert um die Angelegens 
heiten des Reichs, nur mit eben ſo leichtſinnigen als 
ſchlauen und betruͤgeriſchen Moͤnchen, welche ihn mit 
ſchmeichleriſchen Weiſſagungen von kuͤnftiger Größe und 
Herrlichkeit und der Herrſchaft uͤber den Oſten und Weſten 
unterhielten, ihm nicht nur die Wiederherſtellung ſeines 
Geſichts und die Befreyung von den Schmerzen der Gicht, 
ſondern ſelbſt die Wiederkehr der Jugend als unfehlbar 
vorher verkuͤndigten und an der Tafel bes ſchwachen 
Mannes im Genuſſe des Weins und der ausgeſuchteſten 
Leckereyen ſchwelgten ). Den Sterndeutern gewaͤhrte 
Iſaak nicht geringeres Vertrauen als den Mönchen; und 
auf den Rath eines Aſtrologen ließ er das eherne Bild 
des wider einen Löwen. kämpfenden calydoniſchen Ebers, 
welchen ſchon die Kaiſerin Euphroſyne , des fluͤchtigen 
Kaiſers Alexius Gemahlin, durch thoͤrichten Aberglauben 
bewogen, des Ruͤſſels beraubt hatte 3°), von der großen 
Rennbahn in ſeinen Palaſt bringen; in der Meinung, 
dem Ungeſtuͤme des Volkes für immer dadurch Grenzen 
zu ſetzen, daß er das Thier, deſſen zu Berge ſtehende 
Borſten die hoͤchſte Wuth andeuteten, als das Symbol der 
Wildheit und des ungeſtuͤms, den Augen der Beſchauer 
entziehen ließ 2°). Dieſe Schwaͤche des Vaters, und die 


res, 
ene. Ensivn nv uovoeg- 


340 „Jene Mönche gingen nur der ovvösınvouvzes ‘Ioaania, 
kaiſerlichen Tafel nach, ſchnappten nach 0 
friſch gefangenen und fetten Fiſchen 


ev L 2 avdooulav 
und ordneten an der Tafel die Allein⸗ ee ee A 


god reg n Nice⸗ 


herrſchaft des Iſaak mit Worten, 
duftenden Wein in vollen Zügen ge⸗ 
nießend. “ ( Tas agyınas rgamelas 
ueraöwmovzes zal iyFowv r 


venheis nal miovas megıyalvov- 


* 


tas a. a. O. 


35) Nicetas S. 335. 


36) „Der Kaiſer glaubte auf dieſe 
Weiſe das in feinem Ungeſtüme ſau⸗ 


I 
Streitigkeiten mit den Griechen. 255 


allgemeine Verachtung, welche Iſaak durch fein unwuͤr⸗— 9: eis 
diges Betragen ſich zuzog, benutzte der junge Kaiſer, um 

ſich in den Beſitz unumſchraͤnkter Gewalt zu ſetzen und 

alle dem Vater gebuͤhrende Ehre ſich zuzueignen; und er 
ließ in den Urkunden ſowohl, als den Zurufungen, womit 

bey feyerlichen Gelegenheiten die byzantiniſchen Kaiſer ge⸗ 
ehrt zu werden pflegten, ſeinen Namen vor dem Namen 

des Vaters nennen. Iſaak ertrug, ungeachtet ſeines Hans 
ges zur Unthaͤtigkeit, eine ſolche kraͤnkende Zuruͤckſetzung 
nicht mit Gleichguͤltigkeit, fondern raͤchte ſich dadurch, daß 
er im Kreiſe ſeiner Vertrauten die Fehler ‚feines. undanks 
baren Sohnes mit leidenſchaftlicher Bitterkeit ruͤgte und 
ihn nicht ohne Grund ſchilderte als einen leichtſinnigen 
Juͤngling von gaͤnzlich verwahrloſten Sitten und ohne 
Achtung fuͤr Recht und Tugend, welcher nur am Umgange 
mit den verworfenſten Menſchen Bez fände und 
deren Laſter ſich aneignete )). 

Ungeachtet dieſer Spannung n in welcher fan, und 
fein Sohn Alexius mit einander lebten trug der junge 
Kaiſer kein Bedenken, ſein Betragen gegen die Kreuzfahrer 
zu aͤndern; ſeine Beſuche in dem Lager bey Pera wurden 
immer ſeltener, die Geldzahlungen, welche er an das Heer 
der Pilger zu machen hatte, immer ſpaͤrlicher, auf die oft 
wiederholte 1 der Barone, feinen Verpflich⸗ 


mäßige (ro Y z7jv deunv ovudn d7- 

yo»), und übermüthige Volk zur Ord⸗ 
nung zu bringen.“ Nicetas S. 359. 
Dieſes wilden Ebers gedenkt auch der 
feanzöffche Fortſetzer der Geſchichte 
des Wilhelm von Tyrus (Hugo Plas 
gon S. 665), erzählt aber, daß der 
junge Kaiſer Alexius Angelus durch 
einen Traum bewogen worden ſey, 
ihn vom Bucoleon am Meere (Bouche 


de lion qui estoit sor la mer) weg: 
nehmen zu laſſen; denn es träumte 
ihm in einer Nacht, daß dieſes eherne 
Bild eines Ebers (cil porc sauvage 
contrefait de cuivre) ihn erdroſſelte, 
und am folgenden Morgen wurde der 
Eber von ſeiner bisherigen Stelle 
entfernt. 


37) Nicetas S. 358. 


256 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


SHE tungen vollſtaͤndig zu genügen, antwortete er mit Aus⸗ 
fluͤchten und Vertroͤſtungen / und endlich 4 er jene Gad 
zahlungen gänzlich einſtellen s). 

Die Grafen und Barone des Heeres der Pilger waren 
bis dahin entſchloſſen geweſen, im Fruͤhlinge ihr Lager bey 
Pera zu verlaſſen und ihr Geluͤbde durch den Kampf wider 
die Saracenen in Aegypten und Syrien zu erfüllen; und fie 
hatten ſchon dem Sultan von Aegypten den Krieg ange; 
ſagt und ihren chriſtlichen Brüdern in Syrien ihre bal—⸗ 
dige Ankunft im Lande der Verheißung angekͤndigt 30). 
Die Undankbarkeit und Wortkrüchiskeit d der Griechen aber 
änderte ihren Entſchluß. % meg 

Nachdem Alexius auch den ernſten und enden gligen 
Erinnerungen des Markgrafen Bonifaz, welchem er wegen 
der auf dem Zuge in die Provinzen ihm geleiſteten wich⸗ 
tigen Dienſte groͤßere Dankbarkeit ſchuldig wär, als den 
meiſten der uͤbrigen Grafen und Barone des Heeres der 
Pilger, kein Gehör gegeben hatte“): ſo wurde in dem 
Kriegsrathe, welchem auch der alte erfahrne und weiſe 
Doge von Venedig beitwöhnte, beſchloſſen, durch eine 
feyerliche Geſandtſchaft den jungen Kaiſer zur Erfüllung 
ſeiner Verbindlichkeiten zu mahnen / und ihm, falls ſeine 


Antwort nicht fee ausfallen würde, den Frieden 
25021 


38) Villehardouin S. 83. Es herrſchte 
übrigens im Heere der Pilger die 
Meynung, daß der Kaiſer Iſaak vor⸗ 
nehmlich ſeinen Sohn zur Aenderung 
ſeines Betragens gegen die Kreuzfah⸗ 
rer bewogen hatte (qui animum filii 
sui prae omnibus, ut dicebatur, a 
nobis averterat). Epist. Balduini 
apud Arnold. Lubec. Lib. VI. c. 20. 
Nach der Verſicherung des Nicetas 
(S. 360) wünſchte Iſaak nicht min: 
der als Alexius, ſein Sohn, den Frie⸗ 


den mit den 4 aufseche zu 
erhalten, und Beyde entſchloſſen ſich 
höchſt ungern zum Kriege. 

39) Epist. Comitis de 8. Paulo 


apud Godefr. Mon. Pp. 371. Die an 


den Suttan von Aegypten (Malek al 
Adel) erlaſſene Kriegserklärung drückt 
der Graf alſo aus: Noveritis quod 
accepimus tornamentum contra Sol- 
danum Babyloniae ante Alexan- 
driam. 


40) Villehard. S. 83 84. 


Streitigkeiten mit den Griechen. 257 


aufzukuͤndigen. Zu dieſer Geſandtſchaft wurde der beredte 
Conon von Bethune *), der Marſchall Gottfried Ville— 
hardouin und Milo von Provins **) erwaͤhlt; und auch 
der Doge von Venedig ſandte mit ihnen an den Hof zu 
Conſtantinopel drey vornehme Maͤnner ſeines Rathes. 
Dieſe ſechs Abgeordneten ritten, umguͤrtet mit ihren 
Schwertern, zu dem Palaſte der Blachernen, nicht ohne 
Furcht und Beſorgniß wegen der allgemeinen Erbitterung 
des Volks von Conſtantinopel gegen die Kreuzfahrer, und 
fanden die beyden Kaiſer neben einander auf Thronen 
ſitzend, umgeben von einem glaͤnzenden und zahlreichen 
Hofe; und auch die Kaiſerin Margarethe, eine ſchoͤne 
und treffliche Frau 3), ſaß an der Seite ihres geblens 
deten Gemahls. Conon von Bethune begann hierauf im 
Namen der uͤbrigen Abgeordneten alſo zu dem jungen Kai— 
ſer zu reden: Wir kommen zu euch, gnaͤdiger Herr, im 
Auftrage der Barone des Heeres und des Dogen von 
Venedig; ſie laſſen euch erinnern an die Dienſte, welche 
ſie, was aller Welt kund iſt, euch geleiſtet haben, und 
verhehlen euch nicht ihre Unzufriedenheit mit eurem Be— 
tragen, indem ihr euren Verbindlichkeiten, welche ihr nicht 
minder als euer Vater durch Eid und Urkunde bekraͤftigt 
habt, nicht ſo nachkommt als es euch obliegt; fie haben ſchon 
oft euch gemahnt an die Erfuͤllung eurer Pflicht, und 
wir mahnen euch noch einmal in ihrem Namen und in 
Gegenwart eurer Diener und Näthe **). Wenn ihr 
dieſer Mahnung Folge leiſten werdet, ſo wird es ihnen 


41) Qui mult ere sages et bien 44) Voiant toz vos Barone. Dil: 
emparlez. Villehard. ©. 85. llehard. a. a. O. Villehardouin läßt 

42) Miles le Braibanz de Pro? im Anfange den Kaiſer durch den 
vinz. Villehard. S. 84. Ritter Conon mit: du, anreden; in 

43). Belle Dame et bone. Ville dem Fortgange der Rede tritt: ihr, 
hard. S. 83. an die Stelle des; du. * 


En 
V. Band. N 


7 


J. cht. 
1203. 


2581 Gefchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


angenehm ſeyn; wenn ihr aber bey eurer bisherigen Weiſe 
beharrt, ſo wiſſet, daß ſie euch ferner weder als Kaiſer 
noch als ihren Freund anerkennen und ihre weitern Maß— 
regeln nehmen werden. Sie thun euch aber ſolches kund 
als redliche und offene Erklaͤrung, weil es in unſerm 
Lande Sitte iſt, den Feind nicht anders als nach vorher— 
gegangener Mahnung zu bekriegen. Ihr habt nunmehr 
gehoͤrt, was wir euch zu ſagen hatten; thut, was ihr 
wollt. Dieſe Botſchaft fand, wie zu erwarten war, ſehr 
ſchlimme Aufnahme; die Griechen waren erſtaunt uͤber die 
Dreiſtigkeit, mit welcher die Fremdlinge auf bisher uner— 
hoͤrte Weiſe dem Kaiſer in ſeinem eigenen Gemache den 
Frieden aufkuͤndigten; und ihr Unwille und Grimm uͤber 
die durch eine ſo kecke und anmaßliche Herausforderung 
den Kaiſern widerfahrne Schmach wurde ſo heftig, daß 
die Abgeordneten froh waren, als ſie den Palaſt verlaſ— 
fen und ihre am Thore zuruͤckgelaͤſſenen Pferde wieder 
erreicht hatten; und in Wahrheit, ſagt Villehardouin, 
wir waren einer ſehr großen Gefahr entgangen *). 


Die Feindſeligkeiten begannen unverzuͤglich, und die 
Griechen und Kreuzfahrer ſtritten wider einander in eins 
zelnen Gefechten mit wechſelndem Gluͤcke “?). Die Kreuz— 
fahrer pluͤnderten und verbrannten die an der Kuͤſte des 
Meeres außerhalb der Mauer der Hauptſtadt liegenden 
Kirchen und Palaͤſte *); und die Griechen raͤchten ſich durch 
den Verſuch, die Flotte der Venetianer und die uͤbrigen 
im Hafen liegenden, aus dem Abendlande gekommenen 


45) Ne Ri mie grant mervoille, hardouin aber Ca. a. O.): Onques 
que il erent mult de grant peril li Franc et li Grieu Dieu merci) 
escampé. Villehard. S. 86. Nicetas n' asemblérent ensemble, que plus 
erwähnt dieſer Verhandlungen nicht. ny perdissent li Grieu que li Franc. 

46) Nicetas S. 30. Nach Ville⸗ 47 Nicetas S. 360. 


Krieg mit den Griechen. 5 259 
8 


Schiffe durch Feuer zu zerſtoͤren. Ploͤtzlich in einer Nacht, 
um die Stunde der Mitternacht, wurde das Heer der 
Kreuzfahrer durch einen ſchaudervollen Anblick erſchreckt; 
hochlodernde Flammen erhellten das Meer und das Land, 
und Erde und Himmel ſchienen in Feuer zu ſtehen. Denn 
ſiebzehn brennende große Schiffe, angefuͤllt mit trocknem 
Holze, Pech und Werg ), wurden von den Griechen, 
als ein heftiger Suͤdwind ſich erhoben hatte, gegen die 
Flotte der Pilger gerichtet. Die Heftigkeit des Windes 
trieb dieſe furchtbaren Feuermaſſen mit ſolcher Gewalt 
und Schnelligkeit unter die Fahrzeuge der Kreuzfahrer, 
daß Rettung kaum moͤglich ſchien; und in kurzer Zeit 
ſtanden mehrere Schiffe der Flotte in Flammen. In dem 
Lager der Pilger ertoͤnte das Laͤrmgeſchrey; in hoͤchſter 
Beſtuͤrzung waffnete ſich die Ritterſchaft, und die Scharen 


ordneten ſich, zogen in das Feld, den Angriff der Gries 


chen erwartend, und blieben in ſolcher Erwartung bis 
zum Anbruche des Tages. Die Venetianer aber retteten 
ihre Flotte aus dieſer drohenden Gefahr durch ihre Ent— 
ſchloſſenheit und Geſchicklichkeit, indem ſie ſogleich ihre 
Galeen und Barken beſtiegen, und mit großer Schnelligkeit 
und bewundernswürdiger Behendigkeit im Angeſichte der 
Feinde die Verderben drohenden Brander vermittelſt 
Haken, welche an langen Ketten befeſtigt waren, aus dem 
Hafen zogen; worauf die Stroͤmung des Meeres dieſe 
Werkzeuge des Untergangs in den Bosporus trieb. Un— 
sählbare grlechiſche Scharen, welche am Ufer ſtanden, 
richteten zwar unter gewaltigem Geſchrey einen furchtbaren 


48) De granz merriens et des pri- pes et de poiz. Villehard. S. 87. 
ses) was der Ueberſetzer durch kassines Von griechiſchem Teuer iſt ſicherlich 
et autre bois sec überſetzt) et d’estop- nicht die Rede. 


R 2 


J. Chr. 
1205. 


260 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


dt Pfeilregen gegen die venetianiſchen Schiffleute, welche das 


Feuer ihrer brennenden Schiffe zu loͤſchen und die uͤbri— 
gen Fahrzeuge zu ſchuͤtzen ſich bemuͤhten, und verwundeten 
ihrer nicht wenige; gleichwohl gelang es den Venetia— 
nern, den groͤßern Theil ihrer Schiffe unverſehrt zu erhal— 
ten, und ſelbſt die ſchon brennenden Schiffe zu retten; 
und nur ein piſaniſches mit Waaren beladenes Schiff 


wurde völlig zerſtoͤrt ). 


39) Nur Villehardouin (S. 87. 88.) 
erzählt ausführlich von dieſer Ge⸗ 
fahr, in welche die venetianiſche Flotte 
durch Brander gebracht wurde. Der 
Graf Balduin redet in ſeinem oft 
erwähnten Briefe von zwey Verſu— 
chen der Griechen, die venetianiſche 
Flotte zu zerſtören; von dem erſten 
giebt er nur folgende kurze Nachricht: 
[Imperator Alexius] navigii, quod 
eum adduxerat et sublimaverat ad 
coronam, procurat incendia, sed 
voto tam crudeli, Deo nos prote- 
gente, fraudatus. Den zweiten Vers 
ſuch beſchreibt er etwas ausführlicher 
und ganz auf dieſelbe Weiſe, als Vil— 
lehardouin den einzigen von ihm er: 
wähnten, ſetzt ihn aber in die Zeit 
nach der Krönung des Kaiſers Alexius 
Ducas. Es iſt ſehr möglich, daß 
beyde Male ganz gleiche Umſtände ob⸗ 
walteten; indeß weicht die Beſchrei⸗ 
bung des Grafen Balduin von der 
zweyten Gefahr der Flotte darin von 
der Beſchreibung Villehardouin's ab, 
daß ſie die Zahl der gegen die Schiffe 
der Kreuzfahrer gerichteten Brander 
nur zu ſechszehn angiebt. Hugo Pla: 
gon (S. 665) ſpricht ebenfalls von 
einem mißlungenen Verſuche, die 
Schiffe der Kreuzfahrer zu verbren— 
nen, welchen Alexius Ducas Murtzu— 


flos als Kaiſer machen ließ, und giebt 
die Zahl der von den Griechen ge: 


brauchten Brander zu vierzehn au. 


Der von Villehardouin beſchriebene 
Verſuch, die Schiffe der Kreuzfahrer 
zu verbrennen, ſcheint von den Grie— 
chen gegen das Ende des Jahres 1203 
gemacht zu ſeyn; denn 1) Villehar⸗ 
douin erzählt, als bald darauf erfolgt, 
die Ermordung des jungen Alexius, 
die Uſurpation des Alexius Ducas 

durtzuftos und den Tod des Kaiſers 
Iſaak; dieſe Ereigniſſe fallen aber 
nach dem Berichte des Nicetas (S. 
361 nach dem Z3sſten Januar 1204. 
2) Günther, welcher die Ereigniffe die: 
ſer Kreuzfahrt ſeit dem Tage der An— 


kunft des Abtes Martin im Lager der 


Kreuzfahrer (am x. Jan. 1204. Hist. 

Constantinop. p. XL) ſehr aus führ— 

lich berichtet, erwähnt nicht der ver⸗ 
ſuchten Verbrennung der Schiffe; es 

iſt alſo wahrſcheintich, daß dieſe Be: 

gebenheit vor dem . Januar 1203 ſich 

ereignete. Villehardouin ſchließt feine 

Erzählung mit den Worten: Mult 

orent este en grant peril cele nitit, 
que lor naviles ne fustars: car il 

aussent tot pardu, que il ne sen 

peussentaller par terre ne par mer, 

Bey Nicetas findet fich keine Nach: 

richt von dieſem Ereigniſſe. 


Krieg mit den Griechen. 264 


Bald nach diefer, für die Kreuzfahrer ſo ſchrecklichen, 
Nacht, am Neujahrstage '?) des Jahres 1204, kam in 
das Lager bey Pera der Abt Martin, welcher mit dem 
Cardinal Peter, wie im ſiebenten Kapitel dieſes Buches 
berichtet worden iſt, nach Ptolemais ſich begeben hatte, 
als Abgeordneter der Pilger, welche die Meerfahrt nach 
Syrien den weitausſehenden Unternehmungen der übrigen 
Pilger vorgezogen hatten; ihn begleitete der Vogt Conrad 
von Schwarzenberg, ein frommer, gewiſſenhafter und 
redlicher Mann *). Behyde Abgeordnete ſtellten den Gras 
fen und Baronen des Pilgerheeres vor, wie dringend 
nothwendig baldige Huͤlfe der Stadt Ptolemais waͤre, 
wenn ſie nicht mit den uͤbrigen geringen Ueberbleibſeln 
der chriſtlichen Herrſchaft im Lande der Verheißung in 
die Gewalt der Unglaͤubigen fallen ſollte; und fie begruͤn— 
deten durch dieſe Vorſtellung die angelegentliche Bitte / daß 
das Pilgerheer die Erfuͤllung ſeines Geluͤbdes, wodurch 
es ſich zum Beiſtande des heiligen Landes verpflichtet haͤtte, 
nicht laͤnger verſchieben moͤchte. Die Grafen und Barone 
hoͤrten zwar mit Theilnahme die Erzaͤhlung des be— 
redten Abtes von der Noth und den Widerwaͤrtigkeiten 
der Chriſten in Syrien, und den ſchrecklichen Verwuͤſtun⸗ 
gen einer Seuche, welche nicht lange zuvor den groͤßten 
Theil der im Jahre 1203 nach Syrien gekommenen Pilger 
hinweggerafft hatte; gaben aber weder ihm noch ſeinem 
Begleiter die Hoffnung baldiger Erfuͤllung ihrer Bitte, 
und beyde, als ſie im Lager der Pilger blieben und Zeugen 


50) In Circumeisione Domini; der testimonium perhibet tantae inte- 
Abt hatte am dritten Tage vor St. gritatis, ut quotiens se vel joco vel 
Martin (9. November) Ptolemais sexio vel casu mentitum esse recor- 
verlaſſen. Guntheri Historia Con- daretur, tot venias in secreto pe- 
stantinop. p. XI. tere consuevisset. Gunther ibid. 

31) Cui idem Abbas (Martinus) j 


J. Chr. 
1204. 


262 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


. 2. der nachfolgenden Begebenheiten waren, uͤberzeugten ſich, 
daß unter den damaligen Umſtaͤnden und mitten im offenen 
Kriege mit den Griechen das Heer nicht ohne Gefahr die 
Gegend von Conſtantinopel verlaſſen, und uͤberhaupt die 
Kreuzfahrt nach dem gelobten Lande nur dann gelingen 
koͤnnte, wenn die Macht des ee Kaiſerthums 

gebrochen würde ). 


Die Verhaͤltniſſe der bey Pera gelagerten Kreuzfahrer 
nahmen aber bald hernach eine neue Wendung. Weder 
Alexius noch fein Vater Iſaak gewannen dadurch, daß fie 
es gewagt hatten, ihrem freundſchaftlichen Verhaͤltniſſe 
mit den Kreuzfahrern zu entſagen, das Vertrauen ihres 
Volkes; vielmehr herrſchte die Meinung in Conſtantins⸗ 
pel, daß beyde Kaiſer noch immer den Fremdlingen mehr 
ergeben waͤren als ihren Unterthanen, und fie ſowohl 
als ihr ganzer Anhang entſcheidende Maßregeln aus 
boͤſem Willen nicht minder als aus Feigheit hinderten. 
Da nun der Kaiſer Ifaak zu dieſer Zeit in voͤllige Ent⸗ 
kraͤftung fiel, und das Wolf täglich die Nachricht von 
feinem Tode erwartete ): fo vereinigte ſich der groͤßte 
Theil der Bewohner von Conſtantinopel in dem lebhaften 
Verlangen, daß ſtatt des jungen Alexius Angelus, welcher 
auf eine der Würde des griechiſchen Kaiſerthums unange— 
meſſene Weiſe durch Fremdlinge auf den Thron geſetzt wor; 
den waͤre und einem Geſchlechte angehoͤrte, welches uͤber 
das griechiſche Reich nur Unheil gebracht haͤtte, ein Kaiſer 


92) Nach Günther's Erzählung (J. c.) 33) Nicetad S. 361. Nach der Er: 
wagten die Kreuzfahrer es nicht, den zählung Villehardouin's (©.89) wurde 
Hafen von Conſtantinopel zu verlaſ- die Krankheit des alten Kaiſers erſt 
ſen: propter innumeras Sraecorum ſpäter durch die Angſt, in welche ihn 
naves, quibus si fugerent (Franci), die Gefangenfchaft des Sohnes brach⸗ 
dos persequi et expugnare satis ho- te, verurſacht. 
stil ter cogitabant. 


Ereigniſſe in Conſtantinopel. 263 


aus einem andern Geſchlechte erwaͤhlt werden moͤchte. 1 
Das Volk von Conſtantinopel war zu ſehr an gewalt— 
ſame Thronveraͤnderungen gewoͤhnt, um die Abſetzung 
des jungen Kaiſers bedenklich zu finden, da es von der 
Unfaͤhigkeit des Juͤnglings, das Reich aus der damaligen 
gefaͤhrlichen Lage zu retten, uͤberzeugt war; und am 
25. Januar verſammelte ſich in der Sophienkirche eines Jan. 
zahlreiche Menge mit der Abſicht, einen neuen Kaiſer zu 
wählen *). Der Senat, die Prieſterſchaft und die Rit⸗ 
ter von Conſtantinopel hielten es fuͤr nothwendig, an den 
Berathungen der Menge Theil zu nehmen, um einen übers 
eilten Beſchluß zu verhuͤten, und gaben denen, welche von 
der Wahl eines andern Beherrſchers alles Heil erwarte— 
ten, zu bedenken, daß jeder neu erwaͤhlte Kalſer in die 
ſchlimmſte Lage kommen wuͤrde, da der junge Alexius, 
ſobald ihm von einem Nebenbuhler der Thron würde ſtrei— 
tig gemacht werden, gewiß den Schutz und Beyſtand der 
Kreuzfahrer ſuchen und erhalten würde ). Die Menge 
aber beharrte bey ihrem Sinne und ſuchte nacheinander 
mehrere der anweſenden angeſehenen Maͤnner aus den 
vornehmen Geſchlechtern ſowohl, als der Zahl der Beamten 
zuerſt mit Bitten, dann mit Drohungen zur Annahme der 
Krone zu bewegen; alle verweigerten es ſtandhaft, in ein 
ſo gefaͤhrliches Spiel ſich einzulaffen, und erſt am dritten / San. 
Tage ließ ein junger Mann, uͤbrigens von ſanftem und 
rechtlichem Sinn und nicht unerfahren im Kriege °°), mit 


54) Nicetas S. 361. 

55) Nicetas (welcher damals das 
Amt eines Logotheten, Aoyoderns 
r osrpET0w, verwaltete) war 
ſelbſt unter denen, welche dem Volke 
dieſen Rath gaben. 

30) A % ro i ueilıyos 40 


qe toe av yanuyv. Nicetas S. 362. 
Vgl. Epistola Balduini l. e. Hugo 
Plagon (S. 665) nennt den Nicolaus 
Kanabus einen haut home und Ver⸗ 


wandten der Angeli, und behauptet, 


er habe ſich erſt nach der Uſurpation 
des Murtzuflos zum Kaiſer aufgewor⸗ 


264 Bean der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


Namen Nitolaus Kanabus, jedoch nicht ohne Widerſtre⸗ 


ben, den kalſerlichen 1 in der e eee 1 
anlegen. 5 a + 

Der junge Gaiser Alexius, als er ſeinen Thron durch 
die Wahl eines Gegenkaiſers bedroht ſah, hielt es fuͤr 
unmöglich, feine Herrſchaft zu behaupten ohne den Bey— 
ſtand der Franken; und er eilte daher, Unterhandlungen 
anzuknuͤpfen mit- den Grafen und Baronen des Heeres 
der Pilger, traf aber in der Perſon des Abgeordneten, 
welchen er in das Lager bey Pera ſandte, eine hoͤchſt un; 
gluͤckliche Wahl. Es erſchien namlich im Lager der Kreuz 
fahrer als Abgeordneter des Kaiſers ſein Protoveſtiarius 


Alexius Ducas 2), welcher wegen ſeiner zuſammengewach⸗ 


ſenen und die 1 ee Augen nen den Bei⸗ 


1882 
. 1 


. 81 1 kust avis qwil deust miex colt, bey Günther Murtiphlo und 
estre empereor que Marcofles; si Murciflo, in der Chronik des Andreas 
espia un jour que Marcofle fu ä Dandulo S. 323 Murciphus und Max- 
Blaquere (in den Blachernen), 81 silepsus, und noch auf verſchiedene 
prist ce qu'il pot avoir de gens et andere Weiſe bey den Schriftſtellern 
sten ala à sainte Sophie, ä sasist verſtümmelt), wird auf die im Texte 
ei chaere et porta cörone, Quant angegebene Weiſe von Nicetas er— 
Marcolles loi dire „ si ala la, il et klärt; nach Günther (historia Con- 
si home; si Toccist. " stantinop. p. IX) bedeutete der Name 

87) Am ausführlichſten berichtet dieſe los coxdis. Nach Ducange's Ver⸗ 
Unterhandlungen Epistola Balduini, muthung zu Villehard. S. 307) war 


1. c. Nach Nicetas (S. 301 rief der Alerius Ducas der Sohn des Iſaak 


junge Kaiſer den Markgrafen Bonifaz Ducas, welcher den Sebaſtocrator Io: 


zu ſich und beſprach ſich mit ihm, und hannes Ducas zum Vater hatte. Die: 


beide vereinigten ſich zu der Meinung, ſer gehörte eigentlich zum Geſchlechte 
daß die Beſetzung des kaiſerlichen Pa⸗ der Angeli und war der Bruder des 
laſtes durch lateiniſche Truppen noth⸗ Andronicus Angelus, des Vaters des 
wendig wäre, (ost Hyagav duva- Kaiſers Iſaak und des flüchtigen Ale: 
yes Aarıvnde Ede vο rote a aber au Ehren feiner 
Agb rtole) Den Namen Mukkunds Großmutter von mütterlicher Seite, 

i ee der Kaiſerin Irene Ducgena, Gemab: 
welchen Alexlus Ducas in ſeiner Su un des Kaiſers Alexius Comnenus 
gend von ſeinen Geſpielen erhielt, 


des Erſten, den Namen des Geſchlech⸗ 
(ben Vit ehardo zuin Moxculles und tes der D ure, 


Morchuflex, bey Hugo Plagon Max- 


Ereigniſſe in Conſtantinopel. 265 


namen Murtzuflos trug. Obwohl dem Hauſe der Angeli 
verwandt, war Alexius Ducas doch keinesweges treuer 
Freund ſeines jungen Kaiſers, hatte nur durch Heucheley 
und Verſtellung deſſen Vertrauen ſich verſchafft und wartete 
ſchon damals auf die Gelegenheit, das Haus der Angeli 
zu ſtuͤrzen und ſich den Weg zum Throne zu oͤffnen. Unter 


J. Chr. 
1204. 


denen, welche den jungen Kaiſer umgaben, war Alexius 


Ducas der einzige, welcher in dem bisherigen Kriege gegen 
die Kreuzfahrer muthig und tapfer mit den Truppen die Ge— 
fahren getheilt hatte“); und die Achtung, welche er durch 
ſein bisheriges Benehmen bey den Bewohnern der Haupt— 
ſtadt ſowohl, als dem Heere gewonnen hatte, beguͤnſtigte 
die Ausfuͤhrung ſeines Planes um ſo mehr, als eben 
damals der junge Alexius Angelus im Begriffe ſtand, 
aufs neue die Hoheit und Wuͤrde ſeiner Krone durch einen 
ſchimpflichen Vertrag mit den Lateinern zu erniedrigen. 
Murtzuflos machte zwar dem Markgrafen Bonifaz, 
als dem Oberfeldherrn des Heeres der Pilger, im Namen 
des Kaiſers Alexius den Antrag, daß die Kreuzfahrer den 
Palaſt der Blachernen als Unterpfand und zu ihrer Sicher— 
heit beſetzen und dafuͤr dem Kaiſer Beiſtand wider deſſen 
Feinde gewähren möchten “); er verbreitete aber dieſen 
Antrag ſofort im Volle und dem Heere und erregte 
dadurch allgemeinen Unwillen“). Hierauf gewann er 
durch Verſprechungen und Geſchenke fuͤr ſeinen Plan den 
kaiſerlichen Schatzmeiſter, einen Verſchnittenen, und machte 
ſich die fremde Leibwache des Kaiſers *) geneigt. Alexius 
Angelus aber befoͤrderte feinen Untergang durch feine Unent— 


38) Ducas kam in einem Gefechte, 59) Epist. Balduini I. c. 
als fein Pferd ſtürzte, ſelbſt in große 
Gefahr, und wurde nur durch den 
Beiſtand der Bogenſchützen gerettet. 61) Tors mehsaupögovs Papßd- 
Nicetas a. g. O. gous, Nicetas a. a. O. 


60) Nicetas S. 362. 


J. Chr 
1204. 


266 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


ſchloſſenheit., Anſtatt den Vertrag mit den Kreuzfahrern 
zu vollziehen und dadurch in ſeiner mißlichen Lage einen 
wirkſamen Beiſtand ſchleunigſt ſich zu verſchaffen, aͤnderte 
er ſeinen Sinn, indem er zuruͤck nahm, was er freywillig 
angeboten hatte; und der Markgraf Bonifaz, welcher am 
folgenden Tage in die Stadt kam, um die angetragene 
Beſetzung des Palaſtes der Blachernen näher zu verabreden, 


kehrte zuruͤck in das Lager bey Pera, mit Verdruß uͤber 


den Wankelmuth und die Wortbrüchigfeit des undankbaren 
Juͤnglings, welcher die hohe Stufe, auf welcher er bis dahin 
geſtanden hatte, nur der Furcht ſeines Volkes vor der un— 
widerſtehlichen Tapferkeit der Ritter des Kreuzes ver; 
dankte und gleichwohl nicht müde wurde, feine Wohl 
thaͤter zu betruͤgen ). 


Mit Entſchloſſenheit und Raſchheit handelte dagegen 
nunmehr Ducas. Schon in der naͤchſtfolgenden Nacht 
nach der eben erwaͤhnten fruchtloſen Verhandlung mit dem 
Markgrafen von Montferrat kam er in das Schlafge— 
mach des jungen Kaiſers, wozu ihm wegen ſeines Amtes 
der Zutritt nicht gewehrt wurde, und ſchreckte den Juͤng— 
ling durch die Nachricht, welche er mit erheuchelter Theil— 
nahme und Bewegung ihm meldete, daß, unwillig uͤber 
die bekannt gewordenen Verhandlungen des Kaiſers mit 
den Franken, nicht nur alle bisherigen Freunde und An— 
haͤnger des Hauſes der Angeli abgefallen waͤren, ſondern 
auch die Leibwache mit furchtbarem Ungeſtuͤme an den 
Pforten des Palaſtes die Auslieferung des Kaiſers for— 
derte, in der erklaͤrten Abſicht, ihn in Stuͤcke zu hauen. 
Der feigherzige Juͤngling vertraute ſich dem Verraͤther an, 
welchen er noch immer fuͤr ſeinen treuen Freund hielt, 


6:) Epist. Balduini J. c. 


— 


Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 267 


und Ducas führte ihn, unter dem Vorwande, ihn zu Jer 
retten, verborgen unter ſeinem langen Mantel, in das 
Gemach, welches er als Protoveſtiarius im kalſerlichen Pa— 
laſte bewohnte. Dort legte der Verraͤther die Maske der 
Freundſchaft ab; und auf ſein Geheiß wurde der junge 
Kaiſer in Feſſeln gelegt und in einen dunkeln und un— 
freundlichen Kerker gebracht?). Ohne Schwierigkeit hul— 
digte das Volk und das Heer dem Alexius Ducas, von 
welchem eine kraftvolle Vertheidigung des Reichs erwartet 
wurde ); den Tod des kranken Iſaak beſchleunigte ſowohl 
die aͤngſtliche Beſorgniß uͤber das Schickſal, das ihm be— 
vorſtehen möchte, als der Gram über die Gefangenſchaft 
ſeines Sohnes, und Nicolaus Kanabus wurde von ſei— 
nem Anhange verlaſſen, von der Leibwache des neuen 
Kaiſers ergriffen und in ein Gefaͤngniß geſperrt 9°). 

Der Krieg zwiſchen den Kreuzfahrern und Griechen 
begann nach Abbrechung der von dem jungen Kaiſer Ale— 
rius eingeleiteten Unterhandlungen von neuem mit groͤ— 
ßerer Erbitterung; und die Kreuzfahrer ſtritten nunmehr 
mit groͤßerer Zuverſicht und Freudigkeit, weil in einer 
Verſammlung des Dogen von Venedig, der Grafen und 
Barone und der Geiſtlichkeit des Heeres, welche gehalten 
wurde, als die Nachricht von der Gefangenſchaft des juns 
gen Alexius im Lager bekannt geworden war e), die 


63) Nicetas a. a. O. Im weſentli⸗ 
chen ſtimmt mit der umſtändlichen Er: 
zählung des Nicetas die kürzere Wach: 
richt bey Villehardouin (S. 89) und 
in der Epistola Balduini überein. 
64) Et. Morchuflex chauga les 
huöses (d. i. Hoſen, nämlich Stiefel, 
welche auch von den lateiniſchen 
Schriftſtellern des Mittelalters hosae 
genannt werden, ſ. Ducange zu Dil: 


lehard. S. 308) vermoilles par l’aie 
Hülfe) et par le conseil des autres 
Grex, si se fist Empereor. Aprés le co- 
ronerent a Sainte Sofie. Villeh. a. a. O. 

65) Nicetas a. a. O. Epist. Bal - 
duini I. c. 

66) Nach Villehardouin (S. go) war 
damals Alexius ſchon ermordet, was 
aber den genauern und mit der Zeit: 


angabe des Nicctas. (ſ. Anm. gr.) über: 


J. Chr. 
12044. 


268 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. IX. 


Biſchoͤfe und die ganze übrige Geiſtlichkeit erklart hatten, 
daß ein Kaiſer, welcher durch Meineid und Verrath den 
Thron erlangt haͤtte, nicht als ein rechtmaͤßiger Herrſcher 
betrachtet werden koͤnnte, und daher gegen Alexius Mur— 
tzuflos und deſſen Anhang der Krieg rechtmaͤßig und ge— 
recht wäre, und daß überhaupt die Kreuzfahrer, wenn fie 
die Griechen in den Schooß der roͤmiſchen Kirche zuruͤck— 
brachten und zwaͤngen, dem Papſte zu gehorchen, vollen 
Anſpruch hätten auf die den Kreuzfahrern verheißene Ber 
gebung der Suͤnden, welche fie reuig beichten wuͤrden ?“). 
Der Kaiſer Alexius Ducas dagegen begnuͤgte ſich nicht 
damit, die Mauer der Hauptſtadt in beſſern Stand zu 
ſetzen und durch neue Werke zu befeſtigen °°); ſondern 
er weckte auch in den Truppen durch ſein eigenes Bey— 
ſpiel Muth und Tapferkeit; auch als Kaiſer blieb er 


einſtimmenden Nachricht des Grafen 
Balduin in dem oft angeführten 
Briefe widerſpricht. 

67) Villeh. a. a. O. 

68) Graeci urbem machinis et pro- 
pugnaculis muniunt, quorum nu- 
merum nemo viderat umquam. 
Quumque murus mirae latitudinis 
lapidibus minutis caementoque te- 
nacitatis et firmitatis antiquae con- 


tructus, in altum valde consurgens, 


turres haberet amplissimas, pedibus 
circiter quinquagenis et paulo plus 
minusve distantes: inter quaslibet 
duas a parte maris, quo noster ti- 
mebatur assaltus, turris lignea eri- 
gitur super murum, stationibus tri- 
bus aut quatuor multitudinem con- 
tinentibus armatorum; nihilominus 


etiam inter quaslibet duas turres 


seu petraria seu mangonellus erigi- 
tur, Turribus autem supererigun- 
tur ligecae turıes altissimae statio- 


nibus sex, super quam supremam 
stationem adversum nos porrigun- 
tur scalae, appodiationes (d. i. Stũ⸗ 
Gen) ex utraque parte et propugna- 
cula continentes, paulo minus ex- 
celsis scalarum capitibus, quantum- 
jacere posset arcus a terra (d. i. die 
Spißen der Leitern waren nicht ganz 
fo hoch, als ein Pfeil aus einem Be: 


gen geworfen werden kann ). Epist. 


uduini J. c. Nach Nicetas (S. 364) 
erhöhte Alexius die Mauer an der 
See durch Balken, und die Thore am 
feſten Lande verſperrte er durch kleine 
Mauern (rare yap napalıa reiyn 
tus nülens di boxuv avuymos 
nal Tas yegowlas tuLas Teıyıoua- 
riois ÖdıeilnpE). Damit übereinſtim⸗ 
mend erzählt Villehardouin (S. 94): 
Ne ni avoit si halte tor, ou il ne 
leissent deux estages ou trois de 
kust por plus halcier. 


Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 269 


Soldat und kaͤmpfte in der Mitte ſeiner Scharen wider 
die Pilger mit Schwert und Streitkolbe °°), 

Auf ſolchem Wege haͤtte es dem Kaiſer Alexius Mur— 
tzuflos gelingen koͤnnen, ſeine Herrſchaft zu befeſtigen, 
wenn er mit perſoͤnlicher Tapferkeit das Talent eines 
Feldherrn vereinigt haͤtte; er bewies aber ſogleich in dem 
erſten Kampfe von einiger Erheblichkeit, wozu er als Kai— 
ſer ſeine Truppen fuͤhrte, daß er es nicht verſtand, der 
Tapferkeit der Ritterſchaft des Kreuzes den Sieg abzuge— 
winnen. Der Graf Heinrich von Flandern, Jacob von 
Avesnes, Balduin von Beauvoir, und die Brüder Otto 
und Wilhelm von Chamlite aus der Champagne 7°) zogen, 
begleitet von vielen Kreuzfahrern aus ihren Landſchaften, 
an einem der letzten Tage des Januars, aus dem Lager 
bey Pera, um in dem umliegenden Lande nach Beute um— 
herzuſtreifen, und kamen, nachdem ſie die ganze Nacht 
hindurch geritten waren, am andern Morgen nach der 
Stadt Philea an der Kuͤſte des ſchwarzen Meeres 7”), 


geriethen die Belagerten in Noth 
und wandten ſich mit der Bitte um 
Beiſtand an den Sultan Rokneddin, 
Herrn von Iconium; dieſer aber war 
nicht im Stande, ihnen zu helſen.“ 


69) Ey roots de zul aurog 
Eigos ayavlılöusvos xal ,a. 
r yeıga nadonkılöuevor. Nice: 
tas a. a. O. Nach der Erzählung des 
Abulfaradſch (Chron, Syr, p. 444) 
ſuchte Alexius damals die Hülfe des 
Sultans Rokneddin von Iconium, 
aber ohne Erfolg. „Als die Einwoh— 


70) Dieſe nennt Villehardouin S. 
91. Nach dem Briefe des Grafen 
Balduin waren es ungefähr tauſend 


ner von Conſtantinopel ſich von den 
Franken ohne Erbarmen ausgeplün— 
dert ſahen, ſo ſtanden ſie auf wider 
den Knaben, den Sohn des griechi— 
ſchen Königs, und tödteten ihn; wor⸗ 
auf ſie auch die Franken aus der 
Stadt trieben und vor ihnen die Thore 
verſchloſſen. Die Franken belagerten 
daher nunmehr die Stadt. Als die 
Belagerung ſich in die Länge zog, ſo 


Pilger (usque ad mille animos pug- 
nantium), welche gegen das Gebot 
der Führer des Heeres ( praeter or- 
dinationem nostram)) dieſen Zug un— 
ternahmen. Nach Nicetas dagegen 
war der Graf Balduin ſelbſt ihr 
Anführer. 

7r) Une bonne ville qui la Filee 
avoit nom.... (et) 'scoit sor la 


mer de Russie. Villehard. a. a. O. 


* Chr. 
1204. 


2270 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


228 wo ſie zwey Tage verweilten und an Lebensmitteln, Klei— 
dern und vielem Geraͤthe große Beute gewannen, welche 
ſie zum groͤßern Theile auf Barken nach dem Lager bey 
Pera ſandten ??), Als der Kaiſer Alexius von dieſem 
Streifzuge eines Theils der Kreuzfahrer Kunde erhielt, ſo 
glaubte er die Gelegenheit gefunden zu haben, ihnen 

Februar großen Schaden zu thun; und er zog in dieſer Meinung 
in der Nacht aus Conſtantinopel mit einem beträchtlichen 
Theile ſeiner Truppen, und legte ſich an dem Wege, auf 
welchem die Kreuzfährer von Philea zuruͤckkehren mußten, 
in einen Hinterhalt. Seine Hoffnung wurde jedoch zu 
Schanden. Ducas glaubte zwar mit großer Klugheit zu 
verfahren, indem er die mit Beute beladenen Scharen der 
Kreuzfahrer, eine nach der andern, ungeſtoͤrt voruͤber 
ziehen ließ, und erſt die hinterſte Schar, welche die Flan— 
dern bildeten und der Graf Heinrich fuͤhrte, am Eingange 
eines Waldes mit großem Ungeſtuͤme anfiel ??), Die Gries 
chen verzagten aber, als die Ritter dem erſten ungeſtuͤmen 
Angriffe nicht wichen und ergriffen die Flucht, ipren Kai⸗ 
ſer verlaſſend; Alexius Ducas ſelbſt entging nur mit Muͤhe 
der Gefangenſchaft, und ſein kaiſerliches Panier, ſo wie 
das wunderthaͤtige Bild der Mutter Gottes, welches die 
Kaiſer in ihren Kriegen, wenn ſie ſelbſt ihr Heer fuͤhrten, 
als das Bild der Sieg verleihenden Beſchützerin, vor ſich 
her tragen ließen, fielen als Siegeszeichen in die Gewalt, 
der Kreuzfahrer 7*); und zwanzig der vornehmſten Waf; 


Nach Nicetas (S. 364) plünderten pardi son Gonfanon Imperial et. 
und brandſchatzten fie nur die um⸗ une Ancone qu’il faisoit porter. de- 
gegend von Philea (Ta megl 7yv want lui, oü il se fioit mull il et 
li autre Gré; en cele ancone ere 
Nostre Dame formęe. Villehard. 
S. 92. Albericus erzählt, daß Peter 
von Braiecuch dieſes wunderthaätige 


Dıllav uten). 
72) Villehard. a. a. O. 
73) Villehard. a. a. O. 
74) L’empereor Morchuflex.,. 


Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 271 


fengefaͤhrten des Kaiſers wurden getoͤdtet 2). Jenes er, Br 
oberte Bild der Mutter Gottes ſchenkten die Ritter dem 
Orden der Ciſtercienſer, deſſen Aebte um dieſe Kreuzfahrt 


fo große Verdienſte ſich erworben hatten 7°, 
Als jene Unternehmung mißlungen war, verſuchte es 


Alexius Ducas, die Flotte 


Bild eroberte. Petrus de Brachuel 
Samsonem Patriarcham (welcher das 
Bild trug) super galeae nasale sic 
percussit, quod ille cadens ad ter 
ram Iconiam (iconem) dimisit, quam 
Petrus descendens de equo audacter 
arripuit. Alberic. ad a. 1204. Pp. 435. 
Der damalige Patriarch von Conſtan— 
tinopel hieß aber nicht Samſon, ſon— 
dern Johannes Kamaterus. Albericus 
giebt (p. 434) von jenem wunderthä— 
tigen Bilde folgende Beſchreibung: 
In hac iconia mirabiliter fabre- 
Facta est Majestas Domini et imago 
Beatae Mariae et Apostolorum cum 
reliquiis (in ea repositis); ibi est 
dens, quem in pueritia mutavit Je- 
sus et ibi habetur de lancea, qua 
in cruce fuit yvulneratus, de syn- 
done et Je triginta martyribus; 
hanc iconiam cum in proeliis ferre 
essent soliti CImperatores Graeco- 
zum], nequaquam antea potuerunt 
Nach Nicetas 
wäre der Kaiſer, allein zurückgelaſſen, 
faſt ſelbſt umgekommen; und das 
Bild der Gottesmutter (7 17s O 


uro ec), welches die Kaiſer 
auf ihren Feldzügen mit ſich zu neh— 
men pflegten (/ o Baoıleis Pu- 


ab hostibus superari. 


ualow nowtvraı νννννẽuονν), 
wurde von den Feinden erobert. Die: 
ſes Bild, welches für ein Werk des 
Evangeliſten Lucas gehalten wurde, 
fiel, nach der Behauptung des Ramnu— 
ſius, in der Theilung der Beute dem 


der Kreuzfahrer durch Feuer 


Dogen von Venedig zu: Ea (Icon 
Deiparae virginis), cum Dandulo 
duci in rerum divisione sorte obti- 
gissct, summo cultu Venetias delata, 
munc in Divi Marci, solennibus 
Deiparae diebus e Sacrario, collu- 
ad Aram 
maximam salutatur, Rhamnus. L. III. 
p. 113., und ebendafeltit wird (p. 129) 
weiter bemerkt: Quin et hodie quod 
pluribus miraculis illustratum in Di- 


centibus undique cexeis, 


vi Marci, accensis cereis ac thure, 
statis diebus Deiparae virginis, exi- 
mia veneratione colitur supplicatio- 
nibusque circum Marcianam aream 
solenui 
di vi Lucae opus ferunt. Dieſes von 
Ramnuſius erwähnte Bild, welches 
entweder nicht das in der erzählten 
Schlacht eroberte war, oder, faus es 
daſſelbe war, von den Ciſtercienſern 
der Republik Venedig überlaſſen wor— 
den iſt, wurde in der Kirche St. Mar: 
cus in der Capelle Madonna de' Mas- 
coli aufbewahrt. Vgl. J. C. Maier 
Beſchreibung von Venedig. Th. I. 
(Leipzig 1795. 8.) S 160. 


75) Villehard. S. 92. 


70) Epist. Balduini I. c. Nur Vil⸗ 
lehardouin bemerkt (a. a. O.) die Zeit 
dieſes Ereigniſſes: Et fu ja de liver 
grant partie passee et entor la Can- 
delor fu (d. i, es war um Licht: 
meſſe, 2. Februar), et 
le Quaresme. 


caeremonia Circumfertur, 


approcha 


J. Chr. 
1204. 


272 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


zu zerſtoͤren, indem er in einer Nacht, ebenſo als wenige 
Monate zuvor unter der Regierung der Angeli geſchehen 
war, einige Brander von der Kuͤſte abſtoßen ließ, welche 
durch die Gewalt eines heftigen Suͤdwindes zwiſchen die 
feindlichen Schiffe getrieben wurden; aber auch dieſes 
Mal ſiegte die Bosheit der Griechen nicht uͤber die Ge— 
ſchicklichkeit der venetianiſchen Seeleute 77). 

Nicht leicht verging ſeit der Erneuerung der Feind— 
ſeligkeiten ein Tag ohne Kampf zu Maſſer oder zu 
Lande 78); der Kaiſer Alexius Ducas, deſſen Grundſatz 
es war, daß ein Kaiſer nichts uͤbereilen, ſondern langſam 
und mit Bedacht verfahren müffe ??), vermied ſorgfaͤltig 
eine entſcheidende Schlacht, waͤhrend die Kreuzfahrer, 
welchen nichts unangenehmer und gefaͤhrlicher war, als 
die fernere Verlaͤngerung ihres Aufenthalts in feindlichem 
Lande, mit Ungeduld nach ſchleuniger Beendigung dle— 
ſes Kriegs ſich ſehnten. Eines Tages zogen die Kreuzfah— 
rer mit Vortragung des heiligen Kreuzes und in wohl ge— 
ordneten Scharen aus ihrem Lager bey Pera, gingen uͤber 
die Kameelbruͤcke, welche uͤber den Fluß Barbyſes fuͤhrte, 
und ſtellten vor dem Thore der Blachernen in Schlachtord— 
nung ſich auf, die Griechen zur Schlacht herausfordernd; 
aber auch dieſe Herausforderung blieb ohne Wirkung. 
Nur ein einzelner griechiſcher Ritter wagte es, aus der 
Stadt hervorzukommen und wider die Kreuzfahrer zu 


77) Vgl. oben S 250. Anm. 49. 
78) Grant fu la guerre entre les 


Frans et les Grex, car ele n'apaisa 


mie: ainz elle crut ades et efforga, 
et poi ere iorz que on ni assem- 
blast ou par terre ou par mer. Vil⸗ 
lehard. S. 9. gr. 

79) Nicetas S. 363. Quanto stu- 
dio noster crucesignatorum exerci- 


tus optabat confligere et mori cum 
hostibus, tanto illi (Graeci) refugie« 
bant victoriam de nostris suis mor- 
tibus comparare, videntes jam illos 
in terra hostili laborare penurie, 
se autem in loco suo bonis omni- 
bus abundare, Guntlhieri hist, Con- 
stant. p. XLV, 


Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 273 


kaͤmpfen, buͤßte aber ſeine unbeſonnene Kuͤhnheit mit dem Nb. 
Tode, indem das Fußvolk der Kreuzfahrer ihn erſchoß; 

und das lateiniſche Heer kehrte, verdrießlich uͤber die 
Verfehlung feines Ziels, zuruͤck in das Lager 5). 
Alexius Ducas beſchraͤnkte ſich darduf, den Kreuzfahrern 

das Sammeln von Lebensmitteln, ſo viel an ihm lag, 

zu erſchweren. 

Obwohl der Kaiſer mit groͤßerer Thaͤtigkeit, als ſeine 
Vorgaͤnger, der Vertheidigung der Hauptſtadt ſich unter— 
wand, ſo erwarb er ſich gleichwohl weder die Achtung 
noch das Vertrauen ſeiner Unterthanen; vielmehr vergroͤ— 
ßerte er durch ſein rauhes und abſtoßendes Benehmen 
nicht minder als durch die Erpreſſungen, zu welchen ihn 
die völlige Erſchoͤpfung des kaiſerlichen Schatzes zwang? ), 
taͤglich die Zahl ſeiner Feinde, und ſein Stolz und Ei— 
genduͤnkel verleitete ihn ſelbſt zu hartem und kraͤnkendem 
Verfahren gegen ſeine Freunde und Verwandte. Ueber— 
zeugt, daß an Einſicht und Verſtand niemand ihm gleich 
waͤre, glaubte er des Raths anderer entbehren zu koͤnnen, 
und hielt es daher auch nicht fuͤr nothwendig, durch Be— 
lohnungen und ein mildes, freundliches Betragen die 
Treue oder Anhaͤnglichkeit derjenigen, welche ihm zu ſei— 
ner Erhebung behuͤlflich geweſen waren, ſich zu erhalten 
oder neuen Anhang ſich zu verſchaffen. Auf die Ergeben— 
heit der Soldaten vertrauend, glaubte er der Furcht und 
nicht der Liebe ſeiner uͤbrigen Unterthanen zu beduͤrfen, 
und mit ſeinen Umgebungen redete er kaum anders als 


80) Epist. Balduini 1. c. ſuchungen, und das Geld, welches er 
81) Er unterwarf beſonders diejenl⸗ auf dieſe Weiſe (durch die aufgeleg— 
gen, welche während der Regierung ten Strafen) gewann, gebrauchte er 
der Angeli zu den höchſten Aemtern, für die öffentlichen Bedürfniſſe. Ni— 
als Sebaſtokratores und Caeſares, wa- cetas S. 364. 
ren erhoben worden, ſtrengen Unter: 


V. Band. & 


J. Chr. 


1204. 


274 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX. 


ſcheltend oder drohend. Sein verſchloſſener und miß— 
trauiſcher Sinn, ſowie die Anſicht, welche in allen ſeinen 
Worten und Handlungen ſich ausſprach, daß Verſchlagen— 
heit und heimtuͤckiſche Liſt die wahre Weisheit und Klug— 
heit des Lebens waͤre, entfremdete ihm alle Gemüuͤther, 
und niemand verſah ſich von ihm etwas anders als Schlim— 
mes. Die Natur hatte ihm jede liebenswuͤrdige aͤußere 
Eigenſchaft verſagt, und ſeine finſtere Miene war eben ſo 


abſchreckend und widerlich, als der rauhe, hohle und heiſere 


Ton feiner Stimme. Diejenigen, welche das Ungluͤck hat— 
ten, ihm nahe zu ſtehen, wuͤnſchten daher nichts ara 
als das baldige Ende feiner Herrſchaft 57). 
Weniger durch die Betrachtung der Gefahr, welche 
aus dieſen mißlichen Berhältniffen entſprang, als durch 
die Nachricht, daß die Kreuzfahrer zu einer ernſthaften 
Belagerung der Stadt ſich ruͤſteten und auf ihren Schif— 
fen Sturmleitern und mancherley Wurfmaſchinen in Be— 
reitſchaft ſetzten ss), wurde wahrſcheinlich Alexius Ducas 


82) Die Züge dieſer Schilderung ſind 
im Allgemeinen von Nicetas (S. 363. 
364) angegeben worden und werden 
durch das Benehmen des Alexius Du: 
cas beſtätigt. Nicetas hatte übrigens 
eine beſondere Urſache, dieſem Kaifer 
gram zu ſeyn; denn Alexius Ducas 
nahm ihm ohne irgend einen ſchein⸗ 
baren Grund (an ovdeuias evoyY- 
Kovos rτιτοοοναονον das Amt des ge: 
heimen Logothetes (oo erus rwv 


o8xgErow) und gab dieſe Stelle ſei⸗ 
nem Schwager Philokatius; welcher 
übrigens, wie Nicetas verſichert, nicht 
im Stande war, dieſe Stelle zu ver⸗ 
ſehen, und das Podagra als Vorwand 
brauchte, um ſich die Befreyung von 
den mit ſeinem neuen Amte verbun⸗ 


denen, gemeinſchaftlichen Verhand— 
lungen und Berathungen mit einigen 
(ihm unangenehmen) kaiſerlichen ho: 
hen Beamten zu erfchleichen (ro A 
vv Fg0v05 zivaı Tuv Ev Tuuais 
Evioıs ute , moddygav 2 


warılöusvos). Die angeführten mit 
Bitterkeit geſchriebenen Worte des Terz 
tes ſcheinen übrigens auf ein geſpann⸗ 
tes Verhältniß der Freunde des Nice⸗ 
tas zu dem neuen Logothetes ſich zu 
beziehen. 

83) Nicetas S. 364. Cels qui 
devant Constantinople remestrent, 
Hrent mult bien lor engins atorner 
et lor Perrieres et les Mangonials 
drecier par les nes et par les vis- 
siers et toz engins qui ont mestier 


Unterhandlungen mit Alexius Ducas. 275 


bewogen, Unterhandlungen mit dem Dogen von Venedig 
und den Heerfuͤhrern der Pilger anzuknuͤpfen 8). Die 
Grafen und Barone folgten zwar nicht ſeiner Einladung, 
in die Stadt zu kommen, weil der Doge Heinrich Dan— 
dulo fie warnte gegen die bekannte Tuͤcke der Griechen 8°); 
der Doge ſelbſt aber beſprach ſich mit dem Kaiſer an der 
Kuͤſte des Meerbuſens bey dem Kloſter der heiligen Kos— 
mas und Damianus 8°), Doch hatte dieſe Unterredung 
keinen Vergleich zur Folge und wurde nicht einmal mit 
Ruhe beendigt. Der Doge forderte nicht nur eine Ent— 
ſchaͤdigung von funfzig Centnern Goldes, welche unver— 
zuͤglich entrichtet werden ſollten, und die Erneuerung der 
von Iſaak und deſſen Sohn Alexius uͤbernommenen Ver— 
bindlichkeit, die Hoheit des roͤmiſchen biſchoͤflichen Stuhls 
anzuerkennen, und zur Wiedereroberung des heiligen Lanz 
des Huͤlfe in der beſtimmten Weiſe zu leiſten; ſondern 


à ville prandre, et les eschieles des 83) Nach der Erzählung Günthers 


antaines des nes qui estoient si hal- 
tes que n' ere se merveille non (d. i. 
daß keiner war, welcher ihre Höhe 
nicht bewunderte). Villehard. S. 
93. 94. a 

84) Vergl. Epistola Balduini I. c. 
Guntheri Historia Constantinop. p. 
XIII. Nicetas S. 363. Villehardouin 
erwähnt dieſer Verhandlungen nicht. 
Sie fanden nach dem Briefe des Gra⸗ 
fen Balduin Statt am Tage vor der 
Ermordung des jungen Alexius, und 
dieſe geſchah nach Nicetas am 8. Fe⸗ 
bruar; denn Nicetas ſagt (S. 362), 
daß der junge Alexius nur ſechs Mo: 
nate und acht Tage (Haονννενννs 
uñ vas EE ovv mulguus., 0x7W), 
alſo vom x. Auguſt 1203 bis zum sten 
Februar 1204 den kaiſerlichen Titel 
geführt habe. 


verſuchte Alexius Ducas die Kreuze 
fahrer zu betrügen, indem er ſie im 
Namen des jüngern Alexius eintud 
(misitinuncios sub nomine junioris 
Alexii, qui principes exercitus no- 
stri de castris ad ipsum evocarent, 
quasi promissam pecuniam et insu- 
per ampliora munera regiae libera- 
litatis accepturos). Dieſe Liſt konnte 
von keiner Wirkung ſeyn, da die 
Kreuzfahrer, wie wir aus dem Briefe 
des Grafen Balduin wiſſen, vollkom⸗ 
men unterrichtet waren über den Zu: 
ſtand der Dinge in Conſtantinopel. 


96) Er begab ſich dahin auf einer 
Galee (VN e renjgn). Nices 
tas a. g. O. Vgl. Epist, Balduini 
1. c. his a 


S 2 


J. Chr. 
1204. 


* 


276 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. IX. 


J. er verlangte auch im Namen der Grafen und Barone des 
Heeres der Pilger, daß Alexius Ducas den Thron, wel- 
chen er durch Meineid ſich zugeeignet haͤtte, verlaſſen und 
dem rechtmaͤßigen Kaiſer Alexius Angelus dem juͤngern 

zurückgeben, auch wegen des von ihm veruͤbten Verbre— 
chens die Kreuzfahrer ſowohl als den jungen Kaiſer, ſei— 
nen Herrn, um Gnade und Verzeihung bitten ſollte. Der 
Doge gab, nachdem er dieſe Forderungen vorgetragen 
hatte, die Zuſicherung, daß die Kreuzfahrer dem jungen 
Kaiſer Alexius, aus Ruͤckſicht auf deſſen Jugend und Uns 
verſtand, falls er Beſſerung geloben wuͤrde, die von ihm 
wider fie geübte Untreue gern verzeihen wuͤrden 87). 
Alexius Ducas wies aber jene Forderungen zuruͤck, wie zu 
erwarten war, und ſuchte ſein Verfahren gegen das von 
den Kreuzfahrern beſchuͤtzte Geſchlecht der Angeli zu recht— 
fertigen ?). Dieſe Unterredung war noch nicht beendigt, 
als ein Theil der Ritterſchaft des Kreuzes von einer be— 
nachbarten Hoͤhe mit verhaͤngten Zuͤgeln herabſprengte, 


87) Der Geldforderung erwähnt 
Nicetas; die übrigen Forderungen 
berichtet der Brief des Grafen Bal: 
duin. Gleichwohl ſagt Nicetas von 
diefen Forderungen, doch ohne fie näher 
anzugeben, Folgendes: „Was der Ders 
zog von Venedig und die übrigen 
Barone (or Aoımoi orgarnyoi) 
forderten, waren funfzig Zentner Gol— 
des, welche ſogleich bezahlt werden 
ſollten, und außerdem einige andere 
Verwilligungen (ovuguwviar rıvks), 
die denen, welche die Freyheit ges 
koſtet haben und gewohnt ſind, zu 
herrſchen und nicht beherrſcht zu wer⸗ 
den, widerwärtig und unerträglich 
ſeyn, und als ſchwere ſpartaniſche Gei⸗ 
ßeln erſcheinen mußten; dagegen wa⸗ 
ren dieſe Forderungen für diejenigen, 


welche in der Gefahr der Gefangen— 
ſchaft ſchwebten und nichts anders zu 
erwarten hatten als ſchon eingetrete⸗ 
nes oder bevorſtehendes allgemeines 
Verderben, erträglich und keinesweges 
durchaus unbillig (unde rr ,. 
cıw aydsıvoraras). Nach dem Briefe 
des Grafen Balduin antwortete Mur: 
tzuflos auf die Forderung wegen Au: 
erkennung der Hoheit des römiſchen 
Stuhls: se vitam amittere praeeli- 
gere Graeciamque subverti, quam 
quod Latinis Pontificibus Orientalis 
Ecclesia subderetur, 


88) Ille vana verba subintulit, 
quia quae responderet, rationabili- 
ter non haberet. Epist. Balduini. 


Tod des Alextus Angelus. 277 
in der Abſicht, den Kaiſer gefangen zu nehmen?“); Alexius 
Ducas ſelbſt erreichte zwar noch das Roß, auf welchem 
er zur Unterredung gekommen war, und entging durch 
deſſen Schnelligkeit der Gefangenſchaft, einige ſeiner Be— 
gleiter aber wurden von den Kreuzfahrern gefangen hin⸗ 
weggefuͤhrt o). 


Die Forderung, welche in dieſer Unterredung der 
Doge von Venedig gemacht hatte, daß dem jungen Kaiſer 
Alexius Angelus der Thron zuruͤckgegeben werden ſollte, 
bewog den Alexius Ducas, deſſen Selbſtſucht ohnehin 
kein Mittel ſcheute, welches ihm dienlich ſchien fuͤr ſeine 
Abſichten, den Tod des unglücklichen Juͤnglings zu bes 
ſchleunigen; und in der folgenden Nacht des achten Tes 
bruars ließ er ihn in ſeinem Gefaͤngniſſe erdroſſeln. 
Schon mehrere Male zuvor hatte der ruchloſe Thronraͤu— 
ber es verſucht, den Juͤngling zu vergiften; deffen ſtarke 
Natur aber, ſowie heimlich genommenes Gegengift, hat— 
ten die Wirkung des ihm gereichten Giftes vereitelt “). 


— 


80) Trina Aarırızal Övvausıs 
2 vnepdsfiwv alpyns garsioaı 
Nicetas a. a. O. Nach der Erzählung 
Günther's hatten die Barone auf die 
Einladung des Kaiſers noch nicht ger 
antwortet, ſondern beriethen ſich noch 
wegen der Antwort, als im Lager 
der Pilger die Nachricht ſich verbrei⸗ 
tete, daß der junge Alexius ermordet 
worden ſey z worauf nach eben die— 
ſem Schriftſteller fogleich die Belage— 
rung von Conſtantinopel beſchloſſen 
wurde. Günther erwähnt alſo nicht 
der Verhandlungen des Dogen mit 
dem Kaiſer, welche nach den einſtim⸗ 
migen Zeugniſſen des Nicetas und 
des Grafen Balduin wirklich Statt 
fanden. 


90) Nicetas a. a. O. Balduin ers 
wähnt in feinem Briefe nicht dieſer. 
Störung der Unterhandtungen. 


91) Nach der Erzählung des Gras 
fen Balduin, welchem ich in der Ber 
ſtimmung der Zeltfolge dieſes Mordes 
und der vorhergegangenen Unterhand⸗ 
lungen gefolgt bin, erdroſſelte Alexlus⸗ 
Ducas den jungen Kaiſer mit eigener 
Hand: Noete insequenti (nach der 
Unterredung mit dem Dogen von Bes 
nedig) Dominum suum latenter la- 
queo sullocat in carcere,. cum quo 
ipsa die prandium sumpserat, 
clava ferrea, quam tenebat in- manu, 
latera morientis et costas inaudita 
crudelitate confringit. Mit dieſer 
Erzählung iſt auch Villehardouin (S. 


es 


J . Chr. 
1204. 


54 


278 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI da p. IX. 


Es wurde vorgegeben, daß der junge Alexius eines natuͤr— 
lichen Todes geſtorben waͤre; und um dieſem Vorgeben 
Glauben zu verſchaffen, ließ Murtzuflos den Leichnam mit 
kaiſerlichen Ehren zur Erde beſtatten 2). Doch blieb das 
neue Verbrechen, durch welches der Frevler vergeblich 
hoffte, ſeinen wankenden 7 75 zu. a 555 lange 
n 1. w rn 

Die Kreuzfahrer vernahmen die Nachricht von dem 
eme Tode des Juͤnglingsf welcher ihrem Schutze 
den Glanz weniger Monate verdankt hatte, nicht nur mit 
mitleidiger Theilnahme, ſondern zugleich mit bitterm Ver⸗ 
druſſe, weil ſie nunmehr voͤllig ſich betrogen ſahen um 
den noch ruͤckſtaͤndigen Theil des Geldes, welches Alexius 


b t er zu BA und ge für: die 


4 15 


80.) nicht im Widerſpruche: Cil Em- 


perere Morchuflex si fist le fil (de 
Sursac) que il avoit en prison deux 


foiz ou troiz empoisonner, et ne 


plot Dieu que il morust; aprés alla, 
si l’estrangla en murtre, Daß der 
jüngere Alexius am g. Februar 3204 
ermordet wurde, erhellt aus den. in 
der Anmerkung 84 angeführten Wor⸗ 
ten des Nicetas, welcher uͤbrigens 
ganz uͤbereinſtimmend mit Villehar⸗ 
douin erzählt, daß Ducas dem Jüng⸗ 
fing zweymat den Giftbecher (Cos 
RaTsvy&orgav Eu, reichen ließ 
und, als die kräftige Natur des Jüng⸗ 
lings (0 usigaf r pyapuaxov.vsa- 
Pırurepos) und das heimlich genom⸗ 
mene Gegengift die Wirkung vereitelte, 
ihn erdroſſelte (o ayyoyns rev e 
Guns Exeivo nirov Errluveı, 7 R 
ovzws sineiv did oreVie dal Te- 
Hhımulvns riss nopeias uu W 


Verlaͤnge⸗ 


1555 Eu Igel u. r. J.) Obgleich 


Nicetas den unglücklichen Kampf des 
Kaiſers Alexius Ducas gegen die 
Flandrer und die Verhandlungen deſ— 
ſelben mit dem Dogen von Venedig 
fpäter erzählt als die Ermordung des 
jungen Kaiſers: fo kann dieſer Um: 
ſtand gleichwohl keinen Widerſpruch 
gegen die Zeitangabe des Grafen Bal⸗ 
duin begründen, da Nicetas die Zeit 
jener Begebenheiten nicht beſtimmt 
und die Erzählung von der Ermor— 
dung des jungen Alexius mit der 
Nachricht von deſſen Gefangenſchaft 
nur verbindet, um das unglückliche 
Schickſal des Jünglings vollſtändig 
bis zu ſeinem Ende darzuſtellen. Nach 
der Erzählung des Andreas Dandu⸗ 
tus (Chron, p. 323) kam der junge 
Alexius Angelus um im Br gegen 
Murgunos. 


92) Epistola Balduini und Ville⸗ 
hard. g. a. O. 


Vorbereitungen zur Belagerung von Conſtantinopel. 279 


rung ihres Aufenthaltes im griechiſchen Reiche zu Con— g. 


ſtantinopel verheißen hatte), Ohnehin konnte ihre Lage 
bedenklich werden, wenn Alexius Ducas in dem Kampfe 
wider ſie alle Mittel, welche ihm zu Gebote ſtanden, in 
Bewegung ſetzte; und ſie durften wohl erwarten, daß der 
Kaiſer, da er ſich nicht geſcheut hatte, durch ein neues 
Verbrechen ihre Nache zu reizen, gefaßt war auf einen 
erbitterten Kampf, und den Willen hatte, N auf jede 
ihm moͤgliche Weiſe zu ſchaden ). 


Ungeachtet aller Beſorgniſſe, welche ſich den Gemuͤ— 
thern der Kreuzfahrer aufdrangen, wurde beſchloſſen “?), 
mit dem Eintritte der mildern Jahreszeit, welche nicht 
mehr fern war, die Belagerung von Conſtantinopel zu be— 
ginnen, und die noch uͤbrige Zeit des Winters, welchen ſie 
unter mancherley Sorgen und Gefahren zugebracht hat— 
ten, auf die noͤthigen Vorbereitungen fuͤr dieſe, nach aller 
Wahrſcheinlichkeit ſchwierige, Belagerung zu wenden. 
Waͤhrend der Faſtenzeit herrſchte in dem Lager der 
Kreuzfahrer ſowohl als auf der Flotte der Venetianer die 
groͤßte Thaͤtigkeit, die mit Sturmleitern verſehenen Kampf— 
geruͤſte der Schiffe wurden ausgebeſſert, und eine Wurf— 
maſchine nach der andern wurde erbaut oder in Stand 
geſetzt. Aber auch Alexius Ducas war nicht unthaͤtig, 
und zwiſchen je zwey und zwey Thuͤrmen der ſtarken und 
trefflichen Mauer der Seeſeite von Conſtantinopel, wo 
man am meiſten den Angriff der Kreuzfahrer fuͤrchtete, 
erhoben ſich neue von Holz gebaute Thuͤrme zu drey oder 


93) Sed et illud eos contristabat, tiis insumpserant alienis. Gunther 
quod promissa pecunia magna ex p. XIII. 
parte frustrati erant, cujus spe 94) Gunther I. c. 
ipsi iter suum distulerant et via- 95) Dissimulato metu, sine quo esse 
ticum peregrinationis suae nego- non poterant, Gunther I. c. 


280 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. IX. 


3, ehr. vier Stockwerken von beträchtliher Höhe und weitem Um— 
fange, verſehen mit Leitern zum Herauslegen uͤber die 
Mauer, welche es moͤglich machen ſollten, die feindlichen 
Belagerungsgeruͤſte und Schiffe zu erobern; die Mauer 
ſelbſt wurde durch hoͤlzerne Geruͤſte erhoͤht, die Thore 
wurden wohl befeſtigt und verwahrt, und uͤberall zwiſchen 
den Thuͤrmen Wurfmaſchinen errichtet“). Die Kreuz 
fahrer und Griechen brachten einen großen Theil der Fa— 
ſtenzeit zu unter ſolchen vielfaͤltigen Beſchaͤftigungen und 
bangen Beſorgniſſen ?“). 


96) S. oben Anm. 67. partie del Quaresme. Der Aſcher⸗ 
97) Ensi laborerent d'une part et mittwoch fiel in dieſem Jahre auf 
d' autre li Grieu et li Franc grant den 10. März. 


Vertrag der Kreuzfahrer. 281 


Zehntes Kapitel. 


Als die Kreuzfahrer und Venetianer alle Vorbereitungen J. Sr. 
zur Belagerung von Conſtantinopel vollendet hatten, ſo 
ſchloſſen ſie im Maͤrzmonate nach reiflicher Erwaͤgung 
unter ſich einen Vertrag, in welchem Folgendes beſtimmt 
wurde: Conſtantinopel ſoll unter Anrufung des Namens 
Chriſti erobert, und auch nach der Eroberung der 
Stadt denjenigen, welche bis dahin die Gewalthaber 
im Heere Zaren, noch fernerhin gehorcht werden. Die 
ganze Beuce, welche wird gewonnen werden, ſoll an den 
von den Heerfuͤhrern beſtimmten Ort zuſammengebracht 
und getheilt werden. Sofern die Beute hinreichen wird, 
um die von dem jungen Kaiſer Alexius den Venetianern 
und Kreuzfahrern zugeſagte, aber noch nicht vollſtaͤndig 
geleiſtete Entſchaͤdigung und Belohnung aus derſelben zu 
berichtigen, ſo wie auch, falls ſie geringer ausfaͤllt, ſollen 
davon drey Viertheile den Venetianern, ein Viertheil 
aber den Kreuzfahrern zufallen; in dem Falle aber, daß 
die gewonnene Beute mehr betraͤgt, ſoll der Ueberſchuß 
zu gleichen Theilen unter beyde Partheyen getheilt wer— 
den »). In die erbeuteten Lebensmittel theilen ſich die 


1) So ſcheinen die dunklen Worte müſſen: Totum quidem havere, quod 
dieſes Artikels verſtanden werden zu in civitate inventum fuerit, a quo- 


J. Chr. 
1204. 


282 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X. 


Venetianer und Kreuzfahrer nach ihrem Beduͤrfniſſe, und 
was über das Beduͤrfniß iſt, wird unter beyde Partheyen 


zu gleichen Theilen getheilt. 


Zwoͤlf zur Haͤlfte von den 


Kreuzfahrern, zur Haͤlfte von den Venetianern ernannte 
Maͤnner waͤhlen nach Eroberung der Stadt einen Kaiſer 
durch Stimmenmehrheit; und ſind dieſe Stimmen gleich, 


ſo entſcheidet das Loos. 


libet duci debet et poni in com- 
mune, eo loco, quo fuerit ordina- 
tum. De quo tamen havere nobis 
(Duci) et omnibus Venetis tres par- 
tes debent solvi, pro illo havere, 


quod Alexius, quondam imperator, 


nobis (Venktis) et vobis (Franeis) 
solvexe tenebatur. Ouartam vero 
partem vobis (Francis) retinere de- 
betis, donec fuerimus in ipsa solu- 
tione coaequales (d. i. bis wir ganz 
gleich ſtehen werden nach der vollſtän⸗ 
digen Berichtigung unſerer Forde— 
rung). Si autem aliquid residuum 
nexit, per medieratem inter nos et 
vos dividere, usque dum fuerimus 
apacati (d. i fo daß wir völlig be: 
friedigt ſeyn werden). Si vero minus 
fuerit, ita quod non possit suffi- 
cere ad memoratum debitum persol- 
vendum, undecumque fuerit prius 
havere acquisitum, ex eo debemus 
dictum ordinem observare. In der 
Chronik des Andreas Dandulo (p. 324) 
wird dieſe Bedingung auf folgende 
Weiſe angeführt: Ut de invento mo- 
Pili Veneti satisfactionem obtineant, 


et residui acqualis hat divisio. Ma- 
rin (Storia del commercio de' Ve- 


neziani T. IV. S. 53.) zerhaut den 
Knoten, indem er die angeführten 
Worte des Vertrags alſo überträgt: 
Si dividerä per egual porzione il 
bottino tra’ Francesi e Veneziani, 
ed i Fraucesi pagheranno a' Vene- 


Dem Kaiſer werden die Paläfte 


ziani il resto di quello che vanno 
debitori per il noleggio de' Vascelli. 
Bey der wirklichen Theilung der Beute, 
welche 400000 Mark Silbers betrug, 


erhielten die Franzoſen 130000 Mark; 


ſie bezahlten aber davon 30000 Mark, 
welche fie den Venetianern noch ſchul— 
dig waren, und 100009 Mark, alſo der 
vierte Theil der ganzen Beute, wurden 
unter ſie vertheilt, und den Venetia— 
nern fielen auf dieſe Weiſe wirklich 
300000 Mark zu, alſo drey Viertheile 
der Beute. Dieſer Vertrag iſt aus 
einer Handſchrift der ambroſiſchen 
Bibliothek mitgetheilt worden von Mu⸗ 
ratori in einer Anmerkung zur Chro⸗ 
nik des Andreas Danduto (Soriptor. 
rer. Ital. T. XII. p. 326. s.), unter 
den Briefen des Papſtes Innocenz III., 
nach der Ausgabe von Brequigny und 
mann du Theil, Lib. VII. epist. 205. 

. II. p. 625, und in den Gestis In- 
nocentii III. ed. Baluze c. 92. Hand⸗ 


ſchriftlich findet er ſich im Liber al- 
bus und in den Iäbris pactorum 


(T. I. fol. 150), Handſchriften des k. k. 
Archivs zu Wien, nicht ohne Abivei: 
chungen von den gedruckten Texten. 
Ramnuſus theilt ihn nicht mit volk 


kommener Genauigkeit mit, de bello 


Constantinopolitano Lib. III. p. 116 
118. Einen kurzen Auszug aus die⸗ 
ſem Vertrage giebt Villehardouin 
S. 94 05. 


Vertrag der Kreuzfahrer, 283 


der Blachernen und Bukoleon und der vierte Theil des Nn. 
ganzen Reiches uͤberlaſſen, und die uͤbrigen drey Viertel 
des Reiches unter die Pilger und Venetianer getheilt. 
Den Venetianern bleibt im ganzen Umfange des Kaiſer⸗ 
thums der ungeſtoͤrte Genuß aller ihnen bisher zugeſtan⸗ 
denen Freyheiten und Vorrechte, und der fernere Beſitz 
der daſelbſt von ihnen gemachten Eroberungen, ſolche 
Freyheiten, Vorrechte und Erwerbungen moͤgen urkundlich 
erwieſen werden koͤnnen oder nicht. Die Geiſtlichkeit ders 
jenigen Parthey, aus welcher der Kaiſer nicht gewaͤhlt 
werden wird, weiht und ordnet die Kirche der goͤttlichen 
Weisheit für den katholiſchen Gottesdienſt und erwaͤhlt 
den Patriarchen; die uͤbrigen Kirchen des Reichs werden 
unter die Franken und Venetianer getheilt, und die Geiſt⸗ 
lichkeit jeder Parthey ordnet die ihr zufallenden Kirchen. 
Es iſt fuͤr den anſtaͤndigen Unterhalt der Geiſtlichkeit 
jeder Kirche auf genuͤgende Weiſe zu ſorgen, alles übrige 
Kirchengut wird, wie jedes andere Veſitzthum des griechis 
ſchen Reiches getheilt. Die Theilung des Landes in Le— 
hen, und die Beſtimmung der Pflichten, welche die Lehens— 
träger. dem Kaiſer, und dem Reiche zu leiſten haben, 
geſchieht durch einen Ausſchuß von wenigſtens zwoͤlf ver⸗ 
eideten Maͤnnern von jeder der beyden Partheyen 2). Die 
Lehen ſollen erblich ſeyn, fuͤr die Weiber nicht weniger 


) Est autem sciendum, quod a 
nostra et vestra parte duodecim ho- 


mines vel plures pro parte eligi de- 


bent, qui juramento adstricti feuda 


et honorificentias inter homines 
distribuere debent et seryitia assi- 


gnare, quae ipsi homines imperio 


et imperatori facere debent, secun- 
dum quod illis bonum visum fuerit 


et conveniens apparebit. Nach Vil⸗ 


lehardouin: Et lors seroient pris 


douze des plus sages de Jost des 
Pelerins et douze des Venissiens, et 
cil departiroient les, ‚fiez et les ho- 
nors par les homes, et deviseroient 
quel service il en feroient A l Em- 
pereor. 


284 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. X. 


I," als für die Männer, und jeder Lehenstraͤger mag über 


ſein Lehen ſchalten, wie er will, ſofern der Dienſt des Kai— 
ſers und des Reiches nicht beeintraͤchtigt wird. Der 
Doge von Venedig ſoll zwar fuͤr die Lehen oder andere 
Beſitzthuͤmer, welche im griechiſchen Reiche ihm zufallen 
werden, nicht gehalten ſeyn, den Leheneid zu leiſten; die— 
jenigen aber, welchen er dieſelben uͤbertraͤgt, ſind ver— 
pflichtet, dem Kaiſer und dem Reiche den Eid der Treue 
zu ſchwoͤren. Kein Feind der einen oder andern Parthey 
ſoll, ſo lange er mit derſelben im Kriege ſich befindet, und 
vor geſchloſſenem Frieden im Reiche aufgenommen und ge— 
duldet werden. Sowohl die Kreuzfahrer als die Vene— 
tianer ſollen durch einen Eidſchwur ſich verpflichten, wenig— 
ſtens bis zum letzten Tage des Maͤrzmonates des Jahres 1205 
im griechiſchen Reiche zu bleiben, um den Kaiſer, welcher 
aus ihrer Mitte wird erwaͤhlt werden, und das Reich zur 
Ehre Gottes und der roͤmiſchen Kirche zu beſchirmen; die— 
jenigen aber, welche nach dem Ablaufe dieſer Zeit noch 
länger im griechiſchen Reiche zu verweilen geſonnen find, 
ſollen nicht nur dem Kaiſer durch einen Schwur nach 
guter und loͤblicher Gewohnheit Treue und Gehorſam ge— 
loben, ſondern auch insbeſondere eidlich verſprechen, die 
Ordnungen und Satzungen des Reiches zu beobachten. 
Dagegen ſoll auch der Kaiſer mit einem feyerlichen Eide 
ſich verbindlich machen, die verabredete Theilung des Rei— 
ches aufrecht zu erhalten, und jeden im Beſitze ſeiner 
Rechte und Freyheiten zu ſchuͤtzen. Dieſe Verabredun— 
gen duͤrfen nicht anders abgeaͤndert werden, als nach dem 
gemeinſamen Beſchluſſe des Dogen von Venedig und ſei— 
ner ſechs Raͤthe und des Markgrafen von Montferrat und 
ſeiner ſechs Raͤthe. Beyde Theile ſollen den Papſt an— 
gelegentlich bitten, daß er dieſen Vertrag bekraͤftigen und 


Belagerung von Conſtantinopel. 285 


die Uebertreter deſſelben mit dem kirchlichen Banne ſtra- r 
fen moͤge. | 

Mit den Verbindlichkeiten, welche die Venetianer und 
Pilger in dieſem Vertrage uͤbernahmen, ließ ſich das 
fruͤhere Geluͤbde der Kreuzfahrt nicht wohl vereinigen, 
und die Pilger dachten ſeit dieſer Zeit nicht mehr mit 
Ernſt an die Befreyung des heiligen Landes aus der Ge— 
walt der Heiden. Mit deſto groͤßerem Eifer wurde die 
Belagerung von Conſtantinopel begonnen. 


Am Donnerſtage vor dem Sonntage der Paſſion 3. Aprit 
begaben ſich die Pilger mit ihren Roſſen auf die Schiffe, 
welche zuvor auf das trefflichſte waren in Stand geſetzt 
worden). Auch von Lebensmitteln wurden reichliche Vor— 
räthe auf die Schiffe gebracht. Jede der Scharen, aus 
welchen das Heer beſtand, erhielt die ihr noͤthigen Schiffe; 
die Fahrzeuge ſtellten ſich neben einander nach der Ordnung 
der Scharen, und die runden Schiffe ſonderten ſich von 
den Galeen und Transportſchiffen; wohl in der Laͤnge 
einer halben franzoͤſiſchen Meile dehnte ſich die Linie der 
Schlachtordnung aus, und dieſe zahlreiche und trefflich 
geruͤſtete Armada gewaͤhrte einen Anblick von wunderbarer 
Pracht. Am folgenden Tage fuhr die ſtattliche Flotte an 9 Aprit 
das jenſeitige Ufer und ſtellte ſich laͤngs der Mauer auf, 
von dem Kloſter Chriſti des Wohlthaͤters bis zum Bla— 


3) Joesdi apres miquaresme, Dil: 
lehard. S. 95. Dies würde, genau 
genommen, der x. April ſeyn; denn 
Mittfaſten fiel in dieſem Jahre auf 
den Zr. März. Nach dem Briefe des 
Grafen Balduin aber geſchah der erſte 
Angriff auf Conſtantinopel, welcher, 
wie auch Villehardouin erzählt, am 
folgenden Tage (dem Freytage) unter 
nommen wurde: V Idus Aprilis, 


hoc est, feria sexta ante passionem 
Domini = 9. April (der fünfte 
Sonntag der Faſten oder Judica 
wird wegen der Annäherung der 
Paſſionszeit Dominica passionis ges 
nannt). Mit dieſer letztern Zeitan⸗ 
gabe ſtimmt auch Nicetas (S. 365) 
überein. 

4) Mult bien atornez et hordces, 
DBiueh. 


J. Chr. 
1204. 


286 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X. 


chernenpalaſte, an dem Theile der Stadt, welcher Petrium 
genannt wurde und im Julius des Jahres 1203 von den 
Venetianern durch Feuer war zerſtoͤrt worden ). Es 
war beſchloſſen worden, von dieſer Seite, wo in der er; 
ſten Belagerung den Venetianern es gelungen war, Her— 
ren der Mauer zu werden, die Stadt mit vereinigten 

Kraͤften zu berennen. en ee ee ene, 

Der Kaiſer Merius Murtzuflos aber, ſobald er ver, 
nommen hatte, daß die Kreuzfahrer im Begriff waren, 
die Belagerung von Conſtantinopel zu beginnen, hatte 
ſeine Truppen in der Naͤhe des bedrohten Theiles der 
Stadt verſammelt und ſein ſcharlachrothes kaiſerliches 
Zelt auf dem Hügel errichten laſſen, auf welchem das 
Kloſter des Allſehenden ſtand, weil er auf dieſem Huͤgel 
die feindlichen Schiffe und ihre Bewegungen uͤberſehen 
konnte „). 

Die Kreuzfahrer ſowohl als die Venetianer begannen, 
nachdem die Flotte der Mauer von Conſtantinopel ſich ges 
nähert hatte, ſofort die Berennung der Stadt mit großem 
Ungeſtuͤme. Die meiſten Schiffe legten ſich vor Anker in 
ſolcher Naͤhe der Stadt, daß nicht nur die Kreuzfahrer 
und Griechen gegenſeitig aus ihren Wurfgeruͤſten ſich bes 


5) Nicetas S. 365. 

6) L'Emperères Morchufles s' ere 
venuz herbergier à une place a tot 
son pooir, et ot tendues ses ver- 
meilles tentes. Villehard. S. 97. 98. 
0 Aol uus rπν Baoihsıov auhaiav 
noossterizsı Öaradrvar rar 
Tov &v Ti) uovjj Tov Havrsnöntov 
noluvov, oUEv 700V Oyaral ulv ai 
vñes ai nohsworngio., zaragarn 
de a v map avrum Ev Tavraıs 


dodusve. Nicet. S. 365, ueber 


das von Anna Ducaena gegründete 
Mannskloſter Panepoptes ſ. Ducange 
Constantinopolis Christiana Lib. 
IV. 2, und über die rothen Zelte, als 
Auszeichnung der Selbſtherrſcher, Du⸗ 
cange zu Villehard. S. 318. Auch 
der osmaniſche Sultan Murad II. 
hatte ein rothes Zelt; ſ. Joſ. von 
Hammer Geſchichte des osmaniſchen 
Reiches. Th. I. S. 493. 


Belagerung von Conſtantinopel. 287 


ſchießen, ſondern diejenigen, welche auf den Kampfgeruͤſten dr.. 
der Schiffe ſtanden, wider die Vertheidiger der Mauer 
der Stadt ſogar mit ihren Schlachtſchwertern kaͤmpfen 
konnten :). Einige Scharen landeten, brachten ihre Wurf— 
maſchinen an das Land und richteten ſie gegen die Mauer 
der Stadt. Doch nicht alle Kreuzfahrer ſtritten mit glei— 
cher Tapferkeit, und manche hielten ſich und ihre Schiffe 
fern von der Gefahr. Mit aller Anſtrengung aber ver— 
mochten die Kreuzfahrer, welche redlich des Kampfes ſich 
unterwanden, nicht den Widerſtand der Griechen zu uͤber— 
waͤltigen, vielmehr erlitten ſie großen Verluſt, und viele 
Kreuzfahrer wurden durch die Steine, welche aus den 
Wurfmaſchinen der Belagerten geſchleudert wurden, ge— 
toͤdtet ). Nachdem der Kampf bis zur neunten Stunde 
des Tages mit großer Heftigkeit gedauert hatte, waren 
ſie genoͤthigt, ſich zuruͤckzuziehen; und diejenigen, welche 
an das Land ſich begeben hatten, wurden zuruͤckgetrieben 
und flohen zu ihren Schiffen, ſelbſt ihre Wurfgeruͤſte den 
Griechen uͤberlaſſend “). 

Noch am Abende dieſes ungluͤcklichen Tages verſam— 
melten ſich die Heerfuͤhrer der Pilger zum Kriegsrathe in 
einer Kirche am ſuͤdlichen Ufer des Meerarmes; und alle 
waren ſehr niedergeſchlagen und betruͤbt uͤber das Miß— 
geſchick dieſes Tages ). Es wurden mancherley Vor— 


7) Villehard. S. 96. 9) Epist. Balduini I. . Nicetas 


8) Mais par nos pechiez furent li 
Pelerin resorti de l’assault. Ville⸗ 
hard. a. a. O. Ea die non sine mul- 
to tamen sanguine fuimus tanta 
perpessi, ut inimicis nostris in op- 
probrium verteremur, quorum ea 
die pars fuit per cuncta superior, 
Epist. Balduini I. c. Vgl. Nicetas 
g. a. O. 


a. a. O. 


10) Et furent mult esmaie cil de 
ost porceque il lor fu le ior me- 
scheu. Villehard. a. a. O. Contur- 
bati plurimum et conterriti, sed 
demum in Domino roboxati. Epist. 
Balduini I. c. 


J. Chr. 


1204. 
Pr 


288 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. X. 


ſchlaͤge vorgetragen und verworfen. Einige riethen, die 
Belagerung der Stadt von der Seeſeite zu verſuchen, 
weil dort die Mauer weniger befeſtigt waͤre, als an der 
Hafenſeite; die Venetianer aber, welche des Seeweſens 
kundiger waren, als die Franzoſen n *), wandten dagegen 
ein, daß die Flotte, wenn ſie an der oͤſtlichen oder ſuͤd— 
lichen Seite der Stadt ſich aufſtellen wollte, in die unab— 
wendliche Gefahr kommen würde, von den heftigen Strös 
mungen des Meeres fortgeriſſen zu werden, und daß aus 
dieſem Grunde und andern Gruͤnden, uͤberhaupt nur an 
der Hafenſeite eine erfolgreiche Zuſammenwirkung des Hee— 
res und der Flotte moͤglich waͤre. Dieſer gegruͤndete Ein— 
wand machte zwar auf diejenigen, welche jenen Vorſchlag 
vorgetragen hatten, keinen großen Eindruck, weil ihnen 
mehr daran lag, baldigſt dieſe Gegend verlaſſen zu koͤn— 
nen, als das begonnene Unternehmen zu einem gluͤcklichen 
Ende zu bringen, und aus dieſer Urſache es ihnen ganz 
erwuͤnſcht geweſen waͤre, wenn die Flotte durch die Ger 
walt der Stroͤmungen waͤre fortgeriſſen worden. Die 
uͤbrigen gaben aber der Meynung der Venetianer ihren 
Beyfall, und es wurde alſo beſchloſſen, nach zweytaͤgiger 
Ruhe am naͤchſtfolgenden Montage den Angriff auf der— 
ſelben Stelle zu wiederholen, wo er an dieſem Tage miß⸗ 
lungen war. Weil man aber die Urſache des ungluͤcklichen 
Erfolgs des erſten Verſuches darin fand, daß die Schiffe 
einzeln die Thuͤrme der Mauer angegriffen hatten, und die 
eannſchaften der einzelnen Fahrzeuge zu ſchwach geweſen 
waren gegen die zahlreichen Beſatzungen der Thuͤrme: ſo 
11) Et li Venitien qui plus sa- Rhamnuſius nimmt an, daß derſelbe 
voient de la mer, distrent etc. Vil- in dem Cosmidium (dem Kloſter der 
lehard. S. 97. Graf Balduin er: beit. Cosmas und Damianus, dem 


wähnt in ſeinem Briefe nur ganz castellum Boëmundi) gehalten wurde. 
kurz dieſes Kriegsrathes. S. Anm. 13. 


Eroberung von Conſtantinopel. 289 


J. Chr. 
1204. 


wurde verordnet, daß die mit Kampfgeruͤſten verſehenen 
Schiffe, je zwey und zwey, durch Ketten mit einander 
verbunden werden, und ſtets zwey n Schiffe gegen 


einen Thurm ſtreiten ſollten *?), 


Am frühen Morgen des Montags nach dem Sonn 12. Apris 
tage der Paſſion *?) wurde die Beſtuͤrmung der Stadt 
in der angeordneten Weiſe aufs Neue mit großer Gewalt 
und Heftigkeit von den Venetianern und Kreuzfahrern 
unternommen; die Griechen leiſteten aber auch an dieſem 
Tage beharrlichen Widerſtand. Unzaͤhlbare Streiter full 
ten die Mauer der Stadt und deren Thuͤrme *); und 
wenn auch die Pfeile der Armbruſtſchuͤtzen und dle Stein⸗ 
wuͤrfe der Maſchinen des Pilgerheeres nicht ohne Wirkung 
blieben: fo verbreiteten dagegen nicht minder die Stein⸗ 
wuͤrfe der Belagerten großes Verderben unter den Kreuz⸗ 
fahrern. Furchtbar war an dieſem Tage das Getoͤſe der 
Schlacht, und die Erſchuͤtterung, welche die Heftigkeit der 
Steinwürfe hervorbrachte, fo gewaltig, daß die Erde zit 
terte). Bis zum Mittage blieb der Ausgang des 


12) Villehardouin S. 96. 97. 

13) Ensi attendirent le Samedi et 
Dimenche.... Ensi dura cil afai- 
res trosque à Lundi matin: et lors 
furent arme cil des nes et des vis- 
eiers, et cil des galies. Villehard. 


S. 97: 98. Avoysvodusvo q ol 


iu T7V 0 Ensivmv nulgav 
(den Sonnabend) Kal zıyv eee 
Avgıwvuuov, N vorspaia r 
2 möhsı moosnAlovoı zul Tois 
nocı mgoSioyovomv, Irie I dwös- 
van t vov Anyıhkiov unves, 
Ösvripa o xñs Enens q o uud qͤos 
rd vnorsiv, Nicetas S. 306. Vgl. 
V. Band. 


Georgii Acropolitae historia o. 4. 
P. 4., wo eine kurze Nachricht über 
dieſe Eroberung von Conſtantinopel 
gegeben wird. Definito consilio rur- 
sus instauramur ad pugnam quarta 
die, II Idus April,, hoc est feria 
secunda post passionem Domini. 
Epist. Balduini I. o. Nach Gunther 
(p. XV): actum est hoc circa Ra- 
mos Palmarum (nämlich in der 0 
che vor Palmſonntag). 


14) Sor les tors ne paroient se 
genz non. Villehard. S. 98. 


15) Li huz de la noise fu si granz 


que terre £ondist. Villeh. a. 9 O. 


T 


290 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X. 


3.20%. Kampfes unentſchieden, die Pilger erlitten nicht geringern 
Schaden, als an dem erſten Tage der Belagerung, und 
es gelang ihnen nicht, den Mauern ſo nahe zu kommen, 
daß fie ihre Sturmleitern anlegen konnten ). Um die 

Mittagszeit aber erhob ſich ein guͤnſtiger Nordwind, wel 
cher die Schiffe der Kreuzfahrer naͤher an die Mauer trieb, 
und die Verheißung der Heerfuͤhrer, welche durch die 
Stimme des Herolds, bekannt gemacht wurde, daß der⸗ 
jenige, welcher zuerſt die Mauer beſteigen wuͤrde, eine 
Belohnung von hundert Mark Silbers empfangen ſollte, 
erregte unter den Kreuzfahrern einen allgemeinen Wett; 
eifer *). Den beyden durch eine Kette verbundenen Schif; 
fen, welche die Pilgerin und das Paradies genannt wurden 
und die Biſchoͤfe von Soiſſons und Troyes fuͤhrten, 
gelang es zuerſt, ſo nahe an einen Thurm zu kommen, daß 
die Sturmleiter der Pilgerin an denſelben gebracht wer— 
den konnte *); und der venetianiſche Edle Pietro Al; 
berti!“) und der franzoͤſiſche Ritter Andreas von Urboiſe, 


16) Nicetas a. a. O. et Ii autre li Paravis (Paradis), 


17) Gunther p. XV. Doch ſetzt die⸗ 
fer Schriftſteller hinzu: videxes omnes 
appetere, quod uni tantum ser- 
vabatur, non tam amore promissae 
pecuniae, quam ob Dei honorem et 
causae communis utilitatem et in- 
cepti laboris compendium. 

18) Duae,naves pariter colligatae, 
quae Episcopos nostros, Suessionis 
videlicet ac Trecensis (ecclesiae) 
defexebant, quarum exant insignia 
Paradisus et Peregrina, primae scalis 
suis scalas turrium attigerunt, et 
felici auspicio peregrinos pro Pa- 
radiso certantes hostibus admove- 
runt. Epist. Balduini, Et deux 


nes aui estoient liées ensemble, 


dont lune avoit nom la Pelerine 


aprochierent a la tor lune d'une 
part et l’altre d’autre, si com Diex 
et li venz li mena, que l’eschiele 
de la Pelerine se ioint à la tor. 
Villeh. S. 98. 

19) Villehardouin (a. a. O.) nennt 
nur den Andreas von Urboiſe, den 
Pietro Alberti fügt Rhamnuſius (S. 
123) hinzu, wie es ſcheint nach hands» 
ſchriftlichen Nachrichten. Des An— 
dreas von Urboiſe und ſeines Waffen— 
gefährten Johann von Choiſy gedenkt 
Villehardouin noch einmal (S. 168. 
169. bey Selegenheit des Kampfes, 
welcher im Jahre 1206 gegen die Grie⸗ 
chen, Walachen und Comanen von 
den Rittern bey Ruſſum beſtanden 
wurde, und in welchem jene beyden 


1 * 

Eroberung von Conſtantinopel. 291 
ein Dienſtmann des Biſchofs von Soiſſons, waren die 
erſten, welche den Thurm erſtiegen. Ihnen folgte zunaͤchſt 
der Ritter Johann von Choiſy 29); nach dieſem Ritter 
erſtieg die ganze uͤbrige Mannſchaft der beyden Schiffe den 
Thurm, die griechiſche Beſatzung nahm die Flucht, und 
die Paniere der beyden Biſchoͤfe von Soiſſons und Troyes 
wurden auf der Höhe des Thurmes errichtet 2). Pietro 
Alberti aber kam durch ein ungluͤckliches Mißverſtaͤndniß 
um die verdiente Belohnung ſeiner ruͤhmlichen Tapferkeit. 
Denn ihn toͤdtete in der Verwirrung des Kampfes ein 
franzoͤſiſcher Ritter, welcher ihn für einen Griechen hielt; 
ſein Tod wurde im ganzen Heere der Pilger lange mit 
allgemeiner Theilnahme beklagt, und der Ritter, welcher 
ihn getoͤdtet hatte, als er des ungluͤcklichen Mißverſtaͤnd⸗ 
niſſes inne wurde, gerieth in ſolche Verzweiflung, daß er 
ſich ſelbſt das Leben nehmen wollte, und wurde nur mit 
Muͤhe von ſeinen Waffengefaͤhrten beruhigt; der Doge 
Heinrich Dandulo aber hielt, nach Beendigung des Kam⸗ 
pfes, zu Ehren des tapfern Ritters, welcher einem der 
edeln Geſchlechter der Republik Venedig angehoͤrte, in 
Gegenwart der venetianiſchen Schiffshauptleute eine wuͤrde⸗ 
volle Lobrede *). 


tapfern Ritter mit vielen andern um⸗ 
kamen. Nach Nicetas ſprangen von 
einer Leiter (e TOv aArudamv wıas), 
welche in der Nähe der Petria und 
gegenüber dem Kaiſer Murtzuflos in 
Thätigkeit war, zwey Männer, dem 
Glücke ſich übergebend, zuerſt unter 
ihren Gefährten auf den Thurm vor 
ihnen und vertrieben daraus die rö— 
miſche Beſatzung (TO sede Pu- 
uloıs guhuxınov ovunazxınöv). 


20) Nach der von Ducange (zu Bil: 


lehard. S. 328. 348.) angeführten (ta: 
teiniſch geſchriebenen) Histoire Ms. 
de la Translation des Beliques de 
Nostre Dame de Soissons. 


2r) Prima muros obtinent vexilla 
Pontificum ministrisque coelestium 
secretorum prima conceditur de coe- 
lo victoria. Epist. Balduini, 


22) Dieſes Ereigniß kennen wir nur 
aus der Erzählung des Rhamnuſius 
a. a. O. Hugo Plagon erzählt die 
Erſtürmung der Mauer alſo: Cil qui 


T2 


J Chr. 


120%. 


J Chr. 
1204. 


* . 


292 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X. 


Der Anblick der auf der Höhe des Thurmes wehens 
den biſchoͤflichen Paniere und der ermunternde Zuruf 
derer, welche den Thurm erſtiegen hatten 25), erweckte den 
lebhafteſten Wetteifer der uͤbrigen Pilger, welche noch auf 
den Schiffen den Kampf fortſetzten. Einige ſtiegen ſofort 
an das Land, legten die Sturmleitern an, und in kurzer 
Zeit waren vier andere Thuͤrme in der Gewalt der Pil⸗ 
ger; Andere richteten ihren Angriff gegen die Thore, und 
durch die furchtbare Wirkung ihrer Steinwuͤrfe und ihrer 
Mauerbrecher wurden drey Thore geſprengt 2). Andere 
Thore wurden durch diejenigen, welche von der Mauer in 
die Stadt herabſtiegen, geoͤffnet; und die Vorbaue von 
Holz und Steinen, wodurch jene Eingaͤnge der Stadt 
geſchuͤtzt waren, wurden zerſtoͤrt. Der franzoͤſiſche Ritter 
Peter Braiecuel, ein Mann von gewaltiger Groͤße, hatte 
die Verwegenheit, allein durch das eine der geſprengten 
Thore in die Stadt zu dringen und dem Lagerplatze des 
Kaiſers ſich zu naͤhern; und die Griechen flohen uͤberall 
vor dem rieſenhaften Ritter, deſſen gewaltige Laͤnge noch 
durch die Hoͤhe ſeines Helmes nicht wenig vergroͤßert 
wurde ). 


primes i entra, estoit Venicien et ter, welchen er hier blos Petrus und 


i fu occis, l'autre fu un chevalier 
de France et ot nom Audins Dure- 
bouche (alfo Hartmund, was offen: 
bar eine Verderbung von d' Urboise 
iſt); oil gaigna cent mars et l'autre 
apres cinquante. 

23) „Sie bewegten von oben die 
Hand, als Zeichen der Freude und Zu— 
verſicht, und ermunterten ihre Genoſ— 
fen ( ντνν).“ Nicetas S. 366. 

24) Villehard. S. 90. Vgl. Gun- 
theri hist. Constantinop. p. XV. 

Nach Nicetas war dieſer Rit⸗ 


ſonſt er Tov. 2% ITkavrins, 
nennt (Peter von Braiecuel oder Bas 
cheur), ein Rieſe von faſt neun Klaf⸗ 
tern (ys h αο⁰ Evvsopyvuos, wie 
die Söhne der Iphimedea und des 
Poſeidon „ nach Homer's Odyſſee XI. 
311. 312.), und fein Helm glich einer 
thurmreichen Stadt sara nolıy rup- 
yosocav. Von dieſem Schriftſteller 
wird S. 389 der Ritter Peter von 
Braiecuel alſo bezeichnet: Leros 6 
er IWhavılag, dunp newiros Tıjv 


Eroberung von Conſtantinopel. 293 


Bald darauf drang das ganze Heer der Kreuzfahrer er 
durch die geſprengten Thore in die Stadt und nahm ſei⸗ 
nen Weg gerade gegen den Lagerplatz des Alexius Mur⸗ 
tzuflos. Der Kaiſer hatte zwar fein Heer vor den Zelten 
des Lagers in Schlachtordnung aufgeſtellt; die griechiſchen 
Truppen erwarteten aber nicht den Angriff der Ritter, 
welche auf ihren Schlachtroſſen wider ſie rannten, ſon— 
dern ihre Scharen loͤſten ſich auf und entliefen in aͤngſt⸗ 
licher Verwirrung, und Murtzuflos floh durch die Stra— 
ßen der Stadt nach dem in der Mitte der Stadt und am 
Meere liegenden Palaſte Bukoleon 250. Die Kreuzfahrer 
verfolgten haſtig die fliehenden Feinde, erſchlugen und 
verwundeten diejenigen, welche ihnen ſich zu widerſetzen 
wagten, und machten an Pferden und Maulthieren eine 
große Beute *). Die meiſten der vornehmen Griechen 
retteten ſich, als die griechiſchen Truppen auf ſo ſchimpf⸗ 
liche Art die Stadt der Willkuͤhr der Kreuzfahrer preis— 
gegeben hatten, in den befeſtigten Palaſt der Blachernen; 
andere verließen die Stadt und flohen durch. das goldene 
Thor, indem fie den von Murtzuflos zur Befeſtigung dies 
ſes Thores errichteten Vorbau zerſtoͤrten ?“). 

Am Abende dieſes Tages verſammelten ſich die Fuͤh⸗ 
rer des Pilgerheeres, nachdem ſie müde waren des Kam— 
pfes und des Verfolgens der Feinde, auf einem großen 
Platze der Stadt zum Kriegsrathe 25), ſelbſt darüber 
loyiv. S. gor: d #E«TU0TOS aua 27) Lors er Griffons abatre 
et chevaus gaignier et palefroi, 


muls et mules et autres avoirs. Vil⸗ 
leh. a. a O. 


nivruv ei eu, avöpsicv Ovoue- 
orörorog, und S. 412: usyide 
oe obrog oWuarog A! E= 
KR0OTO KO dww̃e yervalı Megus- 28) Villeb. a a. O. Nicetas a. a. O. 
Bhinero nagaorıjuarı. 

20) Villehardouin übereinſtimmend 
mit Nicetas a. a. O. 5 


20) Villeh. a. a. O. 


J. Chr. 


120. 


294 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X. 


erſtaunt, daß eine Stadt, welche damals vierhundert Tau— 
ſend Einwohner zaͤhlte, auf ſo leichte Weiſe durch ein 
Heer von nicht mehr als zwanzig Tauſend Streitern ſey 
erobert worden ). Sie hielten aber noch nicht ihres 
Beſitzes ſich ſicher, meinten, daß die voͤllige Eroberung von 
Conſtantinopel, wenn die Griechen alle Vortheile, welche 
die befeſtigten Kirchen und Palaͤſte ihnen darboten, zur 
Vertheidigung der Stadt benutzten, noch wohl die An— 
ſtrengungen eines ganzen Monats erfordern koͤnnte, und 
fuͤrchteten plöglichen Ueberfall. Es wurde daher beſchloſ— 
ſen, daß das ganze Heer in der Naͤhe des eroberten Thei— 
les der Mauer und alſo auch in der Naͤhe der Schiffe 
ſich lagern, niemand bey Todesſtrafe, um zu pluͤndern, 
von feiner Schar ſich entfernen und überhaupt jede Vor— 
ſicht angewandt werden ſollte 3 *). 


Es nahm hierauf der Graf Balduin von Flandern 
feine Herberge in dem ſcharlachenen Zelte 32), welches 
Murtzuflos zurückgelaffen hatte; fein Bruder, der Graf 
Heinrich, lagerte ſich mit ſeiner Schar vor dem Palaſte 
der Blachernen; und der Graf Bonifaz von Montferrat 
und ſeine Leute begaben ſich in den vorwaͤrts nach dem 


60) Et bien en durent nostre Seig- 


nor loer que il n’avoient mie plus 
de vingt mil homes arınez et par 
Taie (l’aide) de Dieu si avoient pris 
de quatre cens mile homes ou plus, 
Villehard. S. 103. Nach Radulphus 
Coggeshale (Chron. Anglic, p. 101) 
verſicherten ſolche Perſonen, welche 
Conſtantinopel geſehen hatten (qui 
huius civitatis habitacula norant), 
daß in dieſer Stadt mehr Einwohner 
ſich fanden, als damals auf dem Land: 
ſiriche von der Stadt Pork bis zur 
Themſe wehnten (quod plures habeat 


habitatores, quam quot habitent ab 
Eboracensi civitate usque ad Tami- 
sium Auvium). 

31) Villehard. S. 99. 100. Daß die 
Plünderung der Stadt unter Andros 
hung der Todesſtrafe verboten war, 
und erſt erlaubt wurde, als die Kreuz⸗ 
fahrer des Beſitzes von Eonftanting: 
pet ſicher waren, berichtet Günther 
S. XVI. 

32) Es vermeilles tentes IEmpe- 
reorMorchuflex qu'il avoit laissees 
tendues. Villehard. S. 100. Vgl. 
oben Anm. 6. 


Eroberung von Conſtantinopel. 295 


Innern der Stadt gelegenen Theile. Der Graf Ludwig 
von Chartres und Blois aber war nicht mit den Pilgern; 
denn er lag auf einem Schiffe krank an einem viertaͤgigen 
Fieber, welches ſchon waͤhrend des ganzen Winters ſeine 
Thaͤtigkeit gehindert hatte; und an den Anſtrengungen 
und dem Ruhme dieſes ue ER er 8 keinen 
Theil ). 1 1 


Die Kreuzfahrer hatten ohne großen Verluſt den Der 
ſitz der Stadt erkämpft, und die Ritter hatten den Tod 
keines ihrer Waffenbruͤder an den Griechen zu rächen, 
Die Kreuzf hrer befolgten daher an dieſem Tage gern 
und willig die Lehren der Geistlichen des Heeres, wie 
des Abtes Martin und anderer, welche oͤfters ſie ermahnt 
hatten, des Blutes der Griechen, als chriſtlicher Glau⸗ 
bensgenoſſen, moͤglichſt zu ſchonen 1 und die meiſten 
der an dieſem Tage erſchlagenen Bewohner von Conſtan⸗ 
tinopel fielen durch die Haͤnde der Lateiner, welche, ehemals 
in Conſtantinopel anſaͤſſig, und als verdaͤchtig der Ver⸗ 
ratheren waͤhrend der Belagerung aus der Stadt vertrie⸗ 
ben, den Kreuzfahrern ſich angeſchloſſen hatten und dieſe 
Gelegenheit wahrnahmen, Rache zu üben 3°). 


33) Villehard. S. 100. 

34) Guntheri Hist. Constantinop. 
p. XVI. Auch Nicetas, wiewohl er 
ſonſt gern ſo viel Unrühmliches, als 
möglich, von den Kreuzfahrern er: 
zählt, beſchuldigt ſie in ſeiner Erzäh⸗ 
tung von der Eroberung von Conſtan⸗ 
tinopel nicht der Mordluſt. N 

55) Ceciderunt tamen illa die ci- 
vium quasi duo millia, non utique 
a nostris, sed a quibusdam Francis, 
Italis, Venetis, Theutonicis, ‚etalia- 
rum nationum hominibus, qui prius 
cum eis in ipsa urbe habitare con- 


sueverant, sed tempore obsidionis 
expulsi, pro eo, quod de proditione 
suspecti civibushabebantur, nostris 
adhaeserant;- cujus injuriae memo- 
res illi gravissimam in Graecos pla- 
gam ultionis erudeliter exercebant, 
Gunther I. ‚© Nach eben dieſem 
Schriftſteller beklagten die Kreuzfahrer 
an dieſem Tage nur den Verluſt et: 
nes edlen Rittets (militis nobilis et 
famosi), welcher auf der Verfolgung 
der Feinde durch Unvorſichtigkeit mit 
ſemem Pferde in eine Grube fiel. 


J. Chr. 
1204. 


296 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. X 


Ae Auf dieſen ſchaudervollen Tag folgte für die unglück 
liche Stadt eine noch ſchrecklichere Nacht. Einige, zur 
Schar des Markgrafen Bonifaz gehörige, Pilger 35), 
unter ihnen ein deutſcher Graf 57), in ihren vorwaͤrts 
gelegenen Herbergen naͤchtlichen Ueberfall beſorgend, zuͤn— 
deten die benachbarten Haͤuſer an, um die Griechen abzus 
wehren, wie auch von den Venetianern bey der erſten 
Einnahme eines Theiles von Conſtantinopel geſchehen war, 
und ſtifteten dadurch eine furchtbare Feuersbrunſt, welche 
waͤhrend dieſer Nacht und bis zum Abende des folgenden 
Tages, nach der Verſicherung des Marſchalls Villehar— 
douin, mehr Häufer zerſtoͤrte, als damals die drey größten 
Staͤdte von Frankreich enthielten 3°), Dieſes war die 
dritte der Feuersbruͤnſte, welche ſſeit der Landung der 
Kreuzfahrer bey Conſtantinopel dieſe ehemals prachtvolle 
Hauptſtadt berwuͤſteten; und da dieſe drey Feuersbruͤnſte 
gerade den reichſten und ſchoͤnſten Theil der Stadt zer— 
ſtoͤrten: fo fanden ſicherlich in den Flammen, welche eine 
fo große Zahl ſchoͤner Haͤuſer und praͤchtiger Palaͤſte vers 
nichteten, auch manche herrliche, in Conſtantinopel ſeit 


36) Villeh. S. 101. 


37) Nach Gunther (p. XV.) war 
es ein comes Thetunicus, und nach 
eben dieſem Schriftſteller wurde die 
Stadt ſchon dann angezündet, ats 
nur erſt funfzehn oder mehrere der 
Kreuzfahrer die Mauer erſtiegen hat 
ten, und die Griechen im Begriffe 
waren, den Kampf zu erneuern. 


38) Plus ot ars maison qwil Wait 
es trois plus granz citez del Roialme 
de France. Billehard. S. 101. Va- 
staverat incendium fere tertiam par- 
rem civitatis, um, omuibus tam ci- 


vibus quam peregrinis graviori 0. 
oupatis periculo, nulli erant, qui 
flammas licite pervagantes possent 
extinguere. Gunther p. XVI. Nach 
Nicetas (S. 366) verwüſtete dieſe 
Feuersbrunſt vornehmlich den öſtli⸗ 
chen Theil der Stadt (za mpos S 
und den noch etwas weiter vorwärts 
vom Kloſter des Evergetes gelegenen 
Theil, ſowie die am Meere gelegene 
Gegend bis zum Palaſt des Drunga— 
rius (MExeL Too Agovyyagiov sc. 
rod oro lor) oder des Admirals der 
Flotte. 


Eroberung von Conſtantinopel. 297 


Jahrhunderten geſammelte Denkmaͤler der Wiſſenſchaft re 
und Kunſt des Alterthums den Untergang“). 

Alexius Murtzuflos ließ es zwar nicht unverſucht, 
ſeine zerſtreuten Scharen wieder zu vereinigen, er ritt 
durch die Straßen und bemuͤhte ſich, auch die Buͤrger zu 
bewegen zur Bewaffnung und zur Vertheidigung ihrer 
Stadt; aber weder die Buͤrger noch die Soldaten hoͤrten 
auf ſeine Ermahnung, und alle dachten nur darauf, in 
der Dunkelheit der indeß eingetretenen Nacht, ſich ſelbſt 
und die Ihrigen zu retten und ihre Habe zu entfernen 
oder zu vergraben ). Als der Kaiſer ſah, daß aller 
Muth von den Soldaten wie von den Buͤrgern gewichen 
war, und ihm ſelbſt unter ſolchen Umſtaͤnden kein anderes 
Loos bevorſtand als ſchimpfliche Gefangenſchaft: ſo kehrte 
er in den Palaſt Bukoleon zuruͤck, nahm zu ſich die Kais 
ſerin Euphroſyne, die Gemahlin des fluͤchtigen Alexius 
Angelus des Aeltern, und deren Tochter Eudoxia, feine 
damalige Braut, beſtieg mit dieſen Frauen ein kleines 
Fahrzeug und entfloh aus der Stadt, welche er nicht 
laͤnger zu vertheidigen vermochte, nachdem er nur zwey 
Monate und zwoͤlf Tage die angemaßte Herrſchaft be— 
hauptet hatte **). 


30) Doch läßt ſich ſchwerlich anneh - 40) Nicetas S. 366. 367. Vgl. Vil⸗ 


men, daß erſt damals die Werke grie⸗ 


chiſcher Schriftſteller des Alterthum 


gerftört wurden, deren gänzlichen Ver: 
uf wir zu beklagen haben. Denn 
das Studium der Griechen beſchränkte 
ſich ſchon ſeit Jahrhunderten auf ſehr 
wenige Schriften des Alterthums, wie 
die Werke der byzantiniſchen Schrift⸗ 
ſteller beweiſen, und ſchon durch frü⸗ 
here Feuersbrünſte waren beträcht⸗ 
liche Bücherſammlungen in Byzanz 
vernichtet worden. 


fehard. S. 100, wo erzählt wird, daß 
Murtzuflos zwar feine Leute verfam: 
melt und ihnen geſagt habe, es wäre 
feine Abſicht, die Franken wieder an: 
zugreifen; gleichwohl ſey der Kaifer 
in eine andere Straße geritten, ſo 
fern als möglich von ſeinem Heere, 
und endlich aus dem goldenen Thore 
(porte oirce) entflohen. 


ar) Nicetas S. 367. 


298 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X. 


. Sobald die Flucht des Murtzuflos bekannt geworden 
war, traten zwey Bewerber auf um den Thron, wel— 
chen in dem kurzen Zeitraume von kaum zehn Monaten 
zwey Kaiſer ſchimpflich verlaſſen hatten. Waͤhrend die 
ſchrecklichſte Verwirrung in der Stadt herrſchte, ein Theil 
derſelben in Flammen ſtand, und alle Gemuͤther von ban⸗ 
ger Erwartung der Schreckniſſe, welche der folgende Tag 
bringen konnte, gequaͤlt wurden, meldeten ſich Theodorus 
Ducas und Theodorus Laskaris als Bewerber um den 
verlaſſenen Kaiſerthron bey denen, welche in den heiligen 
Mauern der Kirche der goͤttlichen Weisheit Schutz und 
Zuflucht ſuchten. Obwohl die Meiſten, um deren Stim— 
men ſie warben, ſich nicht aufgelegt fuͤhlten, die Vorzuͤge 
weder des Einen noch des Andern zu erwaͤgen: ſo ent— 
ſchied ſich doch bald die Wahl der Geiſtlichkeit zu Gun— 
ſten des Theodorus Laskaris, welcher in dieſer ungluͤck— 
lichen Zeit durch Muth und Tapferkeit vor allen andern 
ſich ausgezeichnet hatte. Ohne die kaiſerliche Krone zu 
nehmen, wozu die Zeit auch wenig ſchicklich war, eilte 
Theodorus Laskaris ſofort nach ſeiner Wahl, in Beglei— 
tung des Patriarchen, auf den nahe bey der Kirche der 
goͤttlichen Weisheit gelegenen Platz, welcher Milium ge— 
nannt wurde, ermahnte das daſelbſt verſammelte Volk in 
einer eindringlichen Rede zu ſchleuniger Bewaffnung und 
richtete an die fremden Miethſoldaten, welche zur kaiſer⸗ 
lichen Leibwache gehoͤrten, die Bitte, den Thron von By— 
zanz in ſo dringender Gefahr nicht zu verlaſſen, ſondern 
um ihres eigenen Vortheiles willen redlich und tapfer zu 
vertheidigen. Auf das Volk und die Soldaten machte aber 
ſeine Ermahnung nicht mehr Eindruck, als wenige Stun— 
den zuvor die Ermahnungen des Murtzuflos gemacht 
hatten; und die Miethſoldaten gaben ihm zur Antwort, 


Eroberung von Conſtantinopel. 299 


daß fie nicht wider die Lateiner ſtreiten wuͤrden, wenn 138. 
ſie nicht zuvor wegen des ruͤckſtaͤndigen Soldes, welchen 
ſie zu fordern haͤtten, befriedigt waͤren. Unter dieſen 
Umſtaͤnden, und da gemeldet wurde, daß das Heer der 
Kreuzfahrer ſchon im Anzuge waͤre, blieb auch für Theo⸗ 
dorus nichts uͤbrig als die Flucht; und die Wahl des 
Theodorus Laskaris zum Kaiſer, welche nur wenige Stun— 
den vor feiner Flucht geſchehen war, gab alſo dem grie— 
chiſchen Reiche einen dritten fluͤchtigen Kaiſer 22). Nach 
der Entweichung auch dieſes Kaiſers ſuchten alle uͤbrigen, 
welche zu fliehen vermochten, ihre Rettung gleichfalls in der 
Flucht, und von denen, welche die Waffen wider die 
Kreuzfahrer getragen hatten, blieb keiner in der Stadt. 
Bey dem Scheine furchtbarer Flammen, welche den . Awru. 

Himmel roͤtheten, waffneten und ſcharten ſich in der Fruͤhe 
des Dienſtags, des dreyzehnten Aprils, die Kreuzfahrer, 
gefaßt auf einen harten Kampf; ihre Beſorgniſſe aber 
waren eitel. Der Graf Heinrich von Flandern fuͤhrte 
feine Schar an den Palaſt der Blachernen; und die Gries 
chen, welche in dieſem Palaſte Zuflucht geſucht hatten, 
wagten nicht zu widerſtehen, ſondern bedungen ſich Sicher⸗ 
heit des Lebens und oͤffneten dem Grafen Heinrich den 
Palaſt mit allen darin aufbewahrten Schägen *?), Der 
Markgraf Bonifaz, zu welchem fo wenig als zu den üͤbri— 
gen Kreuzfahrern das Geruͤcht von der Flucht des Mur— 
tzuflos gekommen war, ruͤckte langſam und vorſichtig, 
Hinterhalt und Ueberfall beſorgend, mit feiner Schar vor, 
48) Nicetas S. 367. Nach der Er- Erzählung des Nicetas (S. 366) wurde 
zahlung des Grafen Balduin wählten der Palaſt der Blachernen ſchon vor 


die Griechen nach der Flucht des Mur: der Flucht des Kaiſers Murtzuſtos 
buſtos einen gewiſſen Conſtantinus von den Franken ohne große Mühe 


zum Kaiſer. Vgl. Anm. 46. (dnpayuövus ve nul ig edοο 
43) Villehard. S. 102. Nach der eingenommen. 


300 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X. 


% und war nicht wenig erſtaunt, als er nirgends Anſtalten 
zum Widerſtande und nirgends Bewaffnete ſah, ſondern 
das wehrloſe Volk vielmehr mit Kreuzen und Bildern des 
Heilandes im feierlichen Zuge einer Bittfahrt ihm ent— 
gegen Fam **), ihn als Kaiſer begrüßte, und Greiſe, Weis 
ber und Kinder die Gnade der Kreuzfahrer anflehten, 
indem ſie mit ihren Fingern das Zeichen des Kreuzes 
bildeten und vermittelſt dieſes Zeichens, da ſie in ihrer 
Sprache den Fremdlingen ſich nicht verſtaͤndlich machen 
konnten, die chriſtliche Barmherzigkeit der mit dem hei 
ligen Kreuze bezeichneten Krieger in Anſpruch nahmen“). 
Der Markgraf Bonifaz ſetzte indeß ſeinen Weg fort, und 
kam zum Palaſt Bukoleon, welcher von den Griechen, 
nach dem ſie Sicherheit ihres Lebens ſich ausbedungen hat— 
ten, ihm geoͤffnet wurde. In dieſem Palaſte fanden die 
Kreuzfahrer zwey Kaiſerinnen, welche den angeſehenſten 
koͤniglichen Haͤuſern des Abendlandes angehoͤrten, Agnes, 
die Tochter des Königs: Ludwig des Siebenten von Frank⸗ 
reich und Witwe der beyden Kaiſer Alexius und An— 
dronicus aus dem Hauſe der Comnenen, und Margarethe, 
die Schweſter des Koͤnigs Bela des Dritten von Ungarn 
und Witwe des ungluͤcklichen Kaiſers Iſaak Angelus; 
und die Schaͤtze, welche in dieſem Palaſte in die Ge— 
walt der Pilger kamen, waren von nicht geringerm 
Werthe als diejenigen, welche der Graf Heinrich von 
Flandern in dem Palaſte der Blachernen erbeutet Hatte *°). 


43) Nicetas a. a. O. 

45) Mulieres et parvuli ac decre- 
piti senes, qui fugere non valentes 
in urbe remınserunt, in occursu 
nostrorum digitum digito in for- 
mam crucis implicantes, satis flebi- 
liter: Aijos Phasileos marchio, de- 


cantabant, quod latine Sanctus 
Rex Marchio interpretatur. Gun- 
ther p. XVI. Dar 

46) Villehard. S. 101. 102, Sehr 
ungenau erzählt der Graf Balduin 
dieſe Ereigniſſe alſo: Dum mane facto 
Gracei ad nominationem cujusdam 


Pluͤnderung von Conſtantinopel. 801 


Auch dle uͤbrigen Kreuzfahrer, welche, nachdem die Gras sr. 
fen und Barone die Pluͤnderung der eroberten Stadt erlaubt 
hatten ), nach allen Richtungen in der von den griechiſchen 
Truppen preisgegebenen Stadt ſich verbreiteten, machten 
an dieſem Tage große Beute an goldenen und ſilbernen 
Geraͤthen, koſtbaren Kleidern von Seide und anderen ſel— 
tenen Stoffen, trefflichem Pelzwerke aller Art und vielerley 
andern Koſtbarkeiten 25). Dann nahm jede Schar ihre 
Herberge, wo es ihr gefiel *); der Markgraf Bonifaz 
hielt mit ſeiner Schar den Palaſt Bukoleon beſetzt, und 
eben fo der Graf Heinrich den Palaſt der Blachernen “). 
Da die Stadt ohne irgend einen Vertrag in die Ge— 
walt der Kreuzfahrer gekommen war: ſo war ſie gaͤnzlich 
der Willkuͤhr der Sieger preisgegeben, und es ließ ſich 
von einem Heere, welches die Griechen nur als ein feiges, 
treuloſes und unbeſtaͤndiges Volk kennen gelernt hatte, 
nicht erwarten, daß es die Einwohner der eroberten Stadt 


Constantini procedunt, pedites no- 
stri, non exspectata deliberatione 
majorum, ad arma prosiliunt, et 


terga dantibus Graecis, munitissi- 


ma et fortissima palatia relinquun- 
tur, totaque in momento civitas 
obtinetur. 

47) Victis omnibus et profugatis 
hostibus et de tota urbe satis mira- 
biliter exclusis, foribus etiam dili- 
genter obstructis, tum demum vi- 
ctoribus ad praedam currere per- 
Gunther p. XVI. 

48) Or, argent, vasselement, et 
pierres precieuses, et samiz, et dras 
de soie, robes Vaires, Grises et Her- 
mines et toz les chiers avoirs qui 
onques furent trovè en terre. Vil⸗ 
lehardouin (S. 102) fügt zu dieſer 
Aufzählung hinzu: El bien tesmoigne 


missum est. 


Joffroi de Villehardoin li Mare- 
schaus deChampaigne a son escient 
por verte, que puis que li siècle fu 
estorez (d. i. ſeit Erſchaffung der 
Welt) ne fut tant gaaignie en une 
ville, Auf ganz gleiche Weiſe drückt 
ſich der Graf Balduin in ſeinem 
Briefe aus: Diripitur equorum in- 
numera multitudo; auri et argenti, 
sericarum pretiosarumque vestium 
atquegemmarum, et omnium corum, 
quae ab hominibus inter divitias 
computantur tam inaestimabilis ab- 
undantia reperitur, ut tantum tota 


non videretur possidere Latinitas. 


Vgl. oben S. 293. Anm. 27. 

49) Chascuns prist ostel tel cum 
Iui plot et il en i avoit assez. Bil: 
lehard. S. 102. 

50) Villehard. a. a. O. 


302 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. X. 


br mit beſonderer Schonung behandeln würde, Die Kreuz— 
fahrer übten nicht nur, überall nach Beute gierig for⸗ 
ſchend, Gewaltthaͤtigkeiten jeder Art, erzwangen nicht nur 
durch Schlaͤge und andere Mißhandlungen die Nachwei— 
fung und Auslieferung der verborgenen Schaͤtze, beraub— 
ten nicht nur ohne Schonung die Ueberwundenen aller 
ihrer Habe, ſelbſt der Kleidung; ſondern verjagten auch 
aus den Haͤuſern, in welchen ſie ihre Herberge nahmen, 
die ausgepluͤnderten griechiſchen Eigenthuͤmer oder Bewoh— 
ner; jeder Widerſpruch oder Widerſtand, ja ſelbſt jede 
Bitte um Schonung brachte die Pluͤnderer zur furchtbar— 
ſten. Wuth und hatte noch grauſamere Mißhandlungen 
zur Folge; und die Grafen und Barone des Pilgerheeres 
gewaͤhrten den Griechen, welche des Obdachs und ihres 
ganzen Beſitzthums beraubt waren, als eine Gnade nur die 
Erlaubniß zur Auswanderung. Die angeſehenen Einwohner 
benutzten jedoch gern dieſe Erlaubniß, entfernten ſich aus 
der Stadt, welche nichts als Graͤuel der Verwuͤſtung und 
Schreckniſſe der Pluͤnderung darbot, und ganze Scharen 
von Auswanderern, welche kaum die noͤthige Kleidung, 
ihre Blöße zu bedecken, davon trugen, zogen aus dem 
goldenen Thore und den andern Ausgaͤngen der Stadt? *). 
Nur das geringe Volk blieb zuruͤck, welches entweder 
nichts zu verlieren hatte oder auf die eine oder die andere 


71) Nicetas p. 368. 369. 377. Die 
abendtändiſchen Schriftſteller erzählen 
zwar keine Einzelnheiten von der da⸗ 
maligen Plünderung der Stadt Con: 
ſtantinopel; daß aber die Schilderung 
des Nicetas nicht übertrieben iſt, bewei⸗ 
ſen verſchiedene allgemeine Aeußerun⸗ 
gen der lateiniſchen Geſchichtſchreiber. 

each Gunther (a. a. O.): victores ur- 
bem victam, quam jure belli suam fe- 
cerunt, alacriter spoliaruut, Hugo 


Plagon ſagt (S. 666), daß die Kreuz⸗ 
fahrer vor der Eroberung von Con⸗ 
ſtantinopel den Schild Gottes trugen, 
dieſen Schild aber, als fie Herren je⸗ 
ner reichen Stadt geworden waren, 
von ſich warfen und den Schild des 
Teufels nahmen (embracierentl’escu 
au diable). Vgl. unten die Vor⸗ 
würfe, welche der Papſt den Kreuz⸗ 
fahrern machte. 


Pluͤnderung von Conſtantinopel. 303 
Welſe zu gewinnen hoffte. Da die Kreuzfahrer manche J. che 
erbeutete Koſtbarkeit, aus Unkunde oder Leichtſinn, oder 

um den gewonnenen Raub der allgemeinen Theilung zu 
entziehen, fuͤr geringen Preis verſchleuderten: ſo war 
dadurch dem Troͤdelverkehr und der gemeinen und nledri— 

gen Gewinnſucht ein vortheilhafter Markt geoͤffnet ). 


Die Grafen und Barone des Pilgerheeres machten 
zwar den Befehl kund, daß in der eroberten Stadt die 
Keuſchheit der Eheweiber, die Unſchuld der Jungfrauen 
und die Heiligkeit der Kloſterfrauen von jedem Kreuzfah— 
rer geachtet werden ſollten, verpflichteten ihre Scharen 
zur Befolgung dieſes Befehls durch einen feyerlichen 
Schwur s), und drey Biſchoͤfe *) ſprachen den Bann 
über alle diejenigen, welche dieſes Gebot uͤbertreten oder 
Kirchen, Kloͤſter, Geiſtliche, Moͤnche und Nonnen beraus 
ben, oder die gemachte Beute unterfchlagen und nicht zur 
Theilung abliefern wuͤrden. Gleichwohl aber wurden einzelne 
Ausbruͤche roher Sinnlichkeit und gewaltſamer Raub und 
Schaͤndung von Weibern und Jungfrauen, welche durch 
ihre Schönheit die Begierden aufregten, nicht gehindert, 
und ſowohl Graͤuel dieſer Art als die Ausſchweifungen 
der Wolluſt, welchen viele Pilger in dem Umgange mit 
feilen Buhlerinnen ſich ergaben, erregten den Abſcheu 
derer, welche Tugend, Anſtand und Sitte achteten ). 


53) Nicetas S. 382. 


53) Nicetas S. 380. Nach Hugo 
Plagon (p. 666): apres excomme- 
nia len tous ceux qui’dedens mo- 
stier prendroient aucune chose, ne 
Prestre ne moine desroberoit, ne 
qui sor kame mettroit main. 


8409 L’evesque de Soissons, leves- 
que de Troies, un @v&syue d' Ale- 


maigne (ohne Zweifel der Biſchof von 
Halberſtadt). Hugo Plagon a. a. O. 

55) Nicetas vergleicht (S. 375) mit 
dem Betragen der Kreuzfahrer das 
Betragen der Muſelmänner nach der 
Eroberung von Jeruſalem (durch Sa— 
ladin): „Nicht alſo verführen die Is— 
maeliten mit den Lateinern nach der 
Eroberung von Sion, vielmehr behan- 
delten ſie dieſelben mit Menſchen⸗ 


J. Chr. 


1204. 


304 Geſchich te der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X. 


Die Kreuzfahrer uͤbten Pluͤnderung ſowie Gewalt— 
thaͤtigkeit und Ruchloſigkeit mancherley Art nicht blos in 
den Haͤuſern und Palaͤſten der eroberten Stadt; ſondern 
ungeachtet des ſtrengen Verbots der Grafen und Barone 
des Pilgerheeres wurden auch die Kirchen gepluͤndert und 
durch Frevel und Muth willen entweiht ). In der Sos 
phienkirche wurde nicht nur der koſtbare und wegen funft 
voller Zuſammenſetzung allgemein bewunderte Opfertiſch 
zertruͤmmert, ſondern auch von dem praͤchtigen Redeſtuhl 
das Silber, womit derſelbe geſchmuͤckt war, abgeriſſen, 
und der auf ſolche Weiſe gewonnene Raub getheilt. Maul- 
thiere und Roſſe wurden in dieſe herrliche Kirche gefuͤhrt, 


freundlichkeit und Wohlwollen, waren 
nicht lüſtern nach den lateiniſchen 
Weibern (ovre yap ywraıfl Aorı- 
viov drrsyosufrıcar), machten nicht 
das Grab Chriſti zum Leichenhofe von 
Gefallenen (moAvavögıov ruv Tre- 
oovzwv), den Eingang zum lebenbrin⸗ 
genden Grabe nicht zur Oeffnung der 
Hölle, nicht das Leben zum Tode“ 
u. ſ. w. Vgl. Nicetas S. 360. In⸗ 
nocenz der Dritte ſah in dem rohen 
Betragen der Kreuzfahrer zu Conſtan— 
tinopel und ihrer Raubſucht ein nicht 
geringes Hinderniß der ernſtlichen 
Vereinigung der Griechen mit der rö— 
miſchen Kirche und entwirft in einem 
Schreiben an den Cardinal-Legaten 
Peter (Epist, ed. Brequigny et La- 
Porte du Theil, Lib. VIII. 126. p. 
761.) folgende merkwürdige Schilde⸗ 
rung: Quomodo enim Graecorum 
Ecclesia quantumcumque afflictio- 
nibus et persecutionibus affligatur, 
ad unitatem ecclesiasticam et devo- 
tionem Sedis apostolicae revertetur, 
quae in Latinis nonnisi perditionis 


exemplum et opera tenebrarum 


aspexit, ut jam merito illos abhor- 
reat plus quam canes? Illi etenim, 
qui non quae sua sunt, sed quae 
Jesu Christi quaerere credebantur, 
gladios, quos exercere debuerant in 
paganos, Christianorum sanguine 
cruentantes, nec religioni nec aeta- 
ti nec sexui pepercerunt, incestus, 
adulteria et fornicationes in oculis. 
hominum exercentes, et tam matro- 
nas quam virgines etiam Deo dica- 
tas exponentes spurcitiis garsionum 
(gargons d. i. der Knechte und Troß⸗ 
buben im Gegenſatze gegen die mili- 
tes). Nec suffecit eisdem, imperia- 
les divitias exhaurire ac dirumpere 
spolia principum ac minorum, nisi 
ad thesauros Ecclesiarum, et quod 
gravius est, ad ipsarum possessiones 
extenderent manus suas, tabulas 
argenteas etiam de altaribus rapien- 
tes, et inter se confringentes in fru- 
sta, violantes sacraria, cruces et 
reliquias asportantes. 57 

56) Il corurent à saint iglise pre- 
mierement et roberent les abaies. 


Hugo Plagen g. g. O. Nicetas S. 30g. 


Pluͤnderung von Conſtantinopel. 30⁵ 


J. Chr. 


um die geraubten heiligen Geraͤthe wegzuſchleppen, und, 178. 


als ſie auf dem glatten Boden niederfielen, durch Schwert— 
ſtiche zum Aufſtehen gezwungen, ſo daß ſie mit ihrem 
Blute ebenſo als auf andere Weiſe den heiligen Tempel 
verunreinigten. Ein freches Weib beſtieg den Sitz des 
Patriarchen, erhob einen ſchreyenden Geſang und begann 
hierauf einen luͤſternen und unanſtaͤndigen Tanz. Andere 
Pilger fuͤhrten in dem Heiligthume der Kirche muthwillige 
und unzuͤchtige Reden *); Andere warfen den Leib und 
das Blut Chriſti auf den Boden 8); Andere beraubten 
die Bilder Chriſti und der Heiligen ihres Schmuckes von 
edlen Metallen oder Edelſteinen; und die geraubten Heiz 
ligen Geraͤthe wurden entweder zertruͤmmert, oder bey 
den rauſchenden Gelagen, womit die Kreuzfahrer ihren 


Sieg feyerten, gemißbraucht und entweiht ?“). 


57) Nicetas a. a. O. 

58) TO qe ꝙναdòes m. axovous- 
vor 7v öpav To Helo alum xal 
ooua Xgıorov Kara e 1Eöusvov 
v Gir ᷓ iO. Nicetas S. 368. 
Dieſe Aeußerung bezieht ſich vielleicht 
auf das, in einem goldenen mit Edel— 
ſteinen und Perlen gezierten Geräthe 
(Ev oαοjν Tim) ygvoivy al O 
napyaouv za Aiduv #sx00u7- 
Evo) aufbewahrte, ächteubendmahls⸗ 
brod, welches ein Ueberbleibſel des 
von Chriſto bey der Stiftung des hei: 
ligen Abendmahls gebrauchten Bros 
des war. Dieſes Brod fanden nach 
der Eroberung von Conſtantinopel der 
Biſchof von Halberſtadt und der er— 
wählte Biſchof von Bethlehem (0 
’AlBeravias ’Enloxomos na) d rie 
Bedheiu Unowrgpeog) ; und auf der 
äußern Seite des koſtbaren Kaſtens, 

V. Band. 


worin dieſes heilige Brod aufbewahrt 
wurde, ſtand die Inſchrift: S yHaloͤs 
— € 8 ” * [4 — * 
neitaı 0 Heros &pTOS, 0v 0 Kguorös 
rotes uadnteis &v , wog Tov 
dsinvov dıdvaıusv ei, Aaßste, 
ders, TOVTO sor TO o HOVs 
S. Georgius Corcyraeus de commu- 
nione, apud Leonem Allatium de 
libris ecclesiasticis Graecorum, ad 
calcem Bibliothecae gr, Fabricii 
PVP, . p. 158. 


59) Nicetas S. 368. Vgl. S. 382 zu 
Ende; und nach eben dieſem Schrift: 
ſteller (S. 383.) verwandelten die 
Kreuzfahrer die göttlichen Bilder (Ta 
Herta eixaouera) Chriſti und der 
Heiligen in Stühle und Fuüßſchemel 
(rod His as). Vgl. die Anm. 55 
angeführte Stelle aus dem Briefe 
des Papſtes Innocenz an den Cardi: 
nal Peter. 


u 


J. Chr. 
1204. 


306 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X. 


Waͤhrend die meiſten Krieger in den Kirchen nach 
Gold, Silber und Edelſteinen forſchten, waren fromme 
Pilger, und beſonders die Geiſtlichen, welche das Pilger— 
heer begleiteten, damit beſchaͤftigt, heilige Reliquien, deren 
eine große Zahl in den Kirchen von Conſtantinopel auf 
bewahrt wurden, ſich anzueignen, um damit, wenn ſie 
in ihre Heimath zuruͤckkaͤmen, ihre Kirchen zu ſchmuͤcken “?) 
und eine große Menge von Ueberbleibſeln der Heiligen, 
zum Theile mit ihren koſtbaren und kuͤnſtlich gearbeiteten 
Behaͤltniſſen, wurden von den damaligen Pilgern aus Con; 
ſtantinopel in verſchiedene Kirchen des Abendlandes ge— 
brachte *). Der Abt Martin des Kloſters Paris im Wasgau 


60) Nach der Ausrufung des Nice— 
tas (S. 368): vie av Asıyarav 
ro un RNοανον nadovruw Dj, 
erαντινν αõꝗ“α use Tonav (vgl. 
p. 381. B), möchte man kaum glau⸗ 
ben, daß die Kreuzfahrer die Reli⸗ 
quien, welche fie in den Kirchen von 
Byzanz fanden, mit ſo großer Ehr— 
furcht behandelten, als es wirklich ger 
ſchah; ro Evaysıs find aber dem 
Nicetas dle Kirchen der Lateiner, in 
welche die Reliquien verſetzt wurden. 
Auch Georg von Corcyra ſpricht (in 
der oben angeführten Stelle) nicht 
ohne Unwillen von der damaligen 


Plünderung der Reliquien und nennt 2 


außer den in der Anmerkung 58 er: 
wähnten Ueberbleibſeln des ächten 
Abendmahlbrodes noch das heilige 
Kreuzholz, die Dornenkrone, einen 
Nagel des heiligen Kreuzes, die 
Schuhe und die Windeln des Heilan— 
des als Reliquien, deren ſich die Kreuz— 
fahrer bemächtigten. Nicht alle dieſe 
von Georg von Corcyra genannten 
Rellquien aber wurden aus Conſtan— 
tinopel ſogleich nach der Eroberung 


der Stadt weggeſchleppt; wenigſtens 
nicht die Dornenkrone, welche erſt 
ſpäterhin von dem letzten lateiniſchen 
Kaiſer von Conſtantinopel Balduin II. 
an Ludwig den Heiligen überlaffen 
wurde. 


61) „Anno Domini MCCIV civi- 
tas Constantinopolitana capta est et 
spoliata a Christianis plurimis di- 
vitiis et rebus ac multis sanctorum 
reliquiis, ut apparet in Venetia et 
Halberstat.“ Compilatio chronolo- 
gica in Pistorii Scriptor. rer. Germ, 
ed. Struve T. I. p. 1097. Vgl. Ot- 
tonis de St. Blas. chron. c. 49. 
Auch Abulfaradſch erwähnt (Chron. 
Syr. p. 444) dieſer Plünderung der 
Reliquien, aber ſchon nach der erſten 
Eroberung eines Theiles der Stadt im 
Julius 1203. „Die Franken gangen an, 
die Einwohner der Stadt mit läſti⸗ 
gen Erpreſſungen zu quälen und 
raubten die Kleinodien der Kirchen, 
die Kreuze, die Verzierungen der 
Evangelienbücher (aplai ewangelie; 
die lateiniſche Ueberſetzung läßt das 
Wort aphai aus, welches in der ſy⸗ 


Pluͤnderung don Conſtantinopel. 307 


gewann in der Kirche, wo das Grab det Kaiſerin Irene, 288. 
der Gemahlin des Kaiſers Manuel des Comnenen, ſich 


riſchen Ueberſezung des A. T. Num. Marc. 14, . Ösonorov H 


4 


Iv. 7. 8. für das hebräiſche 722 
Decke des Schautifches, gebraucht und 


* 


von Caſtellus, 1 |, ais Nomen plu- 


rale, durch vela erklärt wird; vlel⸗ 
leicht waren es koſtbare Decken oder 
Tücher, in welche die Evangelienbüs 
cher gehüut wurden); und das Gold 
und Silber an den Bildern.“ Es 
ließe ſich eine große Zahl von Nach» 
richten über die Reliquien, welche 
damals aus Conſtantinopel nach Ber 
nedig, Frankreich, den Niederlanden 


und Deutſchland gebracht wurden, zu⸗ 


ſammenſtellen; wir beſchränken uns 
aber hier auf folgende Beyſpiele. Der 
Biſchof Werner von Troyes ſandte an 
die Kirche ſeines Stiftes das Haupt 
des Apoſtels Philippus, und der Bi 
ſchof Nevelon von Soiſſons eignete 
ſich viele Reliquien zu, welche er, da 
er auf der Rückkehr in Apuiien ſtarb 
und in der Kirche des heil. Nicolaus 
zu Bari begraben wurde, durch feinen 
letzten Willen an verſchiedene Kirchen 
vermachte; die Kirche zu Chalons (an 
der Marne) erhielt aus feinem Nach: 
laſſe den Arm des heiligen Stepha⸗ 
nus (Alberici Chron, ad a. 1205). 
Der Biſchof von Troyes ſandte außer 
jenen Reliquien noch ein großes mar⸗ 
mornes, mit Silber eingefaßtes und mit 
einer griechiſchen Inſchrift verſehenes 
Becken in feine Heimath. Die von 
Ducange (zu Villehard. S. 251) ſehr 
fehlerhaft und unvollſtändig mitges 
theilte Inſchrift dieſes Beckens lautet 
alſo: xal mov Unmovpy&a r Tov- 


Phiov (1. reußkıov d. i. Schüſſel 
oder Becken, vgl, Matth. 26, 23. 


(#sivo td deonom) ua, th 
iodıwrnr (t ros gi= 
Aous, x vuv vmovgyeL roc he 
Aıyuois Ösonötor, uagrupsi roco 
Öngov eiosgyaouivov. Zufolge det 
Inſchrift war alſo dieſes Geräth von 
dem Heilande bey der Einſetzung des 
heil. Abendmahls gebraucht worden, 
und ſpäter wurde es für die Tafel des 
Kaiſers von Byzanz benutzt. Einen 
ſehr bedeutenden Schatz von Reliquien 
brachte damals der trieriſche Ritter 
Heinrich von Ulmen aus Conſtanti⸗ 
nopet in feine Heimath; ihm verdanfe 
ten die Kirche des heiligen Eucharius 
zu Trier und das Kloſter zum Lach 
(bey Andernach) Stücke des heiligen 
Kreuzes, und das Stubner Kloſter 
(auf einer Inſel der Moſel) einen 
ſchönen Reliquienkaſten, zwar von 
Holz, aber reich mit Silber, Edelſtei⸗ 
nen, Perlen und mannichfaltiger Bild⸗ 
nerey verziert, welcher jetzt im Beſiße 
des Herzogs von Naſſau ſich befindet; 
mit dem Zahne des Täufers Johan« 
nes zierte Heinrich von Ulmen zuerſt 
ſeine Burgcapelle, ſchenkte aber dieſe 
Reliqule bernach dem Ciſterelenſer⸗ 
Kloſter St. Peter zu Heiſterbach, weil 
ihm war geweiſſagt worden, daß er 
nur durch eine ſolche Schenkung die 
Befreyung aus der Gefangenſchaft, 
in welcher ihn der Ritter Werner von 
Boland hielt, ſich werde verſchaffen 
können. Vgl. Broweri Anırales et 
Antiquitates Trevirenses T. II. p. 
101 — 104. und Jo, Phil. Krebs in- 
scriptiones graecae, quas Lipsano- 
theca quaedam magna continet, 
quae Weilburgi asservatur, iterum 


u 2 


J. Chr. 
1204. 


— 


308 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X. 


befand, eine betraͤchtliche Beute von trefflichen Reliquien, 
welche er vor den übrigen Kreuzfahrern ſorgfaͤltig vers 
barg und ſpaͤterhin in fein Kloſter brachte »). 


multo emendatius editae et anno- 
tationibus illustratae, Wiesbadae 
1820. 4. Die zahlreichen Reliquien, 
welche der Biſchof Conrad aus Con: 
ſtantinopel und dem heiligen Lande 
nach Halberſtadt brachte, finden ſich 
zum Theil aufgezählt im Chronicon 
Halberstadiense in Leibnitii Script. 
Brunsvic. T. II. p. 146; es war dar: 
unter ſogar ein Stück Fleiſch von dem 
Leibe des Apoſtels Paulus. Noch jetzt 
findet ſich unter den Stiftsalterthümern 
zu Halberſtadt eine vergoldete filberne 
Patina von byzantiniſcher Arbeit und 
verſehen mit den griechiſchen Ein⸗ 


ſetzungsworten des Abendmahls, wel— 


che wahrſcheinlich ebenfaus von dem 
Biſchofe Conrad aus Conſtantinopel 
nach Halberſtadt gebracht wurde. 
(Niemann, die Stadt Halberſtadt und 
ihre Umgebungen. Halberſt. 1824. 8. 
S. 37.). Conrad verordnete übrigens, 
daß der Tag der Ankunft dieſer Re⸗ 
liquien zu Halberſtadt, der 17. Au⸗ 
guſt, daſelbſt jährlich als ein großer 
Feſttag gefeyert werden ſollte. Ueber 
die Kunſtwerke und Reliquien, welche 
aus Conſtantinopel nach Venedig ge⸗ 
bracht wurden, ſ. Andr. Danduli 
chron. p. 331 und Rhamnus. de bello 
Constantinop. Läb. III. P. 129. sq. 
Unter den Reliquien, welche die Ve— 
netianer ſich zueigneten, waren die 
Leichname der heiligen Jungfrauen 
Agathe und Lucia, welche die Kaifer 
Baſtlius II. und Conſtantin IX, aus 
Sicilien nach Conſtantinopel hatten 
bringen laſſen; die Gebeine der Heiz 
ligen Agathe wurden von den Vene⸗ 
tianern einigen ſiciliſchen Pilgern 


überlaſſen und kamen alfo wieder zu: 
rück in ihre Heimath, aus welcher ſie 
über zweyhundert Jahre entfernt ges 
weſen waren. Andr. Danduli Chron, 
I. o. Ueber die Reliquien, welche aus 
Conſtantinopel nach den Niederlan: 
den gebracht würden, f. Petri d' Ou- 
treman Constantinopolis belg. Lib. 
IV. c. 2. p. 265 — 268. 

62) Sehr merkwürdig iſt die von 
Günther (hist. Constantinop. p. XVI. 
XVII. XX - XXII) ausführlich er: 
zählte Weiſe, wie der Abt Martin, als 
heiliger Räuber (praedo sanctus), Re⸗ 
liquien (votiva suae militiae spolia) 
ſich verſchaffte. Der Abt wußte, daß 
in der Kirche, wo das Grabmal der 
Gemahlin des Kaiſers Manuel ſich 
befand, nicht nur viel Gold und Sil⸗ 
ber, ſondern auch viele Reliquien ver⸗ 
borgen waren; denn diejenigen, wel: 
che während der Belagerung von den 
Griechen aus der Stadt waren ver⸗ 
trieben worden, hatten es verrathen. 
Da er nicht ohne Antheil an der 
Beute, welche Andere ſich zueigneten, 
bleiben wollte, ſo richtete er ſeinen 
Sinn auf die in jener Kirche verbor: 
genen Reliquien. (Coepit Martinus 
Abbas de sua etiam praeda cogitare, 
ac ne aliis omnibus ditatis ipse va- 
cuus remaneret, proposuit et ipse 
sacratas manus ad rapinam exten« 
dere; sed, quoniam pracdam rerum 
saecularium eisdem manibus at- 
trectare putabat indignum, illud 
agere coepit, ut de reliquiis Sancto- 
rum, quarum ibi magnam sciebat 
esse copiam, aliquam sibi corrade- 
ret portionem,) Er begab ſich mit 


Pluͤnderung von Conſtantinopel. 


Waͤhrend ſolcher ſchonungsloſen Pluͤnderung verwun sg. 


2 


309 


deten die Kreuzfahrer die Gemuͤther der unglücklichen Eins 


einem der beiden Kapelläne, welche 
ihn auf der Kreuzfahrt begleiteten, 
in jene Kirche, in welche unzählige 
andere Pilger ebenfalls eindrangen, 
um das daſelbſt verborgene Gold und 
Silber zu rauben, und fand an einem 
verborgenen Orte derſelben einen 
Greis von anmuthigem Geſichte und 
langem grauen Barte, welchen der 
Abt nicht ſogleich für einen Prieſter, 
was er war, erkannte, und mit bar— 
ſcher Stimme (placido quidem ani- 
mo, ‚sed voce terribili) und An: 
drohung des Todes aufforderte, die 
verborgenen Reliqulen auszuliefern. 
Sie wurden aber bald Freunde, da 
der alte grlechiſche Prieſter der la 
teiniſchen Sprache nicht völlig uns 
kundig war; und dieſer öffnete dem 
Abte Martin einen mit Reliquien an⸗ 
gefünlten eiſernen Kaſten, aus welchem 
der Abt ſowohl als ſein Kapellan ſo 
viele Reliquien nahmen, als ſie nur 
tragen konnten. Sie brachten Die: 
ſelben zuerſt in ihr Schiff und drey 
Tage hernach in das Hospiz, welches 
an einer Kirche der Stadt eben jener 
alte grlechiſche Prieſter, welchen fie 
zur Auslieferung der Reliquien ge: 
zwungen hatten, ihnen auswirkte. 
Dort hielten ſie während des ganzen 
Sommers ihre Beute verborgen, ins 
dem außer ihnen und jenem griechi⸗ 
ſchen Prieſter niemand davon wußte. 
Als Martin hernach mit dieſem heili⸗ 
gen Schatze nach Ptolemaid kam, 
fuchte ihn der elſaſſiſche Ritter Werner 
zu bereden, denſelben im heiligen 
Lande zu laſſen und nicht den Ge: 
fahren der Meerfahrt preiszugeben. 
Er brachte ihn aber glücklich, obgleich 
nicht ohne große Beſorgniſſe, indem 


er auf dem Wege durch Italien oft⸗ 
mals zahlreiche bewaffnete Räuber⸗ 
banden antraf, in ſeine Heimath; 
das Volk der Villa Sigoltsheim, in 
deren Nähe ſein Kloſter Paris lag / 
kam ihm und den heiligen Reliquien 
in feierlichem Zuge entgegen, und 
am Johannistage 1205 legte er feinen’ 
heiligen Raub auf dem Altare feiner: 
Kloſterkirche nieder. Die Reliquien, 
mit welchen Martin ſein Kloſter 
ſchmückte, und welche er großen Theils 
in Conſtantinopel erbeutet, zum Theil 
vielleicht in dem heiligen Lande ge— 
ſammelt hatte, beſtanden in einer 
Spur des Blutes Chriſti (vestigium 
sanguinis J. C.), einem Stücke des 
heiligen Kreuzes, dem Arme des 
Apoſtels Jakob, einem großen Theile 
(non modica portio) der Gebeine 
des Täufers Johannes, einiger Milch 
der Mutter Gottes (de lacte matris 
Domini) und vielen andern, welche 
ſämmtlich von Günther (S. xxı) 
aufgezählt werden. Das Kloſter ſchenk⸗ 
te hernach von dem Ueberfluſſe geiſt⸗ 
licher Schätze, welchen es der Ge⸗ 
wandtheit ſeines Abtes verdankte, 
dem römiſchen Könige Philipp eine 
Tafel Ctabula) von unſchätzbarem 
Werthe, welche gezlert war mit Gold, 
Edelſteinen und vielen heiligen Reli: 
quien; beſondere Zierden dieſer Tafel 
waren ein Jaspis von wunderbarer 
Größe, auf welchem das Leiden 
Cheiſti und die Jungfrau Maria und 
der Evangeliſt Johannes am Kreuze 
ſtehend abgebildet waren, und ein 
Saphir, auf welchem Gott ſelbſt dar⸗ 
geſtelt war (divina majestas, quae 
nulla prorsus imagine repraesentari 
valet; artiſiciose tamen ita fieri 


310 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X. 


7738 wohner der eroberten Stadt auch durch mancherley Hohn 
und Verſpottung. Sie zogen, angethan mit den geraubten 
Amtskleidungen der hohen Beamten des griechiſchen Kai— 
ſerthums, durch die Straßen der Stadt und ſuchten 
dadurch Lachen zu erregen; ſie trugen die Schreibrohre, 
Dintenfäffer und Schriften, welche fie in den Kanzleyen ge 
funden hatten, zur Schau umher und reichten denen, welche 
ſie antrafen, ſolche Schriften hin zur Unterſchrift, die 
Griechen als ein Volk von bloßen Schreibern verſpottend; 
ſie hingen an die Koͤpfe ihrer Pferde, auf welchen ſie die 
Stadt durchzogen, leinene Mügen, wie die byzantiniſchen 
Männer fie trugen, und die Streifen von weißer Lein⸗ 
wand, welche auf den Nuͤcken der grlechiſchen Männer 
herabzuhaͤngen pflegten, oder befeſtigten an dem Geſchirre 
ihrer Roſſe die flachen Hüte, welche die gewoͤhnliche Kopf⸗ 
zierde der Byzantinerinnen waren, und kuͤnſtliche Locken 
von weißen und krauſen Haaren, womit die Frauen von 
Byzanz ſich ſchmuͤckten. Andere fuͤhrten mit ſich auf ihren 
Roſſen Buhlerinnen, welche die weiten Gewaͤnder byzan⸗ 
tiniſcher Matronen trugen, und wie dieſe ihre Haare auf 
dem Ruͤcken in Einen Zopf zuſammengebunden hatten 8). 


Wenn auch die Schilderung des Nicetas von den 
Leiden, welche er ſelbſt und ſeine Mitbuͤrger in dieſen, 


potuit). Dieſe Tafel war von den Beſtitzungen in feinen beſondern Schug 


byzantiniſchen Kaiſern (velut quod- 
dam certum imperii pignus) bey 
feyerlichen Gelegenheiten an einer 
goldenen Halskette getragen worden. 
Der König Philipp Guvenis quidem 
aetate, sed in Dei timore et Omni- 
um morum honestate matuxrus) 
bewies ſich für dieſes Geſchenk da⸗ 
durch dankbar, daß er das Kloſter 
Paris mit allen ſeinen Rechten und 


nahm und demſelben urkundlich den 
ewigen Beſitz der Reliquien, welche 
der Abt Martin aus Eonftantinopel 
und dem Morgenlande gebracht hatte, 
zuſicherte. 


63) Nicet. S. 382. Vgl. zu dieſer 
Stelle die Anmerkungen des Hiero⸗ 
nymus Wolf (ad calcem edit. Paris. 
P. 448). 


Plünderung von Conſtantinopel. 311 


für Conſtantinopel fo ungluͤcklichen Tagen erduldeten, nicht 584“ 
frey ſeyn mag von redneriſcher Uebertreibung: ſo laſſen 
ſich doch die von ihm angefuͤhrten Thatſachen nicht be— 
zweifeln. Mit dem heftigſten Unwillen berichtet Nicetas, 
daß die Fremdlinge, alle Pflichten der Menſchlichkeit ver— 
laͤugnend, die ausgepluͤnderten Einwohner von Conſtan⸗ 
tinopel, von welchen fie niemals eine Beleidigung erfah— 
ren hatten, dem ſchrecklichſten Hunger preisgaben, der 
nothwendigſten Beduͤrfniſſe des Lebens beraubten, wie Vers 
peſtete von jeder Gemeinſchaft mit ſich fern hielten und 
jeden Griechen, welcher, durch die dringendſte Noth ge— 
zwungen, es verſuchte, ihr Mitleiden in Anſpruch zu neh— 
men, mit Haͤrte, Hohn und Verachtung von ſich ſtie⸗ 
ßen »); waͤhrend fie ſelbſt im Ueberfluſſe ſchwelgten, 
manche mit ausgeſuchten und leckern Speiſen ſich labten, 
andere ihre gewohnten und derben Lieblingsſpeiſen, das 
Fleiſch von den Ruͤcken der Ochſen, welches in Keſſeln ge— 
kocht wurde, geſalzenes Schweinefleiſch mit einem Brey 
von gemahlenen Bohnen, Bruͤhen von Knoblauch, und 
andere Gerichte von ſcharfem Geſchmacke *) im Ueber⸗ 
maße genoſſen. Nichts als Haͤrte, Unfreundlichkeit und 
Gewaltthaͤtigkeit verkuͤndeten, ſagt eben dieſer Schriftſtel⸗ 


64) Nicet. S. 369. 977. Kut ꝙecò i 
rie 00% Iv, ſagt er an der letztern 
Stelle, 


22 * 
Evovrwy ud qͤo ole 


apa opıoıy, ots r 
re robe 
Rxovras, ovrs uw ovuuldeks 


orias / d orνοο , A vrevo- 


a #ol auıkla war ue Uον 


enayayr nal amöneuwıs. 
65) ExuiuaLov re ai napari- 
lovro nawmusgıoı, oi uw Pgu- 


udruw "wayyarsiaıs nmooonslus- 
vor, o Öl xal 77V margıov Aq 
dy naparıdLusvos Smudsinvior, 
iris iv voros Hosts ngsuv, dd 
galvusvoe Mßncı zul rd Te- 
Kayn rapıynpd , wuauoıs aArrois 
ovrsipokeve, d nei TO En 
oxopodwv erlußauue Ts, Kal 0UV- 
Jena 2E khlmv yuudv dgıuvooor= 
zwv 17V alsdnaw. Micctad S. 288. 


312 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X. 


hn ler, der eherne Nacken der Kreuzfahrer, ihr prahlender 


Sinn, ihre emporſtrebenden Augenbrauen, immer glatten 
und jugendlich ſcheinenden Wangen, blutduͤrſtigen Haͤnde, 
zornigen Naſen, hoffaͤrtigen Augen, unerſaͤttlichen Backen, 
lieblofen Gemuͤther und ihre haſtige und faſt auf den Lips 
pen tanzende Sprache °°), N 
Nicetas haͤlt es nicht fuͤr angemeſſen ſeiner Wuͤrde, 
von den Thaten der Kreuzfahrer nach der Eroberung von 
Conſtantinopel vollſtaͤndig zu berichten, und der Nachwelt 
die Graͤuelthaten einer aus zerſtreuten, meiſt veraͤchtlichen 
und namenloſen abendlaͤndiſchen Voͤlkern zuſammengerot⸗ 
teten Raͤuberbande zu uͤberliefern ''); ſondern er bes 
ſchraͤnkt ſich auf die Erzaͤhlung einzelner Ereigniſſe, und 
auf gedehnte, mit aller Kunſt der damaligen Rednerey ver— 
zierte Klagen über das damalige ungluͤckliche Schickſal der 
ehemals reichen und maͤchtigen Stadt, welches er als ein, 
durch die vielfaͤltigen Suͤnden und Laſter der Griechen her— 
beygefuͤhrtes, goͤttliches Strafgericht betrachtet 8). Nur 
von den Widerwaͤrtigkeiten, welche ihn ſelbſt und die 
Seinigen damals trafen, giebt er eine ausfuͤhrliche Nach 
richt, welche, obgleich uͤberladen mit redneriſcher Ziererey, 
lebhafte Theilnahme in dem Gemuͤthe jedes Leſers er— 
weckt *). Schon vor der Eroberung der Stadt durch 
die Kreuzfahrer hatte Nicetas das Ungluͤck, daß in dem 
zweyten großen Brande ſein ſchoͤnes und großes Haus 
zerſtoͤrt wurde 7°), und ſpaͤter nahm ihm der Thronraͤu⸗ 
66) Nicetas S. 360. 6e) Nicet. S. 366, beſonders in der 
67 Nicet. S. 372. 373. 377. Oin Klagrede, welche He vos vs no- 
a doaiunv, ſagt er S. 372, Te Jes überfchrieben iſt, S. 370—374. 
Beofaguv autos, o Eooiumv 69) Nicet. S. 378— 382. 
nagartunuv Hr Eneıra noaseıs 70) Dieſes Haus lag in der Gegend, 


nohsuınas, Ev ale um vine welche rd Ipmpaziov genannt wur: 
EI. de, nach einem Eonful Sphora: 


zw 


Plünderung von Conſtantinopel. 313 


ber Murtzuflos das Amt eines geheimen Canzlers, welches IE. 


er in den letzten Zeiten der Regierung der Kaiſer aus 
dem Hauſe der Angeli verwaltet hatte *). Nach der 
Zerſtoͤrung feines ſchoͤnen und bequemen Hauſes bezog er 
ein anderes Haus in der Nähe der guoßen Hauptkirche; 
und da dieſes Haus durch eine Saͤulenhüllle bedeckt, der 
Eingang deſſelben beſchwerlich und finſter war, und im 
Falle der Noth die benachbarte Kirche Sicherheit darbot: 
ſo fanden ſich an dem ſchrecklichen Tage, an welchem Con— 
ſtantinopel in die Gewalt der Fremdlinge kam, bey Nice— 
tas manche ſeiner Freunde ein, welche in ihren eigenen, 
freyer liegenden Wohnungen der Gefahr noch mehr aus— 
geſetzt zu ſeyn fuͤrchteten. Unter dieſen Freunden war auch 
ein venetianiſcher Kaufmann; und dieſer vergalt die freund— 
liche Aufnahme, welche er mit ſeiner Gattin und ſeinen 
Habſeligkeiten im Hauſe des Nicetas fand, ſeinem Wohl— 
thaͤter durch ſehr wichtige Dienſte. Er legte kriegeriſche 
Ruͤſtung an, wehrte, fo lange nur die Leute des Mark 
grafen von Montferrat im Beſitze dieſer Gegend der Stadt 
waren, die Pluͤnderer ab, indem er vorgab, zu den Kreuz— 
fahrern zu gehoͤren und dieſes Haus ſich angeeignet zu 
haben; und als die Franzoſen in großer Menge vordran- 
gen, welche feine Sprache nicht verſtanden und viel hof⸗ 
färtiger und uͤbermuͤthiger waren, als die uͤbrigen Kreuz— 
fahrer 52): fo führte er den Nicetas und deſſen Familie 


cius (im J. Chr. 412), welcher in 
dieſer Gegend eine Kirche des heil. 
Theodorus Tiro erbaut hatte. Dieſe 
Gegend befand ſich in der vierten Re⸗ 
gion der Stadt, unfern vom Hippo⸗ 
dromus. S. Ducange Constantinop. 
Christ. Lib. II. p. 178 und Lib. IV. 
p. 159. edit. Paris. 


71) Nicet. p. 563. Vgl. oben S. 274, 
Anm. 82. 


72) Oi godyyıozoı un rois d Mois 
(nämlich der aus Italienern und deut: 
ſchen Pilgern beſtehenden Schar des 
Markgrafen Bonifaz) Ovres Tega- 
nım00ı Kal Tas yvuuos zul ta 
OWwuara, novov ÖL ToV oryavov 
qed iE nourntalovres, un 4 


opisiv Enırsowv. Nicet. S 378. 


314 Geſchichte der Kreuzgzäge. Buch VI. Kap. X. 


Ae und Freunde in ein anderes von Venetianern bewohntes 
Haus; und Nicetas ſelbſt ſowohl als ſeine Begleiter achte⸗ 
ten es fuͤr nothwendig, ſich fuͤr Gefangene ihres Retters 
auszugeben, und als ſolche mit demuͤthiger Gebehrde und 
in ſchlechter Kleidung von ihm zu ihrem neuen Aufenthalt 
ſich führen zu laſſen, um nicht die Raubſucht der Plüns 
derer zu reizen. Auch in dieſer neuen Wohnung fanden 
ſie nur fuͤr fuͤnf Tage Ruhe; und als dieſer Theil der 
Stadt den Franzoſen zugetheilt wurde: ſo beſchloß Nice— 
tas, die ungluͤckliche Stadt zu verlaffen, obgleich die Wits 
terung noch immer ſtreng war, die Niederkunft ſeiner 
Gattin bevorſtand, und er und ſeine ſchwangere Gattin 
genöthigt waren, ihre noch unerwachſenen Kinder, unter 
welchen Ein Knabe noch auf dem Arme getragen wurde, 
muhſam auf ihren Schultern fortzuſchleppen. Nachdem 
noch mehrere andere Ungluͤcksgenoſſen ihnen ſich angeſchloſ— 
ſen hatten, begann dieſe ungluͤckliche Geſellſchaft ihre 

17. April Reife am Sonnabende nach der Eroberung der Stadt; 
alle hatten die ſchlechteſte Kleidung angelegt; diejenigen 
unter ihnen, welche jugendliche Toͤchter mit ſich nahmen, 
gebrauchten die Vorſicht, dieſe in der Mitte des Zuges 
moͤglichſt zu verbergen, und deren bluͤhende Wangen durch 
Schmutz und Koth zu verunſtalten. Auf ihrem Zuge 

durch die Straßen der Stadt waren die Aus wanderer 
noch Zeugen der aͤrgerlichſten Auftritte; ſie begegneten 
uͤberall Kreuzfahrern, welche, ohne ordentliche Ruͤſtung, 
nur lange Schwerter an ihren Seiten, und Dolche in 
ihren Guͤrteln tragend, die Stadt durchritten, zum Theil 
mit Beute ſchwer beladen, mit luͤſternen und wolluͤſtigen 
Blicken die ihnen begegnenden Weiber von einiger Schoͤn— 
heit betrachteten, nach Beute gierig forſchten und die 
vorbeyziehenden Gefangenen durchſuchten, ob ſie in ihren 


Plünderung von Conſtantinopel. 315 


Kleidern noch Gold und Silber verborgen hielten, oder I. SD 
mit ihrer ſchlechten Kleidung beſſere Gewaͤnder bedeckten. 
Als die Auswanderer unter ſteter Angſt bis zu der Kirche 
des heiligen Mocius gekommen waren, wurde ein junges, 
ſchoͤnes Maͤdchen, die Tochter eines Richters, aus ihrer 
Mitte durch einen ungeſtuͤmen Kreuzfahrer geraubt, was 
einen herzzerreißenden Auftritt veranlaßte. Denn der Bas 
ter des geraubten Maͤdchens, ein hochbetagter und durch 
Krankheit geſchwaͤchter Greis, warf ſich in der heftigſten 
Verzweiflung, als er ſeiner Pflegerin ſich beraubt ſah, 
auf den Boden, im klaͤglichſten Tone jammernd, und alle, 
vornehmlich den Nicetas um Huͤlfe und um die Rettung 
ſeiner Tochter anflehend. Nicetas that gern, was er ver— 
mochte; er verfolgte eiligſt die Spur des Raͤubers, wandte 
ſich an die gerade vorbeygehenden Kreuzfahrer, bemuͤhte 
ſich, ihnen kund zu thun, was geſchehen war, und bewog 
wirklich einige rechtliche und mitleidige Kreuzfahrer, bis 
zu dem Hauſe, wohin jener ungeſtuͤme Wolluͤſtling das 
geraubte ungluͤckliche Maͤdchen gefuͤhrt hatte, ihn zu be— 
gleiten. Der Räuber ſetzte zwar anfangs fi zur Wehr 
und verweigerte hartnaͤckig die Auslieferung feines Raus 
bes; Nicetas wurde aber nicht muͤde, die Kreuzfahrer, 
welche ihren Beyſtand ihm zugeſagt hatten, zur Erfuͤllung 
ihrer Pflicht als Chriſten und rechtliche Kriegsmaͤnner zu 
ermahnen; er beſchwor fie bey dem Grabe Chriſti, Menſch— 
lichkeit und Mitleid zu uͤben, und erinnerte ſie an das 
ſtrenge Gebot ihrer Heerfuͤhrer, die Keuſchheit der Ehe— 
weiber und Jungfrauen zu achten. Dieſe Vorſtellungen 
blieben nicht ohne Wirkung; und als jene Kreuzfahrer, 
aufgeregt durch die Bitten und Ermahnungen des bered— 
ten Mannes, dem ſchamloſen Frevler mit dem Galgen als 
wohlverdienter Strafe ernſtlich und nachdruͤcklich drohten: 


J. Chr. 


1204. 


316 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X. 


ſo erhielt endlich die geraubte Jungfrau die Freyheit und 
kehrte zuruͤck zu ihrem betruͤbten und der Verzweiflung 
preisgegebenen Vater. Als die ungluͤckliche Geſell— 
ſchaft nach ſolcher Widerwaͤrtigkeit aus dem goldenen 
Thore ausgezogen war und außerhalb der Mauern ſich 
befand: ſo erhoben viele die heftigſten Klagen uͤber ihr 
ungluͤckliches Schickſal; Nicetas aber, ſelbſt im Ungluͤcke 
ſeinem Hange zu ſchwuͤlſtiger Rednerey nachgebend, warf 
ſich auf den Boden und richtete an die Mauern der 
Stadt folgende Rede: Warum bleibt ihre allein gefuͤhllos 
und ohne Thraͤnen, und warum ſteht ihr noch, da alles 
dasjenige, zu deſſen Schutze man euch erbaute, durch 
Feuer und Krieg zerſtoͤrt worden iſt? Was wollt ihr 
fernerhin noch ſchirmen und ſchuͤtzen? Wollt ihr vielleicht 
einſt, wegen des Verderbens, welches uͤber uns gekommen, 
Rache uͤben an unſern Feinden, an dem Tage, an welchem 
der Herr ſich erheben wird, diejenigen zu zermalmen, welche 
auf ſolche Weiſe uns mißhandelt haben, und nach der 
Weiſſagung des Koͤnigs David die Abendlaͤnder heimſuchen 
wird? Nach dieſen Worten richtete er ſeine Rede an die 
ehemals glaͤnzende Stadt, welche er in dem beklagungs— 
werthen Zuſtande der furchtbarſten Verwuͤſtung verließ, und 
ſprach in nicht minder gekuͤnſtelten Worten den Wunſch aus, 
daß ihm baldige Nückkehr unter guͤnſtigern Umſtaͤnden vers 
goͤnnt werden moͤchte. Das Gemuͤth des Redners wurde 
nicht nur bewegt von der Sehnſucht, die herrliche Sophien⸗ 
kirche wieder zu ſchauen, welche er den Thron der Herr- 
lichkeit Gottes und den Himmel auf Erden nennt, ſondern 
er ſehnte ſich auch nach der Zeit, in welcher ihm vergoͤnnt 
ſeyn wuͤrde, ſtatt der ſchlechten, aus Fellen zuſammen⸗ 
geſetzten und kaum den Leib bedeckenden Kleider, welche 
er ſich gendthigt geſehen hatte, anzulegen, ſich wieder zu 


Pluͤnderung von Conſtantinopel. 317 


ſchmuͤcken mit bequemen und zierlichen Gewaͤndern von Id" 
ſchoͤnem und glaͤnzendem Gewebe, wie er ſie in der Zeit 
ſeines Gluͤckes und Wohlſtandes zu tragen pflegte. 

Die Auswanderer trafen, als ſie ihren Weg fort— 
ſetzten, zuſammen mit dem Patriarchen von Conſtantinopel, 
welcher vor ihnen herzog, auf einem Eſel reitend und 
ohne alle Zeichen feines heiligen Amtes 73); nachdem er 
ebenfalls zur Auswanderung als dem einzigen Mittel, 
noch groͤßerem Ungluͤcke zu entgehen, ſich entſchloſſen hatte. 
Nichts aber war betruͤbender fuͤr die Auswanderer, als 
daß auf ihrem Wege die Einwohner des Landes ihnen 
keinesweges freundliche und mitleidige Theilnahme an 
ihrem Ungluͤcke bewieſen, ſondern vielmehr wegen ihrer 
Armuth und Duͤrftigkeit ſie verſpotteten und verhoͤhnten, 
und ihre Freude daruͤber nicht verbargen, daß die ehe— 
mals reichen und ſtolzen Bewohner der Hauptſtadt nun— 
mehr waͤren gleich geſtellt worden dem uͤbrigen armen 
Volke des Landes. Nicetas und ſeine Begleiter erreichten 
endlich die Stadt Selybria, Gott dankend, daß ſie nicht, 
wie manche ihrer Mitbuͤrger, von den uͤbermuͤthigen Fremd— 
lingen waren in Feſſeln gelegt oder mit Schlägen miß⸗ 
handelt worden; und in jener Stadt beſchloſſen ſie den 
Tag der Rettung und Befreyung ihres Vaterlandes zu 
erwarten. 


73) Mn nnpav gplgow, un Yovoov Em) Tv copiv , Ba 12 
voavdahos, Nicet. S. 381. 


318 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI. 


Elftes Kapitel. 


Ber Die Kreuzfahrer genoſſen des Ueberfluſſes aller Art, 
welchen ſie zu Conſtantinopel gefunden hatten, waͤhrend 
mehrerer Tage, in großen Freuden, frohlockten uͤber die 
gewonnene unermeßliche Beute, wodurch mancher, wel— 
cher zuvor in Armuth und Duͤrftigkeit ſchmachtete, reich 
geworden war, ergoͤtzten ſich durch Wuͤrfelſpiel *) und 
andere Beluſtigungen, unbekuͤmmert um das ſchreckliche 
Elend, welches ſie in der zuvor reichen und uͤppigen 
Stadt geſtiftet hatten, und feyerten den Palmſonntag 
ſowohl als beſonders das Oſterfeſt mit großem Jubel 0. 
Dieſe Froͤhlichkeit der Pilger wurde aber nicht wenig 
geſtoͤrt, als nach dem Oſterfeſte der Markgraf Bonifaz 
als Oberfeldherr des Heeres und der Doge von Venedig, 
ſo wie die uͤbrigen Barone des Heeres, das Gebot aus— 
rufen ließen, daß jeder Pilger, der fruͤhern durch Eides— 


1) Der Leidenſchaftlichkeit, mit wel⸗ 
cher die Ritter dem Würfelſpiele er» 
geben waren, erwähnt Nicetas S. 388, 
und in dem von Banduri (Imperium 
orientale T. I. Pars 3. p. 112) und 
Fabriclus (Biblioth. gr. Vol. VI. 
p. 414) mitgetheilten Bruchſtücke. 
Vgl. Beil. 2. 

2, Ensi firent la Pasque fleurie 


(Palmſonntag) et la grant Pasque 
aprez en cele honor et en cele joie 
que Diex lor ot done. Villehard. 
S. 103. Der Palmfonntag und Oſtern 
werden zuſammen les deux Pasques 
genannt, und die Woche vom Palm⸗ 
ſonntage bis zum Oſterſonntage heißt 
daher la semaine des deux Pasques, 


d. B. Villeh. S. 1. J. 8 


Theilung der Beute. 319 


ſchwur und Androhung des Banns bekraͤſtigten Satzung nr. 
gemäß, jedes erbeutete Gut, von welcher Art es auch ſeyn 
moͤchte, in Eine von drey beſtimmten Kirchen abliefern 
und der Obhut der aus der Mitte der Franzoſen ſowohl 
als der Venetianer ernannten Bevollmaͤchtigten uͤbergeben 
ſollte. Die Obhut der erbeuteten Reliquien, welche 
nicht minder als die uͤbrige Beute, in Gemaͤßheit des 
vor dem Anfange der Belagerung zwiſchen den Kreuz— 
fahrern und Venetianern geſchloſſenen Vertrags, getheilt 
werden ſollten, wurde dem Bifchofe Werner von Troyes 
anvertraut 8). 


Obgleich die Verheimlichung erbeuteter Gegenſtaͤnde 
gleichwie Diebſtahl mit der Strafe des Stranges an 
vielen Pilgern geahndet wurde, und der Graf Hugo von 
St. Paul ſogar einen ſeiner Ritter, welcher ſolcher Vers 
untreuung uͤberfuͤhrt wurde, mit ſeinem Schilde am Halſe 
aufhaͤngen ließ: ſo wurde gleichwohl ein betraͤchtlicher 
Theil der Beute untergeſchlagen; nur ein Theil der Pilger 
lieferte ehrlich und gewiſſenhaft den gewonnenen Raub 
zur vertragsmaͤßigen Theilung; Andere verfuhren mit den 
erbeuteten Koſtbarkeiten nicht anders, als der Abt Martin 
mit den von ihm entwendeten Reliquien ). Ungeachtet 
ſolcher Veruntreuung, betrug das jenige, was zur Theilung 
kam, außer zehntauſend Reitpferden und Zugpferden, 
vierhundert Tauſend Mark Silbers, wovon mit Inbegriff 
von funfzig Tauſend Mark Silbers, welche die Franzoſen 
als den Reſt ihrer Schuld den Venetianern bezahlten, 


3) Histoire de la translation des tre mauvaisement, Villeh. S. 103. 
Reliques de 8. Mames bey Ducauge Wegen ſolcher Begehrlichkeit (con- 
zu Villeh. S. 251. voitise), fegt Villehardouin hinzu, 

liebte Gott ſeit dieſer Zeit die Pilger 

4) Li uns aporta bien, et U au- weniger. 


320 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. XI. 


3 den dreyhundert Touſend Mark auf den Antheil der letztern 
fielen; hundert Tauſend Mark aber wurden unter die 
Franzoſen alſo getheilt, daß ein Ritter ſo viel erhielt, 
als zwey Knechte zu Pferde, und ein Knecht zu Pferde 
fo viel als zwey Knechte zu Fuß ). 


Die naͤchſte Sorge der Heerfuͤhrer war nunmehr, in 
der eroberten Stadt eine aͤußere Ordnung der Dinge zu 
beſtimmen, und zunaͤchſt einen Kaiſer zu waͤhlen; denn 
die letzte Belagerung von Conſtantinopel war in der Ab— 
ſicht unternommen worden, den alten Plan der normaͤn— 
niſchen Herzoge in Itallen auszufuͤhren, die Herrſchaft 
der Griechen alſo zu zertruͤmmern, und ein lateiniſches 
Reich in Byzanz zu ſtiften. Wenn gleich das Schickſal 
der abendlaͤndiſchen Herrſchaft in Syrien abmahnte von 
der Stiftung eines Reichs, welches durch die Waffen 
einer nur Lehensverbindlichkeiten anerkennenden Ritterſchaft 
vertheidigt werden ſollte: ſo lag doch auf der andern 
Seite ein ſtarker Reiz zur Eroberung in dem Reichthume, 
der Fruchtbarkeit und dem milden Himmel der Laͤnder, 
welche dem griechiſchen Reiche damals noch unterworfen 
waren ). Dazu kam, daß die Ritter, welche Conſtan— 
tinopel erobert hatten, als Kreuzfahrer, die Vortheile, 
welche der Beſitz des griechiſchen Reichs in den Haͤnden 


5) Deux serjanz à pie contre un 
a cheval et deux serjanz à cheval 
contre un chevalier, Villehard. S. 
103 — 103. Nach der von Ducange in 
den Text aufgenommenen Leſeart be— 
trug die geſammte Beute 509,000 Mark 
Silbers; die Ausgabe und Ueberſez— 
zung von Vigenere giebt nur 400,000 
Mark an. 


6) Denique, ſchrieb der Kaiſer 


Balduin in dem oft angeführten 
Briefe (apud Godefr. Mon, p. 374), 
divina justitia nostroque ministe- 
rio digna ultione percussis et ex- 
pulsis hostibus, Deus obedientibus 
terram nobis dedit omnium bono- 
rum copiis affluentem, frumento, 
Vino et oleo stabilitam, fructibus 
opulentam, nemoribus, aquis et 
pascuis speciosam, et cui similem 
orbis non continet adre temperatam, 


Kaiſerwahl zu Conſtantinopel. 321 


der abendlaͤndiſchen Ritterſchaft und die Eroberung der “, 


fruchtbaren Laͤnder deſſelben, fuͤr die Wiedereroberung, 
Vertheidigung und Behauptung des gelobten Landes dar⸗ 
bot, als ſehr wichtig betrachteten, und es insbeſondere 


als einen ſehr erheblichen Gewinn anſahen, daß durch die 


Begruͤndung eines lateiniſchen Reichs in Conſtantinopel 
die Reiſe der Pilger zu den heiligen Oertern von Syrien 
erleichtert wuͤrde ). Auch hatten die Griechen, ihre 
Hauptſtadt ganz der lateiniſchen Ritterſchaft preisgegeben; 
alle Einwohner von Conſtantinopel, welche durch Geburt 
und Anſehen faͤhig waren, die Kaiſerkrone zu tragen, 
waren entflohen oder ausgewandert, und nur des geringen 
Volks war ein Theil zuruͤckgeblieben; die Griechen hatten 
alſo ſelbſt es dahin gebracht, daß es nothwendig wurde, 
ein Oberhaupt der eroberten Stadt aus der Mitte der 
lateiniſchen Ritter zu erwaͤhlen. aaa lg 
Als die Theilung der Beute vollendet war, ſo traten 
der Doge von Venedig und die Grafen und Barone des 
Pilgerheeres zuſammen zur Berathung uͤber die Wahl 
eines Kaiſers, vernahmen auch die Meinung der übrigen 
Ritterſchaft ), und beſtimmten, daß an einem andern 


7) Hinc enim, sicut a sapientibus 
evidenti ratione conjicitur, ad sub- 
ventionem Terrae sanctae ostium 
manifeste patebit et aditus. Non 
solum U habituri sunt 
a modo liberum per nos peregrini, 
sed praeter vires nostras, quas per 
Dei gratiam etiam in praesenti ha- 
bemus non modicam (leg. modi- 
cas) et quas omnino illi terrae de- 
vovimus, victualium illis quoque 
abundantiam ferax gratia ministra- 
bit. Epist. Balduini ad Cameracen- 
sem, Atrebatensem, Morinensem et 


V. Band. 


Tornacensem Episcopos, in Edm. 
Martene et Urs, Durand Thesaurus 
uovus anecdotorum T. I. p. 792. 


8) Et requistrent li commun de 
lost ce que il voloient faire. Die 
Gemeine des Heeres beſtand ohne 
Zweifel aus den Häuptern der Nitter: 
ſchaft (li che vetaigne de lost) und 
einem Ausſchuſſe der Ritter. Vgl. 
oben Kap. 9, Anm. 12; übrigens iſt 
die erwähnte Verſammlung wahr: 
ſcheinlich die in der großen Kirche 
der Apoſtel (ele z0v u£yıorov venv 


* 


Chr. 
1204. 


322 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Jg. Tage in Gemaͤßheit des mit den Venetianern geſchloſſenen 
Vertrags zwoͤlf Wahlmaͤnner erwaͤhlt werden ſollten. Zu 
Wahlmaͤnnern aber wurden erkohren von Seiten der 
Pilger: die Biſchoͤfe von Soiſſons, Troyes, Halberſtadt, 
Bethlehem und Ptolemals, und der Abt von Lucedio “); 
und von Seiten der Venetianer: Vitalis Dandulo, Ad— 
miral der venetianiſchen Flotte, Otto Quirini, Bertuccio 
Contarini, Nicolaus Navajoſo, Pantaleon Barbo und 
Joannes Baſilios oder nach Hi A Nachrichten Johannes 


Michael ). 


Die Wahl, welche jenen Wohl dert uͤbertragen 


wurde, war nicht frey von Schwierigkeiten; 


denn die 


Kaiſerkrone reizte die Eitelkeit vieler *), und es war 


rd onaò v rod Kgıorov) gehaltene, 


deren Nicetas (S. 383) gedenkt; in 


dieſer Verſammlung wurde, wie Wis 
cetas erzählt, der Vorſchlag gemacht, 
daß über die kaiſerliche Krone das 
Loos entſcheiden möchte. Es ſollten 
nämlich nach einer bey den Lateinern 
gebräuchlichen Sitte (xard rı ud 
zorov Edıuov) vier Kelche in eine 
Reihe geſtellt werden, wovon einer 
das Blut Chriſti enthalten, die drey 
andern leer ſeyn ſollten; fo wie der 
Name eines von vier Fürſten (wahr⸗ 
ſcheinlich dem Markgrafen Bonifaz 
und den Grafen Balduin von Flan⸗ 
dern, Hugo von St. Paul und Lud⸗ 
wig von Blois) gerufen würde, ſoll— 
ten die Geiſtlichen dem aufgerufenen 
Fürſten einen Kelch überreichen, und 
derjenige Fürſt ſollte Kaiſer werden, 
welchem der Kelch mit dem Blute 
Chriſti zufallen würde. Dieſer Bor: 
ſchlag aber, deſſen kein anderer Schrift⸗ 
ſteller, außer Nicetas, erwähnt, wurde 
verworfen, weil der Doge von Vene— 
dig widerſprach und darauf beſtand, 


daß die vertragsmäßige Wahl Statt 
finden ſollte. 


9) Balduini epist. apud Godefr, 
mon. p. 373. Nach Ramnuſius (S. 136) 
waren von Seiten der Pilger Wahl⸗ 
männer: die Biſchöfe von Troyes, 
Soiſſons, Bethlehem und Ptolemais, 
und zwei italienifche Ritter, Nicolaus 
Picclolus und Jacob Malvicinus. 
Nach Nicetas (a. a. O.) wurden von 
den Franzoſen und Lombarden (Ex 
rod rd Ppayyioxwv za: Aau- 
nagdumv yEvovs) fünf Wahlherren 
(vnpogögo:) und eben fo viele von 
den Venetianern ernannt. Noch an⸗ 
dere Angaben finden ſich in d' Outre- 
man Constantinop. belg. Lib. III. 
P- 244. 245 

10) Ramnus. I. o. 


11) Et ne pooit estre que 4 & 
grant honor, com de l’empire de 
Constantinople, n'en ni aust (eut) 
mult des habaanz (abbayans ou as- 
pirans) et des envious, Villehard. 
S. 105. 


Kaiſerwahl zu Conſtantinopel. 323 


ſehr zu beſorgen, daß demjenigen, für welchen alle oder 3 hr. 
die Stimmen der meiſten Wahlherren ſich vereinigten, 
die uͤbrigen Bewerber nicht willig ſich unterwerfen wuͤr— 
den. Man gedachte der großen Schwierigkeiten, wodurch 
zur Zeit der erſten Meerfahrt die Wahl eines Oberhaup— 
tes des Koͤnigreichs Jeruſalem war erſchwert worden, 
der Muͤhe, welche es gekoſtet hatte, dem Herzoge Gottfried 
als erwaͤhltem Koͤnige den vollkommenen Beſitz ſeiner 
Rechte zu verſchaffen, und der nachtheiligen Folgen, welche 
aus der Widerſetzlichkeit des Grafen Raimund von Tous 
louſe gegen den Herzog Gottfried fuͤr das ſo eben erſt 
damals gewonnene heilige Land entſtanden waren; denn 
jener unſeligen Partheyung vornehmlich war es zuzu— 
ſchreiben, daß nach der Eroberung von Jeruſalem die meiſten 
damaligen Pilger das gelobte Land verlaſſen und ſeinem 
Schickſale preisgegeben hatten n). Da der Markgraf 
Bonifaz und der Graf Balduin von Flandern die maͤch⸗ 
tigſten Fuͤrſten des Pilgerheeres waren, und es. vorher 
zuſehen war, daß auf den Einen oder den Andern dieſer 
beiden Fuͤrſten die Wahl fallen wuͤrde: ſo dachte man 
darauf, fuͤr denjenigen von ihnen, welcher dem andern 
wuͤrde weichen muͤſſen, eine Entſchaͤdigung auszumitteln, 
und dadurch ſolchen Mißhelligkeiten, als im Koͤnigreiche 
Jeruſalem zur Zeit ſeiner Stiftung eingetreten waren, 
vorzubeugen. Es wurde alſo ein Vertrag zwiſchen dem 
Markgrafen Bonifaz und dem Grafen Balduin von Flan— 
dern zu Stande gebracht, nach welchem derjenige von 
ihnen, auf welchen Gott die Wahl lenken wuͤrde, dem 
andern alles griechiſche Land in Aſien nebſt der Inſel 
Creta uͤberlaſſen, dieſer aber den erwaͤhlten Kaiſer als 
feinen Lehensherrn anerkennen ſollte *3), 


12) Villehard. S. 105. 106. 13) Villeh. S. 106. 
E 2 


324 Geſchichte der Kreugzäge Buch VI. Kap. XI. 


JE Nach ſolchen Vorbereitungen wurde endlich der 
9. Mal. Wahltag anberaumt. Am Sonntage Miſericordia **) 
ſchwuren die Wahlherren uͤber den heil. Evangelien einen 
feyerlichen Eid, durch welchen ſie gelobten, denjenigen 
zum Kaiſer zu waͤhlen, welcher nach ihrem Dafuͤrhalten 
der faͤhigſte waͤre, das Reich zu regieren, traten hierauf 
zuſammen zur Wahl in eine zu dieſem Behufe reich ver⸗ 
zierte Kapelle des Palaſtes Bukoleon, in welchem der 
Doge von Venedig feine Herberge genommen hatte *), 
und begannen die Berathungen, nachdem ſie durch ein 
Gebet dazu ſich vorbereitet hatten 5). Des Volkes aber 
verſammelte ſich vor jenem Palaſte an dem Wahltage eine 
unzählbare Menge, begierig, den Erfolg der Wahl zu 
vernehmen *). 
Die Biſchoͤfe von Soiſſons und Troyes machten in 
der Wahlverſammlung zwar den Vorſchlag, daß man, 
um allen Streit zu vermeiden, weder den Markgrafen 
von Montferrat, noch den Grafen von Flandern auf 
den kaiſerlichen Thron erheben, ſondern den ehrwuͤrdigen 
und mit Weisheit und Erfahrung noch mehr, als jene 
beiden Fuͤrſten, begabten Dogen von Venedig, Hein— 
rich Dandulo, zum Kaifer des neuen lateiniſchen Reichs 
waͤhlen moͤchte; ihnen aber widerſprach der venetianiſche 
Wahlherr, Pantaleon Barbo. Er gab zwar zu, daß 


14) Dominica Misericordia do- 
mini. Epist. Bald. So iſt nämlich 
zu verbinden, und nicht;, 
den verſchiedenen Ausgaben dieſes 
Briefes, ſelbſt in Epist. Innocentii 
IIL ed. Brequigny et la Porte du 
Theil T. II. p. 573 geſchehen iſt, nach 
Dominica ein Comma zu fegen, 1005 
durch dieſes Wort mit dem vorher 
gehenden oratione (f Anm. 16) in 


wie in 


Verbindung gebracht wird. Vgl. Al- 
berici Chron, ada. 1204. P. 437. 

15) Un ior pris assemblerentä un 
riche palais ou li Dux de Venise 
ere à ostel, un des plus bials del 
munde. Villeh. a. a. O. 

16) Oratione praemissa, ut decuit. 
Ep. Bald. J. c. 


17) Villehard, a. a. O. 


Kaiferwahl zu Conſtantinopel. 325 


niemand faͤhiger wäre, Conſtantinopel zu behaupten, als. ‚Ei. 
ein ſolcher, welcher durch die venetianiſche Seemacht 
unterſtuͤtzt wuͤrde, daß uͤberhaupt eine zahlreiche und 
wohlgeruͤſtete Flotte zur Vertheidigung dieſer Seeſtadt 
nicht entbehrt werden koͤnnte, und daß, wenn uͤber das 
neue Kaiſerthum Gefahr kaͤme, eine Flotte aus dem 
adriatiſchen Meere ſchnellere und wirkſamere Huͤlfe brin— 
gen koͤnnte, als die zahlreichſten Scharen von Rittern, 
welche erſt aus den Ebenen der Lombardey oder von den 
fernen Geſtaden der Niederlande herbeygerufen werden 
muͤßten. Er bemerkte aber dagegen, daß die Wahl des 
Dogen von Venedig zum Kaiſer den Neid der Franzoſen 
und der uͤbrigen Kreuzfahrer auf das heftigſte aufregen 
und ſicherlich die Trennung und Aufloͤſung des Heeres 
zur unmittelbaren Folge haben wuͤrde; und er rieth daher, 
einen der beiden Fuͤrſten zu waͤhlen, welche in der Mei⸗— 
nung des Volks als die faͤhigſten und wuͤrdigſten gaͤlten, 
das neue Reich zu regieren **). Es vereinigten ſich 


17 Gr ’ 2 25 N 948 
18) Daß die Biſchöfe von Soiſſons taleon Barbo aber ihnen zu bedenken 


und Troyes die Wahl auf den Dogen 


von Venedig zu lenken ſich bemühten, 


erzählt Ramnuſius (S. 137) nach ve: 
netianiſchen Jahrbüchern. Nach der 
Chronik des Andreas Dandulus (S. 
330) war es nur Einer der Franzoſen 
(Gallorum unus), welcher den Do: 
gen von Venedig in Vorſchlag brach: 
te, aber einer der venetianiſchen Wahl⸗ 
herren (quidam Venetorum, nobilis 
et Adelis sene empfahl dagegen mit 
triftigen Gründen (satis probabili 
oxatione usus) den Grafen von Flan— 
dern. In der Ambroſtianiſchen Hand: 
ſchrift dieſer Chronik wird am Rande 
hinzugefügt, daß fünf vengtianifche 
Wabhlherren zwar dem Dogen Hein: 
rich Dandulo geneigt waren, Pan⸗ 


gab, daß die Wahl des Dogen von 
Venedig zum Kaiſer ſicherlich nicht 
die Billigung der transalpiniſchen 
Pilger erhalten würde. Zufolge eben 
dieſer Nachricht gönnten jedoch die 
transalpiniſchen Pilger nach dem 
Grafen von Flandern dle kalſerliche 
Krone lieber dem Dogen zu Venedig, 
als dem Grafen von Montferrat; auch 
den Lombarden wäre ein Kaiſer aus 
der Mitte der Venetianer angenehmer 
geweſen, als ein transalpiniſcher / und 
die Wahl des Grafen Balduin er— 
folgte endlich auf den Rath des Bar: 
bo (suadente Barbo). Nicetas berich: 
tet (S. 383), es ſey allgemein bekannt 
geweſen, daß die Wahl des Grafen 
Balduin durch die NRänte-(nora 


J. Chr. 


1204. 


326 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


endlich alle Stimmen fuͤr den Grafen Balduln von 
Flandern “), deſſen Ritterſchaft die zahlreichſte war unter 
den Ritterſchaften, welche zu dieſer Kreuzfahrt ſich ver⸗ 
ſammelt hatten 29). Erſt ſpaͤt in der Nacht kam dieſe 
Wahl zu Stande, und um Mitternacht begaben ſich die 
zwoͤlf Wahlherren ſaͤmmtlich in das Gemach des Palaſtes, 
wo der Doge von Venedig und ſaͤmmtliche Grafen und 
Barone des Pilgerheeres in geſpannter Erwartung ver; 
ſammelt waren, und der Biſchof Nevelon von Soiſſons 
machte im Namen der uͤbrigen Wahlherren die geſchehene 
Wahl auf folgende Weiſe kund: „Wir ſind, edle Herren, 
durch Gottes Gnade uͤber die Wahl eines Kaiſers einig 
geworden; und da ihr durch einen Schwur gelobt habt, 
denjenigen, welchen wir waͤhlen wuͤrden, als Kaiſer an— 
zuerkennen und gegen jeden Widerſacher zu behaupten: 
ſo nennen wir euch in dieſer feierlichen Stunde, in wel— 
cher Gott der Herr geboren wurde 2 *), denjenigen, wel⸗ 
chen wir zum Kaiſer erkohren haben. Es iſt der Graf 
Balduin von Flandern und Hennegau.“ Ein allgemeiner 
Freudenruf erfolgte im ganzen Palaſte, als dieſe Nachricht 
vernommen wurde; und der Markgraf Bonifaz ſowohl, 


os Joy re zul mepivorav)) des Do: nostris meritis procul erat, unani- 


gen von Venedig bewirkt worden ſey; 
denn Dandulo, da er wegen ſeiner 
Blindheit unfähig war, Kaiſer zu 
werden, habe gewünſcht, das Kaifer: 
thum an einen Fürſten zu bringen, 
welcher leichter zu behandeln und 
weniger herrſchſüchtig (To 7905 re 
ihopurarov xal. un 7To:.ppoveiv 
&oyex0rTEE0V) , auch wegen der Ent: 
fernung feiner Länder den Benetia- 
nern nicht fo furchtbar war, als der 
Markgraf Bonifaz von Montferrat. 
19) Personam nostram, quod a 


miter ac solemniter elegerunt, di- 
vinis laudibus clero ac vopulo ac- 


Clamante, Epist. Bald. 


20) Sic ferebatur, ut qui in Bel- 
gio ‚bellicum, cecinisset, equestres 
pedestresque copias velut e terra 


nasci solere. Ramnus. p. 137. 


21) Vous le nomerons en eure 
que Diex fu nes, Villehard. S. 107. 
D'Outreman (p. 247) fest hinzu: De⸗ 
buit igitur media nocte id fieri, 
nisi fortasse secus quam passim 
omnes de Christi natali sentirent. 


827 


als mit ihm mehrere andere Barone trugen ſofort auf 1289 


einem Schilde den neu erwaͤhlten Kaiſer in die große 
Kirche der goͤttlichen Weisheit, um ihn dem Volke zu 
zeigen und Gott ihr Dankopfer darzubringen für die Wahl, 
welche alle mit großer Freude erfuͤllte ). Zur Krönung 
des Kaiſers wurde der zügen, Parusee Wee 
(16. Mai) beſtimmt 25). 


Ehe die Krönung des Kaiſers Balduin vor ſich ging / 
ward noch ein Feſt anderer Art gefeyert, die Vermaͤhlung 
des Markgrafen Bonifaz mit Margarethe, der Witwe 
des Kaiſers Iſaak und Schweſter des Königs: von Uns 
garn *), welche ſpaͤterhin dem griechiſchen Glaubens 
bekenntniſſe, welches ſie als Gemahlin des Kaiſers Iſaak 
angenommen hatte, wieder entſagte und zu der wapos⸗ i 
ſchen Kirche zurückkehrte 2). 


Die Freude, welcher die Pilger unter ſo glücklichen 
Ereigniſſen ſich uͤberließen, wurde aber nicht wenig ge⸗ 
ſtoͤrt durch den Tod des Ritters Odo von Chamlite aus 
der Champagne; nicht bloß ſein Bruder Wilhelm, ſondern 
das ganze Heer der Pilger beklagte ſchmerzlich den Tod 
des tapfern Waffengefaͤhrten, und ſein Leichnam wurde 
mit großen Ehren in der Kirche der heiligen Apoſtel bey: 
geſetzt 5). 


Kroͤnung des Kaifers Balduin. 


22) Villehard. a a. O. 

23) Et fu li jors pris de son co 
ronement à trois semaines de Pas- 
ques. Villehard. a. a. O. 

24) Villehard. S. 108. 

25) Sie weigerte ſich zwar anfangs, 
die griechiſche Kirche zu verlaſſen, 
wurde aber hernach durch die Bitten 
ihres Gemahls, des Markgrafen Bor 
nifaz, und die Ermahnungen des ars 


dinal⸗Legaten Suffried und des Ab: 
tes pon Locedio bewogen (im J. 1203), 
in den Schooß der römiſchen Kirche 
zurückzukehren; und Innocenz wünfchs 
te ihr zu dieſer Bekehrung Glück in 
einem ſehr llebreichen Briefe. Epist. 
Innoc, III, ed. Brequigny et La- 
porte du Theil Lib, VIII. 234. T. II. 
p- 770. 771. 
20) Villeh. a. a. O. 


J. Chr. 


1203. 


328 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Büch VI. Kap. XI. 


Die Kroͤnung des Kaiſers Balduin geſchah an dem 
beſtimmten Tage mit glaͤnzenden Feyerlichkelten in der 
großen Kirche der goͤttlichen Weisheit; und als der Kaiſer 
im feyerlichen Zuge nach dieſer Kirche zur Kroͤnung ſich 
begab, ſo trugen vor ihm der Graf von St. Paul als 
Marſchall das kaiſerliche Schwert, und der Markgraf 
Bonifaz als Kämmerer das koſtbare Kroͤnungsgewand 27). 
Die Biſchoͤfe des Pilgerheeres ſetzten ihm die kaiſerliche 
Krone auf, es wurden ihm jenes mit Gold und Edelge— 
ſteinen herrlich geſchmuͤckte Gewand und die kaiſerlichen 
Pur purſtiefeln angelegt 28), und der Markgraf Bonifaz 
und der Graf Ludwig von Blois ehrten ihn zuerſt als 
ihren Herrn 2); die Ritter und andere Pilger hatten in 
großer Zahl ſich eingefunden, geſchmuͤckt mit ſchoͤnen und 
koſtbaren Kleidern, welche ſie zu dieſem Feſte ſich bereitet 
hatten?); viele Chriſten aus dem gelobten Lande, ſowohl 
geiſtlichen als weltlichen Standes, waren ebenfalls an— 
weſend, die Gruͤndung eines lateiniſchen Reichs in Con⸗ 
ſtantinopel auch als ein für die chriſtliche Herrſchaft im 
Morgenlande hoͤchſt erfreuliches Ereigniß betrachtend 3 *); 
und die Griechen, ſo viele deren zuruͤck geblieben waren, 


27) Alberici chron. add a. 1204. p. 437. 

28) Vestibus aureis lapidibusque 
pretiosis intextis, nec non caligis 
rubeis secundum morem indutus. 
Alberic. 1. c. Dieſer Umſtand wird 
in dieſer Chronik nach einem Zwiſchen⸗ 
ſatze noch einmal alſo wiederholt: Con- 
secrato data est vestis imperialis et 
caligac, quae erant de corio rubeo, 
cum lapidibus pretiosis. 

20) Villehard. a. a. O. 

30) Or poez savoir que mainte 
riche robbe i ot faite por le coro- 
nement et il orent bien de quoi. 


Villehard. S. 107. 


5ı) Aderant incolae terrae san- 
ctae, ecclesiasticae militaresque 
personae, quorum prae omnibus 
erat inaestimabilis et gratulabunda 
laetitir, exhibitumque Deo gratius 
obsequium asserebant, quam si ci- 
yitas sancta Christianis cultibus 
esset Testituta: cum, ad confusio- 
nem perpetuam inimicorum crucis, 
sanctae Romanae ecclesiae (et) terrae 
Jerosolymitanae sese regia civitas 
devoveret, quae tam diu, tam po- 
tenter adversaria stelit et contra- 


dixit utrique, Epist. Bald. 


Kroͤnung des Kaiſers Balduin. 329 


ehrten ihren neuen Herrn, durch die Zurufungen, welche BEER 
bey den Kroͤnungen ihrer Kaiſer üblich waren 82). Bal— 
duin ſchoͤpfte die frohe Hoffnung einer begluͤckten und 
ſegenvollen Regierung aus den Worten ſowohl der Epiſtel 
als des Evangeliums, welche in der Meſſe an dieſem Tage 
geleſen wurden: ſeyd unterthan dem Koͤnige, als dem 
Oberſten, und niemand nimmt von euch eure Freude 33); 
aber ſeine Hoffnung ging nicht in Erfuͤllung. Nach der 
Krönung wurde der neue Kaiſer in feyerlichem und glaͤn— 
zendem Zuge aus der Sophienkirche in den prächtigen Pas 
laſt Bukoleon geführt *); und die Straßen der Stadt 
waren an dieſem Tage mit koſtbaren Teppichen, Vor— 
hängen und Gewaͤndern auf das Herrlichſte gefchmückt 3°), 
So beſtieg der Graf Balduin von Flandern im zwey und 
dreyßigſten Jahre ſeines Alters den Thron des Kaiſers 
Conſtantin des Großen 5). e e 


foris et theatris judi magnificentis- 
simi eduntur; et, ne quid splen- 


52) More suo applaudentibus 
graecis, Epist. Bald. 


35) Praecipiente Petro (1. Brief 
Petri 2, 13.), Regem honorificari 
eique obediri quasi praecellenti, et 
Evangelio (Ev. Joh. 16, 22.) annun- 
ciante: quod gaudium nostrum ne- 
mo tollet a nobis. Epist. Bald. 

34) Apres la grant joie del coro- 
nement (' Empereres) en fu menez 
a grant feste et à grant procession 
el riche Palais de Bokelion, que 
onques plus riches ne fu veuz. 
Villeh. S. 108. 

35) Civitas ornatur cortinis, pal- 
liisque et vestibus pretiosis. Albe- 
rici Chron. ad a. 1204. Ramnuſius 
(p. 141) fügt noch folgende Nachricht, 
vielleicht aus ungedruͤckten Quellen, 
hinzu: Complures festi dies cele- 
brantur, totaque urbe, omnibus 


doris ac magnificentiae deesset, con- 
stat etiam urbanos circos hippodro- 
mosque coloratis sericis velis con- 
textos Huisse, in quibus circenses 
ludi singulari equo, bigis quadri- 
gisve graeco more, itemque ad eque- 
stris pugnae simulacrum (Galli et 
Germani Torneum vocant) Franci 
equites in aureis armis et militari- 


bus ornamentis conspieui complu- 


res dies jucundissime decurrerunt; . 
spectaculum certe speciosius quam 
scribi potest. 

36) Nicetas S. 384. „Dieſer Mann,“ 
ſetzt Nicetas ebendaſelbſt hinzu, „war 
übrigens, wie geſagt wurde, gottes— 
fürchtig und enthaltſam (eine Hand: 
ſchrift des Hieronymus Wolf ſetzt 
noch Hinzu: auch nicht fo unbeſtän⸗ 


330 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VL Kap. XI. 


So wie dem Reiche, eben ſo wurde auch der Kirche 
von Conſtantinopel, welche von ihrem bisherigen Patri— 
archen, Johannes Kamaterus, war verlaſſen worden, ein 
Oberhaupt gegeben; und, da nach dem, vor Eroberung 
der Stadt zwiſchen den Pilgern und den Venetianern 
geſchloſſenen, Vertrage derjenigen Partey, aus welcher 
der Kaiſer nicht wuͤrde gewaͤhlt werden, das Recht zus \ 
ſtand, die Geiſtlichkeit der Hauptkirche von Conſtantinopel 
ſowohl als den Patriarchen zu ernennen: ſo beſtellten 
die Venetianer einige Geiſtliche aus Venedig als Stifts— 
herren zur Wartung des Gottesdienſtes in der Sophien— 
kirche ), und dieſe Stiftsherren waͤhlten zum Patri⸗ 


J. Chr. 
1204. 


dig und unzuverläſſig als der Mark 
graf Bonifacius, otros evusraßkn- 
ros is d Bovugdrios) , und mied, fo 
lange er von feiner Gemahlin ge 
trennt war, ſelbſt in Blicken jeden 
Verkehr mit Weibern; dagegen nahm 
er gern Theil an Lobgeſängen zur 
Ehre Gottes, half denen, welche in 
Nöthen waren, und verſchmähte es 
nicht, diejenigen anzuhören, welche 
ihm widerſprachen. Was aber das 
Größte war, Balduin ließ in jeder 
Woche dreymal des Abends ausrufen, 
daß keiner feiner Hausgenoſſen (7 
oline), welcher feiner rechtmäßigen 
Gattin (nämlich in dieſer Nacht) die 
ebeliche Pflicht verſagen würde ( 
vouiuo yuvaızı ινοναοντνν ] im 
Palaſte ſolle übernachten dürfen.“ 
Dieſer letzte Umſtand iſt ohne Zweifel 
eine Fabel von der Art, wie damals 
viele in Conſtantinopel erzählt wer⸗ 
den mochten. Balduin führte übri⸗ 
gens in ſeinen kaiſerlichen Urkunden 
den Titel: Balduinus Dei gratia 
&delissimus Imperator in Christo 
Constantinopolitanus a Deo coro- 


natus, Romaniae (oder Romanorum) 
moderator et semper Augustus, 
Flandrensis et_Haynoensis Comes 
(f. Epist. Innoc. III. ed. Brequigny 
et la Porte du Theil MI. 201, p. 61g 
und Petri d' Outreman Constanti- 
nop. belgica p. 250); oder er nannte 
ſich auch nur, wie in einem Schreiben 
an den Papſt Innocenz III. (Epist. 
Innoc. III. Lib. VII. 153. p. 570): 
B. dei gratia Constantinopolitanus 
Imperator et semper Augustus, 
Flandrensis et Hainoniae Comes. 
37) Am 8. Mai 1205 ſchwuren drey⸗ 
zehn zu Stiftsherren an der Kirche 
der göttlichen Weisheit ernannte 
venetianiſche Geiſtliche in der Kirche 
des heiligen Marcus zu Venedig in 
Gegenwart von Rainer, dem Sohne 
und Stellvertreter des Dogen Hein— 
rich Dandulo, und acht Räthen (sa- 
pientum consilii) folgenden Eid: 
Juro ego t. ‚electus cauonicus san: 
cte Sophye, quod non eligam ne- 
que pro posse mo recipiam in 
praefata eccolesia sancte Sophye 
archidiaconum, archipresbyterum, 
Prepositum, Decanum, Thesaura- 


Wahl des Patriarchen zu Conſtantinopel. 331 


archen den venetianiſchen Subdiakonus, Thomas Moro, 8g 


rium, neque aliquem in alium ca- 
nonicum, nisi vel natione Vene - 
tum, vel talem, qui in aliqua ec- 
clesia Venetorum institutionem ha- 
buerit per decennium. Et a quo: 
libet predictorum meo tempore 
electo vel recepto post electionem 
vel receptionem simile faciam ju- 
ramentum praestari, nec umquam 
operam dabo quod supra dicta in- 
fringi debeant aut immutari. Dieſer 
Eid wurde über der Urkunde (capi- 
tulari), welche die Formel deſſelben 
enthielt und auf dem Evangelien⸗ 
buche lag, geleiſtet, der Eid wurde 
in das Staatsprotocoll eingetragen 
(hoc juramentum in seriptis publi- 
ois redigi debet) und auch den Pros 
curatoren des heiligen Marcus zuge— 
ſtellt. Späterhin leiſteten dieſen Eid 
noch drey andere Stiftsherren der 
heiligen Sophia nach einander in 
den Jahren 1205, 1207 und 1208. Die 
Protocolle dieſer Eidesleiſtungen fin: 
den ſich in beglaubigten Abſchriften 
in den, im kaiſerl. königl. Haus⸗ 
und Staatsarchive zu Wien aufbe⸗ 
wahrten Handſchriften, "Liber albus 
und Liber pactorum (T. I. fol. 
159 sd.) . Die Wahl eines lateiniſchen 
Patriarchen von Conſtantinopel ge⸗ 
ſchah übrigens ſchon vor dem Januar 
des Jahres 1205, wie aus dem Schrei⸗ 
ben des Papſtes vom 2x. Januar 1205 
(XII. Kal. Febr.), in welchem der 
erwählte Patriarch von Conſtanti⸗ 
nopel anerkannt wird, hervorgeht; 
und es waren aſo ſchon früher einige 
Stiftsherren an der Kirche der gött⸗ 
lichen Weisheit angeſtellt worden, 
von welchen auch der Papſt in dem 
erwähnten Briefe redet (cum qui- 
dam Clerici Venetorum fuissent 
Ecclesiae sanctae Sophiae servitio 


deputati); aber noch am Ende des 
Jahres 1204 (VII. Id. Decembris) 
fand es Innocenz nöthig, in einem 
Schreiben an die Bifchöfe und Aebte 
des Heeres zu Conſtantinopel (Epist. 
Innoc. III. ed. Brequigny et La- 
porte du Theil Lib. VII. 164. p. 888) 
darauf zu dringen, daß die Anſtel⸗ 
lung lateiniſcher Geiſtlichen bey den 
Kirchen von Conſtantinopel (ut es- 
sent, qui Latinorum populo ibi- 
dem, dante Domino, perpetuo re- 
mansuro, juxta suum ritum divina 
rite celebrarent ofſicia et exhibe- 
rent ecclesiastica sacramenta), und 
die Wahl eines Patriarchen beſchleu⸗ 
nigt werden möchte, indem er die 
Vollmacht ertheilte, denjenigen, auf 
welchen die Wahl fallen würde, nö— 
thigenfalls nach vorhergegangener Er⸗ 
mahnung durch kirchliche Strafe (per 
censuram ecclesiasticam) zur Ans 
nahme des Patriarchats zu nöthl⸗ 
gen. Die Venetianer erzwangen von 
dem Patriarchen Thomas Moroſini, 
als dieſer, nachdem er zu Rom die 
Weihen empfangen hatte, nach Bes 
nedig zurückkam, um von dort nach 
Conſtantinopel ſich zu begeben, einen 
Eid, wodurch er ſich ebenfaus ver⸗ 
biudlich machte, die den Stiftsherren 
in der oben angeführten Eidesformel 
aufgelegte Verpflichtung aufrecht zu 
erhalten und dafür zu ſorgen, daß 
kein anderer als ein Venetianer zum 
Patriarchen erwählt würde. Außer: 
dem verſprach der Patriarch, jedoch 
ohne Eid, in ganz Romanien nur 
Venetianer zu Erzbiſchöfen zu machen. 
Innocenz erklärte aber dieſe Zuſagen 
durch ein Schreiben an den Patriarchen 
vom 21. Jun. (XI. Kal. Jul.) 1206 für 
nichtig. Der Patriarch hatte übrigens 
in der Eidesformel das Recht des apo⸗ 


332 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI. 


es. ſini ve, welcher einem vornehmen venetlaniſchen Geſchlechte 


angehoͤrte, durch Gelehrſamkeit und Bildung nicht minder 
als durch Froͤmmigkeit einer ſo hohen Stelle wuͤrdig war, 
und waͤhrend eines längern- Aufenthalts zu Rom. durch kluges 
und verſtaͤndiges Benehmen und angenehme und gefaͤllige 
Sitten das Vertrauen und die Zuneigung des Papſtes 


Innocenz des Dritten gewonnen hatte “). 


Der Kaiſer 


Balduin aber erſuchte durch einen Brief ſowohl als durch 
Botſchafter den Cardinal Peter, welcher damals im ge⸗ 


ſtoliſchen Stuhls verwahrt durch die 
Clauſel: salvo tamen in omnibus 
Apostolicae sedis jure, auctoritate, 
reverentia et honore, obwohl dieſe 
Clauſel in das ſchriftliche Protocol 
nicht war aufgenommen worden (licet 
haec conditio sic a te fuerit ad- 
jecta, ut non sit in scriptis redacta). 
Ep. Lib. IX. 130. p. 945. Ueber die 
Streitigkeiten, welche die Selbſtſucht 
der Venetianer in Beziehung auf die 
kirchlichen Verhältniſſe der Kirche des 
neuen Kaiferthums und insbeſondere 
des Clerus der Sophienkirche zur 
Folge hatte, iſt beſonders lehrreich 
der Brief der drey lateiniſchen Bi⸗ 
ſchöfe von Selybria, Panedocia und 
Gallipoli (J. Salembriensis, P. Pa- 
nedocensis et J. Galiopolensis Epis- 
copi) und der übrigen zu Conſtan⸗ 
tinopel ſich aufhaltenden Geiſtlichen 
an Innocenz III. ſ. Epist: Innoc, III. 
ed, Baluz, Lib. XII. 103. Tom, II. 
p. 363 — 365. 

38) Thomas Maurocenus. bl 
Innocent. III. (ed. Brequigny et 
Laporte du Theil) Iäb. VII. 233. 
(vom 21. Januar, XII. Kal. Febr, 
1205) P. 621. 622. Nach der Be 
ſchreibung des Nicetas war Thomas 
Moroſini ein Mann von mittler 
Größe, aber wohlbeleibt, und für die 


Griechen war es höchſt anſtößig, daß 
der lateiniſche Patriarch ſowohl als 
ſeine Geiſtlichkeit ihre Bärte ſchoren 
und eng anſchließender Kleider ſich 
bedienten; auch bemerkt es Nicetas 
als auffallend, daß der Patriarch 
einen Ring und lederne Fingerhand⸗ 
ſchuh trug. Nicet. p. 40t, und in 
C. G. Heyne Commentatio II. de 
interitu operum artis (in den Com- 
mentationibus Societatis Scient. 
Gotting. Vol. XII.) p. 307. Vgl. 


f Beyl. II. A) 1 


89) Licet de persona electa ex 
mora diutina, quam apud Sedem 
Apostolicam fecit olim, Nos et 
Fratres. sufſicienter notitiam habe: 
remus, utpote quam noyeramus 
genere nobilem, honestam moribus, 
providentia circumspectam et com- 
petenter literis eruditam. Epist. 
Innoc. cit. p. 622. Gegen dieſe 
Wahl wurde zwar anfangs, wie In⸗ 
nocenz hinzufügt, von mehrern Sei— 
ten Widerſpruch erhoben (a multis 
extitit contradictum, et ab aliqui- 
bus etiam appellatum), doch wurde 
endlich dieſer Widerſpruch beſeitigt. 
Ueber den ſpäter noch einmal erhobe— 
nen Widerſpruch der fränkiſchen Geiſt⸗ 
lichen gegen die Rechtmäßigkeit der 
Wabl dieſes Patriarchen, f. unten. 


Verſoͤhnung d. Kreuzfahrer mit Innocenz. 333 


lobten Lande war, baldigſt nach Conſtantinopel zu kommen 9. 
und die neue Kirche zu ordnen, und der Legat folgte ſehr 

bald nebſt ſeinem Mitlegaten, dem Cardinal Suffried, 
obgleich wider den Willen des Papſtes, der kaiſerlichen 
Einladung *°): 

Nach dieſen Anordnungen dachten die Venetianer 
ſowohl als die übrigen Pilger darauf, den Papſt Innos 
cenz, wider deſſen Rath und Willen ſie gegen Zara und 
Conſtantinopel ihre, dem Dienſte des Heilandes geweihten, 
Waffen gekehrt hatten, zu verſoͤhnen; denn ſo lange der 
paͤpſtliche Bann auf ihnen lag, und ihre Eroberung der 
Billigung des apoſtoliſchen Vaters ermangelte, konnten 
ſie nicht auf die Unterſtuͤtzung nachkommender Krieger aus 
der Heimath rechnen, deren ſie zur Behauptung und Be— 
feſtigung der neu gegruͤndeten Herrſchaft ſo ſehr bedurften. 
Die Venetianer, welche ihre Widerſetzlichkeit gegen den 
apoſtoliſchen Stuhl ſo lange fortgeſetzt hatten, als ſie 
fuͤrchteten, daß deſſen Widerſpruch ihre Plaͤne vereiteln 
konnte, hatten ſchon dann, als ihre Abſichten großen 
Theils erreicht waren, und die Entwickelung der Ereig— 
niſſe nicht mehr gehemmt werden konnte, Botſchafter zu 
dem paͤpſtlichen Cardinal- Legaten, Peter von Capua, 
welcher damals auf der Reiſe nach dem gelobten Lande 
ſich befand, abgeordnet und dieſen Praͤlaten, welcher 
fruͤher von ihnen auf hoͤchſt beleidigende Weiſe zuruͤck— 
gewieſen worden war, um ſeine Vermittelung zur Auf— 
hebung des über fie ausgeſprochenen Banns gebeten *)3 
und der Legat, welcher es bedenklich achtete, reuigen 
Suͤndern die Pforte der Gnade zu verſchließen ), ſandte 


40) Gesta Innoc, III. c. 95: Vgl. claudos habere quam mortuos, 

Buch VII. Kap. 1. praesertim ne ipsorum contagium 
41) Gesta Innocentii III. c. go. Ceteros inquinaret. Gesta Iunoc. 
42) Fecit eos absolvi, malens eos I. c. 


334 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


— 4 von Cypern, wo er damals verweilte, den Schatzmeiſter 
der Kirche von Nicoſia in das Lager der Kreuzfahrer bey 
Pera, um von den Venetianern zuvoͤrderſt einen Eid zu 
nehmen, durch welchen fie zum kuͤnftigen Gehorſam gegen 
den apoſtoliſchen Stuhl und zur Erfuͤllung des Geluͤbdes 
der Kreuzfahrt ſich verpflichten ſollten, und ſie nach Lei— 
ſtung dieſes Eides vorlaͤufig von dem auf ihnen ruhenden 
Banne loszuſprechen. Dieſe Los ſprechung war aber nicht 
vollkommen guͤltig, ſo lange ihr noch die Anerkennung 
und Beſtaͤtigung des Papſtes ſelbſt fehlte. Der Doge 
ſandte daher zwey Botſchafter aus der Zahl der ihn be— 
gleitenden Nobili von Conſtantinopel *?) nach Rom mit 
einem Schreiben, worin er nicht nur dem Papſt anzeigte, 
daß die Venetianer, genoͤthigt durch die Treuloſigkeit des 
jungen Kaiſers Alexius Angelus (welcher, obgleich von 
ihnen und ihren Bundesgenoſſen auf den kaiſerlichen Thron 
geſetzt, ihre Flotte zu verbrennen und auf andere Weiſe 
zu Waffer und zu Lande feine Wohlthaͤter zu beſchaͤdigen 
verſucht hätte), Conſtantinopel zur Ehre Gottes und der 
roͤmiſchen Kirche und zum Nutzen des heiligen Landes, 
mit Zuſtimmung aller ihrer Mitpilger geiſtlichen und 
weltlichen Standes und dem Beyſtande ihrer Bundes 
genoſſen, erobert hatten; ſondern auch ſich entſchuldigte, 
wegen der Unterjochung von Zara, indem er behauptete, 
daß die venetianiſche Flotte durch den Eintritt des Win— 
ters gezwungen bey dieſer Stadt angelegt und nur ge— 
legentlich an derſelben wegen der vielfaͤltigen, von deren 
Einwohnern gegen die Venetianer begangenen Feindfeligs 
keit und Treuloſigkeit eine gerechte Rache vollzogen haͤtte. 
Auch verſicherte der Doge in dieſem Schreiben, daß er 
dem Vorgeben, als ob die Einwohner von Zara unter 

43) Leonardus Naugajoſus, den Enkel des Dogen, und Andreas de Mulin. 


Verſoͤhnung d. Kreuzfahrer mit Innocenz. 335 


dem beſondern Schutze des Papſtes ſtaͤnden, keinen Glau- N he. 
ben habe beymeſſen koͤnnen, weil es ihm nicht glaublich 
geſchienen, daß der Nachfolger des heiligen Petrus ſolche, 
welche das Zeichen des heiligen Kreuzes nur zum Scheine 
naͤhmen, um als Kreuzfahrer ungeſtraft Verbrechen und 
Gewaltthaͤtigkeiten zu üben und ohne die Abſicht, ihre 
Geluͤbde zu erfuͤllen, ſeiner Gnade und ſeines Schutzes 
wuͤrdig achten koͤnnte und duͤrfte; eben deshalb haͤtten 
die Venetianer den über fie verhaͤngten Bann mit Ruhe 
und Geduld ſo lange getragen, bis der Cardinal Peter 
ihnen die Losſprechung gewaͤhrt haͤtte. Endlich gab 
Heinrich Dandulo in dieſem Schreiben die Zuſicherung, 
daß die Venetianer, wie bisher ſo auch in der Zukunft, 
in allem ihtem Thun nur die Ehre Gottes, der roͤmiſchen 
Kirche und des Papſtes zu befoͤrdern ſich bemühen wuͤr— 
den ). Der Kaiſer Balduin meldete in einem demuͤ— 
thigen Schreiben, welches Barochius, der Meiſter der 
Templer in der Lombardey, uͤberbrachte **), dem Papſte 
Innocenz die auf ihn gefallene Wahl zum erſten lateinis 
ſchen Kaiſer von Conſtantinopel, und bat um die Beſtaͤ— 
tigung des von den Pilgern mit den Venetianern ge— 


ſchloſſenen Vertrags, indem 


44) Epist. Innocentii III. Lib. VII. 
202. p. 618. 619. 


45) Epist. Innoc. III. Lib. VII. 
152. p. 570—575. Denfelben Brief 
fandte Balduin, jedoch mit Weglaſ— 
ſung der Stellen, welche ſich auf den 
Papſt bezogen, als Circular in das 
Abendland. Arnold von Lübeck giebt 
ihn daher mit der Ueberſchrift: uni- 
versis Christi fidelibus, episcopis 
et abbatibus, prioribus, praepositis, 


decanis, caeterisque ecclesiarum 


er die Venetianer als treue 


praelatis ecclesiasticisque personis, 
baronibus, militibus, Sarziantis 
omnique populo Christiano, ad 
quos praesens pagina pervenerit; 
und bey dem Mönche Gottfrled findet 


er ſich als ein Schreiben an den 


Erzbiſchof Adolph von Cöln. Um die , 


Beſtätigung des mit den Denetiar 
nern aufgerichteten Vertrags bat 
Balduin noch in einem beſondern, 
an den Papſt gerichteten Briefe; f. 
Epist, Innoc, III. Lib. VII. goı, 
P. 618. 


J Chr. 


1204. 


336 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


und eifrige Bundesgenoſſen ruͤhmte, ohne deren fernern 
Beyſtand das neue, zur Ehre Gottes und der roͤmiſchen 
Kirche gegruͤndete Kaiſerthum Dauer und Feſtigkeit nicht 
gewinnen koͤnnte. Der Kaiſer pries mit eben ſo großen 
Lobeserhebungen die trefflichen Dienſte, welche die das 
Heer begleitenden Biſchoͤfe und Aebte und die übrige ge 
ringe Geiſtlichkeit des Heeres im Kampfe wider die Grie— 
chen geleiſtet haͤtten. Er empfahl uͤberhaupt das neu ge— 
gruͤndete Reich dem Schutze des apoſtoliſchen Vaters und 
richtete an den Papſt die Bitte, daß er die abendlaͤndiſche 
Chriſtenheit durch eindringliche Ermahnung zum Beyſtande 
des lateiniſchen Kaiſerthums und zur Theilnahme an den 
unermeßlichen zeitlichen und ewigen Reichthuͤmern, welche 
daſſelbe darboͤte, auffordern und diejenigen, welche dieſer 
Aufforderung folgen wuͤrden, des paͤpſtlichen Ablaſſes wie 
die anderen Kreuzfahrer theilhaftig machen möchte, Vor— 
nehmlich bat Balduin den Papſt, daß er Geiſtliche ver— 
anlaſſen moͤchte, in großer Zahl nach Conſtantinopel ſich 
zu begeben, und in dem herrlichen und uͤppigen Lande 
nicht mehr im Blute, ſondern in Freyheit und Frieden 
und im Ueberfluſſe aller Guͤter, die Kirche zu pflanzen. 
Zuletzt ſprach der Kaiſer noch den Wunſch aus, daß In— 
nocenz eine allgemeine Kirchenverſammlung nach Conſtan— 
tinopel berufen und dieſelbe durch ſeine Gegenwart ver— 
herrlichen möchte, *°). Auch machte Balduin aus der ihm 
46) Canite, quaesumus, tuba sa- des Dritten, Johannes, Agapetus 
cerdotali in Sion, amantisime und Andere, wegen viel weniger er⸗ 
Pater, vocate coetum, congregate heblicher Angelegenheiten nach Con⸗ 


populum, coadunate senes et su- ftantinopel in eigener Perſon gekom⸗ 
gentes ubera, sanetificate diem ac men wären, sicut in apostolicis 
ceptabilem Domino, diem stabi- continetur archiviis, et invenietis 
liendae unitatis et pacis. Epist, manifeste, si nos, qui asserunt se 
Innoc. 1. c. Balduin fügt dann legisse, non fallunt. 


hinzu, daß die Vorgänger Innocenz 


Verſoͤhnung d. Atmung mit Innocenz. 337 


zugefallenen Beute nicht nur dem Papſte herrliche Geſchenke; 7 
ſondern auch den Tempelherren uͤberſandte er zwey Bilder, 
wovon das eine drey Mark Gold und das andere zehn 
Mark Silbers enthielt, ein Stuͤck des heiligen Kreuzes, 
funfzig Mark Silbers, und andere Koſtbarkeiten. Dieſe 
koſtbaren Geſchenke wurden zwar im Hafen von Modon 
durch genueſiſche Seeraͤuber, welche dort mit ſieben Schiffen 
waren, geraubt, die Genueſer aber ſpaͤter durch Bann und 
Interdict gezwungen, den Raub zurückzugeben *7). Auch der 
Markgraf Bonifaz und die Grafen von Blois und St. Paul 
ſchrieben in demſelben Sinne wie der Kaiſer Balduin an 
den Papſt Innocenz, und baten um ſeinen Schutz für das 
neue Kaiſerthum und um Beſtaͤtigung der zu Conſtanti— 
nopel von den Pilgern ſowohl als den Venetianern ges 
machten kirchlichen und weltlichen Anordnungen *°). 
Innocenz der Dritte hatte zwar, ſo lange von Alexius 
Angelus dem Aelteren die Erfuͤllung der dem paͤpſtlichen 
Stuhle gemachten Zuſicherungen erwartet werden konnte, ſich 
bemuͤht, die Kreuzfahrer von Gewaltthaͤtigkeiten gegen das 
griechiſche Reich durch jedes ihm zu Gebot ſtehende Mittel 
abzuhalten; als aber Alexius auf eine feige und ſchimpf— 
liche Weiſe das Reich verlaſſen hatte, und ſein Neffe, der 


47) Dieſe Geſchenke zählt Innocenz 
in einem, von Rainaldus (Annales 
eccles. ed. Mansi, ad a. 1204. p. 181) 
mitgetheilten, Briefe an den Erzbiſchof 
von Genua alſo auf: carbunculum 
unum emptum, ut asserit (Baldui- 
nus Imperator), mille marchas ar- 
genti, unum anulum pretiosum, 
examita (Gewänder von Sammet) 
quinque, palliumque peroptimum; 
et ad opus templi: duas iconas, 
unam habentem tres marchas auri 
et aliam decem marchas argenti 


V. Band. 


cum ligno vivificae crucis et mul - 
tis Iapidibus pretiosis, duas cruces 
aureas, et inter topazios, smara- 
gdos, rubinos paene ducentos unam 
crystallinam ampullam, et duos 
scyphos argenteos, unam scutellam 
desuper auratam, duas capsellas et 


unam ampullam argenteas, et in- 


genti. 


48) Epist. Innoe. III. Lib. VII. 


208. p. 626, 


9 


super quinquaginta marchas ar- 
* 


338 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Neeber jüngere Alexius, durch die Pilger auf den byzantiniſchen 
Kaiſerthron erhoben worden war, ſo war Innocenz zu 
klug und vorſichtig, um einen unnuͤtzen Widerſpruch fort— 
zuſetzen. Er bemuͤhte ſich aber, dem apoſtoliſchen Stuhle 
die wirkliche Erlangung der Vortheile zu ſichern, welche 
der aͤltere Alexius zugeſagt hatte, und in dieſer Abſicht 
ermahnte er den jungen Kaiſer zur Erfuͤllung der Ver— 
heißungen, welche dieſer waͤhrend ſeines Aufenthalts zu 
Rom als ungluͤcklicher Fluͤchtling gegeben und nach ſeiner 
Thronbeſteigung in einem Schreiben an den Papſt er— 
neuert hatte ). Auch den Pilgern gebot er, ihrerſeits 
mit redlichem Eifer dafuͤr zu ſorgen, daß der Kaiſer 
Alexius ſowohl in einem offenen Briefe zum Gehorſam 
gegen die roͤmiſche Kirche eidlich ſich verpflichte, als auch 
den Patriarchen von Conſtantinopel zur Einholung des 
Palliums von dem roͤmiſchen Stuhle anhalte, und durch 
ſolchen Eifer zu beweiſen, daß die Verpflichtung, welche 
von ihnen dem Kaiſer aufgelegt worden, den roͤmiſchen 
Papſt als geiſtliches Oberhaupt anzuerkennen, nicht blos 
zur Beſchoͤnigung ihres ſtraͤflichen Ungehorſams gegen den 
apoſtoliſchen Stuhl dienen ſollte, ſondern ernſtlich gemeint 
waͤre. Zugleich ermahnte der Papſt die Pilger, nunmehr 
ihre Fahrt nach dem gelobten Lande nicht laͤnger zu ver— 
ſchieben ). Die Unterwerfung der griechiſchen Kirche 
unter den Gehorſam des apoſtoliſchen Stuhls betrachtete 
aber Innocenz der Dritte als ein viel zu wichtiges und 
ruͤhmliches Ereigniß, als daß er nicht auf das ſehnlichſte 

gewuͤnſcht hätte, durch die Vollendung dieſes Werks feine 
Regierung zu verherrlichen; und daher war er geneigt, 
ſelbſt einen Aufſchub der von ihm ſonſt mit ſo großem 


49) Epist. Innoc. Lib, VI. 229. 50) Ibidem, Lib. VI. 230. p. 427: 
p. 426. 


Verſoͤhnung d. Kreuzfahrer mit Snnocenz. 339 


Eifer betriebenen Kreuzfahrt zu geſtatten, wenn ein ſolcher J. 
Aufſchub die Vereinigung der Kirchen befördern konnte?). 
Die Kreuzfahrer hatten ſich alſo nicht in der Hoff— 
nung getaͤuſcht, in welcher fie, dem paͤpſtlichen Banne 
trotzend, ihre Paniere auf den Mauern von Byzanz er— 
richtet hatten; und Innocenz vernahm mit Freude die 
Kunde von dem Gelingen ihrer Unternehmung. Er be— 
willigte daher gern dem neuen Kaiſerthume den von den 
Pilgerfuͤrſten gewuͤnſchten Schutz, gebot allen Erzbiſchoͤfen, 
Biſchoͤfen und uͤbrigen Praͤlaten, ſo wie den Koͤnigen und 
Fuͤrſten und allen Voͤlkern der Chriſtenheit, Freundſchaft 
und Friede mit dem Kaiſerthum Conſtantinopel zu halten, 
legte den Geiſtlichen ſowohl als den Laien, welche in dem 
Heere des Kaiſers Balduin ſich befanden, die Verpflichtung 
auf, die Herrſchaft der Lateiner in Byzanz, insbeſondere 
wegen ihrer Wichtigkeit fuͤr die Wiedereroberung des heili— 
gen Landes, mit aller Anſtrengung ihrer Kraͤfte zu behaupten, 
und verſprach dem Kaiſer ausdruͤcklichen Beyſtand ſowohl 
zur Behauptung der am Bosporus gemachten Eroberungen, 
als zur Vollziehung des Kreuzzugs nach dem gelobten 
Lande 2). Auch beſtaͤtigte er die von dem Cardinal Peter 
verfuͤgte Loͤſung des uͤber die Venetianer ausgeſprochenen 
Bannes 3), und verſagte zwar dem Dogen Heinrich Dan- 
dulo die, wegen ſeines hohen Alters und der Gebrechlich— 
keit ſeines Koͤrpers, nachgeſuchte Aufhebung feines Ge⸗ 
luͤbdes, geſtattete ihm aber, ſo lange in Conſtantinopel 
zu bleiben, als das Heer der Pilger wegen der Befeſtigung 
des neuen Kaiſerthums die Fahrt nach dem gelobten Lande 
aufzuſchieben gedaͤchte. Zugleich verſicherte Innocenz, daß 
er beſonders aus Ruͤckſicht auf die hohen Gaben, welche 


51) Epist, Innoc, Lib. VII. 206. 32) Ib. Lib. VII. 188. p. 578 876. 
(an den Dogen von Venedig) p. 623. 53) Ib. Lib. VII. 207. p. 625, 626 


Y 2 


340 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. KL 


IE dem Dogen von Gott verliehen waͤren und dem heiligen 


Lande hoͤchſt näßlich werden würden, es nicht uͤber ſich 
nehmen koͤnnte, das Geluͤbde eines fo hochbegabten 
Mannes aufzuheben; er ermahnte aber den Dogen, ſo 
wie er bisher der Welt mit großem Ruhme gedient haͤtte, ſo 
kuͤnftig Gott und nicht ſich ſelbſt zu dienen und die Kirche 
und deren Diener zu beſchirmen, wofuͤr ihm die göttliche 
Belohnung nicht entgehen würde ). 

Mit den kirchlichen Anordnungen, welche zu Conftans 
tinopel waren getroffen worden, war Innocenz der Dritte 
ſehr unzufrieden. Er erklaͤrte die Verabredung, nach 
welcher das Kirchengut im griechiſchen Reiche eben ſo gut 
wie jedes andere Gut zur Theilung gebracht und nur fuͤr 
einen anſtaͤndigen Unterhalt der Geiſtlichkeit geſorgt mer: 
den ſollte, fuͤr durchaus verwerflich, als den anerkannten 
Rechten der Kirche widerſprechend, befahl den Biſchoͤfen 
und Aebten, welche im Heere der Pilger ſich befanden, 
der Theilung der Kirchenguͤter im griechiſchen Reiche mit 
allen kirchlichen Waffen ſich zu widerſetzen, und gebot 
ernſtlich, dem Kaiſer ſowohl als dem Dogen von Venedig, 
jene Verabredung ſofort zu vernichten, als unvertraͤglich 
mit der Ehre der roͤmiſchen Kirche, welche die Pilger mit 
allen Kräften aufrecht erhalten zu wollen fi ruͤhmten °°), 
Auch die Wahl des Patriarchen ſchalt Innocenz uͤbereilt 
und ungebuͤhrlich, weil die Stiftsherren, von welchen 
dieſe Wahl geſchehen war, der paͤpſtlichen Anerkennung 
und Beſtaͤtigung ermangelten, alſo auch nicht das Recht 
haben koͤnnten, ſich ein Haupt zu waͤhlen, und weil uͤber— 
haupt den Layen die Befugniß, uͤber geiſtliche Angelegen— 
heiten und Aemter zu ſchalten, nicht zuſtaͤnde. Nichts⸗ 


24) Epist. Innoc. Lib. VII. 806. #5) Ibidem, Lib, VII. %6. 208. 
p. 624. 625. p. 625. 626. 


Kirchliche Anordnungen zu Conſtantinopel. 341 


deſtoweniger beſtaͤtigte er den erwaͤhlten Patriarchen Tho, J nr 
mas, ſowohl aus Achtung fuͤr deſſen Perſon, als auch in der 
Ruͤckſicht, daß die Kirche von Conſtantinopel nicht laͤnger 
ohne Oberhaupt bleiben moͤchte, ertheilte ſelbſt dem neuen 
Patriarchen zu Rom nicht nur die Weihen des Diakonats 
und des Prieſterthums, ſondern auch die biſchoͤfliche Weihe, 
übergab ihm das erzbiſchoͤfliche Palllum, verlieh ihm und 
ſeinen Nachfolgern wichtige Rechte, und empfahl ihn 
auf das Angelegentlichſte dem Kaiſer Balduin und allen 
Anderen, welche in dem neuen Kaiſerthume Anſehen und 
Einfluß beſaßen ). Als der Kaiſer Balduin in einem 


56) Epist. Innoc. Lib. VII. 293. 
20 4. P. 621, 622, Lib. VIII. go. p. 666. 
Innocenz betrachtete, um dem Rechte 
der römiſchen Kirche nichts zu ver: 
geben, ſeine Beſtätigung als eine 
neue Wahl: Eundem Subdiaconum 
uostrum (Thomam), tamquam mem- 
brum Apostolicae sedis, elegimus 
et confirmavimus eidem (Constanti- 
nopolitanae) Ecclesiae Patriarcham, 
Lib. VII, 203. Doch erklärte der 
Papſt in einer eigenen Urkunde 
(Epist. L. VIII, 23. III. Kal, April 
1204), daß dieſe von ihm verfügte 
Wahl, wozu ihm das Recht des— 
wegen zuſtände, weil nach der Erobe— 
rung von Conſtantinopel durch die 
Lateiner die dortige Kirche noch nicht 
geordnet worden wäre, dem Wahlrechte 
der Kirche von Conſtantinopel für die 
Zukunft nicht nachthellig ſeyn ſollte. 
Die Weihe des Thomas Moroſini als 
Diakonus wurde von dem Papſte 
Innocenz dem Dritten am Gonns 


abende nach Quatember in den Fa⸗ 


ſten (Sabbato quatuor Temporum 
Quadragesimae, 20. März 1204), Def: 
ſen Weihe zum Prieſter aber am 
Sonnabende nach Mitfaſten (3. April 


1209) vollzogen; am folgenden Sonn: 
tage (4. April 1204) erhielt der Pa: 
triarch die biſchöfliche Weihe eben: 
fals von den Händen des Papſtes in 
St Peter, ſpäter auch, nachdem er 
den gewöhnlichen Eid der Erzbifchüfe 


geleiſtet hatte, das Pallium. Gesta 


Innoc. III. o. 98. In der Urkunde, 
womit Innocenz dem Patriarchen das 
Pallium übergab (Epist. Lib. VII, 
19.), beſtimmte er nach gewöhnlicher 
Weiſe die Feſttage, an welchen der 
Patriarch daßelbe überall, nur Rom 
und den Ort, wo der Papſt ſelbſt 
wäre, ausgenommen, tragen ſollte, 
und verlieh ihm zugleich das Recht, 
bey feyerlichen Zügen eines weißen 
Hferdeg mit großer weißer Decke ſich 
zu bedienen (usum nacci s. nacti, 
vgl. Ducange Gloss, med, et ink. 
latinit, v. nactum). Die übrigen 
Rechte, welche Innocenz dem neuen 
lateiniſchen Patriarchen von Conſtan⸗— 
tinopel durch mehrere Urkunden (am 
30. März 1204) verlieh, waren vor⸗ 
nehmlich: 1) diejenigen, welche wider 
Geiſtliche oder andere in dem Schutze 
der Kirche ſtehende Perſonen Gewalt⸗ 
thätigbeit geübt hätten, fo wie auch 


342 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


2: h demuͤthigen Schreiben an den Papſt um die Zuſendung 
von Miſſalien, Brevieren und andern zum Gottesdienſte 
nach roͤmiſcher Weiſe nothwendigen und dienlichen Buͤchern 
bat, wenigſtens um Abſchriften davon zu nehmen °7), und 
zugleich den Wunſch aͤußerte, daß Weltgeiſtliche ſowohl als 
Moͤnche, vornehmlich aus dem Orden der Ciſtercienſer und 
den Kloͤſtern, welche die ſtrengere Zucht des Kloſters von 
Clugny befolgten, in das Land der Griechen kommen und 
dort den Gottesdienſt ordnen und beſorgen moͤchten: ſo 
erließ Innocenz nicht nur an die franzoͤſiſchen Praͤlaten 
ein Rundſchreiben, worin er ſie aufforderte, die Kirchen 
des griechiſchen Kaiſerthums mit den zum Gottesdienſte 
erforderlichen Buͤchern zu verſehen, und dem Wunſche 
des Kaiſers gemaͤß gelehrte und rechtſchaffene Geiſtliche 
aus ihren Sprengeln nach Conſtantinopel zu ſenden, um 
die dort neugepflanzte Kirche zu pflegen; ſondern er for— 
derte insbeſondere die Meiſter und Lehrlinge der hohen 
Schule in Paris auf, nach Griechenland zu eilen und das 
Studium der Wiſſenſchaften in dem Lande, wo der An— 


Verfälſcher (falsarios), welche die 
Siegel des Patriarchen oder der Un: 
terthanen deſſelben nachgemacht hät⸗ 
ten, an des Papſtes Statt zu abſol— 
viren, 2) die Salbung der Könige im 
Reiche von Conſtantinopet auf ge: 
ſchehene Aufforderung und mit Ge— 
nehmigung des Kaiſers zu verrichten, 
3) am Sonntage und andern Feyer: 
tagen taugliche Männer zu Subdia⸗ 
konen zu erheben und überhaupt, 
weil es der Kirche zu Conſtantinopel 
noch an kanoniſch eingeſetzten Geift: 
lichen mangele, über die dortigen 
kirchlichen Aemter mit gehöriger Be: 
rückſichtigung der dafür erforderlichen 
Eigenſchaften und Fähigkeiten zu 


verfügen, 4) über die Güter feiner 
Kirche, nach eingeholtem Nathe ver: 
ſtändiger Männer, wie es das Be 
dürfnißs erfordere, und ohne aus: 
drückliche Genehmigung des römiſchen 
Stuhls für jeden beſondern Fall, zu 
verfügen. Epist. Innoc. III. Lib. VIII, 
20 — 24. a 
57) Postulavit (Balduinus) Mis- 
salia, Breviaria ceterosque libros, 
in quibus Officium Ecclesiasticum 
secundum instituta sanctae Roma- 
nae Ecclesiae continetur, saltem 
pro exemplaribus, ad partes illas 
faceremus transmitti. Epist. Innoc. 
TI. Läb. VIII, 70. p. 712 (vom 
23. Mai, VIII. Kal. Junii, 1203). 


- 


Kirchliche Anordnungen zu Conſtantinopel. 343 


fang aller Kunſt und Wiſſenſchaft geweſen, wieder herzu— * 
ſtellen ). Allein, obwohl der Papſt die Meiſter und 
Lehrlinge zu Paris ermahnte, zu bedenken, wie viel Muͤhe 
und Anſtrengung es ihren Vorfahren gekoſtet haͤtte, die 
Kenntniſſe zu erlangen, welche dagegen ihnen ſelbſt mit 
aller Bequemlichkeit dargeboten wuͤrden, und zugleich ihnen 
die Zuſage gab, daß ihrer als Belohnung für die Unter 
weiſung der Griechen in jenen Kenntniſſen nicht blos 
himmliſcher und ewiger Gewinn, ſondern auch irdiſche 
Vortheile aller Art in einem Lande warteten, welches mit 
Gold, Silber und Edelſteinen angefuͤllt, mit Getreide, 
Wein und Oel zum Ueberfluſſe verſehen und uͤberhaupt 
mit allen zeitlichen Guͤtern geſegnet waͤre: ſo ſcheint jene 
paͤpſtliche Aufforderung und Ermahnung doch auf der 
hohen Schule zu Paris nicht von großer Wirkung gewe— 
ſen zu ſeyn. Dagegen ſtiftete der Koͤnig Philipp Auguſt 
von Frankreich damals zu Paris ein conſtantinopolitani⸗ 
ſches Collegium, in welchem junge Griechen nach franzoͤ⸗ 
ſiſcher Weiſe erzogen und beſonders in der lateiniſchen 
Sprache unterrichtet werden ſollten, damit ſie, wenn ſie 
in ihr Vaterland zuruͤckkehrten, als Vermittler zwiſchen 
ihren Landsleuten und ihren lateiniſchen Beherrſchern 
dienen und ein friedliches und vertrauliches Verhaͤltniß 
derſelben befoͤrdern moͤchten; die Abſicht aber, in wel— 
cher der Koͤnig dieſe Anſtalt ſtiftete, wurde durch das 
Betragen der franzoͤſiſchen Ritter in Conſtantinopel 
vereitelt“. 

58) Quatenus ibi studeretis litte- 7 Nach elner von Duboulay 
rarum studium reformare, unde (Hist. univexsitatis Paris. T. III. 
noscitur exordium habuisse, Epist. P. 10) mitgetheilten Sage wurde der 
Innoe, III. Lib. VIII, .. (Magistris König zur Anlegung dieſes Colle— 


et scholaribus Pari; isibus, vom giums zu Paris am Ufer der Seine, 
Jabre 1205) p. 713. nahe dem Platze Maubert (Forum 


J. Chr. 
1204, 


344 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Der Patriarch Thomas, als er nach Conſtantinopel 
kam, fand ungeachtet der paͤpſtlichen Empfehlung weder 


liebreiche, noch ehrenvolle Aufnahme; denn die franzoͤſi— 
ſchen Geiſtlichen leiſteten nicht nur ſeiner Aufforderung, 
ihm entgegen zu kommen und ihn mit den uͤblichen und 
ſchuldigen Ehrenbezeigungen zu empfangen, keine Folge, 
ſondern erhoben ſelbſt bey dem paͤpſtlichen Legaten, dem 
Cardinal Peter, eine feyerliche Appellation gegen die Wahl 
und Ernennung des Thomas Moroſini; indem ſie behaup— 
teten, daß er durch Verſchweigung der Wahrheit und 
falſche Angaben die Wahl und Ernennung zum Patriar— 
chen bey dem apoſtoliſchen Stuhle ſich erſchlichen haͤtte. 
Auch trotzten die franzoͤſiſchen Geiſtlichen, da der paͤpſt— 
liche Legat ihre Appellation annahm und als begruͤndet 
anerkannte, dem Banne, welchen der Patriarch uͤber ſie 
ausſprach, und verweigerten uͤberhaupt dem Patriarchen 
den Gehorfam ). Da nun weder der Cardinal Peter, 
noch der Cardinal Suffried, welche Innocenz mit der 
Vollmacht, die Angelegenheiten des heiligen Landes zu 
ordnen, ausgeſandt hatte, dazu angewieſen waren, in 
die Verhaͤltniſſe des neuen Kaiſerthums ſich zu miſchen, 
ſondern aus eigenem Antriebe aus Syrien nach Conſtan— 
tinopel gekommen waren *): fo ſandte der Papſt den 


Malberti), dadurch veranlaßt, daß 
der Kaiſer Balduin eine große Zahl 
junger Griechen zur Erziehung in 
franzöſiſchen Sitten nach Paris ſandte 
(misisse dicitur in Galliam quam 
plurimos lectos pueros graecos Lu- 
tetiae in artibus, moribus et exer- 
citiis Christianis erudiendos), File: 
fac, in der von Duboulay angeführ: 
ten Stelle des Buchs de Statutis 
Theologiae, äußert die Vermuthung, 
daß die griechiſchen Knaben, welche 


in jenem Collegium erzogen wurden, 
als Geiſel für den Gehorſam und die 
Unterwürfigkeit ihrer Eltern und Ber: 
wandten betrachtet wurden. 

60) Gesta Innoc. III c.. 100. 

61) Occupationes assiduae, qui- 
bus plus solito praegravamur, nos 
ad eandem (Constantinop.) Eccle- 
siam accedere personaliter non per- 
mittunt, etsi audiverimus, illuc 
dilectos filios, 8. tituli 8. Praxedis 
et P. tituli S. Marcelli Presbyteros 


4 


’ 


| Kirchliche Anordnungen zu Conſtantinopel. 345 


Cardinal Presbyter Benedictus von St. Suſanna als 
ſeinen Legaten nach Conſtantinopel, um dem Patriarchen 
Thomas die gebuͤhrende Anerkennung zu verſchaffen, die 
Widerſpenſtigen zu ſtrafen und zum ſchuldigen Gehorſame 
zu zwingen, und dadurch Eintracht in der dortigen Kirche 
zu bewirken »). Der Cardinal Benedict erfüllte nicht 
nur dieſen Auftrag mit Geſchicklichkeit, ſondern ſchloß 
auch wegen der Einkuͤnfte der Kirche von Conſtantinopel 
mit dem Grafen Heinrich von Flandern als damaligem 
Reichsverweſer, den Baronen, Rittern und dem Volke 
von Conſtantinopel einen Vertrag, welchen Innocenz der 
Dritte durch feine, Genehmigung bekraͤftigte s). Seit 


Cardinales, apostolicae Sedis Lega - 
tos, de Hierosolymitanis partibus 
accessisse; quia tamen super hoo 
mandatum non habuerant speciale, 
eto. Ep. Innoc. III. Lib. VIII, 55. 
(an den Kaiſer von Conſtantinopel) 
p. 701. 702. 

62) Epist. Innoc. III. I. o. 

63) Dieſer Vertrag, welcher zwi— 
ſchen dem Cardinal Benedictus und 
dem Patriarchen Thomas Moroſini 
an der einen und dem Grafen Hein: 
rich von Flandern, den Baronen, 
Rittern und dem Volke (Barones et 
Milites et Populus) des Kaiſerthums 
an der andern Seite in der Kirche 
der göttlichen Weisheit (apud san- 
ctam Sophiam) zu Conſtantinopel am 
17. März (XVI. Kal. Apr.) 1206 ab- 
geſchloſſen wurde, enthielt folgende 
Beſtimmungen: x) die Kirchen ſollen 
von allen liegenden Gründen jeder 
Art, fo wie von der Fiſcherey (pis- 
cariarum in mari et aqua dulci), 
den Salzwerken, den Zöllen und 
allen übrigen Gefällen (passagiorum, 
teloneorum terrae et maris) den 


funfzehnten Theil erhalten; davon 
ſollen jedoch ausgenommen ſeyn a) die 
Münzhäuſer (casalia monetae), wo⸗ 
für auf andere Weiſe nach deren 
Werthe die Kirchen entſchädigt wer: 
den ſollen, ſo wie b) auch das Land, 
welches an der Mauer von Conſtan— 
tinopel, vom goldenen Thore bis zum 
Blachernenthore, liegt und das Land 
innerhalb der Mauer bis zum Meere, 
und endlich noch c) die Abgaben, 
welche von den verſchiedenen Gegen: 
ſtänden des Handels im Namen oder 
zum Vortheile der Stadt Conſtan— 
tinopel (nomine civitatis) innerhalb 
oder außerhalb derſelben erhoben 
werden; wird aber in Conſtantinopel 


J. Chr. 
120.4. 


oder an andern Orten eine ſolche Ab⸗ 


gabe für eine andere Stadt oder ir— 
gend einen andern Ort erhoben, ſo 
ſoll davon ebenfalls der funfzehnte 
Theil der Kirche zufallen. 2) Einen 
gleichen Theil ſollen die Kirchen von 
der jährlichen Schatzung (annuus 
census) erhalten, über welche der 
Graf Heinrich etwa mit einer Land⸗ 
ſchaft, Stadt, Burg oder Inſel, 


ih 


— 


346 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI. 


2284 dieſer Zeit war ein freundfchaftliches Verhaͤltniß zwiſchen 


dem Papſte und den Pilgern, welche Conſtantinopel er— 


welche er nicht unterjochen kann, 
einig werden ſollte; auch wenn er 
einen Theil des Reichs als Lehen oder 
Geſchenk vergeben oder auf andere 
Weiſe veräußern will, fo ſoll davon 
den Kirchen der ihnen gebührende 
funfzehnte Theil ausdrücklich vorbe: 
halten werden. 3) Die Theilung des 
Landes ſoll in Folge dieſer Verab⸗ 
redung durch rechtſchaffene Männer 


(bonos viros), welche binnen a“ 


Tagen nach Vollziehung der Urkunde 
(post bullatum praesens instru- 
mentum) von beiden Seiten erwählt 
werden ſollen, geſchehen; dieſe Män⸗ 
ner ſollen nach geleiſtetem Eide und 
mit Gewiſſenhaftigkeit von jedem 
Grundſtücke (de possessione cuius- 
libet terrae et aquac) funfzehn Theile 
machen, wenn ſie nicht anders ſich 
einigen können, eine Verlooſung an⸗ 
ordnen und den Kirchen zuweiſen, 
was ihnen durch das Loos zufällt. 
Die Vertheilung des Landes ſoll bis 
zum nächſten Pfingſtfeſte vollendet 
ſeyn. 4) Die Klöſter (Claustra) 
innerhalb und außerhalb der Städte 
ſollen frey der Kirche verbleiben (li- 
bera erunt Ecclesiae) und nicht in 
dieſe Theilung gezogen werden. Wenn 
über den Umfang eines Kloſterlandes 
(de quantitate claustrorum Streit 
entſtehen ſollte, ſo ſoll binnen acht 
Tagen nach erhobenem Streite von 
jeder der beiden Parteyen ein taug⸗ 
licher Mann und von dieſen beiden 
Schiedsrichtern noch ein dritter ge⸗ 
wählt werden; dieſe Schiedsrichter 
ſollen binnen zwanzig Tagen den 
Streit entſcheiden; und was ſie 
nach geleiſtetem Eide entweder ein: 
ſtimmig oder nach der Mehrheit 


der Stimmen für billig und recht: 
mäßig achten, ſoll für immer gültig 
und rechtskräftig bleiben. Die Be: 
feſtigung eines alten Kloſters, falls 
ſie dringend nothwendig werden ſollte 
(ei pro ardua necessitate terrae 
antiqua claustra fuerint incastel- 
landa), darf nicht anders, als mit 
Bewilligung des Patriarchen dder 
Diöceſanbiſchofs geſchehen; und wenn 
darüber Streit entſtehen ſollte, fo ſoll 
darüber auf die eben angegebene 
Weiſe entſchieden werden. 8) Die 
Zateiner ſollen von dem Getreide 
(blada), den Hülſenfrüchten und an⸗ 
dern Früchten des Feldes und der 
Weinberge, welche ſie bauen oder auf 
ihre Koſten bauen laſſen werden, 
eben ſo von den Früchten ihrer Bäu⸗ 
me und Gärten (quos pater fami- 
lias in usus comedendi et munus- 
culorum bona ſide convertet), ſo 
wie von dem Futter des Viehs und 
von Bienen und Wolle, den Zehnten 
an die Kirchen entrichten; auch ſoll 
es den Kirchen unverwehrt ſeyn, in 
der Folge der Zeit auch die Griechen 
durch Ermahnung und Zureden zur 
Entrichtung des Zehnten zu bewegen. 
6) Alle Geiſtliche und Kirchen und 
deren Beſitzungen, ſo wie diejenigen, 
welche auf dieſen Beſitzungen und in 
den Kirchen wohnen, fo wie über: 
haupt alle der Kirche angehörigen 
Perſonen (xeligiosae personae), Grie⸗ 
chen ſowohl als Lateiner, und welche 
mit ibnen zuſammen wohnen (mo- 
rantes cum praedictis ), auch die 
Klöſter (claustra Ecclesiarum) und 
deren Bewohner und alle diejenigen, 
welche ihre Zufucht zur Kirche neh⸗ 
men, ſollen frey ſeyn von jeder welt⸗ 


4 


Fernere Eroberungen der Kreuzfahrer. 347 


> obert hatten; und die Pilger richteten daher, als bal 


nach ihrer Ausſoͤhnung mit dem paͤpſtlichen Stuhle ſchlimme 
Gefahren und Bedraͤngniſſe uͤber das neue Kaiſerthum 
kamen, und die Barone ſich genoͤthigt ſahen, ihre Waf— 
fenbruͤder in der Heimath um Huͤlfe zu bitten, vertrauens— 
voll auch an Innocenz den Dritten das Geſuch um ſeinen 


Beiſtand ). 


a Die Herrſchaft der Pilger am Bosporus und an der 
Propontis erweiterte ſich im Anfange mit einer Schnellig— 
keit und Leichtigkeit, welche alle Erwartung uͤberſtieg; 
und es konnte daher mit Recht der Hoffnung Raum ge— 
geben werden, daß mit einiger Unterſtuͤtzung aus der 
Heimath es dem Pilgerheere moͤglich ſeyn wuͤrde, das 
ganze damalige griechiſche Kaiſerthum zu erobern und 


lichen Gerichtsbarkeit (ab omni Lai- 
cali jurisdictione, secundum libe- 
raliorem consuetudinem Franciae), 
mit Vorbehalt aller Rechte und Vor: 
züge der römiſchen Kirche und der 
Kirche von Conſtantinopel, des Pa— 
triarchen, des Kaiſers und des Rei⸗ 
ches. 7) Von jeder künftigen Er⸗ 
oberung ſoll die Kirche zuvor den 
funfzehnten Theil erhalten, ehe irgend 
einem Anderen etwas davon zuge— 
theilt wird. Der Papſt beſtätigte die: 
fen Vertrag zu Ferentino ams Auguft 
(Nonis Augusti) 1206. Epist. Innoc. 
III. Lib. IX, 142. p. 958 — 960. 
Die Venetianer konnten feit dieſem 
Vertrage nicht einmal das Patriar— 
chat ausſchließend behaupten, und 
von den ſieben Patriarchen, welche 
die Kirche von Conſtantinopel wäh— 
rend der Dauer des dortigen lateini— 
ſchen Kaiſerthums regierten, war 
außer Thomas Morofini nur der letzte, 
Pantaleon Giuſtiniani, ein Venetia⸗ 


* 


ner; ihn ernannte Innocenz IV. aus 
Gefälligkeit gegen die Venetianer und 
auf deren Empfehlung (à cause qu'ils 
estoient presque les seuls qui sous- 
tenoient le faix des affaires dans 
l’Empire et qui en empe£choient 
Ventiere decadence) zum Patriarchen 
von Conſtantinopel und Legoten des 
apoſtoliſchen Stuhls. Ducange His- 
toire de Constantinople sous les 
Emper. Franc. Liv. V, 3. p. 158. 

64) Lors (im Jahre 1205, unmit: 
telbar nach der unglücklichen Schlacht 
bey Hadrlanopolis, in welcher der 
Kaiſer Balduin in die Gefangenſchaft 
der Bulgaren gerathen war) pris- 
trent li Baron un conseil, que il 
envoieront a I Apostoille de Rome 
Innocent et en France et en Tlan- 
dres et par les autres terres pour 
conquerre secors; por ce secors fu 
envoiez Novelons de Soissons et 
Nicholes de Mailly (et) Johans de 
Bliaus. Villehard. S. 180. 


d J. Chr. 


1204. 


j 


348 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. XI. 


3 cr den Vertrag in Wirklichkeit zu ſetzen, durch welchen alle 
Provinzen und Staͤdte jenes Kaiſerthums in Europa und 
Aſien zwiſchen dem Kaiſer, der Republik Venedig und 
den Pilgern getheilt wurden °°). 

Sobald Balduin als Kaiſer war gekroͤnt worden, ſo 
ertheilte er dem Markgrafen Bonifaz auf deſſen Begehren 
und in Folge der, vor der Kaiſerwahl getroffenen, Ver— 
abredung die Belehnung mit den Laͤndern jenſeit des Meeres; 
der Markgraf aber, als er ſah, daß der Kaiſer Balduin 
geneigt war, ſeine Wuͤnſche zu beruͤckſichtigen, erbat ſich 
ſtatt der aſiatiſchen Länder, deren Beſitz nicht ohne Schwie; 
rigkeit erlangt und behauptet werden konnte, die Stadt 
Theſſalonich und das dazu gehoͤrige Land als ein Koͤnig— 
thum, welches ihm wegen ſeines Verhaͤltniſſes zu dem 
Koͤnige von Ungarn, mit deſſen Schweſter er ſich ſo eben 
vermaͤhlt hatte, bequemer gelegen war und mit Huͤlfe 
ſeines Schwagers leichter vertheidigt werden konnte, als 
die Laͤnder jenſeit des Meeres. Dieſen Wunſch gewaͤhrte 
der Kaiſer Balduin nach einiger Bedenklichkeit, der 
Markgraf leiſtete ihm als Koͤnig von Theſſalonich den 
Lehneid, und das ganze Heer war erfreut uͤber dieſen 
Beweis der Eintracht des Kaiſers mit dem Markgrafen, 


65) Die Theilung des Reichs (f. 
Beyl. 1.) wurde im Oktober 1204 vers 
abredet: Lors (nach der gegen das 
Ende des Monats September erfolg— 
ten Rückkehr des Kaiſers Balduin 
von dem Zuge nach Theſſalonich) 
commenga en les terres departir; 
li Venisien orent la lor part et 
host des Pelerins l'autre. Villeh. 
S. 123. Günther (p. xvır) drückt 
ſich ſehr unbeſtimmt über die Thei⸗ 
lung des Reichs alſo aus: Deinde 
(nämlich nach der Krönung des Lak 


ſers Balduin) minores possessiones, 
veluti castella, villae et municipia, 
et quae huiusmodi sunt alia, in 
illas Personas, quae ad hoc magis 
idoneae putabantur, distributae 
sunt. Nicetas erwähnt (S. 383 und 
400) der von einer geringen Schar 
von Cateinern (oe Kaunavuv 
var Aarivwv evovvonrros) gemach⸗ 
ten Thellung von Ländern, über dee 
ren größten Theil ſie noch gar nicht 
verfügen konnten, mit großem Uns 
willen. 


Fernere Eroberungen der Kreuzfahrer. 


349 


welcher von allen Pilgern wegen ſeiner Freygebigkeit 
eben ſo ſehr geliebt, als wegen ſeiner ritterlichen Tapfer⸗ 


keit geachtet wurde °°). 


Die Pilger erleichterten ſich die Eroberung einer be— 
deutenden Zahl von Staͤdten dadurch, daß ſie, ſobald 
die erſten nothwendigen Anordnungen in Conſtantinopel 
beendigt waren, den Schrecken benutzten, welchen der 
Fall der Hauptſtadt in den Provinzen verbreitet hatte. 
Zur Beſchleunigung ihrer fernern Eroberungen wurden ſie 
auch bewogen durch die Nachrichten, welche ihnen gebracht 
wurden, daß Alexius Angelus ſich zu Moſynopolis, einer 
Stadt am Gebirge Rhodope, aufhielt °7), und von dem 


66) Villehard. S. 108. 109. 

67) Der Stadt Moſynopolis (bey 
Villehardouin Messinoples) wird 
von den byzantiniſchen Schriftſtellern 
oft erwähnt, ihre wahre Lage und 
ihr gegenwärtiger Name ſind aber 
zweifelhaft. Sie lag, wie Villehar— 
douin (S. 113) andeutet, an einem 
Fluſſe (vers Messinoples sor le 
lum), auf dem Wege von Adrias 
nopel nach Theſſalonich, unfern und 
oberhalb von Kypſella (Villehard. 
S. 205) , zwiſchen Kypſella und Ser— 
rade (Villehard. S. 206), und in der 
Nähe des Gebirges Rhodope, welches 
daher von Villehardouin (S. 207) la 
Montaigne de Messinople genannt 
wird. Der von Villehardouin ange— 
deutete Fluß kann kein anderer ſeyn, 
als entweder der ſchon aus Herodot 
(VII, 198.190) bekannte Fluß Melas (oder 
Lariſſa, zoıwws „Aagıooa), welcher 
nach Kypſella feinen Lauf nimmt (le 
Hum, qui cort soz la Capesale, 
Willeh. S. 205. Vgl. Meletii Geo- 
graphia ed. Anthimus Gazes T. 3. 
p. 63. 104), oder der Neſſus (Næoos). 


Ducange ift (ad Villehard, S. 324) 
der Meinung, daß Moſynopolis die 
von Ammianus Marcellinus (XXVII, 
4.), Conſtantinus Porphyrogennetus 
(de thematibus Lib. II, praefectura 
Thraciae) und andern Schriftſtellern 
genannte Stadt Maximianopolis ſey. 
Dieſer Meinung ſteht aber entgegen, 
daß die Trümmer dieſer jetzt zerſtörten 
Stadt in der Nähe des Sees Biſtonis 
und nicht an einem Fluſſe liegen 
(Meletii Geogr. 1. c. p. 103.) . Viel⸗ 
leicht iſt Moſynopolis die unfern von 
Nikopolis am Fluſſe Neſſus gelegene 
Stadt Drufipara, welche noch jetzt 
in der gewöhnlichen Sprache Miſyni 
genannt wird. Von dieſer Stadt 
giebt Meletius Ca. a. O.) folgende 
Nachricht: oνu·? a, to ſis or 
us Voovov ’Enıoxomov uno Tov 
"Adgıavovnolsus Mnroonokirnv, 
znv ünoiav Alyovo vd sivaı 7 
Mooxvounolıs, Koıwas tavov Mı- 


ovvi. Soviel wir wiſſen, fo geſchieht 
der Stadt Moſynopolis zuerſt Erwäh— 
nung in dem Kriege des Kaiſers Ba— 


J. Chr. 


1204. 


350 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


umliegenden Lande noch als Kaiſer anerkannt wuͤrde, Ale— 
rius Murtzuflos aber der Stadt Tzurulos ??), welche in der 
Theilung des griechiſchen Reichs dem Kaiſer Balduin war 
zugewieſen worden, ſich bemaͤchtigt haͤtte, und einzelne 
vornehme Griechen zu unabhaͤngigen Herren mehrerer 
Staͤdte dieſſeit und jenſeit des Meeres ſich aufzuwerfen 
anfingen. Nachdem im Kriegsrathe, wozu der Kaiſer 
den Dogen von Venedig und die Barone des Heeres 
berufen hatte, die Eroberung der uͤbrigen Staͤdte des 
Landes Romanien beſchloſſen worden war: ſo zog 
zuerſt der Graf Heinrich von Flandern mit hundert Rit— 
tern aus; nicht nur alle kleine Staͤdte, vor welchen 
er erſchien, ergaben ſich dieſen wenigen Rittern ohne 
Widerſtand und huldigten dem lateiniſchen Kaiſer von 
Byzanz, ſondern auch die volkreiche Stadt Adrianopel 
oder Oreſtias oͤffnete ihnen die Thore; und Heinrich er— 


wartete dort die Ankunft ſeines Bruders, des Kaiſers 


Balduin, welcher mit dem Marſchall der Champagne, 
Gottfried Villehardouin, den Rittern Milo aus Brabant, 
Manaſſe von Lilles und vielen Anderen ihm folgte, waͤh— 
rend der Doge von Venedig und Cono von Bethune in 
den Paläften der Blachernen und Bukoleon geblieben 
waren und Conſtantinopel huͤteten ?”); der Graf Ludwig 


ſilius gegen die Bulgaren im Jahre 
1014. ©. Cedreni historiarum com- 
pendium (ed, Paris.) p. 708. 709. 
68) Villehard. S. 109. 110. Die 
Stadt Tzurutos (TLovgeviös), jetzt 
Tſchorlu, welche am Fluſſe Bethy⸗ 
nios auf dem von Adrianopel nach 
Conſtantinopel führenden Wege liegt 
(Meletii Geogr. I. c. p. 103. 104), 
wird von Villehardouin le Churlot, 
auch le Curlot genannt, und iſt nach 


feiner Angabe S. xꝗ4r. 160 drey Tage: 
reiſen von Conſtantinopel entfernt 
(ere à trois jornees de Constanti- 
nople). Villehard. S. 112. 

69) Damit Conſtantinopel, ſetzt 
Villehardouin S. 110 hinzu, welches 


erſt neuerlich erobert und von Gries 


chen bevölkert war, ſicher ſeyn möge: 
Le conseil si fu tels, qu'il s'accor- 
derent qu'il (L' Empereor) issist 
fors à tote s’ost (son armée) et por 


vi N 
Blendung des Alexius Murtzuflos. 351 


von Chartres und Blois aber war noch immer krank und I,£h" 
konnte auch an dieſen Unternehmungen nicht Theil nehmen. 

Der Kaiſer und ſeine Ritterſchaft fanden nicht minder, als 
zuvor der Graf Heinrich, in allen Staͤdten, in welche 

ſie kamen, ehrenvolle Aufnahme, und Murtzuflos entwich 

aus Tzurulos, als die Ritter ſich naͤherten, und floh 

mit ſolcher Haſt, daß er den Rittern, welche ihm folgten, 
immer um zwey oder drey Tagemaͤrſche voraus war. So 
unterwarf ſich das ganze Land bis nach Adrianopel dem 
Kaiſer Balduin 9). 


Der Kaifer vernahm zu Adrianopel, daß Alexius 
Murtzuflos, welcher in der Hoffnung, bey Alexius Angelus, 
deſſen Tochter Eudocia ſeine Gemahlin geworden war, 
einen ſichern Aufenthalt zu finden, nach Moſynopolis ſich 
begeben und mit ſeiner Begleitung vor den Thoren dieſer 
Stadt ſich gelagert hatte, zwar von ſeinem Schwieger— 
vater mit dem Scheine von Freundlichkeit, empfangen, 
bald aber, durch eine Einladung zum Mittagseſſen und zum 
Bade in die Stadt und in die Wohnung des Kaiſers Ale us 
Angelus gelockt, feiner Augen beraubt worden war 7*); 


conquerre la terre et laissast Con- zum Vorſchein, kehrten dann aber mit 
stantinople garnie, qui ere novel- feigem Muthe (deilavdgor) dahin zu: 
lement conquise et ere poplee de gie, woher fie mit Trotz und Zuverſicht 


Hex, ae 55 i (Ieaovzapdor) ausgezogen waren,“ 
aun durchſtreifte e Nicetas S. 886. Villehardouin er⸗ 


ciſchen Städte, legte in Oreſtias eine wähnt weder der Stadt Tanthia, 
ung d erfuhr auf gleiche noch des oon Miert erzählten dort 
Weiſe mit Didymoteichon aD Phi⸗ vorgefallenen Ereigniſſes. 

lippopolis; als er aber nach Xanthia 
kam, ſo legte man dort unter An— 71) Villehardouin S. 117. 118 und 
führung eines gewiſſen Sennacherim in der Hauptſache übereinſtimmend 
(Sanherib) dem Heere des Kaiſers Georg. Acxopolites p. 5 (der Legtere 
einen Hinterhalt; diejenigen, welche mit Hinzufügung des Umſtandes, daß 
ſich in den Hinterhalt gelegt hatten, auch Eudocia an dem Bade Theit 
tamen zwar auf einen Augenblick nahm und, ats die Blendung ihres 


a 
352 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. IX. 


2. und dieſe Kunde gab den Rittern Stoff zu mancherley 
Betrachtungen 2). Balduin aber ließ zu Adrianopel auf 
die Bitte der Einwohner den flandriſchen Ritter Euſtach 
von Salebruit mit vierzig Rittern und hundert berittenen 
Knappen zuruͤck, um die Stadt gegen die Feindſelig— 
keiten des Koͤnigs Johann der Walachen und Bulgaren 
zu beſchuͤtzen, legte in Didymoteichon und Philippopolis 
ebenfalls Beſatzungen, und zog mit den uͤbrigen Rittern 
und Knappen gegen Moſynopolis. Alexius Angelus er— 
wartete aber nicht ſeine Ankunft, obgleich ſeine Partey 
durch viele der Anhaͤnger des geblendeten Murtzuflos, 
welche zu ihm uͤbergetreten waren, ſehr bedeutend war 
verſtaͤrkt worden, ſondern nahm die Flucht, und die 
Einwohner von Moſynopolis kamen dem Kaiſer Balduin 
entgegen und uͤberreichten ihm die Schluͤſſel der Stadt 's). 

Balduin wuͤnſchte, wie es der Lage des neuen 

f Reiches ſehr angemeſſen war, daß alle fernere Unter— 
nehmungen zur Befeſtigung des bisher erworbenen Be— 
ſitzes ſowohl als zur Erweiterung der Eroberungen von 
den Pilgern mit ungetheilten Kraͤften ausgefuͤhrt werden 
möchten; und er beſchloß daher in Moſynopolis den Mark 
grafen Bonifaz zu erwarten, welcher verheißen hatte, mit 


Gemahls geſchah, nach der Verſiche⸗ 
rung ſolcher Perſonen, welche gegen: 
wärtig waren, an der Thür des Bader 
zimmers ſtehend, Schmähungen und 
Verwünſchungen gegen ihren Vater 
ausſprach, während dieſer wegen 
ihrer Verbindung mit Alexius Mur⸗ 
tzufos ihr die heftigſten Vorwürfe 
machte). Nicetas (S. 392) erzählt 
dieſe in Conſtantinopel ſehr gewöhn: 
liche Grauſamkeit alſo: „Alexius 
Angelus (der Vater der Eudocia) ließ 
den Mann (den Alexius Murtzuftos), 


ich weiß nicht, aus welcher Veran⸗ 
laſſung (or o 6, r nadıw), 
ergreifen und blenden.“ Vgl. Gun- 
ther. p. XVII. XVIII. 


72) Mult en fu grant parole 
entr' aus (dem Kaiſer Balduin und 
ſeinen Waffengefährten), et bien dis- 
trent, que il wavoient droit en 
terre tenir, que si desloialment 
traitoit li uns l'autre. Villehard. 


S. 112. 
73) Villehard. S. 113. 


x 
Streit 970 K. Balduin mit dem Markgr. Bonifaz. 353 


Ks 


feiner Ei nachzuſetzen; denn Bonifaz konnte, weil ihn ll 
ſeine Gemahlin begleitete, ſeinen Marſch nicht ſo ſehr 
beſchleunigen als der Kaiſer. Der Markgraf erſchien 
zwar zu Moſynopolis, aber nicht mit der Abſicht, dem 
Kaiſer redlichen Beiſtand zu leiſten zur Ausfuͤhrung des 
Plans, welcher im Kriegsrathe zu . war 
genehmigt worden. 

Nachdem der Markgraf Bonifaz an dem Stufe, an 
welchem die Stadt Moſynopolis lag, feine Zelte errichtet 
hatte, ſo kam er am andern Tage zu dem Kaiſer und hielt 
folgende unerwartete Rede: Gnaͤdigſter Herr, ich habe ver— 
nommen, daß das Volk von Theſſalonich mich als feinen 
Beherrſcher anzunehmen geneigt iſt, und darum bitte ich 
euch, als meinen Herrn, daß ihr mir verſtatten wollt, 
dahin zu gehen; und wenn ich von dem Lande Beſtitz 
genommen haben werde, ſo werde ich von dorther mit 
Lebensmitteln euch verſorgen und überhaupt in allen 
Dingen euch zu Willen ſeyn. Beſchaͤdigt aber nicht mit 
eurem Heere das mir zugedachte Land, ſondern kehrt eure 

Waffen gegen den Koͤnig Johann der Walachen und 
Bulgaren, welcher einen großen Theil des Landes, das 
nunmehr uns gehört, ſich angemaßt hat. Der Kaifer 
Balduin wurde ſehr unwillig uͤber dieſe Rede und gab 
zur Antwort, daß es ſein Wille waͤre, ſein Heer nach 
Theſſalonich zu fuͤhren und dort zu verfuͤgen, was den 
Umſtaͤnden gemäß waͤre; und Balduin aͤnderte nicht ſei— 
nen Sinn, obwohl der Markgraf ſeine Bitte wiederholte N 
und die Drohung hinzufuͤgte, daß, falls der Kaiſer, ben 
jenem Entſchluſſe beharrend, fein Heer nach Theſſalonich 
fuͤhren wuͤrde, was unmoͤglich in guter Abſicht geſchehen 
konnte, er ſich von aller Pflicht und Treue, welche er 
bisher dem Kaiſer gehalten, losſagen und mit ihm ferner 

V. Band. 3 


J. Chr. 


1304. 


* 


7 
7 


u XI. 
keine Gemeinſchaft unterhalten wuͤrde. Der Markgraf 
Bonifaz war zu een, Schritte durch den Argwohn bes 
wogen worden, als ob der Kaiſer Balduin nicht geſonnen 
waͤre, den wegen Theſſalonich geſchloſſenen Vertrag zu 
halten; er ſtiftete aber einen Zwieſpalt, welcher für das 
neue Reich von ſehr ſchlimmen Folgen war ). 

Bonifaz trennte ſich, wie er gedroht hatte, wirklich 
von dem Kaiſer mit Jacob von Avesnes, Wilhelm von 
Champlite, Hugo von Colemy, dem Grafen Berthold von 
Katzenellenbogen und allen deutſchen, ſo wie den uͤbrigen 
Pilgern, welche ſeinem Paniere folgten, bemaͤchtigte ſich 
der Stadt Didymoteichon s) und fing an, die von kaiſer⸗ 
lichen Rittern beſetzte Stadt Adrianopel zu belagern 7°), 
waͤhrend Balduin ſeinen Zug nach Theſſalonich fortſetzte 
und auf dem Wege dahin eine Stadt nach der andern 
und endlich auch die Stadt Theſſalonich ſich unterwarf! :). 


— 


354 Geſchichte der Kreuzzuͤge. B 


74) Villehard. S. 113. 1143. Nach 
der Erzählung des Nicetas (S. 386) 
war dem Markgrafen von Vielen 
(ropa mAelorow) berichtet worden, 
daß der Kaiſer die Abſicht hätte, 
Theſſalonich für ſich zu behalten. 

75) Villehard. S. 113. Nicet. S. 38%. 
Die Stadt Didymoteichon (un chas- 
tel qui li Dimot ére appelle, mult 
bel et mult fort et mult riche) 
wurde nach Villehardouin durch einen 
dort wohnenden Griechen (per un 
Greu de la ville) übergeben. 

76) Villehard. S. 116. Nach Nice⸗ 
tas (a. a. O.) zog der Markgraf vor 
Adrianopel vorbey, weil dieſe Stadt 
von Balduin mit einer anſehnlichen 
Beſatzung verſehen war, brachte das 
gegen andere thraciſche Städte in 
Bewegung ı( arasteruv), trieb 
Kriegsſteuern (So gors) ein und zog 


die Römer an ſich, indem er vorgab, 
alle Freundſchaft und Verbindung 
mit ſeinen bisherigen Waffengefähr— 
ten aufgeben zu wollen. 


77) Die Städte, welche auf dem 
Wege von Moſynopolis nach Theſſa⸗ 
lonich Balduin ſich unterwarf, waren 
nach der Erzählung Villehardouin's 
folgende: 1) Chriſtopolis (Christo- 
pole, qui ere uns [chastel] des 
plus fors du monde), eine macedo: 
nifche, an der Küſte der Propontis 
und an der Gränze von Thracien 
(f. Ducange ad Villehard. p. 325) 
gelegene, Stadt, deren gegenwärtigen 
Namen wir nicht kennen. N 
jetzt unbekannte Stadt, welche Ville⸗ 
hardouin la Blache nennt und als 
ſehr ſtark und reich bezeichnet 

3) Setre, ebenfalls eine reiche und 
feſte Stadt, welche nicht mit Serrae 


2) Eine 


22 


Streit des K. Balduin mit dem Markgr. Bonifaz. 355 


J. Chr. 
1204. 


Auch benutzte der Markgraf das Anſehen feiner Gemahlin, 
der ehemaligen Kaiſerin, um die griechiſchen Bewohner 
des Landes fuͤr ſich zu gewinnen, und ernannte ſogar 
Manuel, den erſtgebornen Sohn ſeiner Gemahlin Marie 
aus ihrer Ehe mit dem Kaiſer Iſaak Angelus, zum 
Kaiſer 72), 

Dieſer Streit wurde jedoch durch die Bemuͤhungen 
des Dogen von Venedig und der zu Conſtantinopel zus 
ruͤckgebliebenen Barone ſehr bald geſchlichtet. Nachdem 
ſie im Palaſte der Blachernen ſorgfaͤltig daruͤber Bera— 
thung gehalten, wie die zwiſchen dem Kaiſer und dem 
Markgrafen entſtandene Ungunſt verſoͤhnt werden koͤnnte: 
ſo uͤbertrugen ſie die Vermittelung des Friedens dem 
Marſchall Gottfried Villehardouin, welcher das Ver— 
trauen des Markgrafen beſaß. Villehardouin begab ſich 
mit dem Ritter Manaſſe von Lisle in das Lager des 
Markgrafen vor Adrianopel, bewirkte nicht blos einen 
Waffenſtillſtand fuͤr die Stadt, ſondern bewog auch den 
Markgrafen, ſeine Sache der Entſcheidung des Dogen von 
Venedig, des Grafen Ludwig von Blois und Chartres, 
des Ritters Conon von Bethune und des Marſchalls der 
Champagne, als Schiedsrichter, zu uͤberlaſſen. Der Doge 
von Venedig und die übrigen Barone ſandten hierauf den 
Ritter Begues von Franſures, aus dem Gefolge des 
Grafen von Blois, einen ſehr verfiändigen und beredten 
Mann, dem Kaiſer entgegen, als dieſer, mit heftigem Zorne 
wider den Markgrafen erfuͤllt, von Theſſalonich zuruͤckkam, 


(la Serre bey Villehardouin) zu ver: 
wechſeln iſt. Ducange (a. a. O.) hält 
die Stadt Setre für die jetzt Kro 
genannte Stadt, welche im Alter⸗ 
thume unter dem Namen Pydna be— 
rühmt war und nicht weit von der 


1 
Mündung des Fluſſes Hallakmon lag 
(Meletii Geogr. ed. Anth. Gazes 
T. 2. p. 459. 460). Balduin nahm 
alſo ſeinen Weg längs der Küſte der 
Propontis. 


78) Nicetas S. 387. 


3 2 


356 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Asen und ließen ihm ihre Betruͤbniß kund thun über den Streit, 
welcher ſich zwiſchen ihm und dem Markgrafen erhoben, 
auch ihm melden, daß der Markgraf von ſeiner Seite die 
Sache dem Austrage einiger Schiedsrichter uͤberlaſſen 
haͤtte, und endlich bitten, daß der Kaiſer ein Gleiches thun 
moͤchte. Unter denen, welche den Rath des Kaiſers bil— 
deten, waren aber Einige, welche den Haß ihres Herrn 
gegen den Markgrafen abſichtlich unterhielten und ſtaͤrkten, 
und in der Berathung, welche er mit ihnen hielt, die 
Botſchaft der Barone in Conſtantinopel für eine unge 
buͤhrliche und die kaiſerlichen Rechte verletzende Anmaßung 
erklaͤrten. Der Kaiſer ſcheute ſich zwar, den Dogen von 
Venedig und feine übrigen Mitpilger durch eine unwill— 
faͤhrige Antwort zu beleidigen; doch gab er den Ein— 
fluͤſterungen ſeiner Rathgeber ſo viel nach, daß er der 
Hauptſache ausweichend alſo antwortete: ich kann zwar 
mich nicht verbindlich machen zur Annahme eines ſchieds— 
richterlichen Austrags, doch werde ich ſchleunigſt nach 
Conſtantinopel kommen, ohne den Markgrafen auf irgend 
eine Weiſe zu beſchaͤdigen. Die Barone aber und die 
uͤbrigen Pilger zogen aus Conſtantinopel dem Kaiſer ent— 
gegen und fuͤhrten ihn mit großen Ehren in die Stadt; 
und der Zuſpruch des Dogen von Venedig und des Gra— 
fen Ludwig von Chartres und Blois bewirkte, daß Bal— 
duin am vierten Tage nach ſeiner Ruͤckkehr ſich willig 
erklaͤrte, nach dem Austrage der Schiedsrichter in ſeinem 
Streite mit dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat ſich 
zu verhalten. Es zogen hierauf die Ritter Gervaſius von 
Caſtel, Reinhard von Trit und der Marſchall Gottfried 
von Villehardouin, und mit ihnen zwey venetianiſche 
Edle, als Abgeordnete nach Didymoteichon und luden 
den Markgrafen Bonifaz ein, mit ihnen zu kommen; und 


Streit des K. Balduin mit dem Markgr. Sopifage, 307 


der Marſchall Gottfried Villehardouin mahnte ihn noch an 
befonders, fein früher gegebenes Wort zu erfuͤllen, indem 
er die Zuſicherung gab, daß er und ſeine Mitbotſchafter 
den Markgrafen und ſein Gefolge ungefaͤhrdet nach Con— 
ſtantinopel führen und wieder zurück geleiten wuͤrden. 
Obwohl mehrere Ritter des Raths, welchen der Markgraf 
Bonifaz verſammelte, der Meinung waren, daß der 
Markgraf ſolcher Einladung nicht Folge zu leiſten haͤtte: 
ſo kam Bonifaz; gleichwohl mit etwa hundert Rittern nach 
Conſtantinopel, und der Doge von Venedig, der Graf 
Ludwig von Blois und Chartres und viele andere Pilger 
zogen ihm entgegen und geleiteten ihn mit großen Ehren 
in die Stadt. Der Friede zwiſchen dem Kaiſer Balduin 
und dem Markgrafen Bonifaz kam nunmehr ohne Schwie⸗ 
rigkeit zu Stande unter der Bedingung, daß der Mark— 
graf in den Beſitz von Theſſalonich geſetzt werden und 
Didymoteichon in die Haͤnde des Marſchalls Gottfried 
Villehardouin uͤbergeben, der Marſchall aber dieſe letztere 
Stadt an den Kaiſer uͤberantworten ſollte, ſobald der 
Markgraf in den Beſitz von Theſſalonich geſetzt ſeyn würde, 
Bonifaz begab ſich hierauf unverzuͤglich nach Theſſalonich, 
und es begleiteten ihn kaiſerliche Bevollmaͤchtigte, um die 
Uebergabe der von dem Kaiſer beſetzten Staͤdte und dazu 
gehoͤrigen Landſchaften, welche das Koͤnigreich Theſſalonich 
bilden ſollten, an den Markgrafen zu bewirken “). 


79) Villehard. S. 117123 Auch Tevuaoı, Mapıoxaldos Ju rakio- 
Nicetas nennt (a. a. O.) den Dar: 
ſchall Gottfried (von Villehardouin) 
als den Vermittler des Streites zwi— 
ſchen dem Kaiſer Balduin und dem 
Markgrafen Bonifaz: ’Tope£vos (der 


ka 6 avno, on dot oe aar H 
vas 7 gem, röv Ilgwroorggroge, 
Uebrigens verkaufte der Markgraf 
Bonifaz am 12. Auguſt 1804 für 
. 6 1 N tauſend Mark Silbers und für Be— 
Genitiv von 'Togenv)... ulya nuga fisungen von zehntauſend goldenen 
rote zuv dariverv Övvanivov orEu- Vuſantien (yperperorum) jährlichen 


J. Ehr. 
1804. 


358 Geſchichte der Kreugzüge. Buch VI. Kap. XI. 


Die ſchon ohnehin nicht ſehr bedeutende Macht der 
Pilger, welchen durch ein wunderbares Zuſammentreffen 
beguͤnſtigender Umſtaͤnde die Eroberung von Conſtantinopel 
gelungen war, theilte ſich alſo auf eben ſolche Weiſe, wie 
das Reich von Jeruſalem ſogleich bey ſeiner Entſtehung 
in mehrere Herrſchaften zerfallen war. Der Markgraf 
Bonifaz verfolgte nun fuͤr ſich ſeinen Weg und ſuchte 
ſein Fuͤrſtenthum durch weitere Eroberungen zu befeſtigen, 
und es gelang ihm auch, einen großen Theil des Pelo— 
ponneſes ſich zinsbar zu machen 2), vornehmlich durch 
den Beyſtand der vornehmen Griechen, welche ſich ihm 
angeſchloſſen hatten, in der Hoffnung, daß er es redlich 


Einkünften, welche in dem weſtlichen 
Theile des griechiſchen Reichs (a parte 
occidentis) ihm überlaſſen werden 
ſollten, an die Venetianer nicht nur 
die Inſel Ereta, welche ihm ſchon 
Alexius Angelus der Jüngere zugeſagt 
hatte, ſondern auch ſelbſt Theffalonich 
und andere Anſprüche. (De insula 
Crete, quae mihi data vel promissa 
vel concessa fuit per Alexium Im- 
peratorem, filium Ysachii, quon- 
dam defuncti Imperatoris, et de 
centum millibus ypporum (yper- 
perorum), qui mihi fuerunt pro- 
missi per praescriptum Imperato- 
rem, et de toto feudo, quod et 
Manuel, quondam defunctus Impe- 
sator, dedit patri meo, et de toto, 
quod addicendum habui vel ha- 
beo per me vel per aliam perso- 
nam hominum, de Thessalica civi- 
tate et eius pertinentiis intus et 
foris, nec non etiam de omnibus 
spiritualibus et temporalibus, quas 
ipsi habent vel habituri sunt de 
cetero in Imperio Constantinopoli- 
tano, tam a parte orientis, quam 


a parte occidentis, et per omnia et 
in omnibus de suprascriptis omni- 
bus me foris facio cum omni juris- 
dictione, et in vestra plenissima 
potestate relinquo ad faciendum 
inde quicquid vestrae fuerit vo- 
Die Urkunde dieſes Vers 
trags wurde ausgefertigt in einer 
Vorſtadt von Adrianopel (in subur- 
bio Andrinopolitanae civitatis), alſo 
während der Markgraf dieſe Stadt 
belagerte, und eine Abſchrift derſelben 
findet ſich im Liber albus (fol. 72.) 
und dem Liber pactorum I. (fol, 
184. B.), Handſchriften des k. k. Ges 
heimen Staatsarchivs zu Wien ; vgl. 
Ramnus. p. 168—170, Marin Storia 
del Commercio de’ Veneziani, Vol, 
IV. p. 68. 69. u 

80) Nicetas S. 388. Nach der Er: 
zählung des Günther (Historia Con- 
stantinop. p. xvrr) fuchte der Mark: 
graf Bonifaz damals auch den Abt 
Martin für ſich zu gewinnen, indem 
er ihm ein Bisthum in ſeinem König⸗ 
reiche Theſſalonich verhies; der Abt 
aber wies dieſen Antrag von fich, 


luntatis.) 


Eroberungen in Kleinaſien. 359 


mit ihnen meinte; er fand aber bald einen ſchlimmen 
Widerſacher an dem Griechen Leo Sgurus ®*), welcher 
zum Herrn von Korinth und Nauplia ſich aufgeworfen 
hatte und den Eroberungen des Markgrafen ein Ziel 
ſtellte ??). ; 

Da das Land von Romanien, welches die Pilger ſich 
unterworfen hatten, im Herbſte dieſes Jahrs in vollem 
Frieden, und die Verbindung ſelbſt mit der, zwoͤlf Tage— 
reiſen von Conſtantinopel entfernten, Stadt Theſſalonich 
ſo ſicher und ungeſtoͤrt war, daß die Reiſenden ohne alle 
Gefahr auf dieſer Straße hin und herzogen 83): fo kam 
der Kaiſer Balduin auf den Gedanken, auch das griechiſche 
Land jenſeit des Meeres, wo der aus Conftantinopel ent 
flohene Kaiſer Theodorus Laskaris großen Anhang ge— 
funden hatte, dem lateinifchen Kaiſerthume zu unterwerfen, 
und er gab in ſolcher Abſicht dieſes Land unter dem 
Namen des Herzoͤgthums von Nicaca dem Grafen Ludwig 
von Blois und Chartres zu Lehen s). Die Unterwerfung 
mehrerer Staͤdte in Aſien gelang wirklich, der Hafen von 
Pegae wurde von den Einwohnern lateiniſcher Abkunft 
an Peter von Braiecuel und Paganus von Orleans, 
welche der Graf Ludwig mit hundert und zwanzig Rittern 
war, und eroberte, als die Velage— 


rung von Athen ihm mißlungen war, 
Theben. Nicetas S. 390 — 392. 


81) Un grex halt hom, qui ere 
appellez Leosgur (Leo 'Szur). 
Villehardouin S. 124. Leo Sguros 
(6 Zyoveos Ats) bemächtigte ſich 
zuerſt, wahrſcheinlich unmittelbar 
nach dem Falle von Conſtantinopel, 
der Herrſchaft über feine Vaterſtadt 
Nauplion, unterwarf ſich hierauf, 


82) Villehard. a. a. O. 


85) Et la terre de Constantinople 
ere en si bone pais, que li che- 
mins ere si seurs, que il pooient 
bien aller qui aller i voloient; et 


die damaligen Verwirrungen benuz: 
zend, auch Argos und Korinth, be— 
lagerte dann Athen, wo damals 
Michael Chonjates, der Bruder des 
Geſchichtsſchreibers Niretas, Biſchof 


si avoit d’une cite A autre bien 
Villehard. 


douze jornees grauz, 
S. 1238. 


84) Villehard. S. 136. 


J. Chr. 
1204. 


Oktober 
1204. 


J. Chr. 


“1394. 


360 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


im November d. J. 1204 bey Abydus nach Aſien uͤbergehen 
ließ, übergeben '); und als bald hernach auch der Graf 
Heinrich von Flandern mit eben ſo vielen Rittern nach 
Kleinaſien kam und in den Beſitz von Abydus ſich ſetzte: ſo 
fand er nicht geringe Unterſtuͤtzung bey den Armeniern, welche 
an der Kuͤſte von Kleinaſten wohnten 86), Bald hernach 
ſandte Balduin noch hundert Ritter unter der Anführung 
des Ritters Makarius von St. Menehoult uͤber den Arm 
des heil. Georg s:). Unter ſolchen Umſtaͤnden kamen nach 
und nach die Pilger ohne große Schwierigkeit in den 
Beſitz von Lopadion, Adramyttium, Nikomedien und an— 


deren Städten !?) und gewannen mehr als Einen Sieg 


85) „Il vindrent à Lespigal, une 
cite qui sor mer siet et ère poplee 
de Latins. Villeh. S. 126. Nach 
Nicetas (S. 388) wurde Balduin zu 
dieſem Verſuche, die aſtatiſchen Pro: 
vinzen des römiſchen Reichs zu er 
obern, aufgefordert durch die in 
Pegae wohnenden Lateiner und durch 
die im Lande von Troja anſäſſigen 
Armenier (Tes r uv f EẽwC - 
rio Aariαν, dv % Imyai 
zerwvöueorar νt ov = ν,Hj 
"Apusview). Vgl. Geſchichte der 
Kreuzz. Th. IV. S. 103. 106, Anm. Iro. 
Nach Nicetas geſchah der Uebergang 
des Grafen Heinrich ſowohl als des 
Peter Brajecuel (Ilrgos 0 en 
Wiavröns) nach Aſien noch im Oktober 
3204 (re uva pv)loyoor); nach 
Villehardouin (S. 126. 128) unter: 
nahm Peter Brajecuel die Ueberfahrt 
am Feſte Allerheiligen (à la feste 
Tossainz) und der Graf Heinrich am 
St. Martinstage. 


80) Nicetas S. 388. 


87) Villehard. S. 120. 


83) Petrus, ſagt Nicetas (a. a. O.), 
zog von Pegae gegen Lopadion, 
Theodorus Laskaris ſtellte ſich ihm 
zwar (nach Villehardouin am 6. De: 
cember 1204, le jor de la feste Mon- 
seignor Sain Nicholas qui est de- 
yant la nativite) bey Poemaninon 
(.Horuarvıydv) mit römiſchen Trup⸗ 
pen entgegen, dieſe aber ertrugen 
nicht den Angriff der Lateiner und 
flohen (vgl, Villehard. S. 131. 133, 
wo geſagt wird, daß von den 140 
Rittern und ihren Knappen zu Pferde, 
scpt vingt chevaliers sanz les Ser- 
janz à cheval, der Sieg bey Poe⸗ 
maninon, Pumenienor, über die an 
Zahl ihnen überlegenen Feinde nicht 
ohne große Schwierigkeit errungen 
wurde). Hierauf zog Petrus nach 
Lopadion (Lupaire bey Villehard. 
S. 132), traf niemanden an, welcher 
mit ihm zu ſtreiten wagte, und fand 
nur ſolche, welche ihn mit Kreuzen 
und den heiligen Evangelien (Aer 


HTavgıaWv oneluv nal zur j? 


AV 


Eroberungen in Kleinafien. 361 
uͤber die Truppen, mit welchen Sheodorus Laskaris ihnen? 
die gemachten Eroberungen kr zu a ſuchte; 
gleichwohl behaupteten ſie ſich nur kurze Zeit in Kleinaſien, 
und fie ſahen ſchon im Jahre 1207 ſich genoͤthigt, ihre 
dortigen Beſitzungen aufzugeben, um Conſtantinopel und 
ihre uͤbrigen Eroberungen an dem Bosporus und der 
Propontis zu vertheidigen; denn der Kaiſer ſowohl als 
die Barone des Reichs gelangten zu der Ueberzeugung, 
wie Villehardouin ſelbſt ſagt, daß es ihnen nicht möglich 
war, den Krieg zugleich in Aſien und Europa zu führen !?). 
Zu eben der Zeit, als das Herzogthum Nicaea ent⸗ 
ſtand, gab der Kaiſer Balduin die Stadt Philippopolis zu 
Lehen dem Ritter Reinhard von Trit, welcher mit hun— 
dert und zwanzig Rittern von dieſer Stadt Beſitz nahm 
und gern von den Einwohnern aufgenommen wurde, weil 


Jovis) einpfingen und daher frey 
blieben von jeder Beſchädigung. 
Adramyttium (Argeuürreov) wurde 
von dem Grafen Heinrich eingenom— 
men (Nicet. a. a. O.), und Nikomedien 
von der Schar des Makarius von 
St. Menehoult, welchen auch die 
Ritter Matthias von Valincourt und 
Robert von Nongey begleiteten; fie 
ſtellten hierauf die Befeſtigungen von 
Nikomedien wieder her (Ia garnirent 
et refermerent), und ſpäterhin um: 
gab Dieterich von Loz, welchem die 
Stadt Nikomedien als Lehen zuge— 
theilt wurde, das dortige Münſter 
der göttlichen Weisheit mit Verſchan— 
zungen (kerma et horda le Moutier 
Sainte Sophie, qui mult ere hals 
et biels). Villehard. S. 189. 199. 201. 


89) Ses homes distrent (als der 
Kaiſer Heinrich ſie zur Berathung 
verſammelt hatte), que il ne po- 


oient les deux guerres soffrir en» 
Villehard. S. 202, Die afıd: 
tiſchen Croberungen wurden aufge— 
geben in dem Waffenſtillſtande, wel— 
chen der Kaiſer Heinrich im Jahre 
1207 mit dem Kaiſer Theodorus Las: 
karis (Toldre Lascres) ſchloß, als 
Dietrich von Loz in deſſen Gefangen— 
ſchaft gerathen war; wenigſtens wur— 
den damals die Befeſtigungen von 
Squiſe und dem Münſter von Niko— 
medien zerſtört, und dieſe Plätze dem 
Kaiſer Theodorus Laskaris überlaſſen; 
Villeh. S. 200 - 203. Nach der Er: 
zählung des Georgius Akropolites 
(S. 13) blieb den Lateinern in dieſem 
Vertrage das Gebirge Kaming mit 
der an demſelben liegenden Stadt 
Achyraus; aber auch dieſes kleine 
Gebiet wurde, wie es ſcheint, nicht 
behauptet, ſondern die Ritter ver: 
ließen Aſien gänzlich, entweder ſchon 
damals, oder doch bald bernach; und 


semble, 


362 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


5.895 fie eines kraͤftigen Schutzes gegen die Raͤubereyen des 
Königs Johann der Walachen und Bulgaren bedurften“). 


Waͤhrend die Ritter die in dem Vertrage wegen der 
Theilung des Landes, welcher im Herbſte des Jahres 1204 
war verabredet worden, ihnen zugefallenen Landſchaften 
ſich unterwarfen, bemuͤhten ſich auch die Venetianer, 
Herren der ihnen zugewieſenen Staͤdte und Bezirke zu 
werden. Schon im Jahre 1205 waren fie in dem Beſitze 
der Städte Rodoſto und Heraklea an der Propontis ?, 
und zu eben dieſer Zeit hielten ſie auch die Staͤdte Adria— 
nopel und Archadiopolis beſetzt, welche ihnen ebenfalls in 
der Theilung zugefallen waren 2); fie hatten in jener 
Theilung beſonders die Seeſtaͤdte ſich zuzueignen geſucht, 
deren Beſitz ihnen fuͤr ihren Handel hoͤchſt wichtig war 
und am leichteſten von ihren Flotten behauptet werden 
konnte. Sie hatten überhaupt von den Eroberungen der 
Kreuzfahrer in Nomanien und anderen Provinzen des 
byzantiniſchen Reichs den groͤßten Vortheil; was zum Theil 
die natürliche und nothwendige Folge der Verhaͤltniſſe war, 
großen Theils aber als die Wirkung der wohlberechneten 
Anſtalten und Anordnungen betrachtet werden muß, welche 
von den Venetianern getroffen wurden. Fuͤr Frankreich und 
Deutſchland entwickelte ſich aus der Herrſchaft der latei— 
niſchen Ritter zu Conſtantinopel kaum irgend ein unmittel 
barer Vortheil; und ſelbſt der wohlthaͤtige Einfluß, wel— 
chen die byzantiniſchen Griechen ſeit den Zeiten Carl's des 
Großen und vornehmlich waͤhrend der Kreuzzuͤge durch 
ihre Bildung in Wiſſenſchaften und Kuͤnſten auf die 


es findet fich kelne weitere Erwähnung 91) Villehard. S. 189. 172. 

eines lateiniſchen Beſitthums in 

Kleinaſien. 92) Villeh. S. 139. 140. Ducange 
90) Villehard. S. 128. 129. zu Villehard. (§. 178.) S. 335. 


Vortheile der Herrſchaft Über Conſtantinopel. 363 


Abendlaͤnder und insbeſondere auf die Voͤlker deutſcher 7385. 
Abſtammung gewonnen hatten, wurde durch die Eroberung 
der Hauptſtadt des griechiſchen Reichs kund die ſchonungs— 
loſe Zerſtoͤrung und Verwuͤſtung, welche die Kreuzfahrer 
dort uͤbten, ſicherlich nicht befoͤrdert, ſondern vielmehr 
unterbrochen und gehemmt. Wenn auch der Kaiſer Bal— 
duin (von welchem berichtet wird, daß er noch vor ſeiner 
Abreiſe zur Kreuzfahrt den Gelehrten ſeiner Laͤnder Flan— 
dern und Hennegau auftrug, die Geſchichte der Nieder— 
lande fleißig zu ſammeln und zu einem Ganzen zu ver⸗ 
arbeiten 3)) der Gelehrſamkeit nicht ganz abgeneigt war; 
und wenn auch insbeſondere der Marſchall Villehardouin, 
der treffliche Geſchichtſchreiber der Eroberung von Con— 
ſtantinopel, nicht nur Gelehrſamkeit und Wiſſenſchaften 
achtete, ſondern auch in mehreren Stellen ſeiner eben ſo 
einfachen als anziehenden Erzaͤhlung des Kreuzzuges, an 
welchem er Theil nahm, den Eindruck ſchildert, den die 
Pracht und Schoͤnheit beſonders der Kirchen und anderer 
Gebaͤude von Byzanz auf ſein Gemuͤth gemacht hatten: ſo 
theilten doch ſehr wenige ihrer Waffengefaͤhrten eine ſolche 
Empfaͤnglichkeit. Ohnehin, da faſt alle Griechen von 
einiger Bildung ihre verwuͤſtete Hauptſtadt verließen, 
konnte von einem Einfluffe griechiſcher Gelehrten oder 
Kuͤnſtler auf die Kreuzfahrer keine Rede ſeyn. Hoͤchſtens 
mochte der Anblick der koſtbaren Gewaͤnder, geſchmack— 
vollen, zum Theil von Kuͤnſtlern des Alterthums verfer— 
tigten Gefaͤße, zierlichen kirchlichen Geraͤthe, kunſtreich ge— 
arbeiteten Kreuze und Reliquienkaſten, und anderer Bild— 
werke, welche in großer Zahl von Geiſtlichen und Layen aus 
Conſtantinopel nach Italien, Frankreich, den Niederlanden 


93) D’Outreman Constantinopolis belg. Lib. IV. c. 13. p 376. 


* 


364 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


N 


Jef und Deutſchland gebracht wurden %) „die Kuͤnſtler dieſer 
Laͤnder zur Nachahmung auffordern; die Gemaͤlde aber, 
womit die Kirchen von Conſtantinopel geſchmuͤckt waren, 
ſcheinen die Aufmerkſamkeit der Kreuzfahrer wenig oder 
gar nicht auf ſich gezogen zu haben, und außer dem 
bekannten wunderthaͤtigen Bilde der heiligen Jungfrau 
Maria, welches, von den Kreuzfahrern in einem Gefechte 
erbeutet, der Gegenſtand frommer Verehrung in der Kirche 
des heiligen Marcus zu Venedig wurde, und anderen 


Gemaͤlden, welche die Venetianer in der Theilung der . 
ebenfalls ſich zugeeignet haben follen ?°), finden wir 


93) S. oben S. 305 bis zro. 

95) Ueber die damals aus Eonitans 
tinopel nach 
Kunſtwerke und Koſtbarkeiten giebt 
Ramnuſtus (Läb. III. p. 229) folgende 
Nachricht: De mobilibus (Dandulo 
obvenerunt) auri pondo ad decem 
millia, argenti ad quinquaginta, 
vestis stragulae ac sericae et supel- 
lectilis magnus numerus, serici in- 
fecti pondo infinitas, pellium item 
quantivis pretii ingens copia, po- 
culorum ex auro, argento, acre, 
gemma et torenmatum, quae tot 
Orientis imperatores ex immensa 
illa opum amplitudine reliquerant, 
vis maxima; vasa praeterea et cra- 
teres ex auro et gemmis ad orna- 
Nam 
praeter innumerabilia, quae vete- 
ris Sacrarii incendio MCCXXXVIII 


Jacobi Theupoli Ducis tempore con- 


mentum multorum abacorum. 


Aagrarunt, hodie quoque quam 
plurima atque 
Murrhina, Cn. Pompeji de Begibus 
Mithridate et Tigrane victoria et 
triumpho nobilitata, inter sacros 


thesauros spectantur, Scyphi prae- 


in his nonnulla 


Venedig gebrachten 


ine 
* 


an 
terea, calices phyalaeque justae 
magnitudinis ex Callaide gemma, a 
colore Turchinam hodie vocant, 
Iaspide et purpureo Amethistino 
lapide, illustrium axtiſicum scal- 
pturis nobiles, fundo arabicis, ut 
videre licet, caracteribus caelati, 
Insuper complurium Augustarum 
ornatus et gestamina, et ea auırca, 
quae pectus amiciunt, ad pompam 
gemmis mme unio- 
Coronae solido ex 
auro permultae margaritis distin- 


nibus exornata. 
ctae, quae nummario precio vix 
extimari (aestimari possunt, Super 
haec bullae et annuli, quorum in 
palis gemmae et maximi pretii la- 
pides inclusi; visantur enim prae» 
grandes Smaragdi et eximii ponde- 
zis Carbunculi pinnato fulgore ra- 
diantes, qui in maxima Ara Mar- 
ciana solennibus sacris vel um- 
brante tecto sublati liquidioribus 
flammis scintillant atque acriter 
exardescunt. Saphiri praeterea mi- 
rae magnitudinis, Topazii, Chry- 
solithi et Hyacinthi, quarum re- 
rum dactylothecam Augustorum ı1e- 


Vortheile der Herrſchaft uͤber Conſtantinopel. 


365 


Erwaͤhnung eines anderen aus Conſtantinopel, nach der 
damaligen Eroberung der Stadt, nach dem Abendlande 


gebrachten Gemaͤldes. 


In der Vertheilung der Staͤdte, Schloͤſſer, Doͤrfer 


fertam victores compilarunt, Ho- 
die meliori conditione A Mar- 
cianae Procuratoribus cura deman- 
data, Divi Marci Gazophylacio 
(thesaurum vulgo appellant) dedi- 
catae. Statuarum quoque, simula- 
erorum et tabularum ingens nume- 
zus. Es folgt hierauf eine Beſchrei⸗ 
bung der bekannten Quadrige. Vgl. 
über das im Texte erwähnte wunder— 
thätige Bild der Mutter Gottes oben 
S. 270, 271. Anm. 74. Außer dem in 
dem Gefechte mit Murtzuflos eroberten 
Bilde der Mutter Gottes wird noch 
eines andern Bildes derſelben erwähnt, 
welches die Venetianer ſpäterhin mit 
Gewalt aus der Sophienkirche raub— 
ten und in die Kirche des Pantokra— 
tor (Ecclesia, quae Graece Pan- 
tocraton dieitur) brachten; auch 
dieſes Bild war nach der Meinung 
des Volks vom heiligen Lucas gemalt 
(Icoua, in qua b. Lucas Evange- 
lista imaginem beatae Virginis pro- 
priis mauibus dicitur depinxisse); 
und einige Griechen behaupteten, daß 
auf demſelben der Geiſt der heiligen 
Jungfrau ganz beſonders ruhte (qui- 
dam Graeci aestimant, quod spiri- 
tus beatae Mariae virginis in prae- 
dieta imagine requiescat). Inno- 
cenz, welcher überhaupt die zu Eon: 
ſtantinopel geübte Plünderung von 
Reliquien auf das höchſte mißbilligte 
(pactionem de partiendis reliquiis 
etaliis factis initam detestamur; vgl. 
oben &.304, Anm. 53) und die erwähnte 
Meinung der Griechen von der bis 
ſondern Heiligkeit dieſes Bildes für 


einen Aberglauben erklärt (opinio- 
nem illam tanquam superstitiosam 
minime approbamus), beſtätigte den 
Dann, welcher von dem Patriarchen 
von Conſtantinopel über den venetia— 
niſchen Podeſta und deſſen Räthe, ſo 
wie über alle, welche an dieſem neuen 
Kirchenraube (sacrilegium) Theil ge: 
nommen hatten, war ausgeſprochen 
worden. Epist. Innoc. III. (ed. Bre- 
quigny et Laporte du Theil) Lib, 
IX, 243 an den Patriarchen von Cou— 
ſtantinopel, vom 18. Januar 1200. 
Ob dieſe Plünderung der Kirchen— 
ſchätze in der Hauptſtadt des griechi— 
ſchen Reichs wirklich mittelbar oder 
unmittelbar die Wiederbelebung der 
bildenden Künſte in Italien förderte, 
iſt eine Frage, welche nähere Unter: 
ſuchung verdient. Vgl. C. F. von 


Rumohr italien. Forſchungen Th. I. 


S. 348 —- 350. Nach der griechiſchen 
Chronik des Dorotheus (Metropoliten 
von Monembafıa) Venet, 1778. 4. 
P. 307. 398, wo eine große Zahl von 
koſtbaren Gegenſtänden, welche aus 
der Sophienkirche zu Conſtantinopel 
im J. 1204 geraubt und nach Venedig 
gebrächt wurden, bezeichnet wird, 
verdankte übrigens die Kirche des 
heiligen Markus ihren ganzen Reich— 
thum an Kunſtwerken der Plünderung 
jenes reichen e zo Xad6- 
kov, sir Let © dyios Maos, 
elvaı rie dylas ooplas. Vgl. 
F. C. Alter philologifch,> kritiſche 
Miscellaneen (Wien 1790. 8.) ©. 236. 
Von Handſchriften, welche damals 


366 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. XI. 


Jer und Landſchaften als Lehen an einzelne Ritter, welchen 


die Eroberung und Behauptung derſelben uͤberlaſſen wurde, 
gingen den Venetianern zwar ſchon der Kaiſer Balduin 
und die Grafen des Pilgerheeres mit ihrem Beyſpiele 
voran; und dieſe Einrichtung war auch den Verhaͤltniſſen 
der damaligen Zeit ſehr angemeſſen. Die Venetianer 
aber verſtanden es beſſer als die e ihre Lehens— 
maͤnner im Gehorſam zu erhalten; und ohne Koſten und 
Gefahren zu theilen, eignete die Republik alle Vortheile 
ſich zu, welche die Eroberungen der Nobili insbeſondere 
fuͤr den Handel und Verkehr von Venedig darboten. 
Die franzoͤſiſchen, deutſchen und flandriſchen Ritter da— 
gegen hatten ſelbſt durch die Erfahrungen, welche ihnen 
Syrien und Palaͤſtina ſeit länger als einem Jahrhunderte 
darboten, es nicht gelernt, Voͤlker zu beherrſchen, deren 
Sprachen, Sitten und Gebräuche ihnen fremd waren?“); 
noch weniger verſtanden fie es, eine ſolche Herrſchaft ſich 
oder ihrem Vaterlande nützlich zu machen, und daher 
ſtand das, was die Ritter errangen, nicht in Verhaͤltniß 
mit der bewundernswuͤrdigen Tapferkeit, womit ſie ihre 


Feinde in Schlachten und 


aus Conſtantinopel nach dem Abend— 
lande gebracht wurden, finden wir 
keine andere Ueberlieferung, als die 
Nachricht des Mönchs Albericus (ad 
a. 1209. P. 453) , daß eine griechiſche 
Handſchrift der Metaphyſik des Ari- 
ſtoteles aus Conſtantinopel nach Paxis 
gebracht und lateiniſch überfegt, her⸗ 
nach aber, weil dieſes Buch ketzeriſche 
Lehrmeinungen begünftigte, nebit der 
Ueberſetzung verbrannt wurde. 

06) Die Urtheile des Nicetas über 
die Lateiner ſind zwar nicht ganz frey 
von Leidenſchaftlichkeit, aber es iſt 
wohl gewiß, daß den Rittern im All⸗ 


Gefechten bekaͤmpften; ihre 
gemeinen nichts daran gelegen war, 
ſich den Griechen angenehm zu machen; 
und daher fest Nicetas (S. 388), als 
er berichtet hat, daß die Städte von 
Kleinaſien, welche ſich dem Ritter 
Peter von Braiecuel ohne Wider: 
ſtand unterwarfen, mit Schonung 
behandelt wurden, hinzu: „obgleich 
ein Lateiner ein Ding iſt, ſchlimm zu 
behandeln, die Sprache den Griechen 
unverſtändlich, der Sinn geldgierig, 
das Auge ungezügelt, der Magen 
unerſättlich, der Geiſt jähzornig und 


rauh iſt, und die Hand das Schwert. 


überall ſucht.“ 7 


Pr 


uni, 


Innere Einrichtungen des neuen lat. Kaiſerthums. 367 


Unternehmungen wurden niemals nach einem feſten Plane 
geleitet, wie es uͤberhaupt die Weiſe der Ritter des 
Mittelalters war, und eben deswegen wurden ihre Unter— 
nehmungen auch nicht mit Beharrlichkeit von ihnen 
durchgeführt “?). 

Wir ſind uͤber die inneren Einrichtungen und Anord— 
nungen, welche die Ritter des Kreuzes in dem neuen 
Kaiſerthume trafen, ſehr wenig unterrichtet; Villehar— 
douin ſchweigt davon gaͤnzlich, andere Schriftſteller geben 
nur duͤrftige Nachrichten, und der Urkunden oder anderen 
Verhandlungen, aus welchen ſich die Verfaſſung jenes 
Reiches erkennen ließe, ſind nur ſehr wenige auf unſere 
Zeiten gekommen. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß im 
Allgemeinen in der Einrichtung des lateiniſchen Kaiſer— 
thums von CLonſtantinopel die Verfaſſung des Reichs 
Jeruſalem als Muſter befolgt wurde?), und daher war 
auch ſowohl die Hofhaltung der flandriſchen Kaiſer zu 
Conſtantinopel als die damit verbundene Reichsregierung, 
wenigſtens ihrem Aeußern nach, ſehr aͤhnlich der Einrich⸗ 
tung des Hofes der Koͤnige von Jeruſalem, welcher dem 
Hofe der Koͤnige von Frankreich war nachgebildet worden. 
Der Kaiſer Balduin ernannte den Ritter Dietrich de Los 
zum Seneſchall, Dietrich von Tendremonde zum Connetable, 
Hund Gottfried von Villehardouin zum Marſchall des 
Reichs 9°); andere Ritter wurden durch die Würden von 


97) Von den Griechen wurde die 
Planloſigkeit und Unbeſtändigkeit der 
Lateiner ſehr wohl bemerkt, und ſehr 
gegründet iſt der Vorwurf, welchen 
Georgius Akropolites (S. 13) ihnen 
macht, nachdem er berichtet hat, daß 
der lateiniſche Kaiſer Heinrich die er: 
rungenen Vortheile in Aſien aufgab: 
o yap Ayav xuprsginov to Aa- 


Tıvınov pvhovy Ev Tais uayaıs . 
HVEOTNHEe 

98) Sie betrachteten fich noch im⸗ 
mer als Kreuzfahrer; und in dieſer 
Anſicht lag auch der Grund der An— 
nahme des Rechts von Jeruſalem; 
s. unten. 

99) Vgl. Villehard. S. 166. 179. 189 
und andere Stellen. 


J. Chr. 
1204. 


368 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


3,0 Truchſeſſen, Mundſchenken, Oberkuͤchenmeiſtern, Kammer 


herren und Buttlern geehrt *°°); und es iſt merkwuͤrdig, 
daß von den Wuͤrden und Aemtern des ehemaligen by— 
zantiniſchen Hofes nur die Wuͤrde des Deſpoten, welche 
die nächte Würde nach der kaiſerlichen war, und das 
Amt des Protoveſtiarius oder Oberaufſehers der kaiſer— 
lichen Kleiderkammer als von den Lateinern beybehalten 


erwaͤhnt werden. 


Die Wuͤrde des Deſpoten und die da— 


mit verbundene Auszeichnung durch Purpurſtiefeln erhielt 
der Doge Heinrich Dandulo von Venedig), und das 


100) Ramnuſius erzählt (S. 133), 
jedoch ohne ſeine Quelle anzuführen, 
daß der Kaiſer Balduin auch die 
Würde eines Megas Domeſtikus und 
die damit verbundene Statthalter— 
ſchaft von Attica, ſo wie die Würde 
eines Großprimicerius, wozu die 
Statthalierſchaft von Boeotien ge: 
hörte, und mehrere andere byzanti⸗ 
niſche Hofwürden an verſchiedene 
Ritter verliehen habe; was er von 
der Verleihung von Würden in dem 
neuen lateiniſchen Kaiſerthume aus 
urkundlichen Nachrichten (S. 144) 
berichtet, findet ſich in den Unterſchrif— 
ten der in der Beylage 1. mitgetheil: 
ten Urkunde beſtätigt. 


u ) 
101) Tov òe HJounòs Beverlus de- 
oh afwinarı Tıumdivtos. 
Georg. Acropol. p.6. Ex priscis 
autem Graecis aulae magistratibus 
imprimis Dandulum, Venetiarum 
principem, ut ei honorem pracci- 
puum haberet, Imperii Despotam 
seu principem, qui primus secun- 
dum Imperatorem titulus est, et a 
Constantinopolitanis Imperätoribus 
cum Peloponnesi feudo, Morca 
dicitur, Imperatorum liberis tradi 


solebat, creavit, et purpureos cal- 
ccos, Augustorum insigne, ceteris 
vetitos, honoris causa utendum 
fruendum concessit, Ramuus. p. 142. 
143. Eben daſelbſt wird berichtet, 
daß der Kaiſer Balduin auch den 
Patriciern, welche den Rath des 
Dogen bildeten, Auszeichnungen und 
Ehrenämter (militiae munera atque 
honores), und dem Schiffshaupt⸗ 
manne (Trierarcha) Johannes Baſi⸗ 
lius insbeſondere als Wappenzeichen 
eine goldene Kaiſerkrone im blauen 
Felde verliehen habe. Das Geſchlecht 
des Johannes Baſtilius gab ſeit dieſer 
Zeit ſein altes Wappen auf, und 
führte nur das dem Johannes ver— 
liehene neue Wappenzeichen. Uebri⸗ 
gens iſt es ie daß feit der Their 
lung des griechifchen Reichs die Der 
gen von Venedig ihrem frühern Titel 
(Dei gratia Venetiarum, Dalmatiae 
aique Croatiae Dux) den Zufag 
beyfügten: totius quaxtae partis et 
dimidiae imperii Romaniae domi- 
nator. Dieſen Titel führten ſechszehn 
Dogen von Venedig während hundert 
und zehn Jahre, und erſt der Doge 
Delphinus legte ihn wieder ab. 
Ramnus. Lib. IV. p. 214. 


Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 369 


Amt des Protoveſtiarius wurde dem Ritter Conon von chr 
Bethune verliehen 2). Wie in allen damaligen abend» 
laͤndiſchen Reichen, ebenſo dienten auch in dem lateiniſchen 
Kaiſerthume von Byzanz dieſe Wuͤrden nicht nur zur 
Erhoͤhung des Glanzes der Hofhaltung, ſondern die Hoͤf— 
linge bildeten auch zugleich den Reichsrath, welcher den 
Kaiſer in der Verwaltung der Regierung unterſtuͤtzte. 
Die Verfaſſung des neuen Kaiſerthums und deſſen 
innere Verhaͤltniſſe geſtalteten ſich gleich im Anfange auf 
eine ſolche Art, daß eine lange Dauer des neuen Reichs 
unmoͤglich ſich hoffen ließ. Schon war es ſicherlich ein 
großer Nachtheil, daß die Stadt Conſtantinopel eben ſo 
wie das uͤbrige Reich getheilt wurde, und die Venetianer 
davon eben ſowohl anderthalb Viertheile ſich zueigneten, 
als von dem uͤbrigen Reiche. Wie war bey einer ſolchen 
Theilung eine einmuͤthige und kraͤftige Vertheidigung die— 
ſer von ſo vielen Seiten bedrohten Stadt moͤglich? Die 
Macht des Kaiſers war außerdem viel zu ſehr beſchraͤnkt; 
es wurde ihm bey der Theilung nur der vierte Theil der 
Eroberungen zugewieſen, den Baronen dagegen wurden, 
wie den Venetianern, anderthalb Viertheile zugeſtanden; 
und die Wirkſamkeit des Kaiſers für die Anordnung, 
Regierung und Befeſtigung des Reichs wurde uͤberhaupt 
durch die hemmenden Formen des Lehenweſens beengt. 
Von noch ſchlimmerer Wirkung war die Weiſe, welche die 
Venetianer ſowohl als die Barone der Pilger in der 
Behandlung der Griechen befolgten. Mit ihren griechi— 
ſchen Unterthanen ſetzten ſich die Kreuzfahrer niemals in 


102) S. Beylage 1. Auch der Fürſt nehmſten Hofdiener (Officiali) waren. 
von Achaja hatte feinen Protoveſtia- S. Liber Consuetudinum imperii 
rius, welcher nebſt dem Schatzmelſter Romaniae cap. 169. (in Canciani 
(Tesauirier) und dem Capitaine d'ar- Leges Barbarorum T. 3. p. 523.) 
mes (Capetanio d'arme) ſeine vor⸗ 


V. Band. A a 


* 


. 
370 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


9 8 — 
22. ein freundliches Verhaͤltniß, und ſie behandelten dieſelben 


nur als dienſtbare Knechte, uͤber deren Leben und Eigen— 
thum ſie ſchalten koͤnnten nach ihrem Gefallen; die Grie— 
chen betrachteten daher mit Recht die Kreuzfahrer als 
grauſame und uͤbermuͤthige Zwingherren, und erwarteten 
mit ungeduldiger Sehnſucht die Gelegenheit, einer ſolchen 
eben ſo druͤckenden als ſchimpflichen Knechtſchaft ſich zu 
entziehen ). Die vornehmeren Griechen, welche, durch 
Noth gezwungen oder durch Ehrgeiz oder andere eigen— 
nuͤtzige Abſichten getrieben, den Lateinern ſich anzuſchlie⸗ 
ßen wuͤnſchten, wurden meiſtens mit Hohn und Verach— 
tung zuruͤckgewieſen *°*); nur der Markgraf Bonifaz bes 
muͤhte ſich anfangs, die Zuneigung der Griechen zu ge— 
winnen, und viele, beſonders vornehme Griechen traten 
daher in ſeinen Dienſt und erleichterten ihm ſeine Erobe— 
rungen in Macedonien und Theſſalien *°°); als er aber 
in den Beſitz von Theſſalonich gekommen war, ſo ent— 
fernte er ſie aus ſeinem Dienſte, indem er ihnen eroͤffnete, 
daß er keiner roͤmiſchen Soldaten beduͤrfe, und behandelte 


103) Die Belege für dieſe Schilde - führern der Soldaten und den Grafen 
rung finden ſich auf jeder Seite des gebilligt worden.“ Nicetas S. 386. 


legten Buchs der Geſchichte des Ni: 
cetas; und die merkwürdigſten Aeu⸗ 
ßerungen dieſes Schriftſtellers find in 
mehreren der vorhergehenden An: 
merkungen mitgetheilt worden. 

104) „Balduin hatte keinen Römer, 
weder aus dem bürgerlichen, noch 
dem Soldaten: Stande (£x rov oroa- 
Tıwrırov TE Hal nolırızod owvrd- 
ywaros),‚ivgend eines Amtes würdig 
geachtet (zurmäızer), ſondern er 
ſtieß alle von ſich ohne Unterſchied 
(e νανντνν; und dieſes Ver⸗ 
fahren war auch von den andern An⸗ 


Gleichwohl berichtet dieſer Schriftſtel⸗ 
ler (S. 413), daß der Logothetes Dromi 
Konſtantinus Tornices, alſo ein 
Grieche, welchen hernach der König 
Johann der Bulgaren tödten ließ, 
nach der Eroberung von Eonftantis 
nopel feine Zuflucht, aber allerdings 
nur ſehr ungern (exovzl zo n)£ov), 
zu dem Kaiſer Balduin genommen 
hatte. Alle Griechen ohne Unterſchied 
wurden alſo doch nicht zurückgewieſen, 
wenn auch die obige Bemerkung des 
Nicetas in Hinſicht der meiſten Fälle ge: 
gründet und der Wahrheit gemäß war. 


105) Nicetgs S. 389. 2 


Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 371 


feine griechiſchen Unterthanen zu Theſſalonich mit ſo 84“ 
weniger Schonung, daß er nicht nur druͤckende Steuern 
von ihnen erpreßte, ſondern ihnen auch die ſchoͤnſten 
Haͤuſer nahm und dieſe an ſeine Ritter und Knappen 
vertheilte rode). Erſt als durch die Gewaltthaͤtigkeiten 
und Willkuͤhrlichkeiten, welche nicht nur die Ritter in 
allen von ihnen beſetzten Städten und Landſchaften, fons 
dern auch die Venetianer in Adrianopel übten *97), ein 
allgemeiner Aufſtand der Griechen veranlaßt wurde, die 
in Aufruhr begriffenen Griechen einen maͤchtigen Beſchuͤtzer 
an dem Koͤnige Johann von Walachien und Bulgarien 
gewannen, und das lateiniſche Kaiſerthum auf wenige 
Staͤdte beſchraͤnkt wurde: erſt dann fand Heinrich, der 
Bruder und Nachfolger des Kaiſers Balduin, es noths 
wendig, die Griechen dadurch zu beruhigen, daß er den 
Griechen Theodorus Branas, aus einem ſehr angefehenen 
Geſchlechte, welcher mit Agnes, der Schweſter des Koͤnigs 
Philipp Auguſt von Frankreich und Wittwe zweyer Kaiſer 
von Byzanz, vermaͤhlt war, mit Adrianopel und Didy— 
moteichon belehnte *°®). Unter ſolchen Umſtaͤnden konnte 
ein vertrauliches Verhaͤltniß der Lateiner und Griechen 


106) Nicet. S. 387. 304. Die von 
Bonifaz entlaſſenen Griechen, als fie 
auch bey dem Kaiſer Balduin kein 
Unterkommen fanden, rächten ſich 
dadurch, daß ſie überall die Griechen 
aufwiegelten. 

167) Et quant chascun fot (fut) 
asseure A sa terre, la convoitise del 
monde, qui tant aura mal fait, nes 
(ne les) laissa estre en pais; ains 
commenqa chascuns à faire mal en 
sa terre, 
moins, et li Grieu les commencié- 
rent à hair et à porter malvais 


li uns plus et li autre 


cuer. Villehard. S. 123. 126. II ad- 
vint que les Venitiens eurent la 
cite d’Andrinople pour leur part. 
Quand ils furent dedans et Sei- 
gneurs de la ville, moult mesmene- 
rent (maltraiterent) les citoyens, 
de leurs femmes et de leurs ſilles. 
Chronique de Flandres chap. XI. 
bey Ducange zu Villeh. §. 178. S. 335. 


108) A Vernäs .., fu octroie An- 
drenople et le Dimot et totes lor 
apertenenges,'et il en feroit le ser- 
vise a l’Empereor, Villehard. S. 175. 


Yaz 


J. Chr. 


1204. 


372 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


nicht ſich bilden, aber eben deswegen war auch die innere 
Begründung und Befeſtigung des lateiniſchen Kaiſerthums 
in Byzanz unmoͤglich. Als ſpaͤterhin der Kaiſer Heinrich 
in dieſer Hinſicht andere Grundſaͤtze zu befolgen anfing, 
die vornehmen Griechen hervorzog und auf mancherley 
Weiſe auszeichnete und auch das geringe Volk glimpf— 
licher behandelte *°?): fo waren durch das vorhergegan— 
gene Verfahren der lateiniſchen Ritter die Gemuͤther der 
Griechen ſchon zu ſehr erbittert worden, als daß ſie durch 
jene Milde wieder gewonnen werden konnten. 


Es iſt indeß keinem Zweifel unterworfen, daß die 
Kreuzfahrer, ſo weit das von ihnen angenommene Syſtem 
der Erpreſſung es zuließ, die Rechte und Gewohnheiten 
ihrer griechiſchen Unterthanen ungeaͤndert ließen; es 
blieb alſo die innere Verwaltung der Staͤdte in Romanien 
im allgemeinen ſowohl als insbeſondere die Verfaſſung 
der Gerichte unveraͤndert, und die Griechen lebten unter 
eigenen Richtern, deren Ernennung und Einſetzung jedoch 
die lateiniſchen Beherrſcher ſicherlich ſich vorbehalten hat- 
ten, und nach roͤmiſchen Geſetzen. Es iſt ausdruͤcklich 
die Nachricht überliefert worden, daß die Kreuzfahrer 
ſowohl in Conſtantinopel als in den Provinzen alle Ge— 
ſetze und Rechte und andere loͤbliche Einrichtungen, welche 
dort von Alters her beſtanden, nicht aufhoben oder aͤn— 
derten, und nur ſolche Einrichtungen, welche ihnen ver— 
werflich zu ſeyn ſchienen, beſſerten oder gaͤnzlich unters 
druͤcktenn ); und wir wiſſen auch, daß den Einwohnern 


209) Georg. Acropol, cap. 16. p. 18. biles habebantur, ita ut prius fue- 

rant, consistere permissae sunt; 

110) Leges et jura et caeterde in- quae vero reprobabiles videbantur, 

stitutiones, quae ab antiquo tam velcorrectae in melius vel penitus 
in urbe quam in provincia lauda- immutatae. Gunther p. vii. 


Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 373 


der Staͤdte Setre und Theſſalonich, als ſie ihre Thore 
den Kreuzfahrern oͤffneten, vertragsmaͤßig die Beybehal— 
tung ihrer Verfaſſung und Geſetze zugeſtanden wurde '?*). 
Die neuen Einrichtungen, welche gemacht wurden, be— 
zogen ſich nur auf die Verhaͤltniſſe der Kreuzfahrer ſelbſt, 
welche Conſtantinopel und andere Städte von Romanien 
und Griechenland erobert hatten, und der ſpaͤtern Ankoͤmm—⸗ 
linge aus den abendlaͤndiſchen Reichen. So wurde von 
den Venetianern eine nach dem Muſter des venetianiſchen 
Raths gebildete Behörde zu Conſtantinopel errichtet; als 
deren Oberhaupt wurde nach dem Tode des Dogen Hein— 
rich Dandulo von allen zu Conſtantinopel anweſenden 
Venetlanern Marino Zeno unter dem Titel eines Podeſta 
gewaͤhlt, und außer ihm beſtand jener Rath aus mehreren 


Richtern, Näthen und Kaͤmmerern, fo wie einem Avo— 


cator, einem Coneſtabulo und einigen geiſtlichen Beyſitzern 
und Notarien; und von dieſen Gliedern des Raths zu 
Conſtantinopel wurden wenigſtens die wichtigern von dem 
Podeſta ausgeſtellten Urkunden unterzeichnet und bekraͤf— 
tigt *). Daß übrigens dieſer venetianiſche Senat zu 


gen ſeines Streites mit dem Mark: 
grafen Bonifaz ihm viel daran lag, 
bald in den Beſitz der Stadt zu kom— 
men, eine mit rother Dinte unter 
ſchriebene Urkunde, durch welche er 
alle ihre Rechte und Gewohnheiten 
beſtätigte (yoauua dοονοννεν 
rdονν Tois e αον, s moi To 


IT) Die Einwohner von Setre, 
worunter Ducange nicht Serrae 
(bey Villehardouin cap. 206. p. 161 
la Serre), fondern die Stadt Kitros 
verſtehen wil, übergaben ihre Stadt 
nach Villehardouin (S. 116) unter 
der Bedingung, daß der Kaiſer 
Balduin ſie bey den Gebräuchen 
und Gewohnheiten, welche ihnen 
der griechiſche Kaiſer zugeſtanden, er— 
halten ſollte (por tel convenant, 
que il les tendroit às us et às cos- 


Eunesdov yapıkuusvor). 


112) Eine Urkunde (im Liber albus 
und im Liber pactorum, I. fol. 132 


tumes, que li Empereor Grieu les 
avoit tenuz). Den Einwohnern von 
Theſſalonich gewährte Balduin, nach 
Nicetas (S. 387), weil damals we— 


B., Handſchriften des k. k. Haus⸗ 
und Staatsarchios zu Wien), in 
welcher die von dem Podeſta Marino 
Zend gemachte Vertheilung der Lehen 


J. Chr. 
1204. 


* . 


J. Chr. 
1204. 


374 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Conſtantinopel und die ihm aͤhnlichen Behoͤrden, welche 
auf den der Republik Venedig unterworfenen Inſeln, ſo wie 
in den andern ihr zugefallenen Städten des griechiſchen 
Reichs errichtet wurden, wenn ihnen auch zunaͤchſt die 
Verwaltung der Angelegenheiten der Venetianer und an— 
derer Lateiner oblag, gleichwohl nicht ohne Gewalt waren 
uͤber die unterjochten Griechen, duͤrfen wir zwar wohl 
vorausſetzen; uͤber die Bedingungen aber, unter welchen 
ſie eine ſolche Gewalt uͤbten, laͤßt ſich nichts beſtimmen. 
Da die Grafen und Barone, welche Conſtantinopel er— 
obert hatten, noch immer als Kreuzfahrer ſich betrach— 
teten *): fo war es naturlich, daß die unter völlig 


beſtätigt und verordnet wird, daß 
ein venetlaniſches Lehen in Romanien, 
innerhalb und außerhalb Conſtanti⸗ 
nopel, an keinen Anderen, als an 
einen Venetianer ſoll veräußert wer⸗ 
den dürfen (de hiis quod datum 
habemus vel daretur, nullus homo 
audeat alienandum, nisi in Vene- 
rico), iſt unterfchrieben von dem 
Podeſta, fünf Richtern, drey Räthen, 
einem Camerarius, einem Avocator, 
dem Coneſtabulo, mehreren Geiſtlichen 
und einem Notarius. Eine andere 
Urkunde in denſelben Handſchriften 
iſt nur von dem Podeſta, zwey Rich: 
tern, zwey Räthen, dem Camerarius 
Leonardus Campulo und dem Cone— 
ſtabulo Bartholomaeus Aldibrando 
unterzeichnet. Nach Ramnuſtus (Lib. 
3. P. 215); „Zenus ipso Praeturae 
ingressu cosdem Magistratus sibi 
habuit, quos pridem Dandulus in 
morem Venetum instituisset, Judi- 
ces sex, Consiliarios quatuor, Ca- 
merarios duos et cum Conestabili 
Adyocatores communes.“ Auch 
führte der Podeſta den Titel Despotes 


und trug Purpurſtiefeln, wie zuvor 
der Doge. Ducange (Histoire de 
Constantinople sous les Empereurs 
Frangois, Liv. I. ch. 137.) giebt die 
Zahl der Avocatoren zu zwey an, 
indem er die angeführte Stetle des 
Rhamnuſius alſo überſetzt: „Les Po- 
destats ayoient en cette qualité six 
Juges, 
Cameriers, un Connetable et deux 
Advocats fiscaux.‘‘ Der Podeſta 
Marino Zeno nannte ſich übrigens 
in feinen Urkunden: Venetorum po- 
testas in Romania et totius quartae 
partis et dimidiae eiusdem imperii 
dominator. Vgl. Liber pactorum I, 
fol, 157. 


quatre Conseillers, deux 


113) Daher war der Schlachtruf, 
mit welchem die Ritter ihre Feinde 
angriffen: Saint Sepulcre, z. B. in 
der Schlacht bey Philippopolis gegen 
die Walachen und Comanen. Chro- 
nique de Henri de Valenciennes 
(in Buchon Collection des Chroni- 
ques nationales frangaises Tom. III. 
p. 909.) 


Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 375 


gleichen Verhaͤltniſſen entſtandenen Affifen des Königreichs J.. 
Jeruſalem, wahrſcheinlich mit einigen durch die Umſtaͤnde 
und Verhaͤltniſſe gebotenen Abaͤnderungen, als guͤltiges 
Recht fuͤr die lateiniſchen Einwohner des neuen Kaiſer— 
thums, angenommen wurden **), und auch die Vene— 
tianer fanden es zweckmaͤßig, dieſes Recht in ihren grie⸗ 


chiſchen Beſitzungen einzuführen ***). 


114) In der Vorrede zu dem Liber 
Consuetudinum Bomaniae, in wel⸗ 
chem die in dem lateiniſchen Kaiſer— 
thume geltenden Lehensgewohnheiten 
und Beſtimmungen über die Der: 
hältniſſe der Gutsherren zu ihren 
Unterthanen (villani), vornehmlich in 
Bezug auf das Fürſtenthum Achaja, 
geſammelt find, wird folgende Nach: 
richt mitgethellt, welche zu fehr das 
Gepräge dieſer Zeit trägt, als daß 
ihre Wahrheit bezwelfelt werden 
könnte: Als im Jahre 1195 (1203) 
Conſtantinopel erobert und der Graf 
Balduin zum Kaiſer erwählt worden 
war, fo wurde, weil die Stadt Con- 
ſtantinopel von vielen nicht nach rö— 
miſchem Rechte lebenden Leuten (de 
zente, che non son obedienti a la 
leze de Roma) umgeben war, und die 
Verhältniſſe der Eroberer ſelbſt neue 
Anordnungen erforderten, beſchloſſen, 
an den König und den Patriarchen 
von Jeruſalem eine Botſchaft zu fen: 
den und ſie zu bitten um die Zuſen— 
dung ihrer Gebräuche und Aſſtſen (le 
sue usanze et assisse); als dieſe Aſ— 
ſiſen angekommen waren, ſo wurden 
fie in Gegenwart aller Barone vor: 
geleſen; es wurde hierauf beſchloſſen, 
ſich nach ihnen und beſonders den 
Capiteln, welche für den Frieden des 
Reichs am nothwendigſten wären, 
zu richten, und von dem Kaiſer (fo 
wie wahrſcheinlich auch von den Ba⸗ 


ronen) wurde die Aufrechthaltung 
der Aſſiſen im ganzen Katſerthume 
beſchworen. Dieſe in dem Fürſten⸗ 
thume Achaja geltenden Gewohn⸗ 
heiten wurden im Jahre 1421 von 
der Regierung (Kegimen) zu Negro— 
ponte mit Zuziehung von zwölf Bür— 
gern dieſer Stadt einer Unterſuchung 
und Prüfung unterworfen, die Ne: 
gierung fandte die vollſtändigſte und 
genaueſte Sammlung derſelben (in 
327 Eapitein) nach Venedig, und der 
Doge Francesco Foscari beſtätigte 
durch eine Urkunde vom 4. April 1453 
210 Capitel dieſer Gewohnheiten. 
(HReliqua, quae se extendunt circa 
modos servandos in praeliis, d. I. 
den Gerichtskämpfen, et circa alia 
impertinentia et extra propositum, 
sint omnino cassanda et delenda.) 
Dieſe 219 beſtätigten Artikel finden 
ſich nebſt der Vorrede in italieniſcher 
und der erwähnten Beſtätigungsur— 
kunde in lateiniſcher Sprache unter 
dem Titel: Liber Consuetudinum 
Imperii Romaniae in Canciani Bar- 
barorum Leges antiquae T. III. 
v. 493 — 629. Vgl. den Aufſatz: über 
die Aſſiſen von Jeruſalem, von K. E. 
Schmidt, in der Zeitſchrift: Hermes 
B. 30. (Keipz. 1828.) S. 341. 

115) Daher iſt auch eine neugrie⸗ 
chiſche Ueberſetzung (oder vielmehr 
Umarbeitung) der Aſſiſen von Jeru— 
ſalem vorhanden, aus welcher Du⸗ 


J. Chr. 
1204. 


376 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI. 


Nach dem Lehenrechte, welches in den Aſſiſen von 
Jeruſalem enthalten war, wurden alſo auch die Verbind— 
lichkeiten der Lehensmaͤnner des Kaiſerthums von Con— 
ſtantinopel geordnet; man fand es aber ſpaͤter noͤthig, 
die Verhaͤltniſſe der Vaſallen uͤberhaupt und insbeſondere 
ihre Verpflichtung zum Kriegsdienſte durch einen Vertrag 
zu beſtimmen, welchen der Graf Heinrich von Flandern 
als Reichsverweſer, nachdem der Kaiſer Balduin in Ge 
fangenſchaft gerathen war, und der venetianiſche Podeſta 
von Conſtantinopel, Marino Zeno, errichteten. Durch 
dieſen Vertrag wurde die fruͤher verabredete Theilung des 
Reichs von neuem anerkannt und befeſtigt, und zugleich 
die frühere Beſtimmung des Kalferd Balduin, welche 
nach gehaltener Berathung mit dem venetianiſchen Podeſta 
und deſſen Rathe, ſo wie mit den franzoͤſiſchen Baronen 
war gegeben worden, dahin erneuert, daß die venetiani— 
ſchen Lehentraͤger ſowohl als die franzoͤſiſchen, erſtere in 
Folge einer Mahnung des venetianiſchen Raths zu Con— 
ſtantinopel, gehalten ſeyn follten, dem Kaiſer auf feinen 
Heerzuͤgen zur Vertheidigung des Reichs in jedem Som— 
mer vom Tage Johannis des Taͤufers an bis zum Mi— 
chaelistage zu folgen; doch ſollte von denjenigen Rittern, 
deren Lehen in der Naͤhe der Feinde belegen waͤren, jedes 
Mal nur die Haͤlfte verpflichtet ſeyn, den Heerdienſt zu 
leiſten, und in ſolchen Jahren, in welchen die Graͤnzen 
von den Feinden bedroht oder beunruhigt wuͤrden, die 


cange in dem Glossarium mediae et 
infimae graecitatis hin und wieder 
einzelne Stellen anführt, z. B. bey 
den Wörtern :/ayarıyrızn), dydpum, 
£umpöhalos (praelocutor, Für: 
ſprecher), Aayzva. So viel nach 
den von Ducange angeführten Stel⸗ 


len ſich urtheilen läßt, ſo iſt dieſe 
bis jetzt ungedruckte griechiſche Bears 
beitung der Aſſiſen eben ſo wenig mit 
den uns ſonſt bekannten Affıfen von 
Jeruſalem übereinſtimmend, als der 
in der vorigen Anmerkung angeführ⸗ 
te Liber Consuetudinum Impexii 
Romaniae. 


* 


Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 377 


Verpflichtung aller dieſer Ritter zum Dienfte im Heere sn. 
des Kaiſers wegfallen. Dem Kalfer wurde die Verbin- 
lichkeit auferlegt; alle Anordnungen und Koſten, welche 
die Handhabung und Vertheidigung des Reichs erfordern 
würde, zu übernehmen, und was ihm fein aus den ans 
geſehenſten Rittern gebildeter Rath als heilſam und noths 
wendig fuͤr die Wohlfahrt des Reichs an die Hand geben 
wuͤrde, in Vollziehung zu bringen. Fuͤr den Fall, wenn 
zwiſchen dem Kaiſer und den Baronen Unfrieden und Miß— 
helligkeit ſich erhoͤbe, wurde feſtgeſetzt, daß weder der Kaiſer, 
noch die Barone wider einander willkuͤhrliche Gewalt uͤben, 
ſondern ihren Streit den ordentlichen, ſowohl von Seiten 
der Venetianer als der Franzoſen boſtellten Richtern über; 
laſſen und nach deren Ausſpruche und Urtheile ſich ver— 
halten ſollten. So wie die Venetianer in allen andern 
Vertraͤgen, welche ſie mit den Kreuzfahrern ſchloſſen, 
die fruͤhern in Conſtantinopel und allen andern Orten 
des griechiſchen Reichs ihnen zugeſtandenen Rechte aner— 
kennen und beſtaͤtigen ließen: ſo geſchah es auch in die— 
ſem Vertrage, zu deſſen gewiſſenhafter Erfuͤllung ſowohl 
der Kaiſer als die Ritter durch einen feyerlichen Eid ſich 
verpflichteten **). 
K Durch eine ſolche beſchraͤnkende Beſtimmung der 
Verbindlichkeit des Heerdienſtes war es dem Kaiſer un— 
moͤglich gemacht, mit Erfolg ein Reich zu vertheidigen, 
welches nur mit den Waffen und durch die ununter— 
brochene Wachſamkeit und Thaͤtigkeit eines Immer ſchlag— 
fertigen Heeres behauptet werden konnte. 

Der Kaiſer Balduin ſowohl als die uͤbrigen Barone 
des Heeres der Pilger rechneten anfangs mit Sicherheit 
auf bedeutende Verſtaͤrkung ihrer Macht durch nachkom⸗ 

110) S. Beylage 1. 


378 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


3. Chr. mende waffenfaͤhige Männer aus ihrer Heimath; und die 
Wahl des Kaiſers Balduin war großen Theils bewirkt 
worden durch die Hoffnung, daß die zahlreiche flandriſche 
Ritterſchaft, deren Tapferkeit und Kampfluſt beruͤhmt war, 
es nicht verſaͤumen wuͤrde, ihren auf den Faiferlichen 
Thron erhobenen Grafen mit Nachdruck zu unterſtuͤtzen n ““). 
Dieſe Hoffnung aber wurde getaͤuſcht. Balduin ließ je— 
doch nichts unverſucht, um die Mittel zur Vertheidigung 
ſeines Kaiſerthums zu vermehren; er belohnte ſeine Waf— 
fengefaͤhrten, um ſich ihre Zuneigung und Treue fuͤr die 
Zukunft zu ſichern, ſo reichlich als er es vermochte, mit 
Geld und Lehen; und diejenigen Kreuzfahrer, welche von 
Conſtantinopel in ihre Heimath zuruͤckkehrten, prieſen ſo— 
wohl die Freygebigkeit des neuen Kaiſers, als die Ergie— 
bigkeit der Einkuͤnfte ſeines Reichs, welche ihm uner— 
ſchoͤpfliche Mittel zu fernerer Freygebigkeit darboͤten, in 
Schilderungen, welche geeignet waren, Ritter und Volk 
zur Fahrt nach Byzanz und zur Theilnahme an der Ver— 
theidigung des neuen dortigen lateiniſchen Kaiſerthums 
zu ermuntern *). Indem Balduin durch das koſtbare 
Geſchenk zweyer herrlicher mit Gold und Edelſteinen ge— 


117) S. oben S. 325, Anm. oo. 

118) „Imperator Balduinus statim 
tertiam partem imperialis Thesauri 
inter principes et exercitum Lati- 
norum magnifice distribuit, quae 
tertia pars continebat XVIII cen- 
tena millia marcarım argenti; quae 
infinita pecunia apud nos, sicut et 
cetera, quae de Graecorum divitiis 
et constructione praedictae civita- 
tis et Agiae Sophiae narrantur, in- 
credibilia esse videntur. Denique 
dicunt redeuntes, quod quotidia- 
nus reditus Imperatoris continet 


XXX millia perpres (hyperperi); 


perpre vero est nummus aureus et 
valet tres solidos argenti. Dignita- 
tes autem et honores et multa prae- 
clara. Xenia principibus et aliis, qui 
erant cum eo, magnifice largitus 
est. Regi Philippo, domino suo, 
transmisit quandam carbunculam, 
lapidem pretiosissimum, qui ruti- 
lanti fulgore totum palatium potest 
illuminare, et duo indumenta rega- 
lia auro et lapidibus pretiosis mi- 
rabiliter intexta.‘“ Badulfi de Cog- 
gesh, Chron. Anglic. p. 101. 


Schwäche des neuen Kaiſerthums. 379 


zierter kaiſerlicher Kleider und eines Edelſteins von unge— 
woͤhnlicher Schoͤnheit dem Koͤnige Philipp von Frankreich, 
ſeinem ehemaligen Lehensherrn, ſeine Anhaͤnglichkeit be— 
wies, ſuchte er zugleich durch dieſes Geſchenk deſſen Gunſt 
und Schutz fuͤr ſich und ſein Kaiſerthum zu gewinnen; 
und die Freundſchaft und Zuneigung anderer angeſehener 
Fuͤrſten ſuchte er ebenfalls durch Geſchenke von Reliquien 
ſich und feinem Reiche zu erhalten ***). Auch bat er in 


J. Chr. 
1204. 


einem eigenen Schreiben die Ritterſchaften aller katholi⸗ 


ſchen Reiche auf das angelegentlichſte, dem neu gegruͤn— 
deten Kaiſerthume bald zu Huͤlfe zu kommen, indem er 
ihnen mit lockenden Farben die Annehmlichkeiten und 
Vortheile ſchilderte, welche ihrer in dem ſchoͤnen Lande 
warteten, und das Verſprechen gab, Jedem, welcher ſeiner 
Einladung folgen wuͤrde, nach ſeinem Stande und ſeiner 
Geburt, mit eintraͤglichen Lehen zu verſorgen. An den 
Papſt ſowohl als alle übrigen Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe 
der katholiſchen Kirche richtete Balduin das Geſuch, 
durch ihre geiſtliche Ermahnung die Laien zur Fahrt 
nach Conſtantinopel und zur Theilnahme an dem zeitlichen 
und ewigen Gewinne, welcher dort durch redlichen Kampf 
fuͤr die wahre Kirche eben ſo ſicher als im gelobten Lande 
durch den Krieg wider die Heiden erlangt werden koͤnnte, 
anzuhalten *). Innocenz ließ dieſes Geſuch nicht uner— 
fuͤllt; denn er betrachtete nunmehr den Beſitz von Con— 
ſtantinopel als eine erhebliche Erleichterung der Eroberung 
des heiligen Landes. Er unterſtuͤtzte daher die Aufforde— 
rung, welche der Kaifer Balduin an die Praͤlaten und 
219) Der Herzog Leopold von Oeſt- ſchenkte. Calles Ann, Aust. P. 2. 
reich z. B. erhielt im Jahre 1205 von p. 172. 


dem Kaiſer Balduin ein Stück des 
heiligen Kreuzes, welches der Herzog 120) Epist, Innocentii Lib. VII, 


im Jahre 1219 dem Kloſter Lilienfeld 132. p. 574. 


380 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


N €. Laien erlaſſen hatte, durch ſeine Ermahnung; machte die— 
jenigen, welche durch die eifrige Vertheidigung von Con— 
ſtantinopel mittelbar fuͤr die Wohlfahrt des heiligen Lan— 
des thaͤtig ſeyn wuͤrden, auf gleiche Weiſe, wie die 
uͤbrigen Kreuzfahrer, der Vergebung der Suͤnden theil— 
haftig *); verſtattete manchem der Pilger, welche zur 
Wallfahrt nach dem heiligen Lande durch ein Geluͤbde ſich 
verpflichtet hatten, ſich nach Conſtantinopel zu begeben, 
durch die Vertheidigung des neuen Kaiſerthums wider 
deſſen Feinde ſich verdient zu machen um das heilige 
Land, und dadurch ihr Geluͤbde zu löfen 522); und übers 
haupt nahm Innocenz der Dritte waͤhrend ſeines ganzen 
uͤbrigen Lebens des lateiniſchen Kaiſerthums zu Byzanz 
mit großem Eifer ſich an. Gleichwohl wiſſen wir nicht, 
daß, außer den Pilgern, welche nicht lange nach der Er— 
oberung der Kaiſerſtadt, und zu der Zeit, in welcher 
nach dem Tode des Koͤnigs Amalrich von Jeruſalem ſo— 
wohl der damalige verwirrte Zuſtand des gelobten Landes 
als der fortdauernde Friede mit den Unglaͤubigen dort 
keine Gelegenheit zu verdienſtlichen oder vortheilhaften 
Waffenthaten hoffen ließ, ihr Geluͤbde aufgaben und in 
den Dienſt des Kaiſers Balduin traten 28), und der 
bedeutenden Zahl von Rittern und anderen Pilgern, welche 
die Ermahnung des Biſchofs Nevelon von Soiſſons 
bewog, im Jahre 1207 nach Conſtantinopel ſich zu be— 
geben 29), die Macht der dortigen Ritter ſeit der Er— 


121) Epist. Innoc. III. Lib. VIII, berti de Monte im Recueil des his- 
69. Pp. 710 - 712. Vgl. Lib. VIII. tor. de la France T. XVIII. p. 342. 
epist. 130. Lib. IX. epist. 43. 134) Episcopus Suessonum cum 

122) Z. B. dem Grafen von Namur multa multitudine Gonstantinopo- 
und deſſen Mitpilgern, im Jahre 1206. lim adiir. Robertus de Monte ap- 
Epist. Innoc. III. Lib. IX, epist. 45. pend. ad Chron, Sigeberti Gemblaci 

123) Anonymi Continuatio RO- ad a. 1207. (in Pistorii Script. rer. 


Schwäche des neuen Kaiſerthums. 381 


oberung der Stadt irgend eine erhebliche Verſtaͤrkung 2 
erhielt. Die Venetianer verſchafften ſich einige Verftär, 
kung ihrer Macht in den ihnen unterworfenen Laͤndern 

des griechiſchen Kaiſerthums nur durch Liſt oder Gewalt— 
thaͤtigkeit, indem fie die Pilger, welche für die Fahrt 

nach dem gelobten Lande ſich ihren Schiffen anvertrauten, 
taͤuſchten und fie nach Griechenland oder Creta 
brachten 25). 

Auch bemuͤhten ſich der Kaiſer Balduin und die 
Barone des neuen Kaiſerthums, den Beyſtand der 
Pilger, welche fruͤher von ihnen ſich getrennt hatten und 
damals noch im gelobten Lande waren, ſich zu verſchaffen; 
und ſie ſandten in dieſer Abſicht als einladende Sieges— 
zeichen die Thore von Conſtantinopel und ein Stuͤck der 


geſprengten Hafenkette nach 


Germ. ed. Struve T. I.) p. 942. Der 
Biſchof kam aber ſelbſt nicht zurück 
nach Conſtantinopel, fondern ſtarb 
auf der Reiſe in Apulien und wurde 
zu Vari in der Kirche des heiligen 
Nicolaus begraben. Alberici Chron, 
ad a. 1205. p. 441. Auf die von dem 
Biſchofe Nevelon von Soiſſons ver— 
ſammelte Ritterſchaft bezieht ſich das 
am 9. Julius 1207 erlaſſene Schreiben 
des Papſtes Innocenz des Dritten 
(Epist. VIII, 74.) an den Erzbiſchof 
von Tours, aus welchem hervorgeht, 
daß der Biſchof Nevelon, weil er den 
Glauben hegte, daß die Turniere die 
Theilnahme an den Angelegenheiten 
des heiligen Landes hinderten, über 
die Ritter, welche auf den Turnieren 
zu Montdor und Laon geweſen was 
ren, den Bann ausgeſprochen hatte; 
als aber dieſer Bannſpruch die Wir: 
kung bervorbrachte, daß die Ritter 
ſich weder für dad heilige Grab be 


Ptolemais 12); gleichwohl 


waffnen, noch Geldbeyträge nach dem 
gelobten Lande ſenden wollten: ſo 
nahm der Biſchof den Bann zurück, 
was von guten Folgen war und auch 
von dem Papſte gebilligt wurde. 

125) Innocenz gab daher in einem 
Schreiben vom 27. Februar 1209 dem 
Patriarchen von Aquileja und dem 
Biſchofe von Padua den Auftrag, die 
Venetianer von fernern Gewaltthätig⸗ 
keiten dieſer Art abzumahnen, Epist. 
Innoc. III. Lib. XII, 2. 

126) Huus xis nolews nal E= 
uoxos 175 aAvosws, 7 dıaradEsioa 
ovveiys TOV Vavoraduov, Tois &v 
Zvele ouoyevioı era nAsiorwv 
nAoluv MEnöupeos Hal dıapnnav 
ayythovs anavray7 , F eie 
nöhsws Örargavuoovras & ννν⁰. 
Nicet. S. 383. Nach der Erzählung 
des Mönchs Albericus (ad a, 1205 in 


ar Chr. 
1204. 


1 


382 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. XI. 


berichtet Villehardouin nur von einer einzigen Geſellſchaft 
von ſyriſchen Pilgern, welche den Eroberern des griechiſchen 
Kaiſerthums ſich anſchloß. Nach dem Feſte des heil. Mar— 
tinus im J. 1204 kamen naͤmlich mehrere der Kreuzfahrer, 
welche von ihren Mitpilgern, als dieſe nach Venedig zogen, 
ſich getrennt und aus anderen Haͤfen unmittelbar nach dem 
gelobten Lande ſich begeben hatten, nach Conſtantinopel; 
unter dieſen Pilgern waren Stephan von Perche und Rein— 
hard von Montmirail, Vettern des Grafen Ludwig von 
Chartres und Blois, beide reiche und tapfere Herren, Dietrich 
von Tenremond, und mehrere andere angeſehene Ritter. 
Auch Hugo von Tiberias und deſſen Bruder Rudolph kamen 
mit dieſen Pilgern und brachten mit ſich viele andere 
Ritter aus dem gelobten Lande, ſo wie zahlreiche Scharen 
von Turcopulen und anderem Fußvolke. Obgleich dieſe 
Ritter mit großen Ehren zu Conſtantinopel empfangen 
wurden, und Stephan von Perche das Herzogthum Phila— 
delphia von dem Kaiſer Balduin als Lehen erhielt *?7), 
fo fand ihr Beyſpiel doch keine Nachfolger. Im folgen 
den Jahre, als das Kaiſerthum nach der ungluͤcklichen 
Schlacht bey Adrianopel in großer Gefahr ſchwebte, kamen 
fuͤnf große und ſchoͤne venetianiſche Schiffe, auf welchen 
ſiebentauſend aus dem gelobten Lande heimkehrende be— 
waffnete Pilger ſich befanden, unter ihnen Wilhelm, Vogt 
von Bethune, Balduin von Aubigny, Johann von Virſin 
und wohl hundert andere Ritter, in den Hafen von Con⸗ 


8 
x 


Leibnitii accessionib, histor. p. 427) lich diejenigen, welche der Kaiſer 


wurde die ganze Kette nach Ptolemais 
gefandt: ipsam catenam ruperunt, 
quae postea apud Acram fuit missa, 

127) Biftehard. S. 130. Die Schiffe, 
auf welchen dieſe Ritter nach Con⸗ 
ſtantinopel kamen, waren wahrſchein⸗ 


Balduin nach Ptolemais geſandt 
hatte, um ſeine Gemahlin Maria 
abzuholen. Vgl. D'Outreman Con- 
stantinopolis Belgica Lib. IV. c. 3. 
P. 270 und Geſchichte der Kreuzzüge 
Buch VII. Kap. . 


Schwaͤche des neuen Kaiſerthums. 383 


ſtantinopel; Conon von Bethune, welcher damals Befehls— 
haber der Beſatzung dieſer Hauptſtadt war, Milo aus 
Brabant und mehrere andere tapfere Ritter, auch der 
damals dort anweſende paͤpſtliche Legat, Cardinal Peter 
von Capua, begaben ſich zu dieſen Pilgern und baten ſie 
flehentlich und mit Thraͤnen, ſich ihrer bedraͤngten Mit— 
chriſten anzunehmen und in Lonſtantinopel zu bleiben. 
Die Pilger aber verſchloſſen ſolchen Bitten ihre Ohren 
und verließen den Hafen. Als ſie hierauf durch widrigen 
Wind in den Hafen von Rodoſto getrieben wurden: fo 
richteten an ſie dieſelbe Bitte der Doge von Venedig, der 
Marſchall Gottfried von Villehardouin und die uͤbrigen 
Ritter, welche von Adrianopel zuruͤckkehrten, und am 
Tage zuvor nach Rodoſto gekommen waren. Die Pilger 
verſprachen zwar, ſich deshalb mit einander zu bereden 
und am andern Tage ihren Beſchluß kund zu thun; in 
der Nacht aber nahm Johann von Virſin, ein Ritter aus 
dem Lande des Grafen von Blois, zu ſich auf ſein Schiff 
den Ritter Peter von Froiville, welcher, ebenfalls zur 
Ritterſchaft des Grafen von Blois gehoͤrend, an der 
Schlacht bey Adrianopel Theil genommen hatte, nunmehr 
aber auf ſchimpfliche Weiſe mit Zuruͤcklaſſung ſeines 
ganzen Heergeraͤths von ſeinen ungluͤcklichen Waffen— 
gefaͤhrten entwich; und als der Morgen anbrach, fo 
ſpannten die Pilger ihre Segel und fuhren davon, ohne 
die verſprochene Antwort dem Dogen von Venedig und 
dem Marſchall Villehardouin zu geben 28). 


J Chr. 
1204. 


128) Villehardouin, nachdem er de Froeville plus grant que tuit li 


(S. 184-136) das im Texte erzählte autre; et porce dit hom (on), que 
Betragen jener Pilger berichtet hat, mult fait mal, qui por paor (peur) 
fügt hinzu: Mult en regurent grant de mort fait chose qui li est re- 
blasme en cel pais ou il allerent et provee A toz iorz, 

en celui dontil partirent, et Pierre 


Che. 
3 


384 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. JI. 


Unter ſolchen Umſtaͤnden minderte ſich die Zahl der 
Vertheidiger des neuen Kaiſerthums bald ſehr bedeutend. 
Wenn auch die Zahl der Kreuzfahrer, welche ihren Aufent⸗ 
halt in Conſtantinopel verlängerten, nicht unbetraͤchtlich 
war, nachdem der paͤpſtliche Legat, Cardinal Peter, bald 
nach ſeiner Ankunft aus Syrien auf eine elgenmaͤchtige 
und von dem Papſte ſehr gemißbilligte Weiſe alle die 
jenigen Pilger, welche ſich zur Leiſtung des Heerdienſtes in 
Conſtantinopel fuͤr die Dauer eines Jahres verpflichteten, 
von dem Geluͤbde der Wallfahrt nach dem gelobten Lande 
entbunden hatte 25): fo war gleichwohl von dem unun— 
terbrochenen Kriege eine ſchnelle Verminderung des Heeres 
die natuͤrliche Folge; und nicht nur in den haͤufigen Ge— 
fechten fand mancher Kaͤmpfer ſeinen Tod, ſondern viele 
unterlagen auch den Anſtrengungen eines beſchwerlichen 
Kriegsdienſtes in einem Klima, an welches ſie nicht ge— 
woͤhnt waren **). Selbſt die vornehmſten Anführer des 
Heeres genoſſen nur kurze Zeit die Fruͤchte ihrer Siege. 
Der Graf Hugo von St. Paul, welchem in der erſten 
allgemeinen Theilung des Reichs die Stadt Didymoteichon 
zugefallen war, erkrankte ſehr bald nach der Eroberung 


129) Epist. Innoc. III. Lib. VIII. 
123. 126. In dem letzteren Briefe 
klagt der Papſt: quod crucesignati, 
relicto peregrinationis proposito, 
absoluti ad propria revertantur, et 
qui pracdictum imperium spolia- 
rant, illo immunito relicto, referti 
spoliis terga vertant. Die Maßregel 
des Cardinals war alfo nicht einmal 
von großem Nutzen für das neue 
Kaiſetthum. 


130) So erkrankten z. B. auf der 
Rückkehr des Kaiſers Balduin von 


Theffatonich ſehr viele der ihn beglel⸗ 
tenden Krieger und blieben entweder 
in den am Wege liegenden Städten 
und Buͤrgen zurück, oder ließen ſich in 
Sänften dem Heere nachtragen; von 
den damals erkrankten Pilgern ſtar⸗ 
ben vierzig Ritter, unter ihnen Peter 
von Amiens, des Grafen von St. 
Paul Vetter (cousins germains), 
Girard de Machicourt und Aegidius 
von Aunoy; auch Meiſter Johann 
von Noyon, des Kaiſers Kanzler, 
ſtarb damals zu Setre. Villehard. 
S. 120. 


Tod d. Dogen Dandulo u. mehrerer Barone. 385 


von Conſtantinopel an heftiger Gicht in den Knien und N 
Beinen, und ſtarb im Anfange des Jahres 1205 131); 
der Graf Ludwig von Chartres und Blois fand in dem— 
ſelben Jahre in der Schlacht, in welcher der Kaiſer Balduin 
in Gefangenſchaft gerieth, einen ruͤhmlichen Tod „ 
der Doge Heinrich Dandulo uͤberlebte nur kurze Zeit ſeine 
tapfern Waffengefaͤhrten und ſtarb um Pfingſten deſſelben 
Jahres, ſieben und neunzig Jahre alt 133); und der 
Markgraf Bonifaz von Montferrat wurde, unfern von 
Moſynopolis, im Gebirge Rhodope, auf einem Streifzuge 
gegen die Bulgaren, welche dort ſich feſtgeſetzt hatten, 


im Jahre 1207 erſchlagen "?*), 


131) Sein Leichnam wurde in der 
Kirche des heiligen Georgs von Man: 
gana (Sain George de la Mange; 
Villehard. S. 238, ogl. S. 130) und 
nach Nicetas (S. 303) in dem in die⸗ 
ſer Kirche befindtichen Grabmahle der 
Kaiserin Skleräna, der bekannten 
Geliebten des Kaiſers Constantinus 
Monomachus (zard tyv horn’ rav 
Ma yavım, ev 1c 7756 oedaorne 


ns Iulmgairns Wemweri) beyge⸗ 
fegt, ſoll aber ſpäter nach der Abıey 
Cercamp in Artois gebracht worden 
ſeyn. Vgl. Ducange zu Villehard. 
S. 338. a 

133) Villehard. S. 148. Irres 
wol 6 III Kouns Aoköinos. 
Nicet. S. 397. 

1230 Er farb am u, Junius an ei⸗ 
ner Krankheit und wurde mit großen 
Ehren in der Sophienkirche (in atrio 
ecclesiae S. Sophiae) begraben. Audr. 
Danduli Chron. p. 333. Villehard. 
S. 160. Sein Grabmahl fand ſich 
noch dert, als die Türken Conſtanti⸗ 
nopel eroberten, und wurde erſt da⸗ 


V. Band. 


U 


mals zerſtört; den Panzer, Helm, 
die Sporen und das ſehr verroſtete 
Schwert des Dogen, welche ſich in 
dem Grabmahle fanden, brachte der 
venetianiſche Maler Gentile Belino, 
welcher ſich einige Zeit bey dem Sul⸗ 


t Mahomet dem Zweiten aufgehal⸗ 


ten hatte, nach Venedig und übergab 
dieſe Ueberbleibſel den Nachkommen 
des Heinrich Dandulo (ad Dandulos 
Divi Lucae Henrici Gentiles detu- 
lit). Ramnus. p. 214. 215; vgl. Du⸗ 
cange zu Villehard. S. 340. 

134 Nachdem er zuvor bey Moſy— 
nopolis eine Zuſammenkunft mit dem 
Kaiſer Heinrich, ſeinem Schwieger— 
ſohne, gehalten, demſelben den Lehens— 
eid geleiſtet und mit ihm für den 


nächſten Oktober eine gemeinſchaft⸗ 


liche Unternehmung gegen den König 
Johann verabredet hatte. Bey Ge— 
legenheit dieſer Unterredung bot Bo— 
nifaz dem Marſchall Gottfried Ville— 
hardouin als Lehn entweder Mo ſy— 


nopolis oder Serrae an, die Wahl 


ihm überlaſſend (Lors dona li Max- 
chis Bonifaces a Geoffroi de Ville - 


B b 


J. Chr. 
1204. 


75 


386 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Da die geringe Zahl der Krieger, welche dem Kalſer 
von Conſtantinopel und ſeinen Baronen zu Gebote ſtan— 
den, ſich eher verminderte als vermehrte, die Feinde des 
neuen Kaiſerthums aber mit jedem Tage zahlreicher wur— 
den und von allen Seiten die Herrſchaft der Lateiner 
bedraͤngten oder bedrohten: ſo konnte die Ritterſchaft 
von Conſtantinopel in der Theilung ihrer Kraͤfte, welche 
die von allen Seiten drohende Gefahr nothwendig machte, 
nirgends mit großem Nachdrucke handeln *3°), und die 
glänzende Tapferkeit, welche fie in vielen Gefechten bewies, 
erregte zwar Bewunderung, brachte aber nur geringen 
Nutzen. Niemals konnten zu Einer Unternehmung mehr 
als hoͤchſtens hundert und zwanzig Ritter mit ihren 
Knappen aufgeboten werden, und die Vertheidigung der 
Hauptſtadt und anderer wichtigen Plaͤtze mußte gewoͤhn— 
lich einer noch geringeren Zahl uͤberlaſſen werden ); 
die Ritter waren daher mehr als einmal der Verzweifelung 
nahe, indem ſie das eroberte Land ſchon fuͤr verloren 
achteten :). Die Herrſchaft der Kreuzfahrer in Con— 
ſtantinopel wuͤrde ſicherlich nicht ein halbes Jahrhundert 
ſich erhalten haben, wenn unter den Griechen ein Mann 
geweſen waͤre, welcher es vermocht haͤtte, Zutrauen ſich 


Hardoin, le Mareschal de Romenie 
et deChampaigne, la cite de Messi- 
nople ä totes ses apertenances, ou 
celi de la Serre, laquelle que il 
ameroit mielz, et cil en fu ses hom 
liges, sauve la fealte P’Empereor de 
Constantinople). Villehard. S. 209. 
Uebrigens ſchließt Villehardouin ſein 
Werk mit dem Tode des Markgrafen 
Bonifaz, ſo wie Nicetas ſeine Er⸗ 
zählung endigt mit dem Zuge des 
Kaiſers Heinrich nach Adrianopel, 
welcher kurz vor dem Tode des Mark⸗ 


grafen Statt fand, und von Vitle⸗ 
hardouin S. 203 — 208 erzählt wird; 
der Kaiſer begab ſich von Adrianopel 
unmittelbar nach Moſynopolis zur Un⸗ 
terredung mit ſeinem Schwiegervater. 
133) Por ce que il estoient espars 
en tant de leus (lieux). Villebard. 
S. 191. a 

136) Vgl. Villehard. S. 141. 170. 
174. 100 und an andern Stellen. 

137) Car la terre se perdoit tote. 
Villehard. S. 141, vgl. S. 170 und 
an andern Stellen. 


Tod der Kaiſer Angelus und Ducas. 387 


zu erwerben, die Kräfts feines Volks zu vereinigen und? 
eine planmäßige Bekaͤmpfung der Lateiner zu ordnen und 
zu leiten. 

Die beyden Kaiſer, Alexius Wibelus und Alexius 
Ducas, welche vor der Eroberung der Stadt durch die 
Kreuzfahrer fluͤchtig geworden waren, hatten nicht die 
Eigenſchaften, welche ihnen nothwendig geweſen waͤren, 
um ihr Reich wieder zu erobern; und beyde endigten ihr 

Leben auf eine hoͤchſt unruͤhmliche Weiſe. Alexius Ducas, 
| welcher, wie bereits oben berichtet worden iſt, von ſei— 
nem Schwiegervater, dem Kaiſer Alexius Angelus, der 
Augen war beraubt worden, fiel im Herbſte des Jahres 
1204, als er es verſuchte, mit wenigen Begleitern uͤber 
die Meerenge des heiligen Georg nach Aſien zu entfliehen, 
in die Gewalt des Ritters Dietrich von Los und wurde 
nach Conſtantinopel geführt ss). In der Rathsverſamm— 
lung, in welcher der Kaiſer Balduin mit ſeinen Baronen 
uͤber das Verfahren, welches gegen den Gefangenen an— 
zuwenden waͤre, ſich beſprach, waren alle der Meinung, 
daß ein Mann, welcher ſeinen Kaiſer und Herrn, den 
jüngern Alexius, ermordet hätte, eine ſchwere Strafe 
verwirkt habe; es wurde in dieſer Rathsverſammlung, 


nachdem verſchiedene Vorſchlaͤge waren gemacht und ver 


worfen worden *), endlich beſchloſſen, ihn von der 


138) Villehard. S. 126; vgl. Nicet. 
S. 392, Gunther p. xvıı, Nach 
Georgius Akropolites wurde Alexius 
von den Italienern bey Moſynopolis 
gefunden. 

159) Cumque de morte ipsius cer- 
ta omnium esset sententia, de ge- 
nere tamen mortis multa erat inter 
eos disceptatio, quibusdam censen- 
tibus, eum laqueo suffocari, quem - 


admodum ipse dominum suum per- 
emerat, aliis vero vivum flammis 
immitti, vel saxo alligato pelago 
immergi, vel terrae infodi, vel 
detracta pelle totius corporis vis- 
cera denudari, vel truncari omni- 
bus membris, vel si quid aliud atro- 
cioris poenae in hominem scelera- 
tum posset ab aliquo reperiri. Quid 
putas misero tunc animi fuisse, cum 


B b 2 


J. Chr. 


1204. 


388 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


hohen Saͤule, welche auf dem Forum des Theodoſius 
ſtand, herabzuſtuͤrzen, und dieſe Strafe wurde bald her— 
nach unter großem Zulaufe des Volks vollzogen ). 


audliret eos de morte sua tam subti- 
liter disputantes, nisi; quod dolor 
luminis amissi mortis vicinae for- 
midinem leniebat, Guuth, p. xvııı, 
Villehardouin bemerkt (S. 127) blos, 
daß der Kaiſer Balduin ſich mit ſei⸗ 
nen Baronen darüber berathen habe 
(en prist conseil à ses homes), was 
mit einem Manne anzufangen wäre, 
welcher ſeinen Herrn ermordet hätte. 
Nach der Erzählung des Nicetas 
(a. a. O.) ſuchte Murtzuflos bey den 


räther ſeines Vaterlandes geweſen 
und habe alſo nur die verdiente 
Strafe erlitten, und ſeine Ermordung 
ſey überhaupt die gemeinſchaftliche 
That ſeiner Verwandten geweſen. 


140) Eis yd riv νεαν ννοονν avd- 
tre ziova, o Tavoog 7 oe, 
“rw Baklovon Georg. Acropol, 
P. 5. Dieſe Säule (qui ere une des 
plus haltes et des mielz ovrées de 
marbre, qui onques fu veue d’oeil, 
Villehard.) bie alfo Taurus, und 
daher erhielt der theodoſiſche Markt 
(jeßt Tauk basari oder Hühnermarkt, 
ſ. Joſ. v. Hammer Conſtantinopolis 
und der Bosporus Th. I. S. 170.171) 
auch den Namen Markt des Taurus. 
(o ados, vgl, Ducangii Constan- 
tinop. Christ. Lib. II. 7. p. 76 sq.) 
Dieſe Säule war eines von den Denk: 
mãhlern/ welche die Griechen ororysı- 
bo (tatidica) nannten, weil fie 
Weiſſagungen zukünftiger Ereigniſſe 


enthalten ſollten. Nach der Erzählung 
Villehardouin's war auf dieſer Säule, 
unter vielen andern in Marmor ge⸗ 
arbeiteten Bildern, das unglückliche 
Ende des Murtzuſtos prophetiſch dar⸗ 
geftelit durch das Bild eines Kaiſers, 
welcher herabfiel (si chait outre val), 
und man deutete auch ſchon feit lan» 
ger Zeit dieſe Darſtellung als Weiſſa⸗ 
gung von dem Schickſale eines Kai⸗ 
ſers, welcher von dieſer Säule herab⸗ 
geſtürzt werden ſollte. Der Mönch 
Günther, welcher (a. a. O.) eine aus⸗ 
führliche Beſchreibung der Säule mit⸗ 
theilt und auch der an derſelben be— 
findlichen prophetiſchen Darſtellungen, 
beſonders der Darſtellung der Ein⸗ 
nahme einer Stadt durch eine feind⸗ 
liche Flotte, erwähnt, behauptet, daß 
die dem Murtzuftos zuerkannte Todes⸗ 
art als die am wenigſten ſchimpfliche 
gewählt worden ſey. „Placuit tan- 
dem principibus, pro eo, quod li- 
cet homo nefarius alti tamen san- 
guinis erat, eum super alt issimam 
pyramidem duci et inde longo as- 
scri alligatum. praecipitem jaculan- 
do dari, ut qui de alto regni statu 
subita dejectione corruerat, nihi- 
lominus ab alto cadens, 
miserrimam quidem, sed non tur- 


mortem 


pissimam inveniret. Quod ubi fa- 
ctum est, toto corpore conquassa- 
tus, cum dolore et miseria infeli- 
cem spiritum exhalavit.““ Villehar⸗ 
douin beſchreibt (S. 127) alſo den 
Tod des Murtzuflos: Ensi fu menez 
a la colonne l’Empereor Morchu« 
flex et fu menez sus, et toz li 
pueples de la citez acorrut por veoir 


m 


171 


F 
Tod der Kaiſer a und Ducas. 389 


Nicht lange zuvor war Alexius Angelus der aͤltere, nebſt 
ſeiner Gemahlin Euphroſyne, Gefangener des Markgrafen 
Bonifaz geworden, welcher ihn nach Montferrat fuͤhren 
ließ und ſeine Purpurſtiefeln * kaiſerlichen Ge 


wande dem Kaiſer Balduin uͤberf 


la merveille: lor fu botez à val et 
chai de si halt, que quant il vint 
A terre, que il fu toz esmicz (Fra- 
cassé). Nicetas berichtet (a. a. O.) 
ſogar ſehr genau die Richtung des 
Falles; zuerſt waren die Füße wäh: 
rend einer Weile niederwarrs gerich— 
tet, hierauf drehte ſich der Körper, 
ſo daß der Kopf niederwärts gerichtet 
war, endlich fiel Murtzufios ſchräg 
auf die Seite und wurde derſchmettert 
(6 o m nous ulygı Tıvös narıwv, 
era avarganeis fdr »0ga, ü 
uerd Boay) zoragoaysis Öoyuıos 
dıtöönser oirgörara zw wuyV). 
Uebrigens war das Herabſtürzen von 
Höhen eine im Mittelalter (beſonders 
bey den Franzoſen) nicht ungewöhnliche 
Art der Todesftrafe, welche besonders 
gegen Verbrecher von höherem Stande 
in Anwendung gebracht wurde, wie 
Ducange (zu Villehard. Kap. 163. 
S. 330 mit Anführung einiger Bey— 
ſpiele bemerkt. Auch bey den Griechen 
war dieſe Art der Todesſtrafe gebräuch» 
lich; denn Leo Sgurus, Tyrann von 
Corinth, ließ nach der Erzählung des 
Nicetas (S. 410) den Erzbiſchof von 
Corinth, nachdem er ihn hatte blen⸗ 
den laſſen, von einem Felſen herab— 
werfen. 


it) Villehard. S. 127. 128. Nice⸗ 
phorus Gregoras, welcher ausführlich 
die weitern Schickſale und das Ende 
des Alexius erzählt (Lib. I. o. 2 3, 


dte **); Alexius kam 


p. 9-12), ſagt ebenfalls, daß der 
flüchtige Kaiſer von dem Markgrafen 
gefangen worden ſey (Ec A v auros 
2 Movrnopsgavrov nagpxsoiw), 
fegt dann aber hinzu, daß er, nad 
dem man ihn ſeiner Schäge beraubt 
habe, freygelaſſen worden und hier— 
auf längere Zeit in Achaja und dem 
Peloponnes herumgeirrt ſey. Nach 
der Erzählung des Nicetas (S. 394) 
ergab ſich Alexius Ducas freywillig 
dem Markgrafen, bedung ſich gewiſſe 
Einkünfte (-D usronToV zal #0- 
rue #tvaowa) und wurde ‚nach 
der Stadt Halmyros verwieſen. Nach 
Georgius Akropolites, welcher eben: 
falls die fernern Schickſale des Ale⸗ 
xius Angelus berichtet, verdankte der 
flüchtige Kaiſer die gute Aufnahme in 
Theſſalonich der Gemahlin des Mark— 
grafen Bonifaz, der ehemaligen Ge— 


mahlin des Kaiſers Iſaak Angelus. 


Daß übrigens der Kaiſer Alexius 
Angelus von dem Markgrafen Bonir 
faz, wie Villehardouin erzählt, wirk— 
lich nach Montferrat geſandt wurde, 
bezeugt eine merkwürdige Urkunde, 
welche mitgetheilt worden iſt in Gio 
seffantguio Molinari Storia d Incisa 
e del gia celebre suo marchisato 
(Asti 1810. 2 Voll. g.) Vol. I. p. 196 
— 199, und aus derſelben in Michaud 
Hist. des Crois, T. 3. p. 6371. Nach 
dieſer Urkunde, welche am 5. Auguſt 
1204 ausgeſtellt wurde, kamen zwey 
Ritter des Markgrafen Bonifaz (ambo 


J. Chr 
1994. 


J. Chr. 
1204. 


14 
390 Geſchichte der a8 


uͤge. Buch FI. Kap. XI. 


ſpaͤter noch einmal wieder in Freyheit, verſuchte es, mit 
Huͤlfe der Tuͤrken ſeinen Eidam Theodorus Laskaris aus 
dem Beſitze des Landes, welches dieſer fich unterworfen hatte, 


zu verdraͤngen, fiel 
endigte ſein Leben in 


er in deſſen Gefangenſchaft und 
em aſiatiſchen Kloſter. 


Theodorus Laskaris beſchraͤnkte ſeine Herrſchaft auf 
Nicaea und einige benachbarte Staͤdte und Inſeln *); 


und er fand auch in der 


eapitanei equitum serenissimi Boni- 
facii Marchionis Montisferrati et 
supremi Ducis omnium Christiana- 
rum potentiarum), Jacobus Alberti, 
aus dem Geſchlechte der Markgrafen 
von Inciſa, und Antoniellus Molinari, 
welche den Kaiſer Alexius als Gefan— 
genen und deſſen Gemahlin und Töch— 
ter von Theſſalonich nach Caſale in 
Montferrat geführt hatten (declara- 
verunt, se contulisse militando cum 
Serenissimo Bonifacio, eorum duce, 
ad magnam Constantinopoli civita- 
tem (capiendam), et’illa capta ab 
ipso Serenissimo Duce redivisse una 
cum gloriosissimo ejus filio Gu- 
lielmo ad Civitatem Casalis Montis- 
ferrati et in eam Alexium Impera- 
torem illum victum et captum cum 
uxore et filiis ejus traduxisse), nach 
Inciſa und überreichten in der dorti— 
gen Pfarrkirche St. Johannis des 
Täufers dem Markgrafen Heinrich 
von Inciſa und deſſen verſammeltem 
Rath ein von ihnen zu Conſtantinopel 
erbeutetes, anderthalb Palmen hohes, 
oben und unten mit einem gefchnitte: 
nen Edelſteine (gemma una) ge 
ſchmücktes ſilbernes Kreuz, in deſſen 
Mitte ein anderes kleines, aus dem 
Holze des wahren Kreuzes verfertig⸗ 
tes Kreuz befeſtigt war, ſo wie einen 
Beutel mit Mais, einer bis dahin in 


Vertheidigung dieſes kleinen 


jener Gegend unbekannten Frucht, 
welche ſie auf einem Streifzuge in 
Natolien gefunden hatten und des 
Anbaues in ihrem Vaterlande fähig 
hielten. Donaverunt eorum patriae 
bursam unam capacitatis octavae 
partis stadii unius de hac mensura 
plenam de semine seu granis de 
colore aureo et partim albo, non 
amplius antea visis in regionibus 
nostris, qui dixerunt detulisse ab 
una provincia Asiae Natolia dicta, 
per quam cum equitibus suis in- 
cursiones exsecuti erant tempore 
eircumvallationis magnae illius ci 
vitatis Constantinopoli, et vocari 
Meliga (melica), quae tractu tem- 
poris magnum redditum et subsi- 
dium patriae compararet. Der Mark 
graf Heinrich und feine Rathsherren 
(consules) nahmen dieſes Geſchenk 
mit großer Dankbarkeit an, legten 
den mit Mais gefüllten Beutel in das 
Nathsarchio (pro seminatione et 
collectione promissi fructus ad hu- 
ius populi utilitatem, si terrae qua- 
litas, aëx et cultura favebunt, uti 
sperant), und ließen zum Andenken 
ſolcher Schenkung eine eigene Ur— 
kunde abfaffen und von Zeugen und 
Notarius unterſchreiben. 


142) Nicet. S. 410. 


Die Griechen in Kleinafien. 391 
Reiches hinlaͤngliche. Beſchaͤftigung, da feine Herrſchaft 
anfaͤnglich von den Lateinern ihm ſtreitig gemacht und 
bald auch von andern Seiten bedroht wurde. Außer 
andern Griechen, welche neben dem Kaifer Theodorus es 
verſuchten, in einzelnen kleinaſtatiſchen Landſchaften und 
Staͤdten unabhängige Fuͤrſtenthuͤmer zu gruͤnden, errichtete 
Alexius der Comnene, Enkel des ungluͤcklichen Kaiſers 
Andronikus, mit Huͤlfe ſeines thaͤtigen Bruders David 
einen neuen kaiſerlichen Thron in Trapezunt, und vers 
ſchaffte ſich die Unterſtuͤtzung der lateiniſchen Ritter von 


Romanien, welche David dagegen mit Lebensmitteln ver⸗ 


J. Chr. 
1204. 


85). So wie die Griechen, welche in Kleinaſien auf 


den Trümmern des roͤmiſchen Kaiſerthums neue Reiche 


und Fuͤrſtenthuͤmer gründeten, unter fich ſelbſt in beſtaͤn⸗ 
digem Streite waren: eben ſo ſtanden ſie in ſchlechtem 
Vernehmen mit Leo Sgurus, Fuͤrſten von Corinth und 
Nauplia, Michael von Epirus und den uͤbrigen, welche 
in den europaͤiſchen Provinzen des griechiſchen Kaiſer— 
thums Fuͤrſtenthuͤmer und Herrſchaften ſich angemaßt 
hatten *). Dieſem Mangel an Eintracht unter den 
Griechen, ſo wie der Vertheilung der Truͤmmer des grie⸗ 
chiſchen Kaiſerthums unter eine nicht geringe Zahl von 
Emporkoͤmmlingen verdankten vornehmlich die Lateiner 


die Verlaͤngerung der Dauer ihres auf einem ſonſt un- 


haltbaren Boden gegruͤndeten Reiches; und die meiſten 
jener Emporkoͤmmlinge übten an ihren Unterthanen ſchlim— 
mere oder wenigſtens eben ſo harte Erpreſſungen und 


Kaiſers Andronikus, und die Grün: 


133) Er verſah die Lateiner nach 
Nicetas (S. 412) mit geſalzenem 
Schweinefleiſch (zodaoım i ν Ta- 
C,,). Ueber die Brüder Alexlus 
und David, Söhne des Manuel 
Comnenus, des älteſten Sohns des 


dung des Reichs von Trapezunt, ſ. 
Jak. Ph. Fallmerayer Geſchichte des 
Kaiſerthums von Trapezunt (Mün— 
chen 1827. 4.) S. 41 folg. 


144) Nicet. S. 402. 303. 410. 


J. Chr. 
N 


J. Chr. 
1205, 


392 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Bedrückungen, als die lateiniſchen Barone in ihren Herr, 1 
ſchaften ſich erlaubten **), in 


In größere Gefahr aber, als durch die Griechen, 
wurde das lateiniſche Kaiſerthum ſehr bald nach ſeiner 
Gruͤndung gebracht durch Johann, Fuͤrſten der Walachen 
und Bulgaren, den Nachfolger feiner. beyden aͤlteren 
Bruͤder, Aſan und Peter, welche die Bulgarey der grie⸗ 
chiſchen Herrſchaft entzogen und in derſelben ein unabs 
haͤngiges Reich gegruͤndet hatten ). Johann hatte, 
ſobald er ſeinem Bruder Peter als Beherrſcher der Bas, 
lachen und Bulgaren gefolgt war, ſich und ſein Rei 
der kirchlichen Hoheit des roͤmiſchen Biſchofs unterworfen, 
war dafuͤr von Innocenz dem Dritten mit dem koͤniglichen 
Titel, Zepter, Diadem und einem Panier zum Gebrauche 
im Kampfe wider die Feinde des Glaubens belohnt, und 
von dem Cardinale Leo, welcher jene Geſchenke uͤberbrachte, 
als König der Walachen und Bulgaren geſalbt und ge 
kroͤnt worden **). Johann beſchraͤnkte aber nicht feine 
Herrſchaft auf die Laͤnder der Walachen und Bulgaren, 
ſondern er ſetzte ſich auch in den Beſitz mehrerer Staͤdte 
und feſter Platze jenſeit des Haͤmus, vornehmlich mit 
Huͤlfe zahlloſer Horden von Comanen 18), indem er 


145) Die härteſte Bedrückung unter dem Innocenz ihn als König aner: 
allen übte Leo Sgurus. Nicet. S. 310. kannt hatte (c. 108): Rex Bulgaro- 
rum et Blacorum. Villehardouin 
nennt ihn (3. B. c. 206. p. 161): Jo- 
hannis le Roy de Blakie et de 

147) Im Jahre 1204; ſ. Gesta In- Bougrie. 
nocentii III. c. 63 - 77 und die dar 143) Die Comanen (Li Commain 
ſelbſt angeführten Briefe des Papſtes oder Comain bey Villehardouin z. B. 
Innocenz. Der König Johann heißt = 187. 244. p. 146. 197) waren 
dort c. 70): Johannitius sive Calo- ein nomadiſches, den Petſchenegen 
johannes, dominus Blacorum et (arbendazais bey den Byzantinern) 
Bulgarorum, und ebendaſelbſt, nach- verwandtes, alſo tatariſches Volk, 


146) Zur Zeit des Iſaak Angelus 
um das Jahr 1183. Nicet. S. 236 folg. 


393 

die damalige Verwirrung und Schwaͤche des griechiſchen I, Chr. 
Kaiſerthums benutzte. Als die Lateiner Conſtantinopel 5 
erobert hatten, ſandte er zu ihnen Botſchafter und ließ . 
ihnen Freundſchaft und Buͤndniß antragen; ſein Antrag 
wurde aber mit Stolz und Verachtung zuruͤckgewieſen . 
Hierauf ruͤſtete er ſich zum Kriege wider die ſtolzen Ritter, 
und ſandte die Griechen, welche zu ihm kamen und feinen 
Schutz ſuchten, zuruͤck mit der Anweiſung, die von den 
Lateinern beſetzten Staͤdte von Romanien zum Aufſtande 
und zur Empörung wider ihre Zwingherren zu reizen ). 
Dieſe Maßregel hatte den Erfolg, daß die Kreuzfahrer 
ſehr bald ſich genoͤthigt ſahen, faſt alle ihre Eroberungen 
in Romanien bis auf Conftantinopel und menige andere 
Städte und ſpaͤterhin auch die in Kleinaſten beſetzten 
Plaͤtze zu verlaſſen. 

Der Kampf gegen die Walachen und Bulgaren und 
gegen die zahlloſen comaniſchen Horden, mit welchen der 
Koͤnig Johann das neue Kaiſerthum angriff, war den 
abendlaͤndiſchen Rittern nicht weniger gefaͤhrlich, als im 


Krieg gegen die Walachen u. Bulgaren. 


welches auch dieſelbe Sprache wie die 
Petſchenegen redete. Vgl. Annae 
Comn. Alexias Lib. VIII. p. 232. Es 
geſchieht der Comanen zuerſt Erwäh— 


welches von ſeinen Vorfahren ſchon 
beſeſſen worden, wieder an ſich ge— 
nommen hätte, und, da er außerdem 
von dem Papſte als König anerkannt 


nung auf Veranlaſſung ihrer Plün⸗ 
derung von Adrianopel im Jahre 
1078. Vgl. Stritter Memoriae po- 
pulorum T. III. P. II. p. 951. 


140) Sie gaben ihm zur Antwort, 
daß ſie nicht anders Frieden mit ihm 
halten würden, als wenn er das 
zum Kaiſerthume von Conſtantinopet 
gehörige Land, welches er ungerech— 
ter Weiſe an ſich gebracht hätte, zu⸗ 
rückgäbe; worauf der König Johann 
erwiederte, daß er nur das Land, 


worden ſey, ſein Land mit größerem 
Rechte beſäße, als die Lateiner Con⸗ 
ſtantinopel und der Graf Balduin die 
kaiſerliche Krone (ipse, qui se appel- 
labat Constautinopolitanum Basi- 
leum, coronam Imperii temere 
usurpaverat a se ipso), er würde 
alfo mit dem Paniere des heil. Petrus 
vertrauensvoll gegen diejenigen Fame 
pfen, welche falſche Kreuze auf ihren 
Schultern trügen. Gesta Innoc. III. 
C. 108. 


150) Nlcet. S. 394 


J. Chr. 
1205, 


394 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI. 


Morgenlande der Kampf wider die Tuͤrken. Wenn auch 
die geharniſchten Ritter mit ihren Lanzen und Schlacht⸗ 
ſchwertern und durch die gewaltige Kraft ihrer Schlacht; 
roſſe im erſten Angriffe ihre leichtbewaffneten Feinde zu 
Boden warfen: ſo hatten dieſe dagegen, wenn der Kampf 
ſich verlängerte, großen Vortheil durch, ihre leichteren 
Waffen. und ihre behenderen Pferden). Selbſt die Ge⸗ 
ſchicklichkeit der franzoͤſiſchen. Bogenſchuͤtzen vermochte 
wenig gegen ein Reitervolk, welches niemals in geſchloſ— 
ſenen Scharen kaͤmpfte; und die Tapferkeit der Ritter 
und ihrer Knappen ermuͤdete doch auch endlich in dem 
beſchwerlichen Kampfe gegen die unermeßliche Zahl vor⸗ 
nehmlich der comaniſchen Hordenz, welche / auch wenn fe. 
beſiegt wurden, ihre Angriffe ſtets wieder erneuten — 


4146 


„N N. 


181) Villehardouin macht (S. 160), 
indem er das im Jahre 1206 vorge 
fallene Gefecht der Ritter bey Ruſtum 


gegen die Walachen, Bulgaren und 


Eomanen beſchreibt, aufmerkſam auf 
dieſen Umſtand: cil (nämlich die 
Ritter) furent pesament arme et cil 
legierement, lor anemi; auch Nice: 
tas (S. 396) leitet ſowohl von dleſem 
Umftande, als von den behenden 
Pferden und der überlegenen Zahl 
der Scharen des Königs Johann den 
für den Kaiſer Balduin fo unglück— 
lichen Ausgang der Schlacht bey 
Adrianopel her. Vgl. Georg. Akro— 
pol. S. 12, und Nicephorus Gregoras 
Lib, I. & 2. p. 8, welche ebenfalls 
von dem Nachtheile reden, in wel: 
chem die ſchwer bewaffneten Lateiner 
gegen die leicht bewaffneten Coma⸗ 
nen (Zaha) und Bulgaren ſich 
befanden. Die serjans a cheval, 
welche die Ritter begleiteten, waren 


allerdings wohl leichter bewaffnet, 
als die Ritter; aber doch in dieſer 
Hinſicht nicht vergleichbar den Scha⸗ 
ren des Königs Johann. Wir bemer⸗ 


ken gelegentlich, daß die Abtheilungen 


dieſer Serjans Rotten genannt wurden 
(3. B. bey Villehardouin c. 187. 
P. 45: une rote de serians Acheval), 
und diefes Namens erwähnt auch 
Nicetas (S. 399): Cora, uorga 100 
orgaTsvugrog; eine Rotte von ser- 
jans, welche bey Villehardouin (0. 216. 
P. 17) vorkommt, zählte 2000 Mann 
(bien deux mil), In dem Kriege 
gegen den König Johann gebrauchten 
die Ritter auch Turcopulen, ebenfalls 
eine leichtere Miliz und Armbruſt— 
ſchützen zu Pferde (Turcoples et ar- 
balestriers a cheval); Truppen dieſer 
beyden Arten ſtanden damals unter 
dem Befehle des Marſchalls Gottfried 
von Villehardouin. Villeh. Kap. 229. 
S. 181. 


Krieg gegen die Walachen u. Bulgaren. 395 


wie die Tuͤrken, viel furchtbarer waren, wenn ſie flohen, LE: 
als wenn ſie zum Kampfe ihren Feinden ſich entgegen 
ſtellten. Die Unkunde der Kreuzfahrer in dem Kampfe mit 
einem ſolchen Volke hatte den ungluͤcklichen Ausgang der 
Schlacht bey Adrianopel zur Folge, in welcher der Kaiſer 
Balduin, als er mit einer allzugeringen Zahl von Rittern 
die, von dem Koͤnige der Bulgaren und Walachen mit 
zahlreichen Truppen beſetzte, Stadt Adrianopel zu belagern 
verſuchte, am Donnerstage nach Oſtern des Jahres 1203 mit 


in Gefangenſchaft gerieth, der Graf Ludwig von Chartres 
und Blois, und viele andere tapfere Ritter derſchlagst 


wurden *). 


Der König Johann verſtand es aber nicht / die B Vor⸗ 


theile des gewonnenen Sieges zu verfolgen. 


Zwar vertrieb 


er die lateiniſchen Ritter nach und nach faſt aus allen 


Staͤdten, 
hatten HN auch ſtreiften 


welche fie in dem Lande Romanien erobert 


die Walachen und Comanen 


mehrere Male bis an die Thore von Confantinppel, das 
Land auf das ſchrecklichſte verwuſtend, und die Comanen 
uͤberwaͤltigten ſogar das Thor des heiligen Romanus 
und erſchlugen diejenigen, welche fie dort antrafen ); 


152) Ueber dieſe Schlacht f. Ville⸗ 
hardouin €. 183 192. p. 143 149. 
Literae Henrici, fratris Imperatoris 
(Balduini) ad Innoc, III. in Epist. 
In noc. III. Lib, VIII. 131. p. 765 sd. 
Nicetas S. 303. 306. Georg. Akrop. 
S. 11.12, Nicephorus Gregoras Lib. I. 


0. 2. p. g. Hugo Plagon S. 669 - 67. 


153) Im Jahre 1206 beſaßen die 
Ritter außer Conſtantinopel nur die 
Städte Bizya (Versoi), wo Anſelm 
von Eahteu mit 120 Rittern war, und 


Selybria (Salembrie), welche Maka⸗ 
rius von St. Menehoult mit 50 Rit⸗ 
tern beſetzt hielt. Villehard. Kap. 220. 
S. 174. 


154) Li Comain orent coru (um: 
mittelbar nach der Schlacht bey 
Adrianopel) trosque deyant Con- 
stantinople, Villehard. Kap. 20g. 
S. 158.159. Lors (nachdem der König 
Zohann im Jahre 1206 die Stadt 
Tzurulum überwältigt hatte (corru— 
rent li Commain et li Blac devant 


396 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI. 


FR aber Johann machte niemals einen Verſuch, Conſtanti— 


nopel zu erobern, und die ſchrecklichen Verwuͤſtungen, 
welche ſeine unbaͤndigen und durch keine Zucht gezuͤgelten 
Scharen ohne Unterſchied in dem Lande der Freunde und 
Feinde uͤbten, machten ſeine Herrſchaft den Griechen 
bald nicht minder verhaßt, als ihnen die Herrſchaft der 
lateiniſchen Ritter geweſen war **); fo daß die Gewalt 
des bulgariſchen Koͤnigs in Romanien keine Feſtigkeit 
gewann *). Auch war die Ausführung planmaͤßiger Unter— 
nehmungen fuͤr ihn ſehr ſchwierig, weil die Comanen, 
deren Beiſtand ihm ſeine Eroberungen moͤglich machte, ihrer 
Gewohnheit treu blieben, im Sommer in ihre Heimath 
zuruͤckzukehren und dort zu ruhen, und jeder Unternehmung 
abgeneigt waren, welche nicht unmittelbar und mit Sicher; 
heit eine reiche Beute erwarten ließ! ). 


Sobald die Kreuzfahrer die ſichere Kunde erhalten 
hatten, daß der Kaiſer Balduin in der Gefangenſchaft 
geſtorben war 238); ſo wurde fein Bruder Heinrich, 


les portes de Constantinople, ou 
Henris li Bals de Il' Empire ere a 
tant de gent com il avoit, mult 
dolenz et iriez, perce que il ne 
pooit avoir tant de gent qwil peust 
sa terre deffendre; et en pristrent 
li Comain les proies de la terre et 


homes et fames et enfanz, et abati- 


zent les citez et les chastiax, et 
firent si gränt essil (degat), que 
onques nus hom n’oi parler de si 
grant. Villehard. Kap. 210. S. 173. 
Vgl. Kap. 241. S. 191. Kap. 244. S. 107. 


155) Nicetas S. 305. 


130) Nicetas S. 408. 400. 


157) Johan li Rois de Blakie et de 
Bougrie ne pot plus ses Comaius 
tenir en la terre, que il ne poent 
plus hostier por l’este ; ainz reparic- 
rent en lor pais, Villeh. Kap. 204. 
S. 260; vgl. Kap. 244. S. 197. 


138) Die Barone erhielten die ſichere 
Nachricht von dem Tode des Kaiſers 
Balduin erſt im Sommer des Jahres 
1206 durch Reinhard (Reniers) von 
Trit, welcher in der Burg Stenima: 
chus (Stanimac) in der Eparchie von 
Philippopolis (vgl. Nicetas S. 334) 
eingeſchloſſen war, als ſie jene Burg 
entſetzten; bis dahin hatten ſie wohl 
von dem Tode des Naiſers gehört, aber 


a 


Kroͤnung des Kater Denn 
welcher bis zu dieſer Zelt als Reichs verweſer WMehbdas 


397 


Kaiſerthum verwaltet hatte, als Kaiſer gekroͤnt “e), und 
der neue Kaiſer eilte, die Gunſt des Markgrafen Bonifaz 


von Montferrat dadurch ſich zu verſchaffen, 
deſſen Tochter Agnes zur Gemahlin nahm ). 


nicht daran geglaubt. Villeh. Kap. 230. 
S. 182. Die verſchiedenen Nachrichten 
von dem Schickſale des Kaiſers Bal⸗ 
duin ſ. in Petri d'Outreman Con- 
stantinop. belg. Lib. IV. c. 15. 
P. 366 s.; vgl. Fr. von Naumer’s 
Geſch. der Hohenſtaufen Th. 3. S. 237, 
wo zu den, in der Anmerkung ». 
angeführten, Momenten noch beyzu— 
fügen iſt, daß Heinrich, der Bruder 
des unglücklichen Kaiſers, ſelbſt am 
5. Junius (Nouis Junii) 1205 aus 
dem Blachernenpalaſte an den Papſt 
Innocenz III. ſchrieb: Accepimus ab 
exploratoribus nostris certissimis et 
fama veridica, quod dominus meus 
Imperator teneatur et vivus, qui 
ab codem Johannitio satis, ut asse- 

un tempore honorabiliter 
Epist. Innoc, III. Lib. 
VIII. 13T. p. 766. 

159) Bals oder Bauls (d. i. Bajulus 
oder Baillivus 
Villehardouin; 
welche er als 
ſtellte, nannte er ſich: 
Imperatoris Constantinopolitani et 
moderator Imperii. S. den ange: 
führten Brief an den Papſt Innocenz 
und Liber pactorum I. fol, 157. 

160) Die Krönung des Kaiſers 
Heinrich geſchah am Sonntage nach 
Mariä Himmelfahrt (le Dimenche 
apıes la feste Madame Sainte Marie 
en Aost) 21. Auguſt 1205. Villehard. 
Kap. 231. S. 183. Nicetas (S. 413) 
macht es als ein ſehr löbliches Ver⸗ 
fahren bemerklich, daß die Lateiner 


* 
ee 


de I Empire bey 
in den Urkunden, 
Reichsverweſer aus— 
Frater domini 


daß er 
Ob⸗ 


den Thron von Conſtantinopel ſechs⸗ 
zehn Monate unbeſetzt ließen und 
nicht eher die Krönung und Sal— 
bung eines andern Kaiſers geitattes 
ten, als nachdem fie die ſichere Nach— 
richt von dem Tode des Kaiſers Bal⸗ 
duin erhalten hatten. Er fügt dann 
hinzu als Nutzanwendung: „Mögen 
ſolches die Römer hören, welche einen 
Kaiſer ſalben und zugleich auch ſchon 
an den denken, welcher den eben 
geſalbten bald wieder ſtürzen ſoll“ 
("Anovirwoov taita o Pu d tot, 
o yolovrss νE v Tov did xd- 
vors KaFaLONOOVTa TOV ygLöusvov 
zo vo ovAhlaußavovrss). 

161) Villehard. Kap. 235. S. 186. 
Villehardouin und Milo aus Brabant 
wurden der Prinzeſſin Agnes (qui 
mult ere et bone et belle), als fie 
in einer Galeere nach Abydus kam, 
entgegengeſchickt, um ſie zu empfan— 
gen und im Namen des Kaiſers zu 
begrüßen, worauf am Sonntage nach 
Lichtmeſſen (le Dimanche aprés la 
feste Madame Sainte Marie Chan- 
dellor), den 5. Februar 1206, in der 
Kirche der göttlichen Weisheit die 
Trauung und im Palaſt Bukoleon 
die Hochzeit und das Beylager (les 
noces haltes et planieres) gefeyert 
wurde. Villeh. Kap. 239. S. 180. 190. 
Die Prinzeſſin wurde erſt, als der 
Kaiſer um ſie warb, von ihrem Vater, 
dem Markgrafen Bonifaz, aus der 
Lombardey nach Theſſalonich gerufen. 
Villehard. S. 186. 


398 Geſch. d. Kreuzz. B. VI. K. XI. Kroͤn. d. Kaiſers Heinrich. 


2285 gleich Heinrich ein tapferer und kuͤhner Ritter war, fo 
zwangen ihn doch die Verhaͤltniſſe, ſeine Thaͤtigkeit auf 
die Vertheidigung von Conſtantinopel und den uͤbrigen 
wenigen Staͤdten in Romanien, welche ihm geblieben 
waren, zu befhranfen; das lateiniſche Kaiſerthum er— 
hielt weder unter ihm, noch ſeinen Nachfolgern eine feſte 
innere Begruͤndung und ging vielmehr dem Untergange 
entgegen. 


| 1 

| DEN DENE m. 
N 11 * 
Geſchichte der Kreuzzuͤge. 


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A A A Te Fi 


1. 


Verträge der Kreuzfahrer und Venetianer, in Beziehung 
auf ihre Eroberungen in den Laͤndern des griechiſchen 
Kaiſerthums. 


A. 
Theilung der Länder *) 


1. Haec est pars terrarum demini Ducis et com- 
munis Fenetiae:. Civitas Archadiopli ), Missini (Mosy- 
nopolis), Bulgarifigo, pertinentia Putis 2) et Nicodemi 3), 
civitas Yraclee, pertinentia Challcidos *) cum civitate Ro- 
desto et Panedo cum omnibus, quae sub ipsis, et ei- 
vitas Adrianopoli cum omnibus, quae sub ipsa, pertinentia 
Gani°), Casali (casalia) Chortocopi 7), Casalia Chotriki 8), 


) Nach den Abfchriften dieſes Vertrags, welche in folgenden Handſchriften 
des k. k. Haus- und Staatsarchivs zu Wien ſich befinden: dem Liber 
albus und dem Liber I und II pactorum. Der von uns mitgetheilte 
Text iſt der im Liber albus enthaltene. Die beiden andern Hand: 
ſchriften find in den folgenden Varianten mit Lp. x und 2, und der von 
Murgtori (zu Andreae Danduli Chronicon, in den Scriptoribus rer. 
Ital. T. XII. p. 359. 330) nach einem Codex Ambrosianus mitgetheilte 
Abdruck iſt mit M bezeichnet worden. Die in dem Liber II pactorum 
enthaltene Abſchrift ſtimmt übrigens faſt überall mit dem Texte des 
Liber albus überein. 

1) Lp. 1. und M. Archadiopolis, 2) Lp. 1. pertinentiam Piacis. M. 
pertinentia Pictis. 3) Lp. 1. Meodimi, 4) Ep. 1. Chalkidos, bey 
M. ausgelaſſen. 5) Lp. 1. Rodosto, 6) Steht bey M. an einer andern 
Stelle. 7) Lp. x. und M. Cortocopi. 8) Lp. 1. Cotriki; M. Corici 
vel Coltrichi, ° 


a 2 


4 Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer ꝛc. 


Kerisia *), Miriofitum, pertinentia Pistafi 2), pertinentia 
Brachioli, Casalia de Raulatis et Examili ?), emborium 
(emporium) Sagudai *), pertinentia Gallipoli Lacu et 
Lactu °), pertinentia de Muntumanis °) et Sigopotamo 
cum omnibus, quae sub ipsis. 

2. Haec est de parte secunda domini nostri Ducis 
et communis Venetiae: Provincia Lakedemonie, micra et 
megali epikepsis ?), id est, parva et magna pertinentia 
Kalobrita®), Ostrouos ), Oreos, Caristos, Antrus (Andros), 
Egina (Aegina) et Culuris *°), Zichintus **) et Kefalinia 2), 
provincia Colonie 3), Conchilari 2), Canisia #5), per- 
tinentia Lopadi ), Oprium *?), Patro '®) et Methonis ) 
cum omnibus suis scilicet pertinentiis de Brana, pertinentia 
de Catacozino (Cantacuzeno) 2, et cum villis Kyre Herinis 
(Kyrae Irenes) 2), filiae Imperatoris Kyri Alexii, cum 
villis de Molineti 22), de Pantocratora 23), et de ceteris 
monasteriorum sive 2) quibusdam villis, quae sunt in 
ipsis ?°), scilicet de miera et megali episkepsi i. e. de par va 


et magna pertinentia Nicopalla (Nicopolis) 2%, cum per- 


1) Lp. 1. Kerasia, fehlt bey M. 2) Lp. 1. richtiger Peristaf, M. Peristatus. 
3) Ep. 1. Cyamili, M. Examilli. 4) M. von emporium getrennt und 
Sageedei vel Saguelai. 5) Lp. 1. Lazu et Lactu, M. Lazua et Lactu. 
6) Lp. 1. pertinentia demum Timanis, M. de Muntimanis. 7) M. 
Epicephis, und getrennt von der nachfolgenden dazu gehörigen Erklä⸗ 
rung. 8) Lp. 1. Lialobrita, M. Calobries vel Calobrita, 9) M. 
Ostrones vel Ostrovos. 10) M. Calirus vel Culuris. 11) Z. wird im 
Liber albus durch € ausgedrückt. Lp. 1. Zichintus, M. Zacinthus, 
12) M. Caephalonia, 13) Ly 1. Collonie, M. Colonis. 14) M. Conci- 
lani vel Conchi Latica, 13) Lp. 1. Canisu, M. Cavisia vel Nisia, 
16) M. Lapadi. 17) M. Oprium vel Orili, 18) M. Patre. 19) Lp. 1. 
Medanus. 20) Lp. z. Catagino, M. de Catacha Gomo. 21) M. Chyre 
Hermis. Der Liber albus ſchreibt dieſen Namen ſowohl als den fol— 
genden Kyros Alexius als Ein Wort: Kyreherinis (Lp. z. Kircherimis), 
Kyrialexii, 22) Lp. 2. Moliueti. 23) fehlt bey M.; IP. x. Depaniatota, 
24) M. sub, 25) M. quae sunt Imperatoris. 26) M. epicepsi, scilicet 
Parya et magna provincia Ricopalla vel Nicopolla, 


Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer ꝛc. 5 


tinentiis de Arta, de Achello (Achialo) *), de Anatolico, 
de Lesianis 2) et de ceteris 8) Archondorum ) et Mona- 
steriorum. Provincia Dirachii et Arbani, Conchartolaroto °) 
cum Glavinica €), de Bagenetia ?) provincia, de Gianina 
(Janina) 8) Provincia, Drinopoli provincia, provincia 
Achridi “), Leucas *°) et Coripho. 

3. Haec est de prima parte domini Imperatoris: 
A porta aurea et Blachernali et occidentali Steno usque ad 
midiam (micram) ) et Agathopoli *?) similiter, et ab 
ipsa civitate Vizoi (Bizya) ) usque ad Zurlo et Theo- 
doropoli. 

4. Haec est de secunda parte domini Imperatoris: 
Provincia Optimati (Thema Optimatum), provincia Nico- 
midiae, provincia Tharsiae (Tarsi), Plusiadae -) et Meta 
nobis (est) **) cum succoriis *°) et cum omnibus, quae 
sub ipsis; provincia Peflagoniae (Paphlagoniae) et Nucel- 
larii 17), provincia Deneasmopii (de Nea Sinopii) "®) et 
Pabrei, Mitilini, Limni cum Skiro *) et quae ?°) sunt 
infra Avidum (Abydum), insulae scilicet Priconiso (Proe- 


coneso s. Proconeso) ?*) et cetera, Ico 22), Istrovilla, 


1) Lp. I. Deichello, M. Bohello. 2) Lp. 2. Delesiarus, M. de Lesconis, 
3) Lp. 1. de certis. 4) iſt von Muratori ausgelaſſen und die Stelle 
des Worts als Lücke bezeichnet. Das Wort archondum iſt ohne Zweifel 
mit apzovragsior und apXovragixıov (Palaſt) verwandt. 5) Ep. 1. 
Concatolaroto, M. cum Cartolaratis. 6) Lp. 1. Claviniza, M. Clo- 
minissa vel Clavinissa. 7) Lp. 1. Dehagtnetia, Lp. 2. Debagenatja. 
M. De Vagnetia, 8) M. De Granina. g) M. Acridis. 10) Lp. 1. 
Loutas. II) M. Michram, 12) M. Agatzopolim. 13) M. Vezei. 
14) M. Pulsiadae. 16) Lp. 1. vobis est, das letztere Wort fehlt im 
Liber albus, Lp. 2. Metauobis et Metanobis. 16) Succorium be 
deutet eine Zuckerpflanzung. Lp. 1. Sochoriis, M. cum successibus, 
17) Lp. 1. Uucellarii. M. Micellarii. 18) Lp. 1. Deneasinopii. M. 
Provincia de Nealinopu et Babriti vel Pauriti. 19) M. Limine 
cum Straer vel Limni cum Schiro. 20) M. aquae 81) M. Praeconiso, 
220) Lp. z. für et cetera, ico, was auch im Liber albus, Lp. 2. und 


6 Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer c. 


’ 
Samos ) et Tinos (Tenos) cum Samandrakio (Samotbrace) 2), 


Provincia de Pilon (Pylon), de Pithion (Pythia), de 
Keramon 3), provincia Mallagini ), provincia Achirai 5), 
provincia Alramitii (Adramyttii) e), de Chilariis (Chilaria) 7) 
et de Pergamis, provincia Neocastri, provincia Milasi ®) 
et Milamedi (Mileti?) “), provincia Eaodikie *) et Me- 
andri, cum pertinentia Sampson (Lampsacus?) et Samakrii 
(Samachii) *), cum Contostephenatis Contostephanatis) * 2), 
cum Camizatis ) et ceteris atque * Chio. 

5. Haec est de prima parte peregrinorum: Provincia 
Macri (Micra) et Megali Brissi *°), pertinentia Gehenna 9, 
eivitas Panfili cum omnibus, quae sub ipsa, pertinentia 
Tuli ), civitas Apri cum omnibus, quae sub ipsa; Di- 
dymochium (Didymoteichon) cum omnibus, quae sub ipsa; 
pertinentia de Kipsalis 8), pertinentia de Garelli, perti- 
nentia de Lobuecho (Lobizo?) *“), pertinentia de Bira ?°), 
pertinentia de Macri (Macra) ?*) et Trajanopoli cum casalio 
de Brachon 22), pertinentia Scifis et Pagadi 23) cum omni- 
bus, quae sub ipsa; pertinentia Maditi cum omnibus, quae 
sub ipsa; Icalotichas 2 cum omnibus, quae sub ipsa, id 
est Anafartus ?°), Tinsaccos 25), Iplagia (Hiplagia), Po- 


tamia (Pathmus?) et Aacros 27) cum omnibus, quae sub 


bey Muratori fteht: et Centaico, wofür Ramnuſius (de bello Constant. 
Lib. IV. p. 163.) Cetracon fegt. 1) Lp. 1. Istrovillasamos in Einem 
Worte, M. Istrobidatmos. 2) M. Tybos cum Samandrachio. 3) M. 
Geramon, 4) M. Malagini. 5) M. Achirari. 6) M. Atramini, 
7) Lp. I. Dechliarus, M. de Chilaris. 8) M. Milassi. 9) Ip. x. 
Melanidoi. M. Melachmundi. 10) Lp. 1. Laodikis. 1) M. Sma- 
cliicum. 12) M. Cogtoste Phanasis. 13) M. Canuzatis, 14) M. abs- 
que. 15) Lp. . Megalibriffi, M. Megali brisci. 16) M. Geenua, 
17) Lp. 1. Culi, M. Tulbi. 17g) M. Cypsalis. 19) Lp. 1. Lebuccho, 
M. Tetucito. 20) M. Hera. 21) M. Macri de Garelli. 22) Lp. . 
Debtacho, M. de Bracho vel Brato, 23) M. Pagandi. 24) M. Icha- 
loticha. 25) M. Anafartur. 26) Lp. 1. Tuisaccos, M. Tynsatos. 
27) Lp. I. Aatios. M. Acros. 


Vertrage d. Kreuzfahrer u. Venetianer 2c. 7 


ipsa; pertinentia de Phitoto (Plitotho) *), pertinentia de 
Galanatoni (Glavatone) 2), Molinoto (Molivoto) ), per- 
tinentia de Jalo (Hyalo) castelli ), pertinentia Sirolefkri 9, 
Catepanikium ) de Eno (Aeno) cum apothikis, Catepani- 
kium de Russa cum omnibus, quae sub ipso, et pertinentia 
de Agrionviario ?). 

6. De secunda parte peregrinorum : Provincia 
Vardarii, provincia Verye (Berrhoeae) ®) cum car- 
tullaratis Tandobrochubisti, quae et Sthlaniza ?), perti- 
nentia Girocomioce *), pertinentia Platomonas, pro- 
vincia Moliscii 15 et Meglenon 12), provincia Prilapi et 
Pelagoniae cum Stano, provincia Presepe et Dodecanisus, 
Orium Larissae 3), provincia Blachiae ) cum persona- 
libus et monasterialibus in ea existentibus; provincia Ser- 
vion, provincia Castoriae *°), et provincia de Anoleos 6). 

7. Pertinentia Imperatrieis *?), scilicet: Vesla *®), 
Fersala 1) (Pharsala), Domotos 20), Niuctudua 22), Alme- 


ricum, Demetriad 22), pertinentia Neopaton 23), provincia 


) Lp. 1. Deplitoto, M. de Phitoro, 2) Lp. 1. Degalauaton, M. de Ga- 
lavato, 3) Lp. 1. Moliuoto, M. Milinoro, 4) M. de Gallocastelli. 
5) Lp. 1 et 2. Sirolefki, M. Sitoleuchi. 6) d. i. der Sprengel eines 
Katepano oder Statthalters. Lp. 1. Catepamchium und nachher Cate- 
panchium. M. Carepanichiu und nachher Catepanicium. 7) Lp. 1 
Agriouiuario. M. Agrionibario. 8) Lp. 1. Veriae. M. Voriae, 
9) M. cum cartulatis, tamen. . . . Clavizza est Panica. Ramnuſius 
(de bello Constant. Lib. IV. p. 168): tam de Brochubisti quam de 
Flecaniza. Lp. 1. Tamdrobocubisti quae et Sclaniza. 10) Lp. 1. 
Gyrocomice, M. Giro Comio. 11) Lp. 1. Moliscu, M. Molistis. 
12) Lp. I. Mezclenon, 13) M. Orium Larille. 14) M. Oladriae. 
15) M. Castoreae. 16) Lp. 1. Auoleos. M. Aucleos. 17) Muratori 
hat dieſe Worte als Name einer Provinz angeſehen und Provincia In- 
peranicis drucken laſſen. Die folgende Nachricht ift im Liber albus 
von einer fpätern Hand hinzugefügt worden, und fehlt im Liber pa- 
ctorum II gänzlich. 18) Lp. 1. Vescena, fehlt bey M. 19) M. Fersalla. 
20) M. Doniochos. 21) Pp. 1. Reucitadia; M. Revos, Tadria, 
22) Lp. Demetriadha. M. Almericon de Metriadimo. 23) Lp. 1. 
Meopatron, M. Neopatron. 


8 Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer. ic. 


Velechatiue ), pertinentia Petrton (Petrion) 2), Vicls ?), 
Dipotamos ), Calacon, Pazi et Vadouisidon °) et ortus 


(hortus) Athenarum °) cum pertinentia Megaton ?}, 


| B. 
Confirmatio partitionis per dominum Henri- 


cum et per dominum Marinum ). 


Noscant omnes tam praesentes quam futuri. Quod 
nos Henricus, frater domini Imperatoris Constantinopoli- 
tani et moderator Imperii, Et Markus Genus, Venetorum 
potestas in Romania et totius quartae partis et dimidiae 
ejusdem imperii dominator: Quod omnem ordinationem, 
partitionem et examinationem factam per partitores, qui 
fuerunt constituti per dominum B. (Balduinum), memorati 
imperii imperatorem, et dominum H.(Henricum) Dandulum, 
quondam ducem Venetorum, ac dominum Bonifacium, mar- 
chionem Montisferrati, ceterosque barones pelegrinos ac 
omne commune totius exercitus, qui Constantinopolitanum 
imperium acquisierunt, inrevocabiliter confirmamus, Sei- 
licet in tempore illo, cum dominus imperator per pote- 
statem Venetorum et ejus conscilium (consilium) et per 
magnates Francigenarum in unum se concordaverint: Quod 
dominus imperator ad expeditionem et acquisitionem et 


defensionem imperii procedere debet. Tunc omnes milites 


1) Lp. 1. Velechataiae, M. Velicati, mit Angabe einer Lücke. 2) Lp. 2. 
Petron, M. Penion. 3) Muratori ſetzt für dieſes Wort: videlicet, 
Lp. . Viels. Vielleicht iſt die Abkürzung des Liber albus nicht ganz 
genau von mir copirt worden. 4) M. de Potamo, 6) Lp. 1. Calacum, 
Pacima et Rodovisidum, M. Calaneo pagii et Raduisedim. 6) Lp. I. 
horum Athenarum. M. portus Athenarum. 7) Lp. Megatoii. M. 
Megaron, 

) Aus dem Liber albus, Handſchrift des k. k. öſtreichiſchen Haus: und 
Staatsarchios zu Wien. 


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1 


Vertrage d. Kreuzfahrer u. Venetianer ꝛc. 9 


imperii, tam Francigenae quam Veneti, moniti per supra 
notatum consilium, sequi debent dominum imperatorem 
in expeditione illa, a Kalenda Junii usque ad festum 
S. Michaelis primo venturum. Tali vero ordine, quod 
milites illi, qui propinquiores erunt inimicis, ne forte 
detrimentum incurrant, nonnisi medietas illorum teneatur 
sequi dominum imperatorem, Et si graviter ab inimicis 
fuerint infestati, nemo eorum teneatur accedere ad expe- 
ditionem. Et si aliqua principalis persona cum exercitu 
campestri intraverit imperium, ad destructionem ejusdem 
imperii faciendam, tunc omnes milites tanto plus moram 
praedicti termini cum domino imperatore facere debent, 
quanto eisiper supradictum consilium fuerit injunctum. 
Statutum si quidem fuit quod omnes milites, qui posses- 
nen et feudum habent in imperio, tam de Francigenis, 
quam de Venetis, hoc totum, quod supra scriptum est, ad 
observandum firmare debent juramento; dominus vero 
imperator omnes alias necessarias res et expensas ad defen- 
dendum et manutenendum imperium statim omni tempore 
facere debet. Insuper etiam quidquid eidem domino im- 
peratori per supra dictum consilium  fuerit consultum ad 
defendendum et manutenendum imperium, facere debet. 
Quia ad hoc perſiciendum concessa est ei pars quarta totius 
imperii Romaniae. Quodsi totum, quod supra dictum est, 
tam per milites, quam per dominum imperatorem non 
fuerit observatum, non hac occasione debet dominus im- 
perator aliquem militem exspoliare a possessione sua, nee 
milites dominum imperatorem; sed coram judicibus, qui 
tempore illo, tam per Francigenas, quam per Venetos erunt 
constituti, debet causa ventilari, et secundum quod ipsi 
judices judicaverint, debet ab utraque parte observari. 


Dominus si quidem imperator nemini contra justitiam ali- 


2 


10 Vertraͤge d. Kreuzfahrer u. Venetianer ic. 


quo tempore facere debet, et si, quod absit, fecerit, ad 
admonitionem memorati consilii coram supradietis judicibus 
in praesentia sua satisfacere debet. Debent namque omnes 
Veneti, veniendo, stando, eundo et redeundo per totum 
imperium Romaniae et eorum res esse absque omni contra- 
rietate et absque ulla dactione (datione); omnes etiam pos- 


sessiones et honorificentiae, quas homines Venetiae habue- 


rint et habuerunt in tempore Graecorum per totum impe- 


rium Romaniae, tam cum scripto quam sine scripto, et 
habent ad praesens et habere contingerint (contigerint), tam 
in spiritualibus quam temporalibus, firme eis et illibate 
permaneant. Nullus homo habens guerram cum communi 
Venetiae debet esse receptus nec morari in imperio, donec 


ipsa guerra fuerit pacificata. 


EI 
3 
Confirmamus insuper totum scriptum pacti, quod BT 


ctum fuit et juratum per memoratum dominum imperato- 
rem, tunc comitem Flandrensem, et dominum ducem Ve- 
netorum, et dominum marchionem Montis Ferrati, cete- 
rosque barones cum omni communi exercitus memorati. 
Dominus imperator haec omnia juramento aflirmare debet. 
Testes sunt omnium supra scriptorum: Gaufredus, ma- 
rescaleus imperii, Marinus Geno *), qui fuerunt de supra 
scriptis partitoribus et examinatoribus, qui haec omnia 
suprascripta cum aliis partitoribus ordinaverunt. 

Actum est hoc Constantinopoli in palatio Blacherna- 
rum. Coram his testibus: Johanne Faletro, Johanne Mau- 
receno, Marco Dandulo, Johanne Barastro, Marino Bala- 
resse, et Andrea Danvilino, Venetis; Conone de Betunia, 
protovestiario, Petro de Brachiolo, Manassi de Insula, 
majore coco, Macario de Sancta Manuil **), panetario, et 
Milone Bravano, buticulario, Francigenis. 


*) Zeno. ) Makarius von St. Menehoud. 


Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer w. 11 


+ Ego Nicholaus Tinto, plebanus Sancti Nicholai 
et notarius, vidi in autenticho, superscriptorum domini 
Henrici et domini Marini Geno litteris graecis rubeis 
subscripto, continentibus in eis mense Octubri nonae In- 
dictionis et ipsorum dominorum sigillis, et Gaufredi ma- 
rescalci ejusdem imperii impresso, testis sum in filia *). 

+ Ego Constantinus, presbyter et notarius, vidi in 
authenticum istorum domini Henrici et domini Marini 
Geno etc. 

j Ego Bartholomeus Caput, diaconus et notarius, 
vidi in authenticum istorum etc. 

+ Ego Dominicus Superantius, diaconus et notarius, 
vidi in authenticum super scriptorum domini Henrici et 
domini Marini Geno literis graecis rubeis etc. 


*) Der Ausdruck in filia bezeichnet wahrſcheinlich die genaue Prüfung der 
Urkunde, wie noch jetzt im Italieniſchen Kliexa. 


# 


12 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


II. 


Zerftorung der Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


Die nachfolgende Beſchreibung der von den Kreuzfahrern 
zu Conſtantinopel zerſtoͤrten Kunſtwerke befindet ſich in 
einer Handſchrift der Bodlejaniſchen Bibliothek zu Oxford, 
welche außer verſchiedenen andern theologiſchen und juri— 
ſtiſchen Werken den Thesaurus orthodoxae ſidei (Imoaugog 
500 ooͤo lag) des Nicetas Choniates und deſſen Nachricht 
von der Eroberung von Conſtantinopel durch die Franken 
enthalt. Die letztere Nachricht iſt zwar in Hinſicht der 
Erzaͤhlung und des hiſtoriſchen Inhalts meiſtens uͤberein— 
ſtimmend mit der Darſtellung dieſer Begebenheit in dem 
vollſtaͤndigen Werke des Nicetas, und nur hier und da 
abweichend im Ausdrucke, enthaͤlt aber doch einige Zu— 
ſaͤtze, unter welchen der erheblichſte die Beſchreibung der 
von den Kreuzfahrern zerſtoͤrten Kunſtwerke iſt, welche 
nach einer genauen Vergleichung der Handſchrift, aus 
welcher die bisherigen Abdruͤcke gefloſſen ſind, hier mit— 
getheilt wird. Die Handſchrift gehoͤrt zu den von Thomas 
Roe im Jahre 1628 der Bodlejaniſchen Bibliothek ges 
ſchenkten Manuſcripten, iſt unter denſelben mit No. 22. 
bezeichnet, und auf ſtarkes Pergament im Laufe des vier— 
zehnten Jahrhunderts geſchrieben ). Die Nachricht uͤber 


e) Eine fleißig gearbeitete Beſchreibung dieſes Coder findet ſich in dem von 
Gerhard Langbaine verfaßten Verzeichniſſe von griechiſchen Manuſcripten 
der Bodlejaniſchen Bibliothek, welches nur handſchriftlich vorhanden 
iſt, und von Herrn Dr. Bandinell, Oberbibliothekar der Bodlejaniſchen 
Bibliothek, während meines Aufenthalts zu Oxford mir mitgetheilt 


wurde. 


Zerſtörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 13 


die Eroberung von Conſtantinopel ſchließt ſich ohne Ueber⸗ g 
ſchrift (auf fol. 423. A.) dem Thesaurus orthodoxae ‚fidei 
an, beginnt mit den Worten, welche in dem vollſtaͤndigen 
Werke des Nicetas den Anfang von F. 8. des dritten 
Buchs der Geſchichte des Alexius Comnenus bilden (ed. 
Paris. p. 345): AAA u£yge , In) roνντον eb gνοε iu o 
d yog x. r. J., und iſt in zwey Bücher eingetheilt, wovon 
das zweyte (auf fol. 436. B.) nach der Rubrik: 168 dev- 
regog mit den Worten anfaͤngt, Eye her odr zavra xui 
mn Kovorarıivov Kakkinokıs x. r. 1. Dieſe Worte ſtehen 
in dem gedruckten Werke in dem Abſchnitte ra nerd vi 
A οο’ατννfi nadel gegen das Ende von § 1. (ed. 
Paris. p. 377. A.) Das Werk, fo wie es in der Bodle— 
janiſchen Handſchrift ſich findet, iſt offenbar eine ſpaͤtere 
Bearbeitung des ſchon in dem größeren Werke von Nicetas 
behandelten Gegenſtandes, in welcher der Verfaſſer ſeine 
fruͤhere Erzaͤhlung meiſtens abkuͤrzte und nur an einigen 
Stellen durch Zuſaͤtze erweiterte; und eine ſolche Er— 
weiterung hat beſonders die Nachricht von den durch 
die Franken zu Conſtantinopel zerſtoͤrten Kunſtwerken er— 
halten. Auch wird in dem kuͤrzern Werke die Zer— 
ſtoͤrung der Kunſtwerke aus einem ganz andern Beweg— 
grunde als in dem groͤßern Werke abgeleitet. In dem 
letztern (ed. Paris. p. 413. 414.) behauptet Nicetas, daß 
die Lateiner vornehmlich diejenigen Kunſtwerke zerſtoͤrt 
haͤtten, welche eine ihnen nachtheilige Deutung zuließen, 
oder von ſchlimmer Vorbedeutung fuͤr die kurze Dauer 
ihrer Herrſchaft waren, um durch die Vernichtung dieſer 
Denkmaͤhler den Beſitz der eroberten Stadt ſich zu ſichern; 
in dem kuͤrzeren Werke dagegen ſtellt er dieſe Zerſtoͤrung 
als die Folge ſowohl der Unempfindlichkeit der abends 
laͤndiſchen Barbaren für die Schoͤnheit der vernichteten 


14 Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


Kunſtwerke, als ihrer Geldgier und Habſucht dar. In 
einer Vatikaniſchen Handſchrift hat ſich ebenfalls aus dieſem 
fürzern Werke die Nachricht über den Patriarchen Thomas 
und der Anfang der Beſchreibung der zerſtoͤrten Denk— 
maͤhler erhalten. 
Die Nachricht über den erſten lateiniſchen Patriarchen von 
Conſtantinopel und die ausfuͤhrliche Beſchreibung der von 
den Kreuzfahrern zertruͤmmerten Denkmaͤhler iſt der Schluß 
des in der vorhin näher bezeichneten Bodlejaniſchen Hands 
ſchrift enthaltenen hiſtoriſchen Werks, und ſteht daſelbſt 
fol. 447 — 450. Die Nachricht über den Patriarchen Tho— 
mas iſt zuerſt von Heyne aus einem in der Univerſitaͤtsbi— 
bliothek zu Goͤttingen befindlichen Apographon des erwaͤhn— 
ten Vatikaniſchen Codex mitgetheilt worden, in den Com- 
menlationibus Societatis Scientiarum Regiae Gottingensis 
ad a. 1793 et 1794. Vol. XII. Class. hist. et philol. p. 307. 
Die Beſchreibung der zerfiörten Kunſtwerke wurde, nach— 
dem Lambecius in ſeinen Anmerkungen zu Georgii Codivi 
excerptis de antiquitatibus Constantinopolitanis drey Bruch⸗ 
ftücfe derſelben aus der Vatikaniſchen Handſchrift bekannt 
gemacht hatte, vollſtaͤndig nebſt lateiniſcher Ueberſetzung 
mitgetheilt in Anselmi Banduri Imperium orientale T. I. 
Pars 3. p. 107— 11), und in Fabricii Bibliotheca graeca 
(alte Ausg.) Lib. V. cap. 5. p. 405 — 418. Obgleich dieſe 
beyden Abdruͤcke auf Abſchriften des Bodlejaniſchen Codex 
beruhen ), fo weichen fie gleichwohl in vielen Stellen 
von einander ab; und weder der Banduri'ſche Abdruck, 
noch der von Fabricius gegebene Text ſind vollkommen 
) Banduri beſorgte den von ihm gemachten Abdruck nach einer Abſchrift 
des Johann Ernſt Grabe, welche ihm von Johann Boivin war mitge— 
theilt worden (praef, ad Imp. Or. p. &); Fabricius benutzte eine 


Abſchrift, welche Johann Chriſtoph Wolf aus den Adverſarien des 
Gerhard Langbaine genommen hatte. 


Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel 15 


richtig und genau. Während meines Aufenthalts zu Dr 
ford im Mal 1829 habe ich mit aller mir erreichbaren 
Genauigkeit die Bodlejaniſche Handſchrift mit den erwaͤhn— 
ten beiden Abdruͤcken verglichen. Auch hat Herr Hofrath 
Reuß zu Göttingen die Gefaͤlligkeit gehabt, das eben er— 
waͤhnte und in der dortigen Univerſitaͤts- Bibliothek auf, 
bewahrte Apographon, welches, nach der Schrift zu ur— 
theilen, von einem Griechen verfertigt worden iſt, zur 
Benutzung mir mitzutheilen ). 

Die merkwuͤrdige Nachricht des Nicetas uͤber die von 
den Kreuzfahrern zu Conſtantinopel vernichteten Kunſt— 
werke hat zwar die Aufmerkſamkeit mehrerer Gelehrten 
auf ſich gezogen, iſt aber gleichwohl bis jetzt noch nicht 
mit der Sorgfalt behandelt worden, deren ſie wegen ihrer 
Wichtigkeit für die Geſchichte der alten Kunſt- ſicherlich 
würdig iſt. James Harris gab davon in feinen philo- 
logical inquiries, London 1781. 8. Part. J. ch. 5. S. 301 
— 321 einen Auszug; Gibbon nahm ſeine Nachricht von 
den zu Conſtantinopel im J. 1204 vernichteten Denk 
maͤhlern (Hist. of the decline and fall of the Roman em- 
pire, ch. 60. Quartausg. Vol. 6. S. 170 — 173) ebenfalls 
aus unſerm Bruchſtuͤcke; Heyne hat ſeinen Abhandlungen: 
Priscae artis opera quae Constantinopoli extitisse memo- 
rantur, Sectio I et II. (in den Commentationibus Socie- 
tatis Regiae Scientiarum Gottingensis ad a. 1791 et 1792. 
Vol. XI. Class. hist. et philol. p. 11 8d.) die Beſchreibun— 
gen des Nicetas im Auszuge und mit einzelnen Erlaͤu⸗ 


*) In den Anmerkungen unter dem nachfolgenden Abdrucke des griechifchen 
Textes find der Bodlejaniſche Codex mit C. B., der Vaticaniſche (nach 
der Mittheilung von Lambecius) mit C. V., das Apographon der 
Univerſitätsbibliothek zu Göttingen mit A. G., der Banduri'ſche Abs 
druck mit B., und der von Fabricius gegebene Text mit F. bezeichnet 
worden. 


16 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


terungen einverleibt, und neuerlich iſt in Buchon Collec- 
tion des chroniques nationales francaises T. III. (Paris 
1828. 8.) S. 325 — 338 eine nicht überall getreue und 
richtige Ueberſetzung des ganzen Bruchſtuͤckes mitgetheilt 
worden. 

Wir geben hier zuerſt den Text: 


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verdrov ano Tg avrov iorogias negt HR. 
oravrıvovaoisoc “). 

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eis robe Douyyioxoug ), ono al zig Koyısgwoivng A- 

oh ⁰ðEỹ,e *) zoig Beverizog, olg Emioraraı »ginaoıw 6 Tod 

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x00ux00 rode Oxapoug οννHmuοαν?/ üs Kal außsgvnıng Kvguog °) 

insro 2» Bererlag nargideyns Kouvoravrvovnoken;, O- 

uaowog ) rig Tovvoun, vi Ev j,! WEOOG, 71% ds oc 
* r 1 7 * > 7 3 * \ 

uarızıv mAuoıw Aunzsvroo ') qu Eurgapeoregog' 1v 077 

eros Zug To rod meooumov ®) &dapos wg oi Norm rd 


2 To ylroug ?) Eusivov, zul Tag Evormdioug *°) nfs 


rau Toiyas Gngıßeoregov qe αẽE˖ꝓ · Aurezousvog ds "ul 


1 , w A ’ 8 8 
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7 81 1 2 5 2 5 * 0 A r m * 
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7 x 7 7 
neger ꝙοονννο evlors *?) de zul rd Eu dH zig q unf 
dieoqiou,i]i zov Eονν puhanımgıa Tregineiuevog. Niro de 
7 m £ * . 
a, TO hαο MÜTOV HαονννiVν Fed oVoryua nu umv Fungov 


1) Diefe Ueberſchrift findet fih in A. G. 2) A. G. Tie Ö’ yusrloas. 
3) A. G. sie Doayalonovs. 4) A. G. zugwdsions. 5) A. G. 
Oecs. 6) A. G. Owuas. 7) Die ſes in den Woͤrterbüchern nicht vor⸗ 
kommende Wort findet ſich in C. B. ſowohl, als A. G. und iſt aus 
Idunos (lacus) gebildet; Amxiveov fol in der fpätern Gräcität ein 
Schwein, vielleicht ein gemäſtetes, bedeuten. Ducange glossar. gr. v. 

Lan, 8) A. G. tüv moooomwv, 9) C. B. ⁊d rod vνο. 
10) A. G. vor@diovs. 11) A. G. aum. oe or. 12) A. G. 
ud or. 15) Alſo A. G.; zvwre in C. B. und den Ausgaben. 


zerfiörung d. Kunſtwerke zu Conftantinopel, 17 


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augımovovusrov Touneloy ENG dri Eyonsvov neguueles x 
To xodnysuomı naveinehov Ta sig 0ToAv or Ölaızav ?) gc 
ToV Tod noyavog Hegsouor.. 

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nragmdsızvüvzeg. gıhoyovoov, Zvvoodoı Trogov Amuuarıouod 
* c. * 
xowvov re dun zul Aadovıa Euunavrag o ımv 3) HοꝰZO d 
v 7 7 
nor Zonukevoov. Tas yap zov Baoıkeuv Ixus Gvoikavreg, 
c r 4 — wc r » * * 7 7 8 
oͤnd o *) E&rsioı tw Howw To megi TO uEya reusvog Lo gu- 
uva av Tod Xgiorod uadmıav, Awunodvrovos ?) vuxcog 
Gras, nal ravadeuitug ©) Eyrokmilovrau, e ri yovosıog ?) 
r a\ 7 „ 2 7 U \ ar 
x00u05 7) Hapyagwv opargwum ; Nido d cν Q Trohv- 
> r 24 r 847 1 3 
Tıuog did d οο⁰ο sigers ravroıg Eviusıro. Evguvıes qs aal 
zov ®) vergov ’Tovorwwiovod T0 Paoıking xorg uargainoıy 
Gragukuuavrov Freoı ?), 10 eU ögadEV Ev Iavuarı &derıo, 
zov ds vergorapinv ovusvovv '?) obo“ OAwg ameoyovro ). 
Sori oV sineiv wg ovrs ray Sr Llwvırov ovrs unv ?2) 
m > h 7 e 2 m 13 — 2 72 2 7 
rd Omehdovrov 06 &x yaray '?) av Eonepiwv Epeioavıo* 
m — — 5 9 
a iu Geo zt Toy adrod Yeganovımv Ggsausvor, nd 
end maoıw adınpopiav re **) ui E' Ensdeikavzo, 
Her’ ob rod de *5) Koraonuov Kal Z Tod ueyiorov ven *) 
> 5 r © 
cerane Tuo eig uuglag A ) moAAuxız agyvgov uväs *?) d- 
Be. - * 
Hovusvov zul zourov Ößguloregov ο navzög, aul eig H j 


yovon muralöusvor. 


1) za dlaırav, welches in A. G. ſteht, fehlt in C. B. 2) A. G. 
Sa. 3) F. o russ. 4) A. G. önooww. 5) F. Lmoòv- 
rovvraı. 6) A. G. und B. navedeuirws, C. B. und F. nav de 
alros. 7) A. G. govosıos, C. B. und B. 20, F. yovosos, wie 
unten gpvosov in C. B. und A. G. 8) A. G. ôe zov. . F. Zreowr. 
10) Alſo die Handſchriften; F. Odkevovv. B. Or usv ow. 11) B. 
antyovro. 12) So C. B. und A. G.; B. ue. F. un. 15) F. yeνοεανν. 
14) C. B. adıayogiov ri. 15) C. B. dr. A. G. ö. 16) A. G. vooo. 
17) F. &is wvoias. 18) C. B. uvas. 19) Nach der trefflichen Ders 
beſſerung des Herrn Prof. Lachmann; anlangend den adjectiven Gebrauch 
von ö gpbos, fo wie das Vorkommen des Comparativs OßgvLorsgos bey 
ſpaͤtern Schriftſtellern, ſ. die in Ducangii gloss. gr. (v. s H ν) ge⸗ 
ſammelten Beyſpiele. A. G. svpoiLoregov ohne Accent. C. B. und F. 
evporlorsgov. B. eugoißörsgov. 


V. Band. b 


18 Zerſtöͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


> * Me r * a 2 r 1 5 x 
3. "Ersi de yonuarov R ovrog Eomavılov‘ odoͤs y 
r A „ 3) 8 
‚gikonAovriog #000v , q *) r Pooßagov νο˖ ?)* Teig 
— m r 
yahroig Eropdukullovsıv avögiuoı, zul nagudıdaaoı rot 
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ui. Here oliv &v.?) 2 Kovoraruveio *) d iora- 
} N er ‚ > w ce 7 
⁴αάν moklyahnos Ha nenontaı eig orarjgug , NN iq 
7 5 2 < * 4 7 m 0 7 
napadidoraı ?), ng i nepahn ͥ νn-s tergaoı Hονν νονν j 
Lebyunoıw eig r) uEya naharıov Groxsxduoran" Kal En avr)] 
. ar — 7 > 7 N 
0 Hagis ArzSovögog , Hõͥ e Avarerganıaı, OVVEorwWg 
Apogodien nu, ysıoilov Tavın To ygVosov ujAov zig eg os. 
Tu 687) vergankeugov yakxodv unyarıua uesiogov avaßaivor, 
* — m — [4 + > Aa 8 * 1 74 
#6l U od Toig Toy Kı0voav ueilonıv Eis vwog®) avdanıldiu- 
usvov, 000, moAhayl Tijg og Mvsorıauoı, Tig o A 
ögdukuov Exeivo Ermißahov 9) rie moızıkiag EIaunaoev *°); 
anug novowog O ra S uehodav. Exsl Eyrsrunoro‘ 
yennorov 2oyu, A wvAoi al yavkoi **), ul nooßarov 
1 U oe m 4 1 2 2b wi 87 r 
Pimymuere, v, agvav oxıgımuara 2 EEsxorıoro* d- 
nAwto *3) zul Imharzıov mehayos, v verodwv u 0 
Hoodveo, 00 uEv Imyooumsvos, o ds Ta Öiatum TVoRVVoVVrEg 
ao ua HU H H Gverug Peoousvor‘ os d' Eowreg **) 
o ab ovrrosig #3) ], avdondulousvor, yuuvoi 
regißAnunzov, Eßakhoyro unkos r ZBahhov, yAuxei re- 
L 14 
Boasoousvor *°) yeknrı. Tod de Toivrov rergarrkeupov £ig 
EV oyiun ? zora nugnuide*®) vehsvrüvrog, annoeno*?) 


u 7 ” m * 
a  YUVOLKOUOEPOV EIRLOUG, al rag m ονẽ]g ry 


1) B. #600» orı d. F. nde ars di. 2) F. Zoaoı, A. G. Loyoıv. 
3) C. B. His o e. 4) F. Koworovrvsia. 5) Vielleicht 
nopadtdoren 6) A. G. ss 21. 7) A. G. J de ye. 8) F. 26 
to vwos, 0) A. G. Enıßallow. 10) F. Edavuuoe.. 11) Kai 
vai fehlt bey F. 12) F.oxıgrojuara. 13) F. igryniwro, 14) A. 
G. or o Zowrss. 15) A. G. o0v dio zal oiv roeis. 16 F. ne- 
eıßgaooausvo. 17) F. zuuu. 18) Nach A. G.; in C. B. und 
bey B. nugauidas. F. mugauidos. 19) C. B. annugsrw. F. 


> * 
ATTNVONTOr y 


Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 19 


7 7 u c N 
Gveuov xırn080, megsooßovusvov" ond der “Aveuodovior ) 
Enexenhnto. A aha?) Kai Todzo To meginaddiorarov 3) 
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Zoyov Toig yavevıalg nagedwxav *), wong zul z0v &v 2 

7 
Tavon ent roanslodov; Hacscg Eyımnov borausvor dvò ga 
. ki 4 , 
Tov I ννπ¾]õ TO eq os ul To ulyedog afıayaorov. Eivaı oe 
odbrog s, ra iv Eviois ”Imooös 6 Tod Nuun, 
9 7 — \ ca > - 
re ιrtè OE Tov l ο Ti 'mo0g ,t Exraosı ie 

\ 57 w N dv 7 I 5 * 
lego g, jjoͤn rijs Moog db Togsiag Eyouevov °) “ui 
ziv ,um Taßaov oraoıv oiovei ©) Enuraooovzu 7): wg de 

m ’ > — r Fr) 0 
toͤb nel zuig mAsiooıw, 0 &v T Nνpο vou elonog yarındeig 
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r roopeis Behksgogovıng, Ilmyaow Emixadmusrog‘ mv y&p 
1 =, < m c 14 / 7 
0 innog Gyakıvos, Omoiog 0 .Ilnyaoog aαοq ia o rau, Gysıa 
„ 7 m e) G c 
A, Kara Treliov zul navıa adosav 8) avaßaımy, wg 
* c \ N‘ [4 AAA \ [4 4 7 
mınvug Gum ee melög Peoousvog. Alla , ꝙιj,mſ nakdi- 
org v) eis ius duaßaivovon re r Anavıwy Evlxsıro 
ordhαονν, E&Y T Eungoodip Tod innov zodde ) Jad 
z Gvögeinshov nevdeoda, TWoi uEv Ex Tod zur Beveri- 
> 8 7 „ 

#09 ydvong zog eivau *) agadıdousvor, d, Ö’ Eregov !2) 
— * E 7 c U > U > — a * vw 
zov un E&vonovdov "Poumios Emibepvgiov EIVav, 7 d av 

LA 3 — — 2 7 
Boulydo Evog"?). HoAkaxız oliv m rij ynAng Enenomdn"*) 
1) Wie in Nicetae Annalibus p. 215. D. A. G. avsuodovlsıov. F. 
Are òonlov. 2) Die Worte von IAyv alla bis zu dum ud mrebos 


gYsgöuevos find von Lambecius (ad Codinum p. 165) aus der Vatikaniſchen 
Handſchrift mitgetheilt worden. 3) C. B. megıxaldorarov ; ebendaſelbſt 


* 
hernach yoovevrois. 4) A. G. noptöuoar (sic). F. map£dooer. 
5) C. V. und A. G. jon vy nos Övorw nogsiav, ohne &yöusvov, 
6) C. V. und A. G. oiov. 7) A. G. Enırarrovra. 8) C. V., A. G. und 
F. ed osx 9) C. V., A. G. und B. laſſen dieſes K aus. Die 
Worte von A zul qi unñũ mehaiparos bis zu: ru xaL Tovro 
ert gανõm find aus dem Vatikaniſchen Codex ebenfalls von Lambecius mit: 
getheilt worden, ad Codin. p. 165. 166. 10) C. B. 2 rw Zungo- 
oHiw Tov innov rov o u. T. J. C. V. und A. G. &v 77 sινõj 
roc imnov rodqs. Für rod dm hat B.: &v 77, und F.: void. 
11) F. 2 ro zav Beveriwv yEvovs zivaı. 12) A. G. de srëοο. 
13) A. G. 7 zivaı Boviyaguw e 14) C. B. Erenoimaw 


b 2 


20 Zerſtörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


* r > * r 1 * r 7 27 r 
Gopahuoıg Eis To maven *) Gpwguıov ο Nero zoUmıe» 
&vdodı ?). Kurersuayodevro; e ds rod imnov zul oiv 10 
dv magadodvrog vgl 3), Us zul To Ev ri) onA ) 
rod Inrıov Zyrvußevousrov yahrljoss “,. v = He 
xglusvov ng omoiuv ıov Fosuuazov Tu Zora nAdkovow. 
xy de To» En’ auν, mEeponouEVWV °) 47 Aarivor ggovri- 

ouvreS, rug zul Touro Eveßakor. 

4. A ovdE rd &v To nE] °) foraufvor Ayal- 

7 N, 7 — 27 * * 
uorov zal alholaov Yavuaorov Eoymv mV KUTa0TEOpNV TIa- 
— 8 A m > 7 L r > * * 
ot O r »ulod uvegaoroı ovroı Hονονν ahıır zul 
— 2 m * 
rar xexopaoıv Zeig vönıoum, Gvralluooousvor HLRoWV TU 
G \ * 6 4 7 7 7 „ 5 0 wm, 
usyaho t za Öamuvaıg novmderro ?) ueyioraug ovrıdavav 
7 7 w c 
art ov res rzouarov. Karmosınco ®) roivuv ?) H,,,euie o 
Torso HN ueyaluori xopivn Zwiögvuevog, vie 
Asovrnig Uneorgmuevng "*) avoder, Ösıvov ogg A TO 
v, ad D' gνẽνά = ayısiong r dia9g00VBng ) 
70 Zgıorausvov Ereioe Tod aide Gnahauvov. eh 
de un ywourov EEnunevog, n 10809 zaly ysooiv , um 

« 7 

zo oonahoy mpoßahhouerog, A ımv ,. desi Paoıv k 

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Teivay don zul ımv auımv **) yelom, eig doo 2Env, zorv 


or 2 r 2 
de svmvuuor ) mode E,] ur πονᷓ zig zo yoru *°), “al mv 


. 


C. V. eren. F. eren. 1) A. G. & rd navım F. sis 


70 navra. 2) Nach A. G. und C. V.; C. B. und die Ausgaben 
Evdodev. 3) F. nagansupdvros ro mugi. 4) C. B. ro cn oni. 
5) C. B. und B. megaouivov. 6) C. B. innyao. Die Stelle von: 
A ołòs rd e r burn bis zu: xu re odAos ift von Lambe⸗ 
cius aus dem Vatikaniſchen Coder mitgetheilt worden, ad Codin. p. 167. 
7) C. V., A. G. und B. r. 8) Alſo die Handſchriften und ger 
druckten Ausgaben; vielleicht iſt Karngngsınto zu leſen. Vgl. jedoch 
Buttmann's ausführliche gr. Sprachlehre I. S. 336. Böckh, Corpus 
inscript. T. I. p. 651. N. 1330. vs. 22. 9) Nach C. V. und A. G.; 
C. B. od. 10) C. V. und A. G. Tolsomf⁰,e. 11) F. v οννονπν 
uevns. 12) C. B. Bovynuov. F. Bevzasuov. 13) B. duadgeoVons- 
14) F. a aurmw, 15) A. G. 20% . C. B. und C. V. rv de. 
16) C. V. und A. G. sc yovv, 


Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 2. 


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au Jet En’ GνEGmaos Egeidav" zu vo ονν 1109 
7 — — 7 * 7 2 7 
yes Arazeivcw, A 2 A zavıns, ayuuiag mÄmens, 
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0 vroxkivov mogua ?) zıv mi,, nal rag iiag or 
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ab Bipvodeis o ,L g, ua d g3ovov nüdor 


„j, 19 2 zuyng*) neguvrıpvoousvog?). Hs de 


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10 GTEgoroV EvgvVS, 20H WUOUS NMAGLUS, TV Toy“ 0uvA0US ) 


x N ‚ > 1 
rds nyyüg niov, Poiwgos Tovg Pouyiovag, zul eig T000v 


npo&jwv meysdog 7) eig 000 ), oimas, v 70V &gYELUmOV 


Hanne sinaoev iv nvadguueiv 6 Lvoiuayog.?), 0 nawror 


„ 7 ws c m — 7 
Bu@ “al Vorurov 1039 Euvıod yayav TaVagıaEoy QuÄorzyvnua 


TovzoVi yalxzovgyroag, zul 0vım MEFLWLoV wg v sregsAodoav 
20% *) uurod avıiysıya ungıvdov eig ] οEV bnorhow eu- 
1eivsodw, Kal ım)v aynunv rod modog eis *) Aröguumxsg. 
Towürov d ovyra zov H oV maymAgdor anuduigerov vü 
1 , av ovrmouny ) A Öuorawreg ) al 
ꝛabrun Shots oinsıoüuvreg Aαν Tegl nAsisıov νενe vol. 

5. Lobt ds ovysadeikoy za ToV 0E0uyuErov xul 00V 
dy oreh.ousvov Ovo9 al zov Tour Ependusvov G 
yo, obs &v Anriq Esınse Kuloug 6 Auyouorog, u Eorw 9) 
ng "Ehhada Ninöonohs, mine vurrög ua zb ud Avıw- 
yiov #uraordıyaoduı org@revum, dvò ei Ereruyev 0voV ela 
voyıv, A0 Vdöuerog Vor el Hu ED rrogeveras, 


Nuovo wg #ahovuaı Nixwv zul © &uog 6709 Ninavögos, 


‚ügızyoüuas **) de mög ry od Kuioagog orgauav. 


1) A. G. rodro ro Aoınov. C. V. wie C. B. 20 Aoınöv. F. Asinov. 
2) A. G. yoäua. 3) A. G. ro adlous. 4) C. B. rij rονs. 
5) Die Handſchriften ſopohl als die Ausgaben ſchreiben gvoonuevos. _ 
6) Hier endigt ſich nach e (ad Codinum p. 167) das Vatika⸗ 
niſche Fragment, fo wie auch das Goͤttingiſche Apographam. 7) B. As- 
yedovs. 8) F. & 6oov. 9) F. (uach einer Verbeſſerung) Auormnos. 
10) F. 20% 11) F. 2s. 12) B. zb owölow. 15) Vgl. C. B. 
er ad Niceph. Phoc. de velit, bell. p. 265 ‚ed. Boun, p. 514). 

. dior ute. 14) F. Evi. 


* 


22 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


6. Odoͤe a) xis v ale te x Avxaivng ag et gg 
7 n 
amıyayov, üs Pouog ?) zul “Pouvhog EInAaoay‘ orarıomv 
oͤs ’ * 7 7 m * 7 * r 3 m 
& Pouyewv, ul TouTwv yalzoy, rd nahlmıa osuroraza?) ro 
yEvovg ameduxuv zul xudmzav aurüg. eig TO Ywysurjguoy* 
rt ye un *) ol zov andy ToV nahuiovra Adovrı, za TOV 
innov zov °) Neno Es ovouiovr mravdwuerov ©) Ae 
Ta G Tod owuarog Amyovıu, xml TOV oelovım mV 
roovoualov Ehepavıa" rg opiyyas Emi Tovıoıg, Tag sdbetò erg 
wg yuvalsag Tu Zumgoodev, a pginzig G Ömpie Ta Um 
oe, zuworigug de wg a nel); Pawovoag ul K0UPWOg To 
are gYegouzvas πji Öamdhmuevag tois tov Ogvidov u 
yahonrigväi' al Tov ayahıyov innov Ogdualorra TO ol zul 
m 7 vr N 

gYoLuaoooyıe, yavgov TE”) “ai EUnviov sroorodilovee‘ zul 
TO Goyavov zaxıy, ımv Iuvkhav ulygı , e YννLLa er 
eidog TTOOPZEOVORY, ul TOULO TTOOTEVES aul vrregualar s) al 
HEoToV Gyguınrog, za d' Exrore Öteoyıousvov sig You 
> do 9 — = 00 7 5 * * 
Zunndwvrog ?) 2 rod VOOEDG Vi zo νÿõH ô vox 

Eraiowv »uraßgoydilovrag. 

3 nn - 

7. Hy d ev 1% nm] ul yahıeog '°) Gerög Avaxsi- 
uevog, rod & Tuavoy ’Anohhoviov xaıvov nedodsvua ve 
rijg Exeiro 0 A 4 22), Ilooa- 

Ns Exeirov eg ueyakongeneg uayyavevua *"). Naga 

gad yd mors Bulovrios mageraydn Ta Tav 6pewv xu- 
7 < x . 27 — r 

re, Önyuara 2), up’ av Enaoyov Ersivor nung. apeheı 

xal ovvegidoıs r auomroveyiag s) yomoausrog, wu d n- 

\ Ö 4 ve \ ‚ 14 r a. * 
yntal Öaiuoves A 000, Ta zovrov **) srosoßevovow d 
en ornAmg Gviornow Gcıov '?), möorıv Evorugov *°) ayuyaig 

1) B. e. F. Ovös ui 775 volvns ovö. 2) B. Pyuos. 3) C. B. 
osuvorara. Vermuthlich Ta maraı oeuvorara. Bekker. 4) B. un. 
5) F. zov innov aov. 6) F. anwwdwuivos. 7) F. tavgov re 
8) B. vmtguabov. 9) C. B. Zunadwvzes. 10) C. B. und die Aus- 
gaben yalzos. 11) F. uayyavwue. 1) F. Ösiyuera. 13) C. B. 
demowveyicıs. 14) C. B. und F. 500: rourwv. 15) C. B. &avrov. 


B. und F. deròv nach seiner Verbeſſerung. 16) B. vr τ, (durch 
einen Druckſehler). ö 


Zerfißrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 23 


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ner he d eig i, ra Aaawvov Errovahvoao@ y90v105 ; 


1) C. B. und F. Önexe. B. die. 2) F. Aoßovusvos. 5) B. und 
F. &yyoiuntwv. 4) F. nregväw. 5) eiduw. F. eidow. 6) B. 
rd nor avrov, F. zuv nad" avrov. 7) C. B. et F. rais yoeias. 
B. rais zsipous. 8) F. xo zo. 9?) F. T1 0’ m 10) F.& 707. 


24 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


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uE) Deargınag, v doo ons ou av zo x, 
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orepayn zul zo mÄoyu Tüv zoıyar. O nv gb àgά⏑̈lꝛ 
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vH Exreıvousrov. Hy de zul rd yellm aahurov oͤlenx 
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zd, usıdiaue cudEng ii Koi yaguovng ıurAav 
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ob 7v Onoia mv dayoaıaı Aöyar Ku ͤ ανE,Zͥjoα Toig EE. 
A d Tuvdagis Elern, ad avrodev zuhov, Er 
uooyevua, Aqꝙgoòͤlrns rnuelοννuůe, navagıorov ꝙο⁰νeοe db 
enuo, Towov zul E, Poußevum, Tod c To vnnevdtg 
c xuscv andre EH Yapuanoy, 6 Gs ?) co 
nagaxoırıg Eyagioaro; Tod ds T& Guaya pikzou; müs ob 
&yon0cw Tovzas wg Tale vol wür; A oinai 000 Toig 
Koieoıg nEnEWTL TA Tod mUVp0g dnonecerv sr,, umd sv 
einovı Tavauusınv Gvaxalisıy Tov; oowvrag eig sri, ). 
Einoy d av ws xal Ayzinowe tod ınv Tooiav Zdahlwoda **) 
vor, als cat oe, gYouszeudivre gıhornow, or 


1) B. uiv. 2) B. orò oAws. 3) B. Zoroluouevn. 4) So ift am 
Rande des C. B. verbeſſert, im Texte ſteht mit Puncten bezeichnet: we- 
erexeıro, was B. und F. aufgenommen haben. 5) B. duedeire ue 
zumov. 6) B. To de vie aouns u. T. J. 7) F. aSααοονν oν. 
8) B. Öioxsuuarı. 9) F. Ouvov v0. 10) B. laßt eis Eowras aus. 
F. & &gwras. 11) F. a 


* 


0 


Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 25 


Aiveısdau,!) oörou rugi oe ) aurergwav 2). A ob 2&*) 
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PIEyEaodaı, ü ob r onavın mavrayod xol vc) A 
Aura Zoya navıshei Oyavıoud mageneupdnoev ©)" ener 
oe sub zb rg Saur yuvoixag OH uergioy nohhuxıs 
Gmodıdova al kronäumeoda, zul malAoy zu Tg00RVEYoVOL 
zn Asia?) a MgO0TETIRROL METToig TTarnuEguoL, I ab TTQOG 
ou wAoyov ai umwon, od um ®) avdgsiav Zupgovs 
or” ühlmkav Evdovowor, a wmv "dgeog ?) oxeuNW nei 
Heyıaı, zig vine mgonıdevreg d nayra T& TEO00VT« 
opioıw, wurdg Tag xovgıdiovg aA, EE wu mazegss i, 
x08100V 1ERVoP, Fu de TO uE Yονẽỹn ro c Övg- 


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dad Avdowrnor. Akkus e nod 1°) rag’ dνοανν ur olg 


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Puopapoıs xui TE)Eov üvahyoßnroıs Ex ονεe al yYooız 
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1 Enmi 000 EayaondErroy EH ον Eırov 


O vlusoıs, Towas nal Eunvnudas Axutods 
Torf &ugl *?) yovaını (moAiv xg0vov 1?)) aAyso maoyew*’ 
Ade adavdınaı Osais sis una koınev. 


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ves e mv bayıy yuvamov, avıo ng Inn ayov TO yagı- 
7 8 13 2 Miet, * 7 > 7 3 
20rarov *?), eig Touniow MV x0uNV ⅝ ui e], ir” du 
po reg r HETWTTOU OUVEOTERUNEINV, ob d nem bEAð y, 


> > 2 c * 57 m > Ar * - > 7 
u WG Omıov gun Tolg sg avro Tag ysıoag EXTEivoudi. 


1) F. Aiwesicösu. 2) C. B. und B. laſſen os aus, was bey F. richtig 
einge ſchoben iſt. 3) F. xursugıwov, 4) F. ss. 5) C. B. und B. 
*, 6) F. nagsntupdsiav, 7) C. B. Ala ohne Iota subser., 
welches überall in dieſer Handſchrift fehlt. 8) B. o um. 09) B. 
Aess und F. Aocws. 10) C. B. Aldws zE mov. 11) F. 204% 
dhα 12) Die Worte ro xeovov, welche F. mit Recht einſchaltet, 
ſtehen weder in C. B. noch ben B. 13) F. auro To vie M,˖ö d 
To gapıdorarov. 


26 Zerſtoͤrung d Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


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> ’ 7 * > I < 7 * ER! 
rog Egeiountos, dvoͤg Egyırımov ap’ Evöog innelov modog sn 
’ > — c 28 7 ’ er 1 
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G 6 ner d oygıyav v oDua, gourzousrog owuarı ), 


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xynuioı To mods mregiotshlousvog, “ Aνεναν̃ moAsuon" 


6 oͤe imnog Wwiorn ?) co oͤg we no om. ö unos rd 


avyeva *), tag oweıg ÖQıuvg, nd Tov e r Huuod oo oon 
noogeirwv r Opduhuols‘ vi os nooͤes Gvepigorro aegvos 
zo mohsuınov Emsınvuvreg oakevug. 
10. Merd de To zixanum Tovr Ayyıoın Tod r 
7 E 7 — a“ > 7 1 wc 7 5 
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Gguaımharaı Gvdgss üveoımamvıo ), zig Öupgevuung oo- 
yocunara oss torHE¹%% yovovoyyi dq in ν,ꝗꝛ ri) d ge 
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rv αιναιν rr Öponkaraıs rrageyyvousvor =), g yon TToOG- 
— — 7 * > — * * > >» 7 
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Avansıgaoud TOVS InmoVg xul ve. A οο), ore, - 
oda Tu) uvorı, Orog reοðHEMνον Ye VLONg &yousvon?), 
sw * 2 10 > ’ * 2 7 1 1 84 
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r Vorarov eνν H auv Inmovs q οmñονν,ẽjꝶCs ννννε] ) 
zul T q umu, Teyvmv od gchro ns) sumwldeurog *). 
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Davuaoıwzegov Buoıs 79 Jıdivn, za En’ avımg vu 
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1) B. nopgaueros. 2) Vielleicht Cuwarı. Bekker. Es iſt mir nicht 
unwahrſcheinlich, daß oWuarı ein bloßer Schreibfehler fir Sc ift. 
5) B. d. 4) C. B. und F. dynlös Trasyivo. 5) B. rov 


Pvßiov. 6) B. avsornAövro. 7) B. Beosı. 8) F. nageyyvousvor. 
9) In C. B. und den Ausgaben £göueva. 10) B. oοσεατοατ. 11) B. 


1% Ev megiodov (megiodw). -12) Vielleicht YYαν 15) F. ogwru. 


14) In C. B. und den gedruckten Ausgaben arraidsvros. 15) F. 79009 Loe:. 
16) F. rouoirov. 17) C. B dvagigiorov ; B. und F. avagugıoror. 


Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 27 


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G Te ul ννονeονt, zul ονE,Hdeß Ev Tavım s) na 
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Cave, T0 Gd Foßsoro rüjg jj Eruaguvdelong Övransog, 
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Gvazetgumto vergmdEr, Ei un av nodav mi Hννeẽꝭ,ũ gerd or 
wu no or vmaveiyov Ogdıov. Hr ds za Hureoov 
oͤuolog, rd rate yErvoıw Erioyousvov, Poayb ur TO odoaLov 
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zod zav Odovray E0xoug Öısnduva nal ÖLExmEosivy Tod yu- 
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ue Tod owuaros, m) ro orouarog Euveize diaoranız 8) zul 
1) B. zer’ sls. 2) B. uiv. 3) F. d. 4) F. läßt 2 aus. 
5) B. & rar. 6) Verbeſſerung von Bekker. C. B. und die Ausgaben 
reluaros. 7) B. d Borgagsıov. 8) Vielleicht dur νẽe Bekker. 


28 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


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Guyvazız yiveodaı, oͤnorq xorg Pouaioız ñjutꝰ Eneorgurevoe °), 
yovarım zur’ ühhıhov ©), d,, Justi Koiozod v 
duaoxoonilovrog !Ivn zu v moheuovs Fehorze ), zul un) 
yaigovrog aiuasıy, 0g zul “u En’ orlda zul Baoı)lozov 


Ösizyuoıw Emißalvovra t Akorıa Kuranarouyıa Ku dganor ru. 


UÜeberſetzung. 


1. Nachdem durch das Strafgericht, welches dem Herrn, 
dem Baumeiſter und Lenker dieſes Weltſchiffs, am beſten 
bekannt iſt, unſer Kaiſerthum an die Franken war verſpielt, 
und das Patriarchat den Venetianern zugetheilt worden: ſo 
kam als Patriarch von Conſtantinopel ein gewiſſer Thomas 
mit Namen aus Venedig, von mittlerer Geſtalt, aber, 
ſo viel ſeine koͤrperliche Bildung betraf, wohlgenaͤhrter 
als ein Maſtſchwein. Sein Geſicht war aber, nach der 
Sitte dieſes Volks, mit einem Schermeſſer glatt geſchoren, 
und die Haare der Bruſt waren, vollſtaͤndiger als ver— 
mittelſt einer Pechhaube, ausgeriſſen; er trug ein Kleid, 

1) Die Worte 4 — duuve fehlen bey B. 2) B. de rere 3) F. 


drt. 4) F. Z eαιν. 5) F. Zmworgarevos. 6) B. und F. yovoryıa 
aal ar’ alınlaw. 7) B. d zei ros mehluovs, 


0 / 
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 29 


welches faſt mit der Haut (ſeines Koͤrpers) zuſammen— 
gewebt und am Handgelenke mit Nadeln zugeſteckt war. 
Auch trug er einen Ring an ſeiner Hand und zuweilen 
lederne, nach den Fingern getheilte Handſchuhe. Die 
ihn umgebende, Gott geheiligte und den Altar bedienende 
Genoſſenſchaft war ganz von derſelben Beſchaffenheit und 
ihrem Oberhaupte voͤllig aͤhnlich in Kleidung und Lebens— 
weiſe, fo wie dem Abſchneiden des Bartes ). 


2. Mit dem erſten Anlaufe, wie man zu ſagen pflegt, 
zeigten (die Lateiner) die rohen Voͤlkern eigenthuͤmliche 
Goldgier; und fie erfanden eine Weiſe der Pluͤnderey, 
welche neu und allen denen, welche die Kaiſerſtadt pluͤn— 
derten, noch entgangen war. Sie öffneten nämlich die 
Grabmaͤhler der Kaiſer, welche in dem, an der großen Kirche 
der Apoſtel errichteten, kaiſerlichen Familienbegraͤbniſſe ſich 
befinden, und pluͤnderten ſie aus in der Nacht, indem 
ſie auf frevelhafte Weiſe raubten, was von goldenem 
Schmucke, Perlenkronen, glänzend durchſichtigen und Foft 
baren Steinen noch unverſehrt in den Graͤbern vorhanden 
war. Als ſie den Leichnam des Kaiſers Juſtinianus nach 
ſo langen Jahren noch unzerſtoͤrt fanden, ſo erſtaunten 
ſie zwar uͤber einen ſolchen Anblick, ließen aber gleichwohl 
nicht ab von der Beraubung der Begraͤbniſſe; und übers 
haupt ſchonten die Abendlaͤnder weder der Lebenden noch 
der Todten, ſondern ſie uͤbten, indem ſie mit Gott und 
deſſen Dienern anfingen, gegen Jeden Geringſchaͤtzung und 
Gottloſigkeit aller Art. Bald hernach riſſen ſie auch den 
Vorhang der Hauptkirche ab, welcher oftmals zu zehn 
Tauſend Minen Silbers geſchaͤtzt wurde, und zwar des 


*) Vgl. Geſchichte der Kreuzz. Buch VI. Kap. 1r. S. 332, Anm. 38. 


30 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


allerreinſten Silbers *), und durch und durch mit dichtem 
Gold durchwirkt war. 

3. Als ſie aber einer ſo reichen Beute ungeachtet 
Mangel an Geld litten, — denn ſolche Barbaren kennen 
keine Saͤttigung ihrer Gier nach Reichthuͤmern — ſo 
richteten ſie ihre Augen auf die ehernen Standbilder und 
uͤbergaben dieſelben dem Feuer. Die auf dem Conſtan— 
tiniſchen Markte ſtehende, aus einer großen Maſſe von 
Erz verfertigte Juno wurde alſo zerſchlagen, um Münzen 
daraus zu praͤgen, und dem Schmelzofen uͤbergeben; ihr 

Kopf aber konnte kaum von einem mit vier Ochſen 
befpannten Wagen nach dem großen Palaſte gebracht 
werden 2). Außer derſelben wurde auch der Paris Alex— 
ander, welcher mit der Aphrodite zuſammen ſtand und 
ihr den goldenen Zankapfel überreichte ?), von feinen 
Geſtelle geworfen. 1. 

Wer aber bewunderte nicht, wenn er die Augen 
darauf richtete, wegen ſeiner Mannichfaltigkeit jenes 
vierſeitige, hoch ſich erhebende eherne Kunſtwerk, 
welches an Hoͤhe faſt mit den groͤßern der an vielen 
Orten der Stadt errichteten Saͤulen wetteiferte? Auf 
demſelben war jeder Singvogel abgebildet, fein Fruͤh—⸗ 
lingslied ſingend; die Werke der Feldarbeiter, Floͤten, 
Milcheimer, das Bloͤken der Schafe und das Huͤpfen der 
Laͤmmer waren ebenfalls dargeſtellt; auch das weite Meer 
breitete ſich aus, in welchem man Heerden von Fiſchen 
ſah, deren einige gefangen wurden, andere die Netze 


1) Alſo iſt in Folge der aufgenommenen Verbeſſerung überfegt worden. 
Das verdorbene zupoulörsgov oder eugosLorsgov wird von Fabricius: 
promtissimum ad direptiionem, und von Banduri: ditius (reicher) 
uͤberſetzt. 

2) Vgl. Heyne in der Abhandlung: Priscae artis opera etc, p. 26. 

3) Vgl. Heyne g. a. O. S. 16. 


Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 31 


uͤberwaͤltigten und munter wiederum die Tiefe des Meeres 
gewannen; Liebesgoͤtter kaͤmpften mit einander, je zwey 
und drey, warfen ſich, von Kleidung entbloͤßt, mit Aepfeln 
und wurden von lieblichem Lachen geſchuͤttelt ). Auf 
der Hoͤhe dieſes Vierecks, welches wie eine Pyramide in 
eine Spitze ſich endigte, ſchwebte die Geſtalt eines Weibes, 
welche von den erſten Bewegungen der Winde herumge— 
trieben und daher Anemodulion (ventorum ministra) ge 
nannt wurde 2); auch dieſes ſchoͤne Werk uͤbergaben ſie 
den Schmelzern, ſo wie auch das Standbild eines Mannes 
zu Pferde, welches auf dem Taurus auf einem tiſchaͤhn— 
lichen Geſtelle ſtand, von heroiſcher Geſtalt und bewun— 
dernswuͤrdiger Groͤße. Einige behaupteten, daß dieſes 
Standbild den Joſua, Sohn des Nun, darſtellte, indem 
ſie dieſes folgerten aus der Ausſtreckung der Hand dieſes 
Mannes gegen die im Untergehen begriffene Sonne, als 
ob er ihr geboͤte, bey Gibeon ſtill zu ſtehen; die meiſten 
aber hielten es fuͤr den im Peloponneſe geborenen und 
erzogenen Bellerophon, welcher auf dem Pegaſus ſaß ?). 
Denn das Pferd war ohne Zuͤgel, wie der Pegaſus nach 


1) In feinem größern Werke (Andronicus Comn. Lib. II. ed. Paris. 
P. 213) beſchreibt Nicetas dieſes Kunſtwerk alſo: „das hohe eherne 
vierſeitige Bildwerk, auf welchem nackte Amors einander mit Aepfeln 
warfen (TO xανiανν werdwgov Tergunksupov, x ν yvuvol 
negıBhmuaruw umhoßolovcw ahlylovs oi Eure, 6 'Avsuodov- 
dio aeninraı).“ 

) Vgl. über das Anemodulion, welches zu den Zeiten des Kaiſers Leo 
des Iſauriers, zum Theil aus Statuen, welche aus Dyrrachium waren 
gebracht worden, von dem Aſtronomen Heliodorus errichtet wurde, 
Anon. de antiquitatibus Constantinop. in Banduri Imperium orien- 
tale T. I. Pars 3. p. 17. Codinus de antiquitatibus Constant. (ed. Par.) 
P. 54 und Lambec, ad h. 1. Heyne a. a. O. S. 32 


3) Die Statue des Bellerophon war aus Antiochien nach Conftantinopet 
gebracht worden; ogl. die von Banduri (Commentarii de antiquitatibus 
Constant. Lib. I. p. 481) angeführten Stellen. Heyne a. a. O. S. 13. 


32 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


der Ueberlieferung ſeyn ſoll, wild den Boden ſtampfend, 
jeden Reiter ſeiner unwuͤrdig achtend und eben ſo ſchnell 
als Vogel, wie als Renner. Es war aber eine alte, 
auch uns uͤberlieferte, Sage in aller Mund, daß in dem 
Hufe des linken Vorderfußes dieſes Pferdes das Bildniß 
eines Mannes verborgen waͤre, welches nach der Ueber— 
lieferung einiger Perſonen einen Venetianer, nach andern 
einen Mann aus irgend einem anderen mit den Roͤmern 
nicht befreundeten abendlaͤndiſchen Volke oder einen Bul⸗ 
garen darſtellen ſollte. Man hatte aber durch oͤftere Nach 
huͤlfe dieſen Huf auf eine ſolche Weiſe verwahrt, daß 
man zu demjenigen, welches, wie man wußte, darin 
verborgen war, auf keine Weiſe gelangen konnte. Als 
nun das Pferd zertruͤmmert und mit dem Reiter dem 
Feuer uͤbergeben wurde, ſo fand man auch das in dem 
Hufe des Roſſes begrabene eherne Bild, bekleidet mit 
einem Gewande von Schafwolle; da aber die Lateiner 
um das, was darauf angedeutet war, wenig ſich kuͤm⸗ 
merten, ſo warfen ſie dieſes Bild ebenfalls ins Feuer. 
4. Dieſe Barbaren, welche ohne alle Liebe des 
Schoͤnen waren, unterließen es nicht, auch die Bildſaͤulen, 
welche auf der Rennbahn errichtet waren, und verſchiedene 
andere bewundernswuͤrdige Werke, niederzuwerfen; fie 
zerſchlugen alſo auch dieſe, um Geld daraus zu praͤgen, 
tauſchten gegen Geringes das Herrliche, und opferten, 
was mit großen Koſten hervorgebracht war, gegen arm— 
ſelige Muͤnze. 
Es wurde alſo der große und großartig auf einem Korbe*) 
) Ueber die Aufſtellung des Herkules auf einem Korbe hat mir Herr Hof⸗ 
rath Böttiger folgende ſchätzbare Belehrung mitgetheilt: „Die Der 
ſchreibung des ſitzenden koloſſalen Herkules im Hippodrom bey Nicetad 


Choniates in Fabricius Bibl. Graeca Vol, VI. p. 409 gehört zu den 
merkwürdigſten Nachrichten über antike Herkules ſtatuen, und die Idee 


Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 33 


aufgeſtellte dreynaͤchtige Herkules *) niedergeriſſen. Ober⸗ 


71 


verräth ein Denkmahl aus den Zeiten des Lyſippus. Es iſt der Halbgott 
in tiefer Trauer über ſeine Erniedrigung. Die tiefſte Stufe derſelben iſt 
die ihm vom Euryſtheus aufgelegte Ausmiſtung des Augiasſtalls, und 
dieſe wird dadurch ſehr geiſtreich angedeutet, daß er Aeαννε usyalwori 
vopivo Eviögvulvos dargeſtellt war. Unter den mannichfachen Weber: 
lieferungen, wie Herkules den Stall geſäubert habe, war auch die, daß 
er gensthigt geweſen, den Miſt in Koͤrben fortzutragen, ‚Aiyeiao oe 
aongdy, wie es in einem griechiſchen Sinngedichte heißt. Auf einer großen 


marmornen Schale in der Villa Albani mit den Arbeiten des Herkutes 


in Zoega's Bassi Rilievi tav. LXIII. iſt Herkules mit dieſem Korbe, vor 


dem Flußgotte Alpheus ſtehend, abgebildet, wie es auch ſchon Viscont! 


und Andere erklärt haben. Allein Zoega deutet dieſen Korb als ein 
Schöpfgefäß, um die Ableitung des Miſtes durch die von Herkules her⸗ 
beygeführten Kanäle zu bezeichnen (T. II. p. 79), welches gewiß ein 
Mißverſtand if. Hätte er die Stelle des Nicetas gekannt, würde er 
anders geurtheilt haben. Allein auch Heyne kann in feiner erſten Vor 
leſung in den Commentationibus Societatis Gottingensis Tom. IX, 
welche überſchrieben ift; Priscae artis opera Constantinopoli extantia 


ect. I. P. 11 mit dieſem xo@ıvos des Nicetas nicht fertig werden: non 


intelligo, qua vi dictum sit. Er erinnert ſich alſo nicht an die Säu⸗ 
berung des Augiasſtauls. Beſondere Aufmerkſamkeit verdient der umſtand, 
daß auf den Reliefs eines alten kapitoliniſchen Altars im Vorſaale 
des kapitoliniſchen Muſeums, von welchem Visconti Museo Pio - Cle- 
mentino T. IV. p. 83. Anm. e mit großer Bewunderung ſpricht, und 


wovon er in der tavola aggiunta A. zu dieſem Theil n. 7. eine treue Abs 


bildung gegeben hat (vgl. die Erklärung p. 102), Herkules zur Bezeichnung 
dieſer Arbeit der Stallſäuberung gerade ſo auf dem Korbe ſitzend, auf wel⸗ 
chem die Löwenhaut liegt, abgebildet iſt, wie Nicetas Choniates den Koloß 
im Hippodrom ſchildert, ſo daß das Denkmahl die Stelle des Nicetas 


aufs ſchönſte erläutert. Dieſer Ausmiſtungskorb ſpielt überhaupt in den 


5 7 Alles kommt darauf an, das Denkmaht ſelbſt zu prüfen, wo das, was 


Denkmähtern des Herkules eine weit größere Rolle, als unſere Archäo— 
logen ſeit Winckelmann vermuthet haben. Man ſehe z. B. das bis jetzt 


allein von Millin in der Gallerie mythologique pl. CXVII. n. 433, 


nach einem vom Cardinal Borgia publicirten Kupferſtich, mitgetheilte 
Relief mit den zwölf Arbeiten, die den Herkules mit der Omphale 


in der Mitte umringen, wo unten neben Vogen und Köcher auch ein 
Korb zu ſehen iſt. Man könnte es freilich auch für einen Kalathiskus 


it Wolle halten, wozu die darunter liegende Spindel paſſen würde. 


über den Korb hervorragt, durch den Augenſchein zu beſtimmen 


wäre.“ Heyne bemerkt bloß (a. a. O. S. 1): „ Nicetas sedem appel - 


lat corbem #0gıvov, quod non intelligo qua vi dictum sit; sane 


in vasis vulgo Etruscis dictis vidi talia passim sedilia corbis for- 


mam referentia,‘“ Vgl. über dieſes berühmte Kunſtwerk des Lyſippus: 


Nicetas in Alexio Comn. Lib. III. p. 335, wo er den Meiſter eben ſo, 
wie hier, durch einen Gedächtnißfehler Lyſimachus nennt, Lambec. ad 
Codin, p. 167. Sillig, Catalogus artificum p. 259. 260. 


Heaulijs ri, ¹ ? Dieſer wunderliche Beiname, welchen Nicetas dem 
V. Band. c 


34 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


halb war uͤber ihm die Loͤwenhaut ausgebreitet, welche 
ſelbſt im Erze furchtbar blickte, faſt ein Loͤwengebruͤll von 
ſich gab und das umſtehende muͤßige Volk verjagte. Er 
ſaß aber weder mit dem Koͤcher angethan, noch den 
Bogen in den Händen haltend, noch mit der Keule bes 
waffnet, ſondern den rechten Fuß, ſo wie auch die rechte 
Hand ſo weit, als es moͤglich war, ausſtreckend, den 
linken Fuß nach dem Knie biegend, die linke Hand mit 
dem Ellbogen ſtuͤtzend, uͤbrigens die Hand in die Hoͤhe 
ſtreckend und voll Verdruß den Kopf ein wenig auf die 
flache & Hand herabbiegend, als ob er ſein Ungluͤck beklagte 
und unwillig waͤre uͤber die Arbeiten welche ihm Eury⸗ 
ſtheus nicht wegen irgend eines Zwecks ſondern aus 
Neid und im Uebermuthe⸗ uͤber das ihn beguͤnſtigende 
Gluͤck aufgegeben hatte. Er hatte eine weite Bruſt, breite 
Schultern, krauſe Haare, ein derbes Geſaͤß, kraͤftige 
Arme, und erhob ſich zu eben der bedeutenden Groͤße, welche 
das Urbild hatte nach der Vermuthung des Lyſimachus 
(Lyſippus), welcher dieſes erſte und letzte herrlichſte Werk 
ſeiner Haͤnde aus Erz verfertigte; er war uͤberhaupt ſo 
groß, daß ein um ſeinen Daum geſpannter Faden den 
Umfang. des Guͤrtels eines Mannes und fein Schenkel 


Houalije avanavousvog oder avazeiuevog beylegt, findet ſich bey Ly⸗ 
kophron (Cass. 38.) und Tzetzes berichtet von dieſem Beinamen Folgendes: 
Ore Augırgiwv Zu Tyheßoas Zorgkrevoev Eudαu˙οα Hehwv To 
y3vov ruv adelpuv Ale x Tov H, narpos, Zeig xete 

2 Eomlgas eis ulav usraßahuv owvsnadevds 17 Ai. Kara 
os r avınv dontgav nal Augırpiwv rakıroorzoas, ovyradevdsı 
2 ywvaızi. H oͤs oͤrol uorvs ard as e, e ud Ai, HU, 
en d Augeroiumos Igır)y. Aid rot ro Telsome o- avröv . 
Weiter unten erklärt Tzetzes jenen Beinamen von dem dreytägigen 
Aufenthalte des Hertules im Bauche des Meerungeheuers (dia To e Ta 
ats r ius bas aoiñoue as tome dale dd To d r- 
or Kai οονενν Eva 71V yaorlpw rov Impiov), 


Zerfißrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 35 


die Hoͤhe eines Mannes hatte. Obgleich nun dieſer Her⸗ 
kules ein fo herrliches Werk war, fo ließen ihn gleich, 
wohl diejenigen nicht unzerſtoͤrt, welche die Tapferkeit 
vor allen andern Tugenden zu ſchaͤtzen behaupteten, ſie 
als einen ihnen eigenthuͤmlichen Vorzug betrachteten, und 
in dieſer Tugend einen großen Ruhm ſuchten. 


5. Mit dieſem Herkules zugleich zerſtoͤrten fie auch 
den bepackten und mit Bruͤllen fortſchreitenden Eſel und 
den ihm folgenden Eſeltreiber, welche Caͤſar Auguſtus zu 
Actium (die Griechen nennen dieſe Stadt Nikopolis) auf 
ſtellen ließ, als er lin der Nacht, in welcher er ausgezogen 
war, um uͤber das Heer des Antonius Erkundigungen 
einzuziehen, einen Mann, welcher einen Eſel fuͤhrte, ans 
traf, und auf die Frage, wer er waͤre und wohin er 
ginge, die Worte vernahm: ich heiße Nikon, mein Eſel 
Nikander, und ich gehe zu dem Heere des Caͤſar *). 

6. Auch hielten ſie nicht die Haͤnde fern von der 
Hyaͤne und Woͤlfin, von welchen Remus und Romulus 
geſaͤugt wurden 2); vielmehr gaben fie auch dieſe alten 
hoͤchſt ehrwuͤrdigen Volksdenkmaͤler dahin für geringe Müns 
zen und zwar von Erz, und brachten ſie in den Schmelz— 
ofen. Eben ſo auch den Mann, welcher mit einem Loͤwen 
kaͤmpfte, das Nilpferd, welches nach hinten in einen mit 
Schuppen beſtachelten Schwanz ausging, und den Ele— 
phanten mit beweglichem Ruͤſſel; desgleichen auch die 
Sphinxe, welche vorn wohlgeſtaltet wie Weiber, hinten 
ſchrecklich wie wilde Thiere, auch dadurch noch merk— 
wuͤrdiger waren, daß ſie, obgleich zu Fuß einherſchreitend, 
doch behende vermittelſt eines Fittigs ſich bewegten, und 


1) Bol. Heynela. a. O. S. 37. Ueber die Fabel f. Sueton, Aug. c. 96. 
2) Heyne g. a. O. 
c 2 


36 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


darin mit großbefluͤgelten Voͤgeln es aufnahmen, ſo wie 
auch das wilde Roß, welches die Ohren ſpitzte und 
wieherte; den ruhig vorwaͤrts ſchreitenden Stier und das 
alte Ungeheuer, die Scylla, welches bis zur Huͤfte die 
Geſtalt eines Weibes, aber lang geſtreckt, mit uͤberſtarken 
Bruͤſten und voll Wildheit darbet, weiterhin aber in 
Thiere ſich ſpaltete, welche in das Schiff des Ulyſſes 
ſpringend viele ſeine Gefaͤhrten verſchlangen. 


7. Auch war auf der Rennbahn ein eherner Adler 
aufgeſtellt *), ein wunderbares Kunſtwerk des Apollonius 
von Tyana und ein prachtvolles Werkzeug ſeiner Zauber— 
fünfte, Als er naͤmlich einſtens nach Byzanz kam, ſo 
ward er gebeten, den Biſſen der Schlangen, von welchen 
damals die Einwohner der Stadt gequaͤlt wurden, ein Ende 
zu machen; er aber nahm ſogleich die geheimen Kuͤnſte zu 
Huͤlfe, deren Lehrer die Geiſter und diejenigen ſind, 
welche mit deren geheimem Dienſte ſich beſchaͤftigen, und 
ſtellte einen Adler auf eine Saͤule, als ein Bild, welches 
den Gemuͤthern Freude einfloͤßte und diejenigen, welche 
an der Beſchauung deſſelben Wohlgefallen fanden, ſo 
anzog, daß ſie dabey verweilten, gleich denen, welche den 
unwiderſtehlich lockenden Geſaͤngen der Sirenen ihr Ohr 
leihen. Der Adler breitete ſeine Fittige aus, wie zum 
Fluge, und eine Schlange, welche unter ſeinen Fuͤßen 
lag und in Windungen ſich bog, hinderte ihn, ſich zu 
erheben, indem ſie mit dem obern Theile des Koͤrpers 
an ſeine Fittige ſich draͤngte, als ob ſie ihn beißen wollte; 
aber die Anſtrengungen des giftigen Thiers waren ver— 
geblich. Denn von den Spitzen der Klauen des Adlers 
durchbohrt, verlor es ſeine Kraft und ſchien eher in 


) Vgl. Heyne a. a. O. S. 38 und die daſelbſt angeführten Schriftſteller. 


Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel 37 
Schlaf zu ſinken als, zur Bekaͤmpfung des Vogels, deſſen 


Fittlige zu umſchlingen; und indem die Schlange den 


Zn 


+ 2 
3 


letzten Athem ſchoͤpfte, erſtarb auch mit ihr das Gift. 
Der Adler aber mit ſtolzem Blicke, und man moͤchte ſagen, 
ein Siegeslied kraͤchzend, war im Begriffe, die Schlange 
in die Hoͤhe zu heben und mit ihr in dle Luft ſich zu 
ſchwingen; was er durch die Wildheit ſeines Auges und 
die Toͤdtung der Schlange andeutete. Wer die Schlange 
ſah, der dachte wohl, daß fie von Windungen und toͤdt— 
lichen Biſſen nichts mehr wußte, und die uͤbrigen Schlangen 
zu Byzanz durch ihr Beyſpiel verſcheuchte und ihnen rieth, 
auf ihre Rettung zu denken und ſich zu verkriechen. Es 
war aber dieſes Bildniß eines Adlers nicht blos wegen 
der von uns bisher angegebenen Umſtaͤnde merkwuͤrdlg, 
ſondern auch deswegen, weil durch Linien, zwolf an der 
Zahl, welche an den Fluͤgeln eingegraben waren, die 
Stundentheile des Tages auf das deutlichſte bezeichnet 
waren fuͤr diejenigen, welche mit Verſtand darauf ihren 
Blick richteten, wenn nicht die Strahlen der Sonne durch 
Wolken verfinſtert waren. 


8. Nun aber die weißarmige Helena ), mit ſchoͤnen 
Ferſen und geſtrecktem Halſe, welche das geſammte grie— 


chiſche Volk vor Troja verſammelte und an der Zerſtoͤrung 


dieſer Stadt ſchuld war, ſpaͤterhin nach dem Nil ver— 
ſchlagen wurde, und nach langer Zeit in die lacedaͤmo— 


niſche Heimath zuruͤckkehrte; konute fie auf Leute wirken, 


welche fuͤr milde Gefuͤhle nicht zugaͤnglich waren, und 
konnte ſie Menſchen erweichen von eiſernem Sinne? 
Solches vermochte diejenige nicht, welche jeden andern 
Beſchauer durch ihre Schoͤnheit ſich dienſtbar machte, ob— 


*) Vgl. Heyne a. a. O. S. 31. 


38 Zexrſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. | 


wohl fie wie für die Bühne bekleidet und lieblich, wie 
der Thau, anzuſchauen war, ſelbſt im Erze, und zur 
Liebe lockte durch das Gewand, die Kopfbinde, die Krone 
und das Geflecht der Haare. Denn das Gewand war 
zarter als Spinngewebe; die Binde, welche ihr Haupt 
umgab, war kuͤnſtlich gearbeitet; die Krone, welche die 
Stirn ſchmuͤckte, ahmte den Schimmer des Goldes und 
koſtbarer Steine nach; und das hingegoſſene und von den 
Winden auseinander getriebene Haar war nach hinten 
von einem Bande umſchlungen und hing herab bis zu 
den Waden. Die Lippen öffneten ſich gemach wie Blumen; 
kelche, als waͤren ſie im Begriffe, einen Laut von ſich 
zu geben. Das liebliche, ſogleich entgegen kommende 
Laͤcheln, welches den Beſchauer mit Freude erfuͤllte, das 
Bezaubernde des Blicks, die Woͤlbungen der Augenbrauen 
und die uͤbrige ſchoͤne Bildung des Koͤrpers, laſſen ſich 
nicht mit Worten beſchreiben und der Nachwelt anſchau— 
lich machen. Aber, o Helena, Tochter des Tyndarus, 
Schönheit durch ſich ſelbſt ſchoͤn, Sproͤßling der Liebes— 
goͤtter, Pflegling der Aphrodite, allherrlichſtes Geſchenk 
der Natur, Siegespreis fuͤr Troer und Hellenen, wo 
ließeſt du jenes trauerſtillende und jedes Kummers Ge— 
daͤchtniß tilgende Zaubermittel, welches des Thon's Ge— 


mahlin (Polydamne) dir gab, wo jene unuͤberwindlichen 


Liebestraͤnke? Warum wandteſt du ſie nicht an, ſo wie 
vor Zeiten, alſo auch jetzt? Aber es war dir, wie ich 
meine, durch die Goͤttinnen des Schickſals beſchieden, 
daß du, obwohl auch im Bilde nicht aufhoͤrend, die 
Beſchauer zur Liebe zu entzuͤnden, von der Gewalt des 
Feuers zerſtoͤrt werden ſollteſt. Faſt moͤchte ich ſagen, 
daß zur Strafe wegen der Zerſtoͤrung von Troja durch 
das Feuer, welches durch deine ungluͤckſeligen Liebſchaften 


Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 39 


war entzuͤndet worden, dieſe Nachkommen des Aeneas zum 
Feuer dich verurtheilten; aber die ungeſtuͤme Goldgier, mit 
welcher dieſe Leute die uͤberall ſeltenen und ſchoͤnſten unter 
den ſchoͤnen Werken ohne Schonung vernichteten, geſtattet 
mir nicht, ſolches zu denken oder auszuſprechen. Viel⸗ 
mehr kann man ſagen, daß ſie ihre Weiber fuͤr wenige 
Oboli verkaufen und von ſich ſtoßen, vornehmlich, wenn 
fie dem Raube nachgehen und ganze Tage mit Würfel; 
ſpiel verbringen, oder wider einander zu unſinniger und 
raſender Wuth, nicht zu vernünftiger Tapferkeit, ſich ers 
hitzen und, die Ruͤſtung des Kriegsgottes anlegend, ihr 
ganzes Vermoͤgen, ihre jugendlichen Gattinnen, welchen 
ſie es verdanken „Vaͤter von Kindern zu heißen, ja ſelbſt/ 
was alle andere Menſchen für ein großes und unveraͤu— 
ßerliches Gut und werth jeder Anſtrengung achten, das 
Leben zum Kampfpreiſe machen. Wo haͤtten uͤbrigens 
ſolche Barbaren, welchen jede Wiſſenſchaft, ja ſelbſt die 
Kenntniß der Buchſtaben vollkommen fremd war, die von 
dem Rhapſoden *) zu deinem Lobe geſungenen Verſe leſen 
oder vernehmen koͤnnen: 

Tadelt nicht die Troer und hellumſchienten Achaler, 

Die um ein ſolches Weib ſo lang' ausharren im Elend! 

Einer unſterblichen Göttin fürwahr gleicht jene von Anſehn! 

9. Auch Folgendes darf ich nicht unerwaͤhnt laſſen. 
Auf einer Saͤule ſtand eine weibliche Geſtalt von jugend— 
licher Bildung ?) und im ſchoͤnſten Lebensalter; das Haar 
derſelben war an beiden Seiten der Stirn zuſammen— 
geflochten und ruͤckwaͤrts aufgebunden; ſie ſtand nicht 
ſehr hoch, ſondern ſo, daß ſie von denen, welche die 

1) Homeri IIiad. III. 186 — 18g. 


2) Nämlich eine Darfielung der Fortuna urbis. Vgl. Heyne g. g. O. 
S. 28. 29. 


2 


40 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


Haͤnde nach ihr ausſtreckten, beruͤhrt werden konnte. 


Die rechte Hand dieſes Bildes hielt, ohne irgend eine 


Stuͤtze, einen Mann zu Pferde, an einem Fuße des 


Roſſes, mit einer Leichtigkeit, wie ein anderer nicht 


einen Becher mit Getraͤnk haͤlt. Der Koͤrper des Reiters 
war ſtrotzend von Kraft und mit einem Panzer geruͤſtet, 
ſeine Beine waren mit Schienen verwahrt, und er athmete 
nichts als Krieg. Das Roß ſpitzte die Ohren, als ver 
naͤhme es die Kriegstrompete, hatte einen hohen Hals 
und feurigen Blick, und verkuͤndigte mit den Augen einen 


muthigen Lauf; die Fuͤße erhoben ſich in die Luft, den 


Anſprung zum Kampfe andeutend. n 

10. Nach dieſem Bilde waren fängt in der Nähe 
des oͤſtlichen Wendepunkts der vierſeitigen Rennbahn, 
welcher der rothe hieß (nach der Farbe der Einen der 
vier Partheyen des Circus), die Bilvfäulen von Wagens 


lenkern als Muſter der Geſchicklichkeit im Rennen aufge 


ſtellt, durch die Richtung ihrer Haͤnde faſt wie durch 
Rede verſtaͤndlich, die Wagenlenker ermahnend, nicht, 
wenn fie dem Wendepunkte ſich naͤherten, die Zügel nach— 
zulaſſen, ſondern durch Anziehen derſelben die Pferde 
umzulenken, und ohne Unterlaß und mit noch mehr 
Nachdruck ſie anzutreiben, damit ſie, ſo nahe als moͤglich 
am Wendepunkte umbiegend, den ſich anſchließenden 
Nebenbuhler in einem Umkreiſe herumzufahren und zu— 
ruͤckzubleiben noͤthigten, auch wenn dieſer mit ſchnellern 
Roſſen fuͤhre, und der Kunſt des Wettrennens vollkommen 
kundig waͤre. 

11. Noch Eines will ich zu dem Geſagten hinzu 


fügen, obwohl es meine Abſicht nicht iſt, alles zu bu - 


richten. Lieblich anzuſchauen und in Hinſicht der kuͤnſt⸗ 


leriſchen Ausfuͤhrung faſt bewundernswuͤrdiger als alles 


1 


— 


Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 41 


Andere, war ein Untergeſtell von Stein und das auf 
demſelben ſtehende, aus Erz getriebene Thier, welches in 


ſofern nicht unzweifelhaft einen Ochſen darſtellte, als es 


einen kurzen Schweif, und dem Anſcheine nach einen 
nicht ſo tiefen Schlund hatte, als die aͤgyptiſchen Ochſen 
zu haben pflegen, auch nicht mit Klauen verſehen war. 
Es hielt aber dieſes Thier zwiſchen ſeinen Kinnladen ein 
anderes, welches von ihm bis zum Erſticken zuſammen⸗ 


gedruͤckt wurde, und am ganzen Leibe mit ſo ſcharfen 


Schuppen gepanzert war, daß ſie ſelbſt im Erze diejeni⸗ 
gen, welche ſie beruͤhrten, verwundeten. Man hielt jenes 
große Thier fuͤr einen Baſilisk, und das Thier, welches 
von deſſen Maule gepackt wurde, für, eine Aspis; obs 
wohl viele der Meinung waren, daß jenes einen Nils 
ochſen, und dieſes einen Krokodil darſtellte ). Mir liegt 
nichts an ſolcher Verſchiedenheit der Meinungen, und ich 
beſchraͤnke mich darauf, anzugeben, daß beide Thiere mit 
einander einen ganz eigenthuͤmlichen Kampf beſtanden, in⸗ 
dem beide abwechſelnd Leides eines dem andern zufuͤgten 
und von einander erfuhren, zerſtoͤrten und zerſtoͤrt wur; 
den, zugleich bezwangen und bezwungen wurden, beide 
ſiegten und von einander uͤberwaͤltigt wurden. Das 
Thier, welches für einen Baſilisk ausgegeben wurde, war 
am ganzen Leibe, vom Kopfe bis zu der Spitze der Fuͤße, 
geſchwollen, und deſſen Koͤrper, durch und durch vergiftet, 
war gelblicher, als die Farbe des Froſches, indem das 
Gift den ganzen Gliederbau des Thieres durchdrungen 
hatte und ihm die Farbe des Todes gab. Es ſank alſo 
nieder auf das Knie, und das Auge war erloſchen, in— 
dem die Lebenskraft zerſtoͤrt war. Auch konnte es die 
Beſchauer zu der Meinung veranlaſſen, daß es ſchon 
) Vgl. Heyne a. a. O. S. 38. 


42 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 


Tangft getoͤdtet und niedergeworfen waͤre, wenn nicht die 
Fuͤße es noch geſtuͤtzt und zum Stehen aufrecht erhalten 
haͤtten. Das andere Thier, welches von den Kinnladen 
des Baſiliskes gefaßt war, zappelte zwar gleichfalls nur 
ein wenig mit dem Schweife, ſperrte aber ſeinen Rachen 
weit auf, indem es durch die Zuſammenpreſſung der 
Zaͤhne erſtickt wurde. Es ſchien aber ſich anzuſtrengen und 
zu verſuchen, ob es nicht aus den Zaͤhnen des Ungeheuers 
ſich losmachen und aus dem Maule deſſelben ſich retten 
koͤnnte; aber es war vergeblich, weil alles von den 
Schultern an, ſo wie die Vorderfuͤße und die Theile des 
Koͤrpers, welche mit dem Schweife zuſammenhingen, in 
der Oeffnung des Rachens eingeklemmt und zwiſchen den 
Kinnladen aufgeſpießt waren. Alſo toͤdteten ſich dieſe 
Thiere einander; gemeinſchaftlich war der Kampf beider, 
gemeinſchaftlich die Vertheidigung ' gleichmaͤßig der Sieg, 
und gleichzeitig der Tod. 
Mir faͤllt dabey ein, zu bemerken, daß alles Schlimme 
und Unheilbringende, und was verderblich iſt fuͤr die 
eenſchen, wie es ſich gegenſeitig zerſtoͤrt und mit ein— 
ander dem Tode ſich zufuͤhrt, nicht blos in Bildniſſen 
geſchildert wird oder bey den ſtarken unter den Thieren 
vorkommt, ſondern auch oftmals bey den Voͤlkern ſich alſo 
darſtellt, welche gegen uns Roͤmer ihre Waffen kehrten, 
aber mordluſtig wider einander ſelbſt ſind, und ihren Unter— 
gang finden durch die Macht Chriſti, welcher die Voͤlker, 
die nur den Krieg wollen, zerſtreut und kein Wohlgefallen 
findet am Blutvergießen, den Gerechten aber auf Otter 
und Baſilisk. einherſchreiten, und auf Löwe und Drachen 
treten laßt. 


1 


Verbeſſer ungen. 


Im ſechsten Buche (Band V.). 


2 Z. 8 und überall ſtatt Aziz l. Aſis. 

82 — 88 iſt die oben am Rande der Columne befindliche Jahreszahl 1198 
in 1199 zu verbeffern, 

97 Anm. 7, 8. 1 für C. c. lies I. e. 

116 3. 22 für Dandluo l. Dandulo. 

127 Z. 10 för 1202 l. 1201. 

192 3. 6 und 7 ſtatt vor der alten Stadt Spalatro oder Salona, lies 
vor der alten Stadt Salona und Spalatro. 

216 Anm. 66 8. 11 ſtatt dgouemes, lies oed he. 

296 Anm. 38 Sp. 2 3. 7 für L lies Sc. 


Beylagen (Band V.“. 


. 29 Z. 11 ſtatt Pluͤnderey, l. Pluͤnderung. 


Im fuͤnften Buche (Band IV.). 


140 Z. 5 iſt mit zu ſtreichen. 

440 Z. 20 für ſetzte l. ſetze. ei 

471 Anm. 17 und fonft überall für Newbridge l. Newbery. 

518 Anm. 50. Z. 2 iſt das Zeichen der Parentheſe vor cyclades zu tilgen 
und nach dieſem Worte zu ſetzen. 

568 letzte Z. fuͤr dem l. den. 

598. Anm. 2 Spalte 2 Z. 13 für sinana I. Ginana. 

600 3. 21 für Erdburg l. Erdberg. 

601 Anm. 10 iſt für Otton. u. ſ. w. zu ſetzen: Matthaeus Paris ad 
a. 1192. 

604 iſt im Anfange der fünften Zeile das Wort wichtigen zu loͤſchen. 
618 Anm. 51 iſt nach den Citaten im Anfange hinzuzuſetzen: Epist. 
Innocentii III. ed. Baluz. Lib. I. epist. 230. 236. 242, 


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